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Das süße Leben

Die Rechten und die Medien/Inside CDU/Jan Böhermann/Uwe Wittstock/Maité und Nisha Vora

Die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem muss Folgen haben,

Manchmal erkennt man die Dinge woanders viel klarer. Wenn ich britische Websites aufrufe, sei es die BBC, die Times oder die Daily Mail, sehe ich Nigel Farage. Jeden Tag. Seit Jahren geht das so. Seine Grimassen, die Anzüge, die Sprüche, das Bier – er pflegt eine geschickte, graphische Wiedererkennbarkeit. In der analogen Welt handelt es sich um einen üblen, korrupten Mann, der in und vom Fernsehen lebt. Seine wesentliche Leistung ist der Brexit und damit der Ruin des Landes. Aber es vergeht kein Tag, an dem seine extremen Positionen nicht in den britischen Medien wiedergekäut werden. Er sorgt eben für Aufmerksamkeit und für gute Zahlen. Wie früher die öffentlichen Hinrichtungen: Wahre Magneten für die Massen waren das– hat man dennoch irgendwann sein lassen.

In Frankreich ist es nicht anders: Die Familie Le Pen fand in den Fernsehstudios der Nation ihr Biotop. Seit Jahrzehnten sind sie dort zu Gast, was ihren halbgaren, wechselhaften und bösen Ideen eine Relevanz gab, die sie mit klassischer Politik nie bekommen hätten. Eines der besten Merkmale der französischen Kultur, die Verbindung von Menschen verschiedenster Herkunft unter dem Dach der Republik nach Grundsätzen, die für alle gelten, wurde in dieser Zeit allmählich zu einem Makel verkehrt: Für einen Éric Zémmour - noch so ein hasspredigender Studio-Held und Dauergast – wird jede Person mit einer anderen Hautfarbe zum Vorboten des kommenden Endkampfs. In Wahrheit kann Frankreich sich freuen, für viele Menschen anziehend zu sein, denn in Zukunft wird es ja darum gehen, welche Länder genug Migranten willkommen heißen dürfen. Aber die Dauerpräsenz der Rechtradikalen, die permanente Beschäftigung mit und selbst die Warnung vor ihnen, verbunden mit der politischen Priosierung ihrer falschen Thesen haben dafür gesorgt, diese Kraft in Europa groß zu machen. Leistungen haben die Le Pens keine vorzuweisen – in all den Jahrzehnten haben sie noch nie irgendwo irgendwann das Leben von Menschen verbessert. Ihr eigenes ausgenommen, natürlich.

Verfolgt man einen Nachmittag lang den rechtsgerichteten französischen Nachrichtensender C-News, vergräbt man bald den Kopf in den Händen aus ehrlicher Verzweiflung: Das ganze Land in den Händen der organisierten Kriminalität. Tote und Verletzte an jedem Schultag. Drogenbosse und linke Fanatiker feiern den Islam – auch wenn das alles gar keinen Sinn ergibt.

Bald nehmen auch andere Medien diese Herausforderung an – man möchte ja nichts verschweigen und tut es damit doch – und berichten dann ebenfalls über kriminelle Taten und Zonen. Andere politische Probleme, etwa, dass Frankreich für viele Franzosen zu teuer ist, geraten dadurch in den Hintergrund. Man könnte auch mal fragen, ob all die hoch problematischen, irre kostenintensiven Überseegebiete noch zeitgemäß sind oder in eine Art frankophones Commonwealth überführt werden könnten. Und ob man sich die allseits hochgelobten Kernkraftwerke überhaupt leisten kann: Die Dinger verbrennen nicht nur Uran, sondern vor allem Geld. Ob es nicht klug wäre, in allen Schulen und Kindergärten auf den Erwerb von Fremdsprachen, warum nicht Deutsch zu setzen? Aber diese zentralen Themen verblassen, weil alle wie eine Großfamilie Kaninchen auf eine müde Blindschleiche starren, die sich als Königskobra ausgibt.

Die extreme Rechte ist auf Massenmedien angewiesen, es ist eine historisch bewährte Partnerschaft. Schon dort vorzukommen ist ein Erfolg. Die meisten Menschen denken nicht radikal, möchten aber informiert bleiben und wenn dann die Themen, Vorschläge und Personen der Rechten abgebildet werden, unabhängig von ihrer realen exekutiven Macht, dann nimmt das Publikum all das ernst. Doch man sollte sich medial beschränken: In den Nachrichtensendungen kann man ihr Tun und Treiben vermelden, in kritischen Reportagen beleuchten und bewerten und auch gegen kritische Interviews ist nichts einzuwenden. Aber in Maßen, knapp und nur, wenn es wirklich sein muss. Denn ihr wahres Medium ist die Lüge.

Eine solche mediale Distanzierung kommt irgendwann auch bei den Wählerinnen und Wählern an. Sie müssen ihre Wahlentscheidung verantworten. In der Demokratie gehört die Stimmabgabe zu den vornehmsten Rechten. Ich halte nichts davon, AfD-Wähler immerzu zu entschuldigen. Wer sein Kreuz bei dieser Truppe macht, bestellt Hass, Hetze und sucht sein Wohl auf Kosten anderer. Das ist nicht ok.

Eine Eindämmung der Rechtsradikalen, die eine Frage des Überlebens der offenen Gesellschaft ist, gelingt nur mit einer klugen, aber konsequenten medialen Strategie. Drei Dinge muss man deutlich machen: Diese Politiker sind keine Patrioten, sondern jubeln für das gegnerische Team, für Putin, Trump und Xi. Ihre Lösungen sind keine und ihre Themen spiegeln nicht die wahre Lage im Land wider. Die Kriminalität auf einem historischen Tiefstand und nicht das größte deutsche Problem. Es wurde viel getan, viel erreicht, um die Gesellschaft weniger gewalttätig zu machen. In meiner Kindheit wurde ich nie mit in eine Bankfiliale genommen, weil die so oft überfallen wurden. Heute sind solche Taten sehr selten und werden rasch aufgeklärt. Aber gute Nachrichten bietet das rechte Spektrum nicht, die unterminieren ihre Deutung der Welt. Gute Laune kommt dort nicht vor. Aber schaut und hört mal herum in der analogen Welt im Mai: Könnte weit schlimmer sein. Viele machen sich ein gutes Leben und bauen damit auf langen Prozessen und Institutionen auf, eine tolle Errungenschaft der Demokratie. Daran muss man erinnern und darin liegt die große Chance für demokratische Medien. Es kann jedenfalls nicht so weiter gehen.

Wenn in der kommenden Woche ein neuer Bundeskanzler gewählt wird, ist schon fast vergessen, dass sein Wahlkampf beinahe schiefging. Das hat er allerdings mit Angela Merkel gemein, auch sie enttäuschte am Wahltag 2005. Sie hatte damals einen – übrigens von Merz inspirierten – neoliberalen Reform-Wahlkampf geführt. Nach den Jahren mit den Agenda-Reformen hatte da aber niemand mehr Lust drauf. Ich erinnere mich noch gut an das Telefonat, in dem mir Frank Schirrmacher am frühen Nachmittag des 18.Septembers hocherfreut die schlechten Zahlen für die CDU durch gab, also diese ersten Umfragen beim Verlassen der Wahllokale, die immer sehr genau sind. Er kaute genüsslich ein Brötchen. Er hatte gar nichts gegen Angela Merkel, aber er liebte es, wenn Dinge anders kommen als erwartet. Erst am Abend rettete ein in der Wahlsendung polternder Schröder die Kanzlerschaft für die Union.

Damals wie im letzten Jahr hatte die SPD nicht die volle Legislaturperiode geschafft und die Union überrascht. Wie improvisiert und ungeschickt der Merz-Wahlkampf verlief, wie kurzsichtig agiert wird, zeigt die spannende Serie Inside CDU, quasi die nächste Staffel der bemerkenswerten Mini-Serie Inside BSW.

https://www.zdf.de/play/dokus/inside-cdu-102/aufzuege-108?staffel=1 (Öffnet in neuem Fenster)

Eines meiner Lieblingsbücher handelt von einer riskanten, nahezu magischen Unternehmung: Als die große Filmhistorikerin Lotte Eisner 1974 in Paris erkrankte und zu sterben drohte, machte sich Werner Herzog auf den Weg, um ihre Besserung zu erbitten. Er ging die Strecke von München nach Paris zu Fuß, mitten im Winter. Unterwegs verpflegte er sich wie es ging und stellte seine später noch so oft dokumentierte Zähigkeit und Improvisationsgabe unter Beweis. In früheren Zeiten waren solche volksmagischen Bittprozessionen ganz normal, aber heute glauben wir daran nicht mehr so richtig. Jedenfalls hatte Herzog Erfolg, Eisner wurde wieder gesund und es entstand ein wunderbares Buch, Vom Gehen im Eis (Öffnet in neuem Fenster).

Heute ist der Zustand der westlichen Welt kritisch und Jan Böhmermann agiert ganz ähnlich wie damals Herzog: Er macht sich auf den Weg von Köln nach Chemnitz, aber nicht per pedes, sondern ganz modern auf einem E-Scooter. Den tieferen Sinn deutet er nur an: Es geht um ein Eintauchen in die wahre, die analoge Welt und um eine Überwindung der im Netz dominierenden Emotionen, also Hass und Misstrauen. Es geht ihm auf dieser Tour wie dem Protagonisten in Wolfgang Herrndorfs Klassiker Tschick, der eine Diskrepanz zwischen der medial und elterlich vermittelten Außenwelt und seinen Erfahrungen feststellt: „Seit ich klein war, hatte mein Vater mir beigebracht, dass die Welt schlecht ist. Die Welt ist schlecht, und der Mensch ist auch schlecht. Trau keinem, geh nicht mit Fremden und so weiter. Das hatten mir meine Eltern erzählt, das hatten mir meine Lehrer erzählt, und das Fernsehen erzählte es auch. Wenn man Nachrichten guckt: Der Mensch ist schlecht. Wenn man Spiegel TV guckt: Der Mensch ist schlecht. Und vielleicht stimmte das ja auch, und der Mensch war zu 99 Prozent schlecht. Aber das Seltsame war, dass Tschick und ich auf unserer Reise fast ausschließlich dem einen Prozent begegneten, das nicht schlecht war.“

https://www.zdf.de/video/shows/zdf-magazin-royale-102/zdf-magazin-royale-vom-25-april-2025-100 (Öffnet in neuem Fenster)

Ich freue mich sehr über den großen Erfolg der Sachbücher von Uwe Wittstock, die einen in Stapeln in jeder Buchhandlung begrüßen. Er verleiht entlegenen Episoden der Geschichte eine neue Aktualität, begeistert sein Publikum für nahezu vergessene Sujets und erzählt das alles kenntnisreich und mit Humor. Sein neues Buch ist für mich sein bislang bestes, denn über diese Episode im Leben von Karl Marx wusste ich praktisch nichts.

Es handelt sich um eine reflektierende, kritische und kompakte biografische Skizze des alten Marx mit sehr interessanten ideengeschichtlichen Betrachtungen. Wittstock schafft es, sein Thema vom abschreckenden Jargon der marxistischen Literatur frei zu halten und ermöglicht ein differenziertes Urteil über den reisenden Revolutionär und seine Familie. Noch dazu liest es sich heiter und leicht wie ein Reiseroman - der etwas anderen Art.

Wenn man sich die Jagdlisten zur Montaignezeit ansieht oder frühneuzeitliche Berichte über die Tierwelt liest, fällt die beeindruckende Fülle dessen auf, was da zu Lande, im Wasser und in der Luft herum krich, schwamm, flog und fleuchte. Wälder, Wiesen und Bäche waren eben wirklich bewohnt, heute, im Anthropozän ist es sehr selten, Wildtiere zu erspähen. Dafür ist Fleich permanent verfügbar und billig, die Mühen der Jagd und der Zubereitung fallen weg. Haben wir mit der gewonnenen Zeit etwas Vernünftiges angefangen? Zweifel sind angebracht.

In der Küche des französischen Südwestens gab es Fleischgerichte an hohen Festtagen und natürlich am Sonntag. Ich erinnere mich noch an den seltsamen Geruch bei der Zubereitung von Perlhuhn – meine Großmutter brannte dann restliche Federn mit dem Anzünder für den Gasherd ab. Auch die legendäre Maité hat so ihre Tricks: Fasan immer acht Tage trocknen lassen.

Übrigens immer ein guter Starter für Gespräche auf Parties: Wie lange lasst ihr den Fasan so trocknen?

https://www.youtube.com/watch?v=FUysiR_aoVI (Öffnet in neuem Fenster)

In den letzten Wochen ist Hummus zu meiner Allzweckwaffe geworden, um Salate, Sandwiches und sogar Frühstück zuzubereiten – damit geht eigentlich alles. Aber nun verspricht Nisha Vora von Rainbow Plant Life ein Dip, das sogar noch besser sein soll. Hammer. Das wird alsbald ausprobiert!

https://www.youtube.com/watch?v=uX4TAbr6o5k (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch

ihr

Nils Minkmar

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