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WeinLetter #29: So denkt die neue Frauen-Chefin der Weinbranche

Liebe Wein-Freund*in,

Du liest den 29. WeinLetter. Heute gibt's: Das erste große Interview mit der neuen Vinissima-Vorsitzenden Stefanie Herbst. +++ Ich habe mit der Chefin des Frauen-Netzwerks u. a. gesprochen über: Corona und alte Rollenbilder, Nachhaltigkeit als Selbstverständlichkeit, den modernen Kampf um Gleichberechtigung und die Zukunft der umstrittenen Wahl zur deutschen Weinkönig*in. Stefanie Herbst muss es wissen, weil sie so ziemlich alles ausprobiert in der Weinbranche: Die Geisenheimerin ist Weinberaterin, Sommelière, Winzerin im elterlichen Betrieb und Macherin der eigenen s.he-Linie. Sie sagt zu ihrer neuen Aufgabe: "Wir dürfen nicht aufhören, uns und unsere Entwicklung zu reflektieren." +++ Plus: Kann die neue Vinissima-Chefin denn auch guten Wein machen? In der Rubrik "Ins Glas geschaut" teste ich ihren Rotwein aus der sehr seltenen Rebsorte: Gamaret. Gama...what?  +++ Empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte weiter. Unterstützt den WeinLetter und werdet sehr gerne aktives Mitglied! (Öffnet in neuem Fenster) Und vor allem:

Trinkt’s Euch schön!

Euer Thilo Knott

Stefanie Herbst, 41, wurde im Februar zur Vorsitzenden des Frauen-Netzwerks Vinissima gewählt. Sie wuchs in Essingen in der Südpfalz auf und lebt heute in der Schweiz. Die gelernte Winzerin und studierte Önologin arbeitet als Sommelière, hilft im elterlichen Weingut und produziert ihre eigene Weinline, die sie nach ihren Initialen und programmatisch "s.he" nennt. FOTO: WEINGUT HERBST

"Da müssen sich die Frauen doch lächerlich fühlen"

Sie wurde auf einer Online-Versammlung zur neuen Vorsitzenden des Frauen-Netzwerks Vinissima gewählt. Dem WeinLetter gibt sie jetzt ihr erstes großes Interview. Es ist eine Art Antrittsrede. Was ist die Agenda von Stefanie Herbst? Das Interview.

von Thilo Knott

Frau Herbst, die deutschen Winzerinnen sind so erfolgreich wie nie. Sie übernehmen die elterlichen Betriebe, bekommen jede Menge Auszeichnungen, produzieren 100-Parker-Punkte-Weine. Die Ausbildungszahlen bei Frauen etwa an der Hochschule Geisenheim sind so hoch wie nie. Warum braucht es Vinissima noch? Sie haben doch gewonnen!

Stefanie Herbst: Wir sind stolz darauf, was wir geschafft haben in den 30 Jahren, in denen es Vinissima gibt. Mit viel Geduld und Hartnäckigkeit. Aber gewonnen? Es geht nicht um gewinnen oder verlieren.

Um was geht es Ihnen?

Stefanie Herbst: Wir sind noch nicht am Ende dieser Entwicklung hin zu mehr Gleichberechtigung. Wir müssen in der Wein- und Verbandspolitik noch präsenter sein. Wir dürfen nicht aufhören, uns und unsere Entwicklung zu reflektieren.

Wie meinen Sie das?

Stefanie Herbst: Klar gibt es viele tolle Ausnahmewinzerinnen. Was aber ist mit den Frauen in der Weinwirtschaft, die vielleicht nicht zu den taffen, zu den lauten Frauen gehören? Wir repräsentieren eben die ganze Bandbreite der Berufe in der Weinbranche. Da haben wir zum Beispiel auch Themen wie Altersvorsorge oder die angemessene Bezahlung im Familienbetrieb.

Noch mehr von Vinissima-Mitgliedern liest Du hier: Die Rückkehr von Stefanie Weegmüller-Scherr aus Neustadt-Haardt! (Öffnet in neuem Fenster)

Sie nennen zwei Handlungsfelder: Die Verbandspolitik und die Daseinsversorge. Was ist zu tun?

Stefanie Herbst: Es gibt den klassischen Fall von Frauen, die jahrelang im Betrieb des Mannes mitgearbeitet haben – und dann kommt die Scheidung. Die stehen mit nichts da, die Rente wird absehbar klein. Oft haben sie sogar ihren ursprünglichen Beruf aufgegeben, weil ja der Weinbetrieb da ist und alle ernährt. Sie arbeiten im Weinbetrieb mit, haben kaum Einkommen. Und entsprechend wurde nie etwas in die Rentenkasse eingezahlt. Da klären wir auf.

Und was wollen Sie in der Verbandspolitik ändern?

Stefanie Herbst: Da mischen wir mehr mit. Gerade haben wir von Vinissima und anderen Organisationen eine Arbeitsgruppe gebildet, die Vorschläge erarbeiten wird zur Zukunft der Wahl zur deutschen Weinkönigin.

Um was geht es?

Stefanie Herbst: Ich finde es erstrebenswert, dieses Kulturgut zu erhalten. Die Frauen, die sich für eine Teilnahme entscheiden, nehmen den Wettbewerb sehr ernst. Sie sind schlagfertig, sie sind sprachgewandt, sie haben alle Strahlkraft und sie haben jede Menge Wein-Kompetenz. Aber, was passiert in der Live-Sendung?

"Die politischen Themen haben sich verschoben": Stefanie Herbst im Weinkeller in Essingen FOTO: WEINGUT HERBST

Ich war als Jurymitglied bei der Wahl dabei. Was genau meinen Sie?

Stefanie Herbst: Ach, allein das Bühnenbild. Das fand ich nicht zeitgemäß. Reichlich unpassend fand ich auch die Darbietung des Komikers…

…Sie meinen Bernd Stelter…

…da müssen die Kandidat*innen im Finale blind erkennen, welchen Wein sie trinken. Und er nimmt Degustationen aufs Korn. Da müssen sich die Frauen doch lächerlich fühlen. Das sind Business-Frauen, sie müssen in ihren Kompetenzen ernst genommen werden.

Lesen Sie hier nochmal das ganze Wahldrama um die Weinkönigin nach! (Öffnet in neuem Fenster)

Der Kampf um Gleichberechtigung geht weiter!

Stefanie Herbst: Ja, aber nicht so wie früher – dafür hat sich die Gesellschaft viel zu sehr verändert. Ich merke das gerade, da sich das Netzwerk Vinissima verjüngt. Die jungen Frauen sind sehr am Wissenstransfer interessiert.  Und politische Themen haben sich verschoben.

Was ist anders?

Stefanie Herbst: Früher ging es darum, Winzerin werden zu dürfen, heute wollen wir den Beruf noch stärker mitgestalten.

Vor 30 Jahren mussten Winzerinnen überhaupt darum kämpfen, in einer komplett männlichen Domäne akzeptiert zu werden. Und heute?

Stefanie Herbst: Klar. Unsere Generation hat auch nichts an Biss verloren. Aber wir müssen nicht mehr um unseren Platz kämpfen. Frauen haben bewiesen, dass sie genauso gut Winzerin oder Beraterinnen im Weinbusiness sein können wie Männer. Entsprechend können wir Themen direkter angehen, vielleicht pragmatischer.

Die Hans-Böckler-Stiftung hat vor kurzem in einer Studie nachgewiesen, dass die Corona-Pandemie gerade in Familien dazu führte, dass es einen Rückfall in althergebrachte Rollenmuster gibt. Im Zweifel blieb die Frau zuhause bei den Kindern. Dies dürfte in der von Familienbetrieben geprägten Weinbranche nicht anders sein. Müssen Sie nicht doch wieder kämpfen?

Stefanie Herbst: Ja, auch in der Weinbranche hatten die Mehrfachbelastung oftmals die Frauen. Das ging vielen auf die Psyche. Gerade in unserer Branche gibt es viele Selbständige – etwa in der Gastronomie: So manche hatte mit Existenzängsten zu kämpfen. Da sind wir als Netzwerk gefragt. Welche Kräfte haben wir, die wir mobilisieren können, um uns gegenseitig zu unterstützen.
Aber wir müssen uns auch gerade in solchen Krisenzeiten wieder hinterfragen: Wenn es dann nicht mehr läuft, warum hängt es dann wieder an der Frau? Da müssen wir für sie kämpfen und sie stärken.

"Vielleicht sind wir nicht so bossy": Stefanie Herbst in der heimatlichen Pfalz FOTO: WEINGUT HERBST

Frau Herbst, Sie arbeiten im elterlichen Betrieb mit, haben auch eine eigene Weinlinie produziert mit dem programmatischen Titel „s.he“. Sie arbeiten auch als Weinberaterin und Sommelière. Was sind Weinentwicklungen, die Sie spannend finden?

Stefanie Herbst: Es gibt zwei Themen, mit denen ich mich stark auseinandersetze. Zunächst: Unsere Gesellschaft wird immer wissender, was das Thema Wein angeht. Die Menschen hinterfragen Produktionsweisen. Sie sehen Aspekte wie Gesundheit und Alkoholkonsum. Deshalb finde ich das Thema entalkoholisierte oder teilentalkoholisierte Produkte äußerst wichtig. Ich finde es gut, dass die Politik diese Produkte als Weine zulässt – mit den Qualitätsansprüchen von Weinen. Gleichzeitig grenzt sie diese Formen des Weinmachens von den ganzen aromatisierten Mixgetränken ab. Da wird noch viel kommen.

Und das zweite Thema?

Stefanie Herbst: Nachhaltigkeit. Das wird heute – gerade in der jüngeren Winzer*innen-Generation – als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Das hat nichts Ideologisches mehr, sondern gilt als Status quo. Das Bewusstsein ist prinzipiell geschärft. Es geht darum: Wie gehe ich heute mit dem um, was ich im Alter weitergebe. Denn davon profitiere ich aktuell, weil ich ein Gefühl für die Ressource habe, für den Weinberg, für die Reben, die mich nähren. Und davon profitieren auch diejenigen, die meinen Betrieb einmal weiterführen. Nachhaltigkeit ist ein ganzheitlicher Ansatz.

Ganzheitlich heißt, dass es nicht nur um das Weglassen von Spritzmitteln geht, sondern beispielsweise auch um den Wasserverbrauch oder die Entwicklung eines Pfandflaschensystems?

Stefanie Herbst: Ja, es geht dabei sehr stark um den ökologischen Aspekt. Wir arbeiten mit und in der Natur. Es geht aber auch um die Frage: Wie will ich meinen Betrieb sozial und ökonomisch führen?

Nennen Sie ein Beispiel.

Stefanie Herbst: Der soziale Aspekt hat mit der Einhaltung von Standards wie dem Umgang mit Erntehelfer*innen zu tun, aber auch prinzipiell mit der Einstellung, wie viel Verantwortung meine Mitarbeiter*innen bekommen, damit sie sich mit meinem Betrieb identifizieren. Ich glaube, das ist – wenn es das überhaupt gibt – der weibliche Blick auf das Thema Wein.

Was ist der weibliche Blick?

Stefanie Herbst: Ich tue mich schwer mit der Verallgemeinerung des Themas, aber vielleicht sind wir nicht so bossy, müssen nicht alles selbst machen. Uns fällt es oft leichter, Stärken von anderen zuzulassen und diese für das Gesamtgelingen zu nutzen. Was vielleicht auch noch weiblich ist oder für mich zumindest sehr wichtig: Damit sich etwas richtig anfühlt, muss der Bauch stimmen. Und gerade bei einem so lebendigen Produkt wie dem Wein spielt dies für mich im Business eine große Rolle.

Der Erfolg der deutschen Winzerinnen: Die Gründe gibt's hier! (Öffnet in neuem Fenster)

Das ist Vinissima Frauen & Wein e. V.

Wer Weinkönigin wird, wird automatisch Vinissima-Mitglied: Die amtierende Weinkönigin Sina Erdrich aus Baden kurz nach ihrer Wahl in Neustadt an der Weinstraße FOTO: THILO KNOTT 

Die Gründung: Der Verein Vinissima (Öffnet in neuem Fenster) wurde 1991 von sieben Weinfrauen am südbadischen Kaiserstuhl gegründet. Die Gründerinnen waren: Beate Klingenmeier, Beate Wiedemann-Schmidt, Andrea Engler-Waibel, Michaela Funk, Beate Schindler, Barbara Wanner, Alixe Winter.

Das Netzwerk: Vinissima gehören heute 600 Mitglieder an. Die Frauen sind als Winzerinnen, Önologinnen, Wissenschaftlerinnen, Weinhändlerinnen, Gastronominnen, Sommelièren, Journalistinnen oder im Wein-Marketing tätig. Mitglied kann eine Frau nur über eine persönliche Empfehlung werden. Vinissima hat Sitz und Stimme im Deutschen Weinbauverband. Die frisch gewählten Deutschen Weinköniginnen werden automatisch Mitglied bei Vinissima. 

Der Vorstand: Stefanie Herbst wurde am 13. Februar zur neuen Vinissima-Vorsitzenden gewählt. Neue Stellvertreterin ist die Sommelière und Weinakademikerin Corinna Sauerburger. Das Duo löste die bisherigen Vorsitzenden Jennifer Henne-Bartz und Simone Böhm ab. Dem Vorstand gehören noch an: Julia Weckbecher und Birgit Oesterle sowie die Beirätinnen Gina Gehring, Eva Müller und Mara Walz.

Ins Glas geschaut: Wie schmeckt denn der Wein der obersten Wein-Lobbyistin?

Der Gamaret ist eine Kreuzung aus Gamay und Reichensteiner FOTO: THILO KNOTT

In der Rubrik „Ins Glas geschaut“ stellen Weinexpert*innen und Weinliebhaber*innen ihren Wein der Woche vor. Heute gibt‘s: Gamaret im Barrique von Vinissima-Chefin Stefanie Herbst. Gamaret, was ist das denn?

von Thilo Knott

Der Wein: s.he, Gamaret, trocken, Barrique, 2016, Pfalz, 14,0 % vol., 0,3 g/l Restzucker, 5,9 g/l Säure, 15,30 Euro ab Hof.

Der Grund: Ich weiß nicht, wie man (praktisch) Wein macht. Aber ich kann (theoretisch) ganz viel über Wein daher quatschen und schreiben. Wenn ich jemanden vor mir habe wie Stefanie Herbst, die als erste Vorsitzende des Vereins Vinissima über Gleichberechtigung spricht und selbst auch Wein macht – dann muss ich den probieren.

1. Was ist Stefanie Herbsts Portfolio?

Stefanie Herbst hat an der Hochschule Geisenheim studiert, ihre Eltern betreiben das Weingut Leander Herbst (Öffnet in neuem Fenster) in Essingen, Südpfalz. Sie arbeitet als Weinberaterin, Sommelière, hilft den Eltern - und hat dann ihre eigene s.he-Weinlinie herausgebracht. s.he sind ihre Initialen und ist durchaus programmatisch zu lesen. Sie hat herausgebracht: Einen Riesling feinherb, einen trockenen Grauburgunder, einen Grauburgunder als Trockenbeerenauslese – und eben den Gamaret im Barrique. Zwei Jahre hat sie mit dem Projekt pausiert. Einerseits wegen Corona – sie lebt in der Schweiz, den Wein hat sie in der Pfalz gemacht. Andererseits hat sie eine Tochter bekommen. „Jetzt lasse ich die Linie wieder aufleben“, sagt sie. Warum? Sie habe in der Pause gemerkt, dass sie einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen wolle. „Ich muss Wein machen“, sagt die Spezialistin für Wein&Food-Pairing. Es geht um den Jahrgang 2022. Welche Weine sie künftig macht? Wird nicht verraten. (Mehr zur s.he-Linie gibt's hier (Öffnet in neuem Fenster)).

2. Was ist Gamaret?

Gamaret ist eine Schweizer Neuzüchtung. Sie wird als autochthone Rebsorte klassifiziert, wird vor allem im Kanton Waadt angebaut. André Jaquinet und Dominique Maigre entwickelten die Gamaret-Rebsorte 1970 an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Pflanzenanbau in Pully. Die Kreuzung der für das Beaujolais-Gebiet typischen Rebsorte Gamay und der Rebsorte Reichensteiner wurde dann 1991 in die Schweizer Sortenliste aufgenommen. Die Neuzüchtung steht in Deutschland nicht auf der Liste der zugelassenen Rebsorten. Deshalb steht auf dem Etikett des s.he-Gamaret auch der Hinweis Versuchsanbau.

3. Wie schmeckt Stefanie Herbsts Gamaret?

Der Barrique-Gamaret ist klassisch maischevergoren, die Trauben wurden hernach schonend gepresst. Der Wein reifte 14 Monate in neuen französischen Eichen-Barriques. Er schmeckt nach dunklen Beeren, reifen Pflaumen, und hat Würzigkeit (schwarzer Pfeffer). Null Holzgeschmack, was ich angenehm finde. Mir ist er mit seinen 14,5 Prozent Volumenprozent Alkohol etwas zu prunkvoll. Was ich wirklich mag, ist hingegen die Säure. Sie gleicht das Voluminöse sehr gut aus.

Bisher in der Rubrik "Ins Glas geschaut" 2022 erschienen: +++ WeinLetter-Herausgeber Thilo Knott testet Newcomer-Spätburgunder für 50 Euro von Peter Wagner (Öffnet in neuem Fenster) +++ Philipp Bohn testet Eltz-Riesling, den es seit 1976 eigentlich nicht mehr gibt (Öffnet in neuem Fenster) +++ Andrej Marko testet die PiWi-Rebsorte Cabernet Blanc vom Weingut Hoflößnitz aus Radebeul (Öffnet in neuem Fenster) +++ Anja Zimmer testet Doctor Riesling vom Weingut Wwe. Dr. H. Thanisch - Erben Thanisch (Öffnet in neuem Fenster) +++ Die Test-Highlights aus 2021 liest du übrigens hier! (Öffnet in neuem Fenster)

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