Zum Hauptinhalt springen

2025 - Erste Bilanz

Mein erster Termin im neuen Jahr führte mich ins Polizeipräsidium. Ich begleitete unseren Sohn, der sich dort Fotos verdächtiger Personen anschauen sollte. Einige Wochen zuvor waren er und einige Freundinnen und Freunde von einem gleichaltrigen Schläger überfallen worden. Sie kamen von einer schönen Party und flanierten zu nächtlicher Stunde heimwärts. Ein dünner, nervöser Junge in ihrem Alter, den keiner zuvor gesehen hatte, beleidigte sie und schlug schnell und brutal zu - direkt ins Gesicht. Alle haben sich klug und deeskalierend verhalten, so blieb der von dem Jungen ersehnte Kampf aus.

Nun ist die Polizei gefragt, die der Sache mit großem Ernst nachgeht. Über 160 Fotos entsprachen der Täterbeschreibung, aber der gesuchte Mann war nicht dabei. In den polizeibekannten jungen Gesichtern erkennt man die Spuren ihrer biografischen Katastrophen. Bei machen hätte ich sicher die Straßenseite gewechselt.

Auf dem Flur ist auch die Abteilung für familiäre Gewalt. Es gibt ein Spielzimmer für Kinder und das ist toll, aber eben auch herzzerreißend. Die jungen Beamtinnen und Beamten verdienen nicht viel Geld, üben einen schweren Beruf aus und gleichen soziale Defizite aus, die sie weder zu verantworten haben noch lösen können. Die Polizei ist das letzte Lasso, um entgleisende Seelen noch zu fangen. Ich hoffe, dass der Täter rasch identifiziert und geschnappt wird, er ist eine große Gefahr.

Beruhigend an der üblen Geschichte ist, dass niemand es hinnimmt. Und auch in der Gruppe der jungen Angegriffenen setzt niemand auf Rache und Selbstjustiz. Niemand von den informierten Erwachsenen sagte, es sei doch nicht so schlimm oder dass der Täter auch seine Sorgen habe. In meiner eigenen Jugend im Saarland ging es oft gewalttätig zu, aber zur Anzeige wurde das kaum je gebracht. Klassische Industriekultur: Bestimmte Fragen klären Männer unter sich. Es musste schon viel passieren, bevor Schulhofgewalt durch die Aufsicht unterbochen wurde. Es gab mehr Toleranz für Gewalt: Auf der Straße, vor der Kneipe oder in der Familie. Ein Schulfreund hatte sich vorsorglich selbst einen massiven Dolch geschmiedet, den er immer dabei hatte, wenn er den Jahrmarkt besuchte oder ausging. Das Gerät war dabei die bei weitem größten Gefahr für seinen körperliche Unversehrtheit, denn es war so schwer, dass es ihm jederzeit aus der Hose und auf den Fuß fallen konnte.

Heute ist die Abscheu vor Gewalt ein dominierendes Empfinden. Das ist in der heutigen Lage eine wichtige Erkenntnis. Denn es geht ja gerade um den Versuch, die Gewalt als Mittel der Politik wieder willkommen zu heißen in der Geschichte der Gegenwart. Putin, Trump und ihre Freunde trennt vieles, aber Gewalt ist ganz ihr Ding.

An den Reden des französischen Premierministers Bayrou ist mir eine Sache aufgefallen, die mir gut gefällt: Er beginnt immer mit den wichtigsten Aussagen. Bei seiner declaration de politique générale stellte er fest, dass es gegenwärtig den Versuch gibt, das Recht des Stärkeren wieder zur Grundlage politischen Handelns zu machen. Und vor dem Misstrauensvotum gegen seine Regierung erinnerte er daran, dass Europa und die Prinzipien, die es inspirieren, gerade unter Belagerung sind. Alles andere folgt aus diesen Feststellungen. Im Bundestagswahlkampf schien es mir nicht so deutlich. Da kommen erst diese ewigen Unterpunkte, der Jargon und man kann von Glück sprechen, wenn die wichtigen Dinge kurz aufblitzen. Sollen Schlägertypen die Welt und dieses Land regieren? - darum geht’s.

Im Drama um die Ehen und die Affären einer von Frauen geführten Londoner Familienrechtskanzlei schien in drei tollen Staffeln alles erzählt, aber das Leben kennt ja auch kein Finale, bevor der Tod übernimmt. Jedenfalls geht die Story weiter: Wie im Musicalfilm Mamma Mia treffen sich unsere britischen Heldinnen und Helden unter südlicher Sonne zu einer Hochzeit. Opulenter Rahmen, luxuriöse Kulisse – man ist eh nicht unter Armen in dieser Serie. Aber wie es so ist: Gerade, als alles perfekt erscheint im “Paradies auf Erden” (Wenn jemand mit dieser Floskel wirbt, sofort wegrennen!) - da beginnt die Fahrt in Richtung Abgrund. Ebenso böse wie unterhaltsam.

https://www.amazon.de/The-Split-Barcelona/dp/B0DLFTDSF2/ref=sr_1_2?dib=eyJ2IjoiMSJ9.Gh94bb1-bXJaAUjOg2o0dzMr1dRBvCcoXhQhmevdyGqAUT2h0ZqGLSYlEcI_1CQkgSuXZnE8teM201vAXV9Ymzb7ZnkYaGF7crETQLjx66rciCaKv57tbPcve5BzVHDnuYD-DxixgtcsNVtISnCasghRZo20YlxbaAaPULRT0GdenjMh7X77evPqnC1ysua5EnnoLY5C-JSz1kO2p756DsGfOTviu0zouupCbQnjC_M.IRmqrKkFSYmUAyzOC3epEQJEz2YWNr-t4baVippJdsM&dib_tag=se&keywords=the+split&nsdOptOutParam=true&qid=1737190527&rnid=1703609031&s=instant-video&sr=1-2 (Öffnet in neuem Fenster)

Wenn man Musik sagt, haben die meisten Menschen eine Trompete vor Augen, beim Wort Tier eine Giraffe und bei Farbe sehen die meisten rot. Ich weiß nicht mehr, wo ich diese Studie gelesen habe, aber die Existenz von Spontanassoziationen scheint mir plausibel. In diesem Spiel wäre das Bild, das beim Wort Geschichte aufflackert, sicher ein kleiner Mann mit quer gedrehtem Zweispitz auf dem Kopf und Hand in der Weste - Napoleon.

(Hier in Asterix-Kampf der Häuptlinge:)

Der britische Schauspieler Stephen Fry vermutet, das letzte Kind in England gewesen zu sein, dem eine böse Oma noch mit Sonst holt dich der Boney gedroht hat. Es ist jedenfalls eine lange Geschichte. Aber bis heute faszinierend. Wenn ich bei seinem Tod auf Sankt Helena angelangt bin, möchte ich immer wieder zurückspringen zur Geburtsszene des kleinen Nabulione auf Korsika. Ehrlich, wer hätte das damals gedacht? Jedenfalls haben Jochen Telgenbüscher und ich uns mal hingesetzt und in drei Teilen Leben, Leid und Werk des rätselhaften Mannes erörtert. Hier entlang:

https://wondery.com/shows/was-bisher-geschah/episode/15099-napoleon-13-aufstieg-eines-aussenseiters/ (Öffnet in neuem Fenster)

Übrigens seit Neuestem auch mit stabilem Insta-Account:

https://www.instagram.com/reel/DE45sPlIunE/?utm_source=ig_web_copy_link&igsh=MzRlODBiNWFlZA== (Öffnet in neuem Fenster)

Heute ein vegetarisches Rezept, das eine Hommage und ein Nachruf ist: David Lynch kocht Quinoa (“Oh man, this is so good!”)und erzählt, wie er mal sechs Flaschen Cola kaufte. Frosch Motten kommen auch vor.

Ich schaue es direkt noch einmal. Nur kochen werde ich das natürlich nicht.

https://www.youtube.com/watch?v=uSP-ewdJYJc (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

PS: Wenn Ihnen dieser Newsletter gefällt, können Sie meine Arbeit daran durch eine Mitgliedschaft unterstützen. Und empfehlen Sie es gerne weiter.

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Der siebte Tag und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden