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Ein zweites Leben

Zehn Tage mit Lada/Serie Bates gegen die Post/Handke interviewen/Beyer Kornblumenblau/Rezepte für die Feiertage

Anfang Februar holte ich ein überfälliges Check-up bei meinem Hausarzt nach. Der Blutzucker war erhöht, also saß ich bald darauf bei einer Fachärztin für Diabetologie. Genau genommen saß ich noch nicht einmal, als sie mir schon die Diagnose mitteilte: Nach kurzem Studium meiner Werte war sie zu der nachdrücklich vorgetragenen Überzeugung gelangt, dass ich eine spät diagnostizierte Form von Diabetes Typ 1 aufweise, das sogenannte Lada. Die Mitteilung, bei mir seien Uterus sowie Eierstöcke entdeckt worden und ich bin eine Frau – sie hätte mich nicht gründlicher erstaunt, nicht dümmer aus der Wäsche schauen lassen. Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung und gut zu behandeln, aber nicht heilbar. Ich fragte direkt, um wie viele Jahre das meine Lebenserwartung verkürzt und bekam eine vermutlich geschönte, aber unvergessliche Antwort.

Mir erging es wie Tausenden jeden Tag: Plötzlich ist die ganze Geburstagskartenrhetorik vom Wert der Gesundheit krasse Realität. Ich studierte Berichte über diese Sache und googelte Insulinpumpen. Informierte Familie und Freunde, sagte geplante Reisen und Termine ab. Noch war mir unklar, wie die Therapie aussehen würde, wann sie starten sollte.

Ein Segen in dem ganzen Schlamassel war die Diabetesschwester, nennen wir sie Gisela. Am Valentinstag hatte ich meine erste Stunde bei ihr und erlebte wahre Gelassenheit. Seit vielen Jahrzehnten behandelt sie Diabetes in allen Formen und versprach mir eine elegante Lösung. Gisela schrumpfte meine Schockdiagnose zu einer Banalität von Schnupfengröße. Sie schilderte mir wirkungsvoll leckere Gerichte aus der nun einzuhaltenden Diät und schien selbst Appetit darauf zu entwickeln. Ich bekam einen Chip in den Oberarm, der meinen Glukosewert auf einer App darstellt – ein Navi für die Gesundheit. Insgeheim fragte ich mich, warum meine Kondition so lange unbemerkt bleiben konnte – ich bin mit meinen Hausärzten sehr zufrieden und hatte auch nie das geringste Symptom. Dann kam, nach über einer Woche, die Mail: Laborwerte widerlegen die Typ1- Diagnose. Ich kehre zu Schwester Gisela mit einem banalen Typ2 zurück, den man medikamentös behandelt. Mehr Bewegung, weniger Kohlenhydrate, es ist kein Hexenwerk. Sie macht mir klar, dass sie schon ganz andere, spezielle Fälle hatte: Einen schweren Alkoholiker, dessen Frühstück aus drei Bier besteht; einen Triathleten, dessen Insulinpumpe sie manuell einstellen muss – und belächelt meinen Fall. Sie legt eine milde Langeweile an den Tag, wie eine Raubkatzen-Dompteurin, der man mit einem Goldhamster kommt.

Von der forschen Fachärztin habe ich nie wieder etwas gehört. Ich bin ihr dennoch dankbar. Nichts weckt so gründlich wie ein falscher Alarm. Ich lese jetzt wieder aufmerksamer François Jullien Essay Und seconde vie (Abre numa nova janela). (Es gibt auch eine deutsche Fassung (Abre numa nova janela).)

Frohe Ostern.

In dieser vierteiligen Serie wird eine wahre Geschichte erzählt: Überall in Großbritannien wiesen die Betreiber von Postfilialen unerklärliche Fehlbeträge aus, wenn sie am Abend die Kasse machten. Nach einer Ursache wurde nicht gesucht – die Subpostmasters wurden zum Ausgleich verpflichtet, angeklagt und oft genug verurteilt. Dabei waren sie alle unschuldig: Manipulationen an der EDV haben das Minus verursacht.

https://www.arte.tv/de/videos/RC-026307/unschuldig-mr-bates-gegen-die-post/ (Abre numa nova janela)

Die Serie wirkt deswegen so brisant, weil sie eben auch erzählt, wie die Manipulationen möglich waren, die zum Brexit führten. Wenn selbst die Royal Mail dem digitalen Zirkus zum Opfer fällt, dann ist keine Institution sicher. Die offene Gesellschaft schützt sich gegen viele Gefahren, aber der Möglichkeit einer technologischen und interessegeleiteten Trickserei hat sie wenig entgegenzusetzen, bis heute. Wie immer in britischen Serien ist es super gespielt, mit einigem Humor erzählt und eine Reflektion über Resilienz in der Ehe ist es auch.

Die eine Form, die mir im Journalismus so gar nicht liegt, ist das Interview. Meist weiß ich schon aus der Vorbereitung, was die Gesprächspartner antworten werden und langweile mich. Oder meine Fragen langweilen mein Gegenüber, auch das gab es schon. Da in Deutschland beide Seiten ohnehin alles redigieren dürfen, ist das in der Zeitung kein so großes Problem.

Das ganze Setting ist mir unheimlich: Warum soll jemand, der mich zum ersten Mal trifft und nie wieder sehen wird, plötzlich Dinge von sich geben, die er bislang verschwiegen hat? Innerhalb von Augenblicken muss ich mich in einen besten Freund verwandeln, verfolge aber kein soziales, kein emotionales, sondern ein rein publizistisches Interesse. Das ist keine Metamorphose, die ich an mir mag. Aber es gehört eben dazu und meistens geht es auch gut.

Ich habe jedenfalls das größte Verständnis, wenn so ein Vorhaben mal schief geht. Aber dieses Interview ist schon ganz besonders - sagen wir lehrreich: Die Fragen passen nicht zu Handke, der offenbar recht bald weg möchte, sich aber nicht traut. Anders als sein Image suggeriert, ist Peter Handke ausgesprochen höflich und zuvorkommend, berichtete mir jedenfalls mein Freund Volker Weidermann, der ihn mal getroffen hat. Dennoch schaue ich mir gern Dokus über und Gespräche mit Peter Handke an, das beruhigt und unterhält mich, wenn ich zB aufräume.

https://on.orf.at/video/14271777/das-ganze-interview-peter-handke-im-gespraech-mit-katja-gasser (Abre numa nova janela)

In der vergangenen Woche empfahl ich das Buch von Lorenz Hemicker über seinen Großvater, nun habe ich einen Vorschlag zum gleichen Thema, aber es ist ein völlig anderes Buch. Meine ehemalige Kollegin Susanne Beyer spürt ihrem Großvater nach, von dem es nur sehr wenige Spuren gibt. Der Mann war Chemiker und soll, so die Familienlegende, in der Nazi-Zeit an der Produktion einer Farbe beteiligt gewesen sein, dem Kornblumenblau.

Das sind eben diese Geschichten, die man in so vielen deutschen Familien glauben möchte: Um schöne Farben ging es den Nazis nämlich gar nicht. Susanne Beyer nimmt ihre Leser mit auf eine sehr persönliche Reise, eine Recherche, wie sie in vielen Familien stattfinden könnte. Bald schon fällt das Stichwort Auschwitz. Dabei erfährt man viel über die Rolle der deutschen Chemieindustrie in der NS-Zeit und darüber hinaus, Kontinuitäten bis in die siebziger Jahre.

Ein großes Rätsel sind die Todesumstände des Großvaters. Angeblich wurde er als uk-gestellter Chemiker Ende April 1945 von betrunkenen russischen Soldaten erschossen, aber Beyer findet bald heraus, dass da noch mehr aufzuklären ist. Zum Teil ist es ein Reisebuch zu verschiedenen Schauplätzen ihrer Familiengeschichte und den heutigen Hütern der Erinnerung. Zum größeren Teil aber ist es die Erzählung einer inneren, einer seelischen und intellektuellen Reise. Beyer trifft Überlebende, HistorikerInnen und TherapeutInnen. Dabei wendet sie sich an ein interessiertes, aber nicht professionelles Publikum, sondern liefert viele Hinweise für Menschen, die sich selbst über ihre Familie informieren möchten. Ihr Zwiespalt, wenn sie an ihre Großeltern denkt: “Ich betrachte sie auf eine Weise, die mir emotional richtig vorkommt, aber moralisch falsch.” Der Ausgang aus dem Schneckenhaus der deutschen Geschichte führt überraschenderweise über einen Pool an der Adria. So gelingt ein kluges, romanhaftes Sachbuch, das seine Wirkung durch Genauigkeit, aber immer wieder auch etwas Humor entfaltet.

Ostern ist mir als geborenem Atheisten ein einziges Rätsel. Wie kommt der Hase zu den Eiern, was war da in Jerusalem genau los und warum geht der Papst nicht in den verdienten Ruhestand? Da in der französischen Familie alles über das Essen aufgeschlüsselt wurde, kommt noch die Komponente des Lammbratens hinzu, der sich nun so gar nicht ins Kreuzigung-Hase-Eier-Gesamtbild fügt. In Frankreich öffnen über Ostern die Lebensmittelläden jedenfalls am Vormittag, hier aber ist die Strecke mit den vielen Feiertagen eine echte logistische Herausforderung.

Hier also eine Variante mit einer epischen Lammkeule:

https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2025/apr/13/greek-slow-roast-lamb-shoulder-fennel-orange-salad-recipes-jorge-paredes (Abre numa nova janela)

Und das festliche, vegetarische Menü meines saarländischen Landsmanns Herr Grün. Nicht vor der Zeit heulen ist auch ein sehr guter Rat, den er von seiner Großmutter hat:

https://www.herrgruenkocht.de/das-3-gaenge-ostermenue-2025-von-herrn-gruen/ (Abre numa nova janela)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

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