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WeinLetter #34: Bernulf Schlauch und die alkoholarmen Bubbles als Sekt-Alternative

Liebe Wein-Freund*in,

Du liest den 34. WeinLetter. Heute: Bubbles. Sekt. Schaumwein. Aber nicht irgendwelche Perlagen. Sondern alkoholarme Alternativen. Dahin geht der Trend – die Bierbranche hat es kapiert. Ich war in meiner Heimat Hohenlohe. Bei meinem alten Kumpel Bernulf Schlauch in Bächlingen. Er tischte Ahornblütensekt auf – den er nicht Sekt nennen darf. Er ist bekannt geworden durch Holunderblütensekt – den er nicht Sekt nennen darf. 10.000 bis 12.000 Flaschen produziert er in seiner Blütens...-Manufaktur. Warum? Wie? Und wie schmeckt das? Gibt’s alles im WeinLetter! +++ Plus: Die neue Rubrik „Drei Fragen an…“ Die beantwortet der Weinrechts-Experte Michael Else – auch warum Bernulf Schlauch seine Getränke nicht Sekt oder Schaumwein nennen darf +++ Empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte weiter. Unterstützt den WeinLetter und werdet sehr gerne aktives Mitglied! (Öffnet in neuem Fenster) Und vor allem:

Trinkt gesund und friedlich!

Euer Thilo

Findet Antworten im weißen Rauschen: Bernulf Schlauch, 68, bei der Ernte der Holunderblüten für die Schaumweine, die man nicht Schaumweine nennen darf FOTO: WWW.HOLUNDERZAUBER:DE

Bernulf Schlauch, der Zauber-König von Hohenlohe

von Thilo Knott

Wenn Bernulf Schlauch von Holunder erzählt, sollte man ihn nicht stoppen. Außer man sagt: „Ich würde gerne deine neue Holunderlimo probieren!“ Das ist okay, es geht ja um Holunder. Er weiß einfach alles darüber. Und das weiß er auch. „Der Holder war die Hausapotheke der Bauern“, sagt Bernulf Schlauch – dann kommt eine Aufzählung von Vitamin C über blutreinigend bis Magen-Darm, je nachdem ob man die Rinde, die Wurzeln, die Blüten oder die Beeren verarbeitet. Von der Gesundheit geht’s zur Mystik, von der Mystik geht’s – gerne mit einem Schlenker über Südtirol, da fahren wir mal hin! – zur eigenen Sektproduktion.

Holunder heißt hier "Holder". Hier, das ist die Alte Steige in Bächlingen, vom Tal aus schaut man zum Schloss Langenburg hoch, durchs Dorf fließt die Jagst. Hohenlohe. Bernulf Schlauchs Heimat. Meine Heimat. Ich wohne in Blaufelden - zwölf Kilometer von Bächlingen entfernt. Wir kennen uns, seit ich meine ersten Artikel für das „Hohenloher Tagblatt“, damals noch in Gerabronn, geschrieben habe. Bernulf war dort Redakteur. Quereinsteiger. Er studierte. Er absolvierte eine Landwirtschaftslehre. Dem damaligen Chefredakteur und Herausgeber Manfred Wankmüller gefiel das. Er stellte ihn ein. Er volontierte beim "HT" und wurde als Redakteur übernommen.

Bernulf Schlauch: Holundersirup bekämpfte die Grippe

Als ich mit 19 während eines heißen Sommers mein erstes Praktikum beim „HT“ machte, sparten Bernulf und ich uns manchmal das Mittagessen, fuhren nach Bächlingen und schwammen die Jagst entlang. Danach gab’s wahrscheinlich Holundersirup verdünnt mit Mineralwasser. So genau weiß ich das nicht mehr.

Der Holunder begleitete Bernulf. Er erzählt, dass ihm der Nachbar immer Holdersirup brachte, wenn er als Junger mit Grippe im Bett lag und der „Holder“ das Fieber bekämpfte. Das hat er nicht vergessen. Und irgendwann hat er angefangen, früh, mit dem Holunder zu experimentieren. „Learning by doing“, sagt er heute, „ich war noch nie in der Champagne.“ Aus dem Hohenlohischen übersetzt heißt das: Braucht's auch nicht.

Ey Barmann, mix mir was zusammen: Das alkoholarme Bubble-Portfolio von Bernulf Schlauch besteht aus Akazienzauber, Holunderzauber, Rosenzauber, Mädesüß FOTO: THILO KNOTT

Jetzt betreibt er eine Manufaktur für Blüten-Bubbles. 10.000 bis 12.000 Flaschen stellt er her, seine Zaubertränke haben zwischen 2 und 3,8 Volumenprozent Alkohol. Es gibt den „Holunderzauber“. Das ist sein Hauptprodukt. Es gibt noch den seltenen „Rosenzauber“, den „Mädesüß“ aus der Gattung der Rosengewächse und den „Akazienzauber“ (es handelt sich um Robinienblüten, den „falschen Akazien“). Er verschickt das 3er-Paket für 39,27 Euro. (Öffnet in neuem Fenster)

„Zauber“ ist eine Krücke. Er darf seine prickelnden, in einer Art Champagnerverfahren hergestellten Getränke weder Sekt noch Schaumwein nennen. Sekt muss grob gesagt aus Trauben hergestellt sein, Schaumwein geht auch mit Früchten – der „Zauber“-Schlauch verwendet eben die Blüten. Er zahlt aber trotzdem anteilig Schaumweinsteuer – weil seine Flaschen einen Kohlesäuregehalt von mehr als 3 bar haben. „Die Secco-Hersteller liegen drunter und zahlen nix – ein Witz“, sagt Bernulf Schlauch. „Egal.“

Egal. Wir sitzen im Wohnzimmer des einstigen, evangelischen Schlauch-Pfarrhauses in Bächlingen. Bernulf bringt eine auf 6 Grad gekühlte Flasche. Ohne Aufschrift, mit leichten Trübstoffen. „Die ist noch nicht degorgiert“, sagt Schlauch. Das pure Produkt. Akazienblüten. Wenn man die Getränke des Blütenzauberers so kühl trinkt, dann ist die Süße ein dezenter Begleiter der Blüten-Aromatik und der Prickelung. Denn es perlt, was das Zeug hält, und erfrischt. Eine angenehme Alternative. Die Flasche ist nicht lange voll.

Bernulf Schlauch und die vier Entwicklungen

Bernulf Schlauchs Getränke korrespondieren mit vier verschiedenen Entwicklungen in der Weinbranche.

Da ist der Bubble-Boom. Jedes Weingut, das etwas auf sich hält, produziert heute Winzersekte. Deutscher Sekt bekommt auf einmal 100 Punkte im Gault&Millau: Weingut Aldinger. Es gibt die Spezialist*innen wie Raumland oder Winterling, die sich ausschließlich auf Sektproduktion konzentrieren, was ihre sehr hohe Qualität erklärt.

Da ist die Produkt-Neugierde. Die ganze Natural-Orange-Whatever-Bewegung kommt nicht ohne Blubber aus. Gleichzeitig drängen die Frucht-Schaumwein-Produzenten auf den Markt, die Birnen-Schaumwein mit bekömmlichen 8,5 Volumenprozent Alkohol produzieren. Ist auch mal ein guter Begleiter – sagen wir zu Hohenloher Blutwurst.

Da ist der Regionalitäts-Hype. Zu meiner Zeit beim „Hohenloher Tagblatt“ war es ehernes Gesetz, bloß nicht zu laut über die Schönheit Hohenlohes zu reden oder gar zu schreiben – nicht dass es die Schwaben mitbekämen, die dann von Stuttgart aus wiederum Hohenlohe belagernten. Wie der Herzog das früher schon mal getan hat. Ist natürlich nicht mehr so. Hier ist man stolz auf eine nachhaltige Produktions- und Genusskultur. Hohenloher Käse, das Boeuf aus Wolpertshausen, der frühe Demeter-Joghurt aus Schrozberg, den auch Berlin mag. Bernulf Schlauch etwa ist folgerichtig nicht nur Manufaktur-Betreiber. Er vertritt auch Slowfood Hohenlohe. 

Da ist der Gesundheitsboom. Gerade bei der jüngeren Klientel, deren größter Daseinszweck nicht mehr ist, sich regelmäßig „abzuschießen“, wie das zum Beispiel in früheren Hohenlohe-Jugendzeiten bei vielen der Fall war. Wer heute Befragungen von Generation Y bis Z liest, da führt immer ein Wert die Ranglisten an: Gesundheit. Also sind niedrigalkoholische oder entalkoholisierte Weinprodukte im Kommen. Das hat die Weinbranche spät erkannt, deutlich später als die Bierbranche. Zu Bernulf Schlauchs Kundschaft gehören zum Beispiel Tanzschulen. Er sagt: „Da kannst du eine Flasche trinken und noch Auto fahren.“

Wir shaken, was wir haben bis morgens 7 Uhr! Alle drei Stunden muss Bernulf Schlauch den Holunderblütensatz durchquirlen - zwei Tage lang FOTO: WWW.HOLUNDERZAUBER.DE

Wir steigen in Bernulf Schlauchs Opel Combo ein. 315.000 Kilometer hat er auf dem Tacho. Wir fahren nach Nesselbach. Paar Kilometer von Bächlingen entfernt. Wir halten an einer kleinen Halle am Ortsrand. Hier gärt die aktuelle Holunderblüten-Charge in den Flaschen. Bernulf Schlauch rüttelt große Behälter, in denen er 256 Flaschen kopfüber stehen hat. Der Blütenstaub setzt sich ständig ab, also muss er ständig wieder von den Flaschenrändern gelöst werden. Er sagt: „Ich habe 25 Jahre gebraucht, bis ich den Dreh raus hatte.“

25 Jahre bis zur Perfektion. Es gab ja kein Vorbild. Es gab nur den Holundersirup aus der Jugendzeit. Es fängt ja schon an bei der Ernte. Wann ist der richtige Zeitpunkt? Er hat einmal die Blüten der Robinien, der „falschen Akazien“ gepflückt und sich gewundert, warum die Bienen die Mahlzeit ausgelassen hatten. Als er die Blüten ansetzte im Stahlbottich, war schnell klar, warum: Sie hatten keinen Geschmack. Er musste alles wegkippen.

Was Bernulf Schlauch bei der Gärung anwendet, ist eine alte Art der Champagner-Methode: Sie heißt Méthode Rural. Wird heutzutage Champagner in der Zweitgärung hergestellt, da schon vergorenen Weine (Chardonnay, Pinot Noir, Pinot Meunier) verarbeitet werden, so produziert Bernulf Schlauch seine „Schaum-Zauber-Blüten-Sekte“ in einem Gärprozess durch. Die Gärung wird im Stahltank eingeleitet und in der Flasche vollendet. Ein Prozess.

Schüttel deinen Sekt! Schüttel deinen Sekt! Bernulf Schlauch in seinem Lager in Nesselbach FOTO: THILO KNOTT 

„Du brauchst 5.000 Blütendolden auf 500 Liter Wasser. Mehr verrate ich nicht. Ich will ja nicht das Rezept verraten“, sagt er. Das Blüten-Wasser-Zucker-Zitronensäure-Gemisch kommt in einen Edelstahltank, der mit zwei Leinentüchern bedeckt wird. Es ist wie beim Rotwein die Maischebehandlung, sie dauert hier zwei Tage, alle drei Stunden wird das Blüten-Gemisch durchgerührt. Mit den Armen. Bernulf Schlauch macht das selbst. Weil? Schon wieder ein Risiko wartet: Schimmel bildet sich dann, wenn die Blüten nicht nass, sondern trocken werden. 

Bernulf Schlauch: "Mir sind die Flaschen reihenweise explodiert"

Nach der Maischeprozedur werden die Blüten abgefischt. Zum Gärprozess kommt das Gemisch in einen lebensmittelechten Kunststofftank, die Gärung setzt mit den „wilden Hefen aus der Luft“ ein, sagt Schlauch. 10 bis 14 Tage dauert dieser Vorgang, bis die Flüssigkeit in die Flaschen gefüllt wird für die nächste Gärstufe. Es sind 900-Gramm-Champagnerflaschen, die er verwendet. Wegen des Drucks braucht er das maximale Gewicht. Nächstes Risiko: „Am Anfang sind mir die Flaschen reihenweise explodiert“, sagt er. Das kommt heute nicht mehr vor. Bernulf Schlauch fährt die Flaschen dann in einen Weinbetrieb in der Pfalz, wo die Blütensekte degorgiert werden. Fertig.

Bernulf Schlauch ist 68 Jahre alt. Die „Holunderzauber“-Etiketten beschriftet jetzt die Maschine, er hat noch lange jede Flasche selbst beschriftet. Bei Rosen, Ahorn und Mädesüß macht er es immer noch von Hand. Denkt er etwa ans Aufhören? Hm. Vielleicht gibt es eine Antwort, wenn er sagt, warum er das macht: „Das Risiko ist so hoch – da musst du auch ein Spieler sein.“ Das heißt also: Er wird sein Zauber-Geschäft noch lange behalten.

Infos: www.holunderzauber.de (Öffnet in neuem Fenster)

Drei Fragen an: Weinrechtler Michael Else. Was ist denn jetzt der Haken bei Bernulf Schlauchs "Holundersekt"?

Der Sekt macht bling bling - und alles ist vergessen: Das Sprudeln des Akazienzaubers von Bernulf Schlauch FOTO: THILO KNOTT

Das neue WeinLetter-Format "Drei Fragen an...": Gut, das drängt sich bei Bernulf Schlauchs "Holunderzauber" geradezu auf. Warum ist das kein Sekt? Wie ordnen sich alkoholarme wein-ähnliche Getränke dann ein? Michael Else ist einer der besten Weinrechtsexperten Deutschlands. Hier klärt er auf!

von Michael Else

  • 1. Bernulf Schlauch produziert leichtprozentigen "Sekt" aus Holunderblüten nach einer Art Champagnerverfahren - darf sein Getränk aber weder Sekt noch Schaumwein nennen. Warum?

An jedes Getränk werden rechtliche Anforderungen gestellt. Welche dies sind, richtet sich nach der Kategorie, die das Getränk erfüllen soll. Wein und Schaumwein bilden zum Beispiel jeweils eine eigene Erzeugniskategorie. Werden alle Voraussetzungen erfüllt, dann muss der jeweilige Name der Kategorie auch auf dem Etikett verwendet werden. Nur so erkennt man auf den ersten Blick, um welches Erzeugnis es sich handelt. Das ist EU-Recht.

So grundlegend wie einfach ist die Vorschrift, dass alle Erzeugnisse im Sinne des Weinrechts immer aus Weintrauben hergestellt werden müssen. Dies steht mit dem Schutz vor Irreführung und dem Verbot der Nachahmung in Zusammenhang. Nur wenn die Rechtsvorschriften der EU ausdrücklich Ausnahmen zulassen, dürfen auch andere Getränke als Wein oder Schaumwein bezeichnet werden. Und eine solche Vorschrift gibt es, die in Deutschland mit der Alkoholhaltige-Getränke-Verordnung (AGeV) umgesetzt ist. Für einen Eindruck gebe ich einen Auszug wieder:

„Weinähnliche Getränke sind alkoholhaltige Getränke, die durch teilweise oder vollständige alkoholische Gärung aus Fruchtsaft, Fruchtmark, jeweils auch in konzentrierter Form, oder Maische von frischen oder mit Kälte haltbar gemachten Früchten, auch in Mischung miteinander, oder aus frischen oder mit Kälte haltbar gemachten Rhabarberstängeln, aus Malzauszügen oder aus Honig sowie im Übrigen nach Maßgabe der Verkehrsauffassung hergestellt werden.“

Für Früchte kommt nur Schaumwein in Frage

Ähnlich werden auch perlweinähnliche und schaumweinähnliche Getränke definiert, die auch alkoholfrei oder alkoholreduziert sein dürfen. Solche Getränke dürfen als Wein oder Schaumwein bezeichnet werden. Erforderlich ist dann nur, dass der Name des Ausgangsstoffs genannt wird, also etwa „Honigwein“ oder „Birnenschaumwein“. Es geht also vorrangig um Obstweine.

Kommen wir zu dem leichtprozentigen "Sekt" aus Holunderblüten von Bernulf Schlauch.

Sekt ist nur ein zulässiges Synonym für einen Qualitätsschaumwein und bildet damit eine eigene Erzeugniskategorie. Für Deutschland kommt hinzu, dass die Bezeichnung in Form des „Sekt b.A.“ (besonderen Anbaugebiets) als sogenannte traditionelle Bezeichnung einen sogar noch größeren Schutz genießt. Ein „Sekt b.A.“ ist vor jeglicher Namensanlehnung geschützt, also auch vor „Obstsekt“.

Für Früchte kommt aber ohnehin nur „Schaumwein“ als Begriff in Betracht. Erforderlich für eine zulässige Verwendung ist allerdings die Herstellung durch eine alkoholische Gärung von Früchten, bzw. aus Malzauszügen oder Honig. All dies liegt beim „Holunderzauber“ nicht vor, die Erzeugung aus Blüten wird durch die Verordnung nicht erfasst. Das Getränk darf daher weder als Schaumwein und schon gar nicht als Sekt bezeichnet werden.

Paradox, den deutschen Gesetzgeber hält dies nicht davon ab, das aromatisierte schäumende Getränk aus Holunderblüten potentiell der Schaumweinsteuer zu unterwerfen.

Bin ich zu blöd, stink' ich nach Bier? Die Bierbranche hat die alkoholreduzierte Entwicklung längst vollzogen. Hier Maisel's aus Bayreuth - mit dem Alkoholfreien (> 0,5 Vol %), mit dem Light (3,2 Vol. %) und mit dem Normal (5,2 Vol %). FOTO: THILO KNOTT

  • 2. Entalkoholisierte oder leichtprozentige Getränke (wie von Bernulf Schlauch) sind groß im Trend. Die Bierbranche hat das vorgemacht. In der Gerstenbranche heißt das 2,5-Prozentige auch Bier light. Gibt es jetzt auch Wein light?

Aber ja, natürlich gibt es auch alkoholreduzierte Weine. Schon vor mehr als 100 Jahren hat die Weinkellerei Carl Jung aus Rüdesheim ein Verfahren zur Entalkoholisierung von Wein erfunden, die Vakuum-Destillation. In den vergangenen Jahren fand dieses Segment aber erst so richtig Beachtung, was sicher auch mit dem Boom in der Bierbranche in Zusammenhang steht. Das hat auch den Gesetzgeber auf den Plan gerufen, erstmals den Bereich der alkoholfreien Weine zu regulieren. Daher fanden die Erzeugnisse erst vor wenigen Monaten offiziell Aufnahme in die EU-Verordnungen. Sie heißen nun entalkoholisierter oder teilweise entalkoholisierter Wein oder Schaumwein, den Begriff „alkoholfrei“ gibt es nicht mehr. Die Schwelle zwischen einem teilweise und einem entalkoholisierten Produkt wurde bei einem Alkoholgehalt von 0,5% vol. festgesetzt. Vorgeschrieben ist nun ebenso, welches Verfahren der Entalkoholisierung angewendet werden darf.

  • 3. Der Alkoholkonsum wird immer mehr unter dem Gesundheitsaspekt betrachtet. Was hat das für rechtliche Konsequenzen für die Weinbranche?

Möglicherweise eine sehr große. Die EU hat einen europäischen Plan zur Krebsbekämpfung aufgestellt, der natürlich auch durch Alkohol geförderte Krebserkrankungen nicht ausschließt. Mit dem Plan soll noch stärker auf einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol hingewirkt werden, was sich in einer gewollten Verringerung des Alkoholkonsums ausdrückt, aber auch in Restriktionen der Alkoholwerbung, was vor allem jüngere Menschen schützen soll.

Alkohol ist immer schädlich, egal ob in Bier, Schnaps oder Wein. So neu sind daher auch die Anforderungen nicht, die an die Branche gestellt werden. Bisher wurde allerdings eher auf die Selbstverantwortung der Erzeuger gesetzt – natürlich immer mit der latenten Drohung des Gesetzgebers, sonst selbst Regeln aufzustellen. Das Informations- und Aufklärungsprogramm „Wine in Moderation“ zur Sensibilisierung der Weinkonsumenten und der Weinbranche im Umgang mit Alkohol ist so entstanden. Die Initiative wird in Deutschland übrigens durch die Deutsche Weinakademie verantwortet, die zu gesundheitlichen Aspekten forscht und aufklärt - alles Ausfluss der Selbstverpflichtung der Weinbranche gegenüber der EU-Kommission.

Der Kompromiss unterscheidet zwischen vielen Alkoholika

Da die Maßnahmen der EU offenbar nicht ausreichten oder die Ziele neu definiert wurden, sieht man reine Initiativen nur noch als Baustein an und will diese durch schärfere Regeln ergänzen. Doch Wein ist nicht nur Alkohol, es geht um so viel mehr: unsere Kultur, ganze Landschaften, Tourismus und nicht zuletzt um viele Arbeitsplätze. Und so versucht man einen Ausgleich zwischen den Interessen zu schaffen und unterscheidet letztlich doch zwischen verschiedenen Alkoholika. Ein maßvoller Genuss von Wein wird im Ergebnis eher toleriert werden, als der übermäßige, schädliche Konsum von Alkohol. Das ist nun auch Maßgabe für die Erarbeitung von Gesetzesvorlagen, die wir aber frühestens im nächsten Jahr zu sehen bekommen.

Trotz allem kann nicht ausgeschlossen werden, dass bald Warnhinweise auf den Etiketten verpflichtend sein werden oder Informationen an anderer Stelle erforderlich sind. Wenn dies zusammen mit Einschränkungen in der Werbung zu der gewünschten Verringerung des Alkoholkonsums führt, wird dies die Branche sicher zu spüren bekommen.

Michael A. Else, Jahrgang 1975, ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht
(
https://else-schwarz.de/ (Öffnet in neuem Fenster)) - und einer der aktivsten Weinrechtler Deutschlands. Er ist Kommentator des Weinrechts im Verlag C.H. Beck (Öffnet in neuem Fenster), Herausgeber der LexVinum Weinrechtssammlung (www.lexvinum.de (Öffnet in neuem Fenster)), Redner unter anderem bei den Monzeler Weinrechtstagen und ehrenamtlich tätig als Stellvertretender Vorsitzender des Vereins zur Förderung des Historischen Weinbaus im Rheingau e. V. FOTO: PRIVAT

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