WeinLetter #13: Wein-Psychologie
Liebe Wein-Freund*innen,
Ihr lest jetzt schon den 13. WeinLetter. +++ Trinkt mal Cabernet Sauvignon zu Jimi Hendrix. Serviert mal eine Zehn-Euro-Flasche und behauptet: Kostet 50 Euro. Schaut mal, was passiert, wenn ihr Wein bei Rotlicht trinkt. Heute geht es um: Sinne. Ihr glaubt ja nicht, wie beeinflussbar unser Geschmack ist! +++ In der Rubrik "Ins Glas geschaut" stellt WeinLetter-Kolumnist Franz Untersteller die Cuvée "Herbst im Park" von Felix Graf Adelmann aus Kleinbottwar vor und was das mit der Tradition der Realteilung zu tun hat. +++ Empfehlt (und shared) den WeinLetter bitte weiter. Unterstützt den WeinLetter und werdet sehr gerne aktives Mitglied! (Abre numa nova janela) Und vor allem:
Trinkt’s euch schön!
Euer Thilo Knott
Und dann kommt Farbe ins Spiel: Was für Flaschen! FOTO: DEUTSCHES WEIN-INSTITUT
Das ist doch Wein-Sinn!!!
Licht, Musik, Preis: Beim Weingeschmack sind wir oft von Sinnen. Denn äußere Faktoren können die Wahrnehmung der Aromen verändern. Wie funktionieren diese Einflussfaktoren? Und kann ich etwas für den reinen Weingeschmack tun?
von Thilo Knott
Es gibt so viele Faktoren, die den Geschmack eines Weines bestimmen. Man kann sie grob in drei Kategorien einteilen: die Natur, das Handwerk, die Konsument*innen.
Zur Natur gehören der Weinberg und seine Böden (Schiefer, Löss, Kalk etc.), die Lage, die Rebstöcke und ihre Beschaffenheit sowie ihr Alter.
Zum Handwerk gehört die Philosophie der Winzer*innen, die Art der Bearbeitung des Weinbergs sowie der Traubenverarbeitung (etwa: bio-dynamisch, ökologisch, konventionell), die Rebsorten-Auswahl (rot, weiß, Bukett-Rebsorten oder nicht etc.), die Erntemethoden (Handlese oder Maschine), die Behälter-Frage (Stahl, Beton, Ton, Holz, Barrique), die Ausbau-Stilistik (trocken, restsüß etc.). Die Liste ließe sich sicherlich noch müde schreiben.
Jetzt kommen die Konsument*innen ins Spiel. Und die sind unstete Wesen. Kenner wie Gelegenheitstrinker: Wir sind lassen beeinflussbar durch Marketing, durch klassizistische oder stylishe Etiketten und durch die Preise. Der Wein muss „wertvoll“ sein, darf aber nicht zu viel kosten. Unterbewusst hören wir sogar auf die Musik, die in den Konsumhallen läuft – und kaufen den entsprechenden Wein.
Daniel Oberfeld-Twistel ist Professor am Psychologischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Er beschäftigt sich mit Phänomenen der Wahrnehmung. Gerade arbeitet er an einem Projekt, das die Auswirkungen der leisen E-Autos auf die Entscheidungen von Fußgänger*innen bei der Straßenüberquerung misst. Das Thema Weingeschmack und Wahrnehmung hat er ebenfalls schon untersucht. Er hat dabei vor ein paar Jahren Hobby und Profession zusammengebracht: „Ich trinke selbst gerne Wein und bin auf das Phänomen Licht-Einfluss aufmerksam geworden, als ein Winzer unterschiedliche Lichtfarben in seiner Probierstube einsetzte“, erzählt Oberfeld-Twistel.
"Wir können uns nur schwer gegen äußere Einflüsse wehren": Psychologie-Professor Daniel Oberfeld-Twistel mit einem schwarzen Weinglas in der Hand und rotem Umgebungslicht FOTO: ARCHIV OBERFELD
„Das Aroma von Lebensmitteln wird von verschiedenen Sinneskanälen beeinflusst: vor allem natürlich vom Geruchs- und Geschmackssinn, aber auch vom Sehen oder Hören. Daneben spielen Erwartungen eine wichtige Rolle: Sollte ein teurer Wein nicht besser schmecken als ein preiswerter Wein?“, sagt Oberfeld-Twistel.
Sehen, Hören und Denken: Wie beeinflussen diese Sinne und kognitiven Erwartungszentren das Empfinden von Wein?
1. Sehen
Was Daniel Oberfeld-Twistel und sein Team mit 500 Versuchteilnehmer*innen untersucht haben, ist der Einfluss der Beleuchtung auf den Geschmack des Weins. Bekannt war, dass die Farbe des Weins den Geschmack des Weins beeinflusst. Das ist beim Wein wie bei anderen Lebensmitteln: Grün steht eher für Säure, Rot eher für Süße. Saurer Apfel hier, süße Himbeere dort.
Das Team des Psychologischen Instituts wollte aber wissen, ob auch das Umgebungslicht den Geschmack mitbestimmt. Ob also die Beleuchtungen in Bars, Restaurants oder Probierstuben wichtig sind. Das Ergebnis der Weinprobe mit schwarzen Weingläsern: Ein und derselbe Wein schmeckte den Proband*innen bei rotem und blauem Umgebungslicht besser als bei grünem und weißem Licht. Sie waren in ersteren Fällen sogar bereit, einen Euro mehr auszugeben.
Lest auch WeinLetter #12: Das Geheimnis der Urlaubsweine (Abre numa nova janela)
Was noch nicht bekannt ist aus der Studie: Auch das Mainzer Team versuchte sich an den Farben des Weins. Sie wiesen nach, dass die geschmacklichen Einschätzungen Aromen hervorrufen, die sensorisch gar nicht ins Geschmacksbild passen. „Wir haben Weißweine rot eingefärbt mit geschmacksneutralen Lebensmittelfarben: Auf einmal entdeckten die Proband*innen stärkere Rotweinaromen als im uneingefärbten Weißwein.“
Das Fazit des Forschers: „Wir können uns nur schwer gegen diese äußeren Einflüsse wehren. Das gehört dazu wie bei jedem Essen und Trinken.“ Und: „Ein Teil der Effekte von Farbe auf das Aroma könnte damit zusammenhängen, dass bei natürlichen Lebensmitteln die Farbe mit dem Geschmack zusammenhängen kann. Eine grüne Erdbeere wird sauer schmecken, eine rote Erdbeere süß.“
2. Hören
Hören ist ein weiterer Sinn, der beeinflussbar ist. Den Zusammenhang von Musik und Kaufentscheidung beim Wein hat Adrian C. North von der University of Leicester schon in den 90ern nachgewiesen. In den Weinregalen eines Supermarktes gab es französischen und deutschen Wein zu kaufen. Er spielte zwei Wochen lang französische Akkordeon-Musik – und 77 Prozent der Proband*innen griffen zu französischem Wein. Bei deutscher Blasmusik war das Ergebnis entgegengesetzt: 73 Prozent der verkauften Weine waren deutsche Weine.
Ein Team der Heriot Watt University in Edinburgh spielte bei einer Weinverkostung Songs, die den Geschmacksnerv ganz unterschiedlich trafen. Die mächtige Carmina Burana von Carl Orff ließ den Geschmack eines Sauvignon Blanc bei den 250 Weinverkoster*innen intensiver wirken. Cabernet Sauvignon soll demnach zu Jimi Hendrix' „All Along The Watchtower“ besser schmecken, Robbie Williams‘ „Rock DJ“ korrespondierte mit Chardonnay am besten. Gut, ich probiere das demnächst aus mit Spätburgunder von Hans Peter Ziereisen zu Frank Zappas Song „Wonderful Wino“.
Etikettensammlung in Deidesheim, Pfalz: Auch das Design beeinflusst die Kaufentscheidung FOTO: DEUTSCHES WEIN-INSTITUT
3. Denken
Jetzt kommen wir zur Preisfrage: Was kostet der Wein? Hier geht es nicht um die Belastung des Geldbeutels, sondern um den angeblich guten Geschmack. Die Neurowissenschaftlerin Liane Schmidt von der Universität Bonn resümierte ihre Studie: „Das Belohnungssystem spielt uns einen Streich.“ Sie hatte Studienteilnehmer*innen den gleichen Rotwein eingeschenkt – aber unterschiedliche Preise kommuniziert. Die Gehirnaktivitäten wurden dabei in einem Kernspintomografen aufgezeichnet. Es wurden bei den angeblich teuren Weinen mehr Glückshormone ausgeschüttet – obwohl es der gleiche Wein war.
Eine Studie aus Basel kam jüngst zu dem gleichen Ergebnis. Hier wurde der Versuch mit unterschiedlichen Weinen vollzogen: Verdeckt ausgeschenkt wurden ein Montepulciano d’Abruzzo für 10 Franken, ein Bolgheri DOC für 32 Franken sowie ein IGT Toscana für 65 Franken. Der 10-Franken-Wein schmeckte den Teilnehmer*innen der Studie besser, wenn man ihnen den Wein für einen Preis von 40 Euro „verkauft“ hat. „Der Verstand ist in der Lage, die Realität so umzudeuten, dass sie mit den eigenen Erwartungen übereinstimmt“, schlussfolgert der Basler Psychologie-Professor Jens Glaab.
Ist die Lösung also: Weintrinken ohne Sinn und Verstand?
4. Lösungen
Sehen, Hören, Denken: Wenn so viele Einflüsse bestimmen, wie der Wein schmeckt, weiß ich dann nie, wie der Wein wirklich schmeckt? Hm, das wäre enttäuschend. Gibt’s eine Lösung? „Um möglichst viele der äußeren Eindrücke zu umgehen und sich wirklich auf das Aroma des Weins zu konzentrieren, empfehle ich Blindverkostungen“, sagt Psychologie-Professor Oberfeld-Twistel. "Die Blindverkostung ähnelt am meisten einer Laborsituation.“ Und dabei macht er überhaupt keinen Unterschied zwischen einem Wein-Profi, einem Möchtegern-Wein-Profi, einem Wein-Distinktions-Gewinner oder eben einem selbstbewussten Wein-Anfänger. Dies gelte „auch und gerade für Laien und Anfänger, da hier das Aroma unabhängig vom Design der Flasche, dem Kaufpreis, dem Renommee des Weinguts beurteilt werden kann“.
Also liebe Weinfreund*innen, lest künftig keine Wein-Prosa mehr, überklebt die Etiketten – und probiert euch einfach selber aus!
WeinWissen #1: Der Zungenkuss des Weins - und was war nochmal Umami? (Abre numa nova janela)
Graf Adelmann, "Herbst im Park", 2016 FOTO: THILO KNOTT
Ins Glas geschaut: Franz Untersteller testet Cuvée des Grafen von Kleinbottwar
In der Rubrik „Ins Glas geschaut“ stellen Weinexperten, Weinliebhaber, Prominente ihren Wein der Woche vor. Heute: WeinLetter-Kolumnist und Baden-Württembergs Ex-Umweltminister Franz Untersteller (Die Grünen) über die Cuvée "Herbst im Park" von Graf Adelmann.
von Franz Untersteller
Der Wein: Graf Adelmann, „Herbst im Park", Rotweincuvée, 2016, 12,5% Alkohol, 0,75l, 16,90 € ab Hof.
Der Grund: Kürzlich wurde ich mit der Frage konfrontiert, weshalb es im deutschen Südwesten ein solch breites und zugleich hochwertiges Sortiment an Cuvée-Weinen gibt. Es sind letztlich drei Entwicklungen, die dafür ursächlich sind. Erstens gab es im Württembergischen eine über Generationen hinweg praktizierte Realteilung: Unter den Erbbeteiligten wird der Landbesitz immer gleich aufgeteilt und das wohlgemerkt bei jedem weiteren Erbfall. Dies hatte zur Folge, dass die Parzellen immer kleiner wurden. Parallel dazu - die zweite Entwicklung - ist die Sortenvielfalt im Weinbau sowohl durch die wachsende Zahl von Neuzüchtungen sowie durch die importierten Rebsorten (Cabernets, Merlot, Syrah u.a.) ständig weitergewachsen. Diese jeweils getrennt auszubauen, rentierte sich angesichts überschaubarer Mengen in etlichen Fällen kaum. Die zwangsläufige Folge war der relativ unambitionierte - und lange bei Weinkennern verpönte - „Verschnitt“ unterschiedlicher Weinsorten.
Es waren letztlich - und das ist die dritte Entwicklung - innovativ denkende Menschen wie Michael Graf Adelmann, der 1989 als einer der Ersten damit begann, hochwertige Weinsorten zu harmonisch abgestimmten Cuvées zu komponieren und anschließend im Holzfass reifen zu lassen. Damals war das für manche eine Provokation. Zehn Jahre vorher hatte er bereits Pionierarbeit beim Ausbau von Weinen im Barrique geleistet.
Im Erdgeschoss ohne Fenster: Burg Schaubeck, Weingut Graf Adelmann FOTO: FRANZ UNTERSTELLER
Der Ort all dieses Geschehens könnte idyllischer kaum sein. Etwa auf der Hälfte der Strecke zwischen Stuttgart und Heilbronn, am Rande der alten Weinbaugemeinde Kleinbottwar, liegt in einem traumhaft schönen alten Park Burg Schaubeck. Eine erste urkundliche Erwähnung findet die Dank des sie umgebenden alten Baumbestands auf den heutigen Betrachter verwunschen wirkende Anlage bereits im Jahre 1272. In den darauffolgenden Jahrhunderten wurde die an einer im Mittelalter wichtigen Handelsstraße gelegene Burg von seinen jeweiligen Herren immer wieder umgebaut und den Geschmäckern der damaligen Zeit angepasst. Letztlich hat dies aber nichts daran geändert, dass bis heute ihr wehrhafter Charakter – so verfügt das Untergeschoss über keinerlei Fenster – erhalten geblieben ist.
Seit mehr als 700 Jahren wird von den jeweiligen Burgherren auf Schaubeck Wein gekeltert. Burg und zugehörige Ländereien gingen zuletzt 1914 durch Einheirat an die heutige Eigentümerfamilie Graf Adelmann über. Seit 2012 leitet Felix Graf Adelmann in fünfter Generation eines der ältesten deutschen Weingüter. Die Adelmann’schen Trauben reifen auf insgesamt 17 Hektar heran – davon 13 Hektar Keuperböden in Kleinbottwar und 3 Hektar Muschelkalkböden in Ludwigsburg-Hoheneck. Seit vielen Jahren spielen die daraus gekelterten Weiß- und Rotweine permanent in der ersten Liga württembergischer Weinkunst. Seit einigen Jahren sind die Adelmann-Weine biozertifiziert.
"Eine ganz individuelle Typizität": Felix Adelmann FOTO: WILHELM BETZ
Zu meinen Favoriten zählt aktuell die aus Lemberger (50 Prozent), Spätburgunder (35 Prozent) und Cabernets (15 Prozent) komponierte Cuvée „Herbst im Park“ Jahrgang 2016. Folge des Klimawandels dürfte es sein, dass der früher mit einem Anteil von rund 10 Prozent zum Zug gekommene Dornfelder heute keine Rolle mehr spielt. An seine Stelle traten Cabernets, die ihre typischen Geschmacksnoten unter den sich ändernden Klimabedingungen zunehmend besser auszuspielen vermögen. Ausgebaut wurde der trockene und durch einen langanhaltenden wunderbaren Beeren- und Wildkirschengeschmack sich auszeichnende Spitzenwein in klassischer Maischegärung über drei Wochen hinweg mit biologischem Säureabbau und im Barrique (30 Prozent neues Holz, französische Eiche und 20 Monate im kleinen 225 Liter Barriquefass).
"Wir wollen einen Wein mit eigenständigem Charakter erzeugen, der die Stärken der einzelnen Sorten hervorhebt und zu einem neuen Ganzen zusammen fügt", sagt Felix Adelmann. Eine gelungene Cuvée mache es also schwer, die Sorten blind zu erraten. "Sie will eine ganz individuelle Typizität erlangen und für sich selbst stehen", sagt Adelmann. Deshalb sei sie auch keine Konkurrenz zu den reinsortigen Geschwistern, sondern die ideale Ergänzung.
Es ist ein Wein, mit einem Reifepotenzial von gewiss noch zehn Jahren, wie er passender als Begleitung zu Wild- und Pilzgerichten, Rinderbraten, aber auch zu Rohmilchkäse, kaum sein könnte. Persönlich habe ich aber auch kein Problem damit, ihn abends solo bei einem guten Buch zu genießen.
Franz Untersteller, 64, ist gelernter Landschaftsplaner. Er war zwischen 2006 und 2021 Abgeordneter der Grünen im baden-württembergischen Landtag, zwischen 2011 bis 2021 Minister für Umwelt, Klima u. Energiewirtschaft im Kabinett von Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Aktuell ist er Globaler Botschafter für das weltweite Klima-Projekt Under2Coalition (Abre numa nova janela). FOTO: UNTERSTELLER
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