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WeinLetter #49: Weingut lichti & astroh. Eine Weihnachtsgeschichte 

Liebe Wein-Freund*in,

Du liest den WeinLetter #49. Heute gibt's: eine kleine Weihnachtsgeschichte. Die Geschichte des Weinguts lichti & astroh aus Herxheim am Berg in der Pfalz, das gerade das Prädikat "Entdeckung des Jahres" (Eichelmann) verliehen bekam. Naja, man kann's auch ganz weltlich formulieren: Was für frische, spannende Weine für so eine junge Unternehmung! Und was für eine Geschichte von Aufbruch, Hoffnung, Scheitern, Neuanfang - und Hoffnung. Warum ich das ganz pathetisch meine Weihnachtsgeschichte nenne? Weil in der Weinwelt, in der gerade nur so mit 100 Punkten um sich geworfen und von Geschmacksnoten wie "Unterholz" fabuliert wird, eben auch nicht alles so romantisch schön ist, wie es die Wein-Marketing-Sprech-Blase gerne superlativieren würde. Ich hatte ein sehr ausführliches, intensives Gespräch mit Freya Lichti, die mit ihrem Mann Alexander Strohschneider das Weingut lichti & astroh gegründet hat. Es ist ein ehrlicher Einblick, wie die Weinwelt eben auch ist. Aber jetzt lest selbst! +++ Empfehlt (und shared) gerade diesen WeinLetter bitte weiter. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied Und: Du kannst den WeinLetter jetzt auch verschenken! (Öffnet in neuem Fenster) +++ Aber vor allem, und bevor ich "Trinkt friedlich" wünsche: Ich möchte mich bei allen Leser:innen und Autor:innen für diesen wunderbaren, gemeinsamen Weg bedanken! Hat Spaß gemacht mit Euch, dieses 2022. Ich komme am 12. Januar wieder! Und wünsche allen aus der WeinLetter-Community Frohe Feste! +++

Trinkt friedlich!

Euer Thilo

"Alle sind jetzt gut rausgekommen": Alexander Strohschneider, Freya Lichti FOTO: WEINGUT LICHTI & ASTROH

Es ward lichti & astroh

von Thilo Knott

Am schlimmsten war das Schweigen. „Es war eine sehr schwierige Situation“, sagt Freya Lichti. Schweigen im Hause Lichti bedeutete Stillstand. Wenn gestritten wurde, dann ging es noch um die Sache. Welchen Weg sie gemeinsam einschlagen. Ob die Umstellung des Familienguts auf biologischen Anbau der richtige Weg ist. Ob man Weißweine im Holzfass ausbauen soll. „Manchmal kam es gar nicht mehr zum Gespräch“, sagt Freya Lichti. Dann befanden sich alle in einer "Sackgasse", wie sie die Situation benennt. Alle.

Freya Lichti ist die Tochter von Gernot und Andrea Lichti. Die Eltern betreiben ein traditionsreiches Weingut in Laumersheim in der Pfalz. Freya Lichti und ihr Mann Alexander Strohschneider gründeten das Weinprojekt lichti & astroh. Ihr erster Jahrgang mit kleinen Mengen ist der 2019er. Zuvor haben sie beide beim Weingut Bürklin-Wolf gearbeitet. Eines der besten Riesling-Weingüter Deutschlands. Alexander Strohschneider war lange Außenbetriebsleiter, Freya Lichti kam später zu Bürklin-Wolf und arbeitet ebenfalls im Außenbetrieb. Sie wurden ein Paar. Und entschieden sich, ihr eigenes Weinprojekt zu forcieren. Das war 2018.

Entdeckung des Jahres: Weingut lichti & astroh

Der deutsche Weinführer Eichelmann hat das Weingut lichti & astroh gerade mal vier Jahre nach Gründung zur „Entdeckung des Jahres“ gekürt. Und in der Tat: Innerhalb kürzester Zeit haben Freya Lichti und Alexander Strohschneider ein vielfältiges Repertoire an den Start gebracht. Ich habe selbst acht Weine gekauft und getestet. Es ist ein sehr rundes, qualitativ hochwertiges Portfolio. Auch wenn es sehr bunt ist, halten sie in allen Positionen eine sehr gute Qualität. Persönlich gefallen mir die Cuvées sehr gut – zum Beispiel der Orange-Wein or_ratio aus Weißburgunder, Grauburgunder und Sauvignon blanc. Der Lagen-Kirschgarten brachte mich sogar zum genussvollen Merlot-Trinken. Die Spätburgunder sind sehr gut. Der Kirschgarten als Lagen-Wein, vor allem aber der „normale“ Spätburgunder, der mit seinen 11,5 Prozent eine frische Säure an den Tag legt, dass ich hier von „Norwegian Style“ sprechen würde. Und die neuen Lagen-Rieslinge vom Steinbuckel, dem Burgweg oder dem Kirschgarten befinden sich noch gar nicht auf der Flasche. Freya Lichti sagt: „Es ist nicht unser Anspruch, zweitklassige Weine zu produzieren – da findet dich keiner, wenn du gerade angefangen hast.“ (Hier geht's zur Homepage von lichti & astroh (Öffnet in neuem Fenster))

Steht gut da: Es ist das spannende Frühwerk des Weinguts lichti & astroh von Freya Lichti und Alexander Strohschneider FOTO: THILO KNOTT

Doch das Projekt „lichti & astroh“ hat sich ganz anders entwickelt. Es ist ein Weg, der zeigt, wie viel Scheitern und Aufstehen in so einer Neugründung stecken kann. Wie viele Brüche es geben kann, bis man in nur vier Jahren „Entdeckung des Jahres“ wird – und dann immer noch kämpfen muss. 

Weingut lichti & astroh und die eigenen Träume

Nach dem Abschied von Bürklin-Wolf hat es Freya Lichti mit ihrem Mann Andreas Strohschneider ins elterliche Weingut nach Laumersheim gezogen. Die Eltern haben von ihren 18 Hektar 2,5 abgetreten, für den Einstieg als Winzerin und Winzer. Es ist ja auch naheliegend. Weingüter sind in der Regel Familienunternehmen. Es sind die Töchter und Söhne, die die Eltern beerben. Der Vater wirkt vielleicht noch als Berater, auch wenn in den Grundbüchern schon die Kinder stehen. Wer keine Kinder hat, dem bleibt eigentlich nur der Weg, das Weingut zu verkaufen (siehe die erstaunliche Geschichte der Stefanie Weegmüller-Scherr im WeinLetter #40 (Öffnet in neuem Fenster)). In solch kleinen Betrieben zum Beispiel einen Geschäftsführer einzustellen, ist schier unmöglich. Er kennt mit einem Mal die kompletten Besitzverhältnisse – für viele versperrt das diesen Weg.

Lest auch den WeinLetter #46: Begräbt die EU den deutschen Wein? (Öffnet in neuem Fenster)

„In landwirtschaftlichen Betrieben gibt es häufig Generationenkonflikte“, sagt Freya Lichti. Ihre Generation habe ganz eigene Vorstellungen. „Oft ist das nur möglich, wenn man seine eigenen Schritte geht“, sagt sie. „Es ist nicht einfach, wenn Familie und Geschäft verwechselt wird.“ Und wenn die Vorstellungen so weit auseinander sind. Hier der konventionell arbeitende Betrieb der Eltern, da die zwei mit ihrem Wissen, ihren Erfahrungen vom biodynamischen Weingut Bürklin-Wolf. Freya Lichti hat ihre Winzerinnenlehre bei Bürklin-Wolf absolviert. Für die biodynamische Bearbeitung der Weinberge sind dort die Lehrlinge zuständig.

Freya Lichte: "Es muss jemand zurücktreten"

Zwei Generationen? Zwei Welten? Dass dies nicht einfach ist, zeigt das Familienfoto auf der Startseite der Homepage des elterlichen Weinguts Lichti (Öffnet in neuem Fenster). Dort sind die beiden Eltern mit den beiden Töchtern zu sehen. Freya Lichti lacht in die Kamera. Es ist ein Foto zwischen Wunsch und Verpflichtung, die in manchen Fällen nun mal zur Bürde wird. Als es zum Auszug kam, habe die Oma sie, Freya Lichti, gefragt: „Ob ich weiß, was ich da gemacht habe.“ Sie wusste es. „Es muss jemand zurücktreten“. Die Oma wusste es vermutlich auch.

Neuanfang also. 3,5 Hektar gepachtet. Ein Bio-Hektar ist später dazugekommen. Onlineshop gab es schon. Die Follower:innen des Instagram-Accounts werden mehr. „Wir sind aus der Sackgasse raus – das war eine Befreiung“, sagt Freya Lichti. Jetzt haben sie sogar eine „Anlaufstelle“ für Ab-Hof-Käufer:innen gemietet. Die Flächen gepachtet, die Adresse gemietet.

Ecovin-Mitlied sind sie jetzt: Freya Lichti und Alexander Strohschneider FOTO: WEINGUT LICHTI & ASTROH

In diesem Jahr wurde das Weingut lichti & astroh Mitglied bei Ecovin, dem Verband der Bio-Weingüter. Dass Biodynamie der nächste Schritt wird, ist klar, wenn Freya Lichti über „gesunde“ Schnittformen der Rebstöcke spricht. Die kleinen, nicht die großen Schnitte. Horizontales Wachstum. Die Leitbahnen sind außen. Der Stock wird gesünder und langlebiger durch kleine Schnitte. Zwei Augen aufeinander. Es sind die Lehren von Marco Simonit und Pierpaolo Sirch, die Freya Lichti hier doziert und beherzigt. Die gleichen Vorträge könnte sie über Insekten und Biodiversität in den Weinbergen halten oder über Dauerbegrünung im Weinberg. Und über Lagen. Ihre Weinberge befinden sich allesamt in den Pfälzer Top-Weinlagen Kirchenstück (Öffnet in neuem Fenster), Kalkofen, Herzfeld, Herrenmorgen, Burgweg, Steinbuckel und Kirschgarten.

Freya Lichti: „Es ist deine Freiheit, welchen Weg du gehst“

Und jetzt, was fängt man mit so einer Geschichte an? Es ist sicherlich der beschwerlichere Weg, den Freya Lichti und Alexander Strohschneider gehen. Objektiv betrachtet. Raus aus dem Schoß der Eltern. Rein in: Raum mieten, Fläche pachten. Investiert haben sie hingegen in „richtiges Handwerkszeug“, wie sie das nennt. Freya Lichti sagt aber auch: „Von 4 bis 5 Hektar können wir nicht leben – du darfst ja dich nicht vergessen und musst auch deinen Lohn einplanen.“ Zehn Hektar, das ist das Ziel. Sie haben die Hälfte. Aber es ist jetzt ihr, Freya Lichtis Weg, mit ihrem Mann Alexander Strohschneider zusammen. Sie sagt: „Es ist deine Freiheit, welchen Weg du gehst.“

Das Weingut lichti&stroh verfolgt eine Philosophie des geringsten Eingriffs in die Weinbearbeitung im Einklang mit der Natur: Lagen-Parzellen, unfiltrierte Weine, wenig Schwefel, 2023 werden sie die Biodynamie angehen.

Das Weingut der Eltern, von Gernot und Andrea Lichti, ist auf Bio umgestellt. Das hatten sie noch gemeinsam angestoßen. Freya Lichti sagt: „Das Verhältnis ist gut, wir waren nie zerstritten. Alle sind jetzt gut rausgekommen."

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