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Ins Glas geschaut: Untersteller lüftet Kretschmanns rotes Geheimnis

Staatsweingut Weinsberg, „Traumzeit“ 2016 13% Alkohol; Restzucker: 3,4g/l; Säure 5,7g/l; 0,75l 16,90€ FOTO: FRANZ UNTERSTELLER

In der Rubrik „Ins Glas geschaut“ stellen Weinexperten, Weinliebhaber, Prominente ihren Wein der Woche vor. Heute: Ex-Umweltminister und WeinLetter-Reporter Franz Untersteller testet den Rotwein-Favoriten seines Freundes und Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann.

von Franz Untersteller

Der Wein: Staatsweingut Weinsberg, „Traumzeit“ 2016 13% Alkohol; Restzucker: 3,4g/l; Säure 5,7g/l; 0,75l 16,90€

Der Grund: Wenn man über zehn Jahre hinweg in zwei Landesregierungen zusammenarbeitet, lernt man auch die unterschiedlichen Weingeschmäcker der Kolleg*innen kennen. Hin und wieder, so konnte ich feststellen, treffen sich diese aber auch ganz gut. Für die Vorstellung der "Traumzeit" des Staatsweinguts Weinsberg habe ich deshalb sehr bewusst auch meinen langjährigen Chef und persönlichen Freund, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, um eine kurze Bewertung gebeten. Denn: „Die ‚Traumzeit 2016‘", sagt Kretschmann, "ist einer meiner Lieblingsweine“. Man könne „den Wein des Weinsberger Staatsweinguts auch Staatsgästen aus hochkarätigen Weinländern wie Frankreich oder Italien vorsetzen, weil wir uns mit der ‚Traumzeit‘ auf Augenhöhe mit ihnen befinden", sagt Deutschlands einziger Grüner Ministerpräsident. Auch wenn ich die Bewertung im letzten Halbsatz mit Blick auf Burgund, Bordeaux oder das Piemont für etwas zu gewagt halte, gehöre ich wie Kretschmann zu den Liebhabern dieses außergewöhnlichen Weins.

Auf Augenhöhe mit Frankreich und Italien: "Traumzeit"-Genießer und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Die Grünen) FOTO: STAATSMINISTERIUM BADEN-WÜRTTEMBERG

Staatsweingüter? "Ich dachte der Sozialismus ist beendet"

Einigermaßen verdutzt zeigte sich allerdings Kaliforniens früherer Gouverneur Jerry Brown im November 2017, als der Rote aus Weinsberg bei einem vom Ministerpräsidenten im Stuttgarter Neuen Schloss zu seinen Ehren gegebenen Festessen ausgeschenkt wurde. Auslöser war die Lektüre der Menükarte, die als Begleitung des hervorragenden Menus neben einem badischen Weißwein vom Staatsweingut Freiburg als Rotwein die „Traumzeit 2013“ vom Staatsweingut im schwäbischen Weinsberg aufführte. Staatsweingüter, what? „Ich dachte der Sozialismus hätte auf deutschem Boden 1990 geendet“, raunte er mir zu. Sein Schmunzeln wurde noch intensiver, als ich ihm von zwei weiteren Staatsweingütern im Südwesten berichtete, nämlich dem mit 63 Hektar in Meersburg am Bodensee größten sowie dem mit 8 Hektar in Karlsruhe-Durlach kleinsten der vier staatlichen Weinerzeuger. Dass das Land mit der badischen Staatsbrauerei Rothaus noch einen weiteren traditionsreichen Hochkaräter sein Eigen nennt, habe ich seinerzeit nicht zur Sprache gebracht.

2018 feierte die staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg ihr 150-jähriges Bestehen. Zu den Gründern zählte 1868 auch Immanuel Dornfeld, der 1955 zum Namensgeber für den in Weinsberg gezüchteten Dornfelder auserkoren wurde. Nicht nur Klassiker wie Riesling, Blauburgunder, Lemberger und Schwarzriesling finden sich in den 37 Hektar umfassenden eigenen Weinbergen, sondern auch für die schwäbische Herzkammer des Weinbaus eher ungewöhnliche „Exoten“ wie Malbec, Tempranillo, Syrah und Pinotage. Weinsberg war immer wieder wichtig, wenn es beispielsweise darum ging, dem Weinbau im Württembergischen mit neuen Kreuzungen einen weiteren Qualitätsschub zu geben.

Die "Traumzeit" ist ein dunkler, kräftiger, gehaltvoller Verschnitt

Auch beim Ausbau von Weinen in Eichenfässern leistete das Staatsweingut wichtige Pionierarbeit. Weine mit Holzaromen – manche sprachen früher in dem Zusammenhang gar von „Fehltönen“ – wurden in Deutschland über lange Zeit hinweg abgelehnt. Eine Handvoll überzeugter schwäbischer Barrique-Verfechter ließ sich davon allerdings nicht beirren und fand sich vor 35 Jahren in der „Studiengruppe Neues Eichenfass“ zusammen. Wissenschaftlich begleitet wurde die HADES-Gruppe bei der Entwicklung hochwertiger Cuvées von der Weinsberger Weinbauschule. Der ungewöhnliche Name der in positivem Sinne Weinbauverrückten geht übrigens nicht etwa auf den durch die griechische Mythologie bekannten Herrscher der Unterwelt zurück, sondern setzt sich - schwäbisch schlicht - aus den Initialen der 5 Barrique-Vorkämpfer zusammen.

Die Vinothek in der Dämmerung FOTO: STAATSWEINGUT WEINSBERG

Dass man im Weinsberger Staatsweingut mit ihrem Kellermeister Florian Solymari die Kunst guter, im Holzfass ausgebauter Cuvées aber auch selbst perfekt beherrscht, zeigt sich seit vielen Jahren mit der „Traumzeit“. Wir sprechen über einen sehr dunklen, kräftigen und gehaltvollen „Verschnitt“. Die Vielschichtigkeit im Jahrgang 2016 darf als das Ergebnis einer perfekten Komposition aus Cabernet Dorsa, Acolon, Cabernet Sauvignon, Merlot, Cabernet Franc und Syrah gelten, die heute auf den Gipskeuper- und Keupermergelböden im Neckartal wachsen. Zur Reifung im Keller werden große und kleine Holzfässer aus schwäbischer und französischer Eiche genutzt.

Nach einer Verkostung versteht man, weshalb Winfried Kretschmanns Staatskanzlei etliche Flaschen im Keller der Villa Reitzenstein eingelagert hat. Selbst für den kaum anzunehmenden Fall, dass Kretschmann eine weitere Legislaturperiode ins Auge fassen sollte, dürften auch seine Amtsnachfolger noch in den Genuss des hervorragenden Jahrgangs 2016 kommen. 10 bis 20 Jahre Lagerfähigkeit werden der Cuvée nämlich locker attestiert.

Franz Untersteller, 64, rechts, ist gelernter Landschaftsplaner, zwischen 2006 und 2021 Abgeordneter der Grünen im baden-württembergischen Landtag, seit 2011 bis 2021 Minister für Umwelt, Klima u. Energiewirtschaft im Kabinett von Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Aktuell ist er Globaler Botschafter für das weltweite Klima-Projekt Under2Coalition (Öffnet in neuem Fenster). Hier ist er zu sehen mit Kaliforniens früherem Gouverneur Jerry Brown FOTO: ARCHIV UNTERSTELLER

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