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WeinLetter #32: Das steile Württemberg-Experiement! Teil 2.

Liebe Weinfreund*in,

Du liest den 32. WeinLetter. Heute gibt's: Das große Württemberg-Projekt - Teil 2! Was bisher geschah: In "The Land" gibt's gerade eine wahnsinnig spannende Evolution. (Revolutionen gibt's wenn in Baden) Es gibt ein Projekt, "Steile Weine", das eine echte Alternative zum Trollinger entwickelt - denn der packt den Klimawandel in den Steillagen entlang des Neckars nicht und ist zudem noch unrentabel. Das Ziel ist eine Cuvée aus einer regionalen, aus internationalen und PiWi-Rebsorten (siehe: Teil 1!) (Öffnet in neuem Fenster). Wie schmeckt die neue Premiumwein-Hoffnung? Darum geht's in Teil 2: Ich habe exklusiv für den WeinLetter eine Flasche des Prototypen erhalten und getrunken - sie heißt Cuvée B. Und ich kenne die Details der Weiterentwicklung: die 30-15-55-Formel. +++ Plus passenderweise: Minister a. D. Franz Untersteller hat sich für die Rubrik "Ins Glas geschaut" den Cabernet Blanc "Mü blanc" der Stuttgarter Privat-Initiative "Steiler Zucker" zum Erhalt der Neckar-Steillagen vorgenommen und erzählt die Hintergründe +++ Empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte weiter. Unterstützt den WeinLetter und werdet sehr gerne aktives Mitglied! (Öffnet in neuem Fenster) Und vor allem:

Trinkt friedlich!

Euer Thilo Knott

Der Prototyp: Die "Cuvée B" war der Auftakt einer Reihe von Versuchsweinen. Die neue Cuvée soll im Premiumrotwein-Markt neben Marken wie "Traumzeit" oder "Ursprung" verkauft werden. FOTO: THILO KNOTT

30 + 15 + 55: Die Geheimformel der neuen Cuvée Wü

Die Ablösung des Trollingers durch eine Cuvée aus Lemberger plus internationale und PiWi-Rebsorten: Wie schmeckt die neue Württemberg-Hoffnung? Der Test und die exklusiven Hintergründe gibt's hier in sieben Schritten.

von Thilo Knott

1. Was sind die Gründe für eine Cuvée Wü?

Ich nenne die neue Württemberg-Cuvée jetzt einfach einmal Cuvée Wü. Ist hiermit markenrechtlich geschützt! Witz. Es gibt noch keinen Namen für dieses Zukunftsprodukt. Es ist ein Zukunftsprodukt, weil die Württemberger „National-Rebe“ Trollinger hier an den Steilterrassen entlang des Neckars keine Zukunft mehr hat. Sie verträgt den Klimawandel, besonders an diesen Hitzemauern nicht. Und der vier- bis fünfmal höhere Arbeitsaufwand an den steilen Hängen macht den Anbau unrentabel. Es droht das Ende dieser einzigartigen Weinlandschaft. Oder? Es wird ein Projekt ins Leben gerufen, gefördert vom Landwirtschaftsministerium Baden-Württemberg, das einen großen Strukturwandel im Weinbau in Württemberg einleiten könnte.

In dem Projekt wird ein Premiumwein entwickelt. 15 bis 20 Euro im Preis. Es soll eine Cuvée sein, weil man sich hier die größte Akzeptanz verspricht. Es wird eine Projektgruppe „Steile Weine“ ins Leben gerufen, die einen bunten Mix an Expert*innen zusammenbringt, ja bringen muss, weil alle drei zentralen Arbeitsfelder der Weinbranche berührt sind: Anbau, Ausbau, Vermarktung. Es versammeln sich Vertreter*innen aus Genossenschaften, Weingütern und Wissenschaft.

"Das Beste aller Welten": Jürgen Sturm, Referatsleiter Rebenzüchtung, vor der Weinsberger Burgruine Weibertreu FOTO: LVWO

2. Was sind die Vorarbeiten für die „Cuvée Wü“?

Um die „Cuvée Wü" bis zur Marktreife zu entwickeln, wurde eine Reihe an Versuchsweinen produziert. Das geschah an der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg (LVOW). Jürgen Sturm ist Referatsleiter Rebenzüchtung und in der LVOW für das Projekt „Steile Weine“ zuständig. Er sagt über die Cuvées: „In meinen Augen sind es sehr gelungene Verbindungen aus Lemberger als regionaler Traditionssorte, traditionellen internationalen Sorten und neuen PiWi-Sorten.“

Damit beschreibt er auch die Projekt-Vorgaben: Mit dem Lemberger war eine regional verankerte Rebsorte quasi gesetzt. Sie ist die Basis aller Versuchscuvées. In den Steilterrassen wurden zudem internationale Rebsorten gepflanzt. Carménère zum Beispiel, Nero d’Avola, Montepulciano oder Teroldego. Pilzwiderstandsfähige Rebsorten (PiWi) wie Satin Noir, Petit Manseng, Sauvignon Gryn und Sauvignac ergänzen das Sortiment. Aus diesen Rebsorten entsteht die Premium-Cuvée. Aber wie – und schmeckt die?

Säuerlich, adstringierend, Würze, dunkle Beeren: Die Cuvée B besteht aus Lemberger, Cabernet Cubin, Carménère und Quintessenz (We 94-26-37) FOTO: THILO KNOTT

Lest hier auch Teil 1 des steilen Württemberg-Experiments: Das Trollinger-Drama! (Öffnet in neuem Fenster)

3. Wie schmeckt der Prototyp Cuvée B?

Die Cuvée B ist so etwas wie der Prototyp. Sie wurde später über eine Cuvée C zu einer Cuvée D weiter entwickelt. Mit der Cuvée D ging die „Steile-Weine“-Projektgruppe in eine Marktstudie, die Cuvée D musste sich der Meinung von Winzer*innen, Weinhändler*innen und Konsument*innen stellen. In Weinsberg lagerten deshalb nur noch ein paar Flaschen von der Cuvée B. Ich wollte sie testen, den Prototypen, den Godfather der neuen Württemberger Wein-(R)evolte. Ich bekam den „Cuvée B“ exklusiv für diesen WeinLetter.

Und? Ich habe die Cuvée B über drei Tage hinweg getrunken. Ich habe sie parallel mit der Pfälzer Cuvée „Ursprung“ von Markus Schneider und einem württembergischen Klassiker, der „Traumzeit“ des Staatsweinguts Weinsberg, das zur LVOW gehört, getrunken. Von der „Traumzeit“ hatte ich als jüngsten Jahrgang einen 2016er im Keller, das ist in gewisserweise fies als Vergleich zur „Cuvée B“ (2021) und zum „Ursprung“ (2020). Aber gut. Am besten lässt sich die Sensorik in diesem Vergleich mit ähnlichen Jahrgängen nachempfinden.

Die „Cuvée B“: Es ist schon ein wildes Ding! Dunkelrote Farbe, geht fast ins Schwarze. Der Wein beinhaltet die Rebsorten Lemberger, Cabernet Cubin, die „Bordeaux“-Rebsorte Carménère und die pilzresistente Rebsorte We 94-26-37 aus Weinsberger Zucht, die auf dem Etikett „Quintessenz“ heißt. Im Stadium der Cuvée B waren die frisch gesetzten Rebstöcke noch nicht so weit, dass schon alles Lesematerial aus den Terrassenlagen stammten. Wildes Ding eben.

Aber geschmacklich gut, handwerklich ohnehin sehr gut gemacht: Dunkle Beeren, Richtung schwarze Johannisbeere. Würze, Anklänge von Lakritz, eher auf der säuerlichen Seite, schon adstringierend, auch weil die Gerbstoffe – vielleicht auch wegen fehlender Reife – noch mehr eingebunden gehören. Ich persönlich mag übrigens Säure in Rotweinen, weil sie die Mineralität und die Frische sehr gut hervorbringt. Wie sich zeigen wird, ist das ein Minderheiten-Geschmack.

Die „Cuvée B“ ist geschmacklich auf der komplett anderen Seite als der „Ursprung“ von Markus Schneider (Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Merlot, Portugieser). Der Schneider ist viel weicher, trinkflüssiger, da gibt’s keine Kanten wie bei der „Cuvée B“. Banane, Vanille – süßlich. Und traubig. Was den großen Erfolg von Markus Schneider am Markt eigentlich gut begründet, eine der erstaunlichsten Storys in der jüngeren, deutschen Weingeschichte.

Hier wurden die Versuchscuvées entwickelt: Gelände der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg FOTO: LVWO

4. Wie ging es mit der Cuvée B weiter?

Jürgen Sturm sagt über die „Cuvée B“: „Der Wein entspricht nicht 1:1 dem, was letztlich aus dem Projekt hervorgehen wird. Es war eine Näherung an das, wie wir uns den Zielwein vorstellen könnten.“ Die „Cuvée B“ ging auch nicht in die Marktstudie. Dies schaffte über die „Zwischen“-Cuvée C dann erst die „Cuvée D“. Davon gibt es leider keine Flasche mehr. Aber im Prototypen ist schmeckbar, wohin es mit der Trollinger-Erbin hingehen soll.

5. Was ist die Formel für die Cuvée D?

Ist geheim. Fast! Sie lautet: 30 + 15 + 55. In der Cuvée D sind 30 Prozent Lemberger und 15 Prozent Cabernet Cubin, sagt Jürgen Sturm. Der Lemberger-Anteil wurde im Vergleich zur Cuvée B leicht reduziert, der Cabernet-Cubin-Anteil sogar um zehn Prozent. So setzt sich der Rest aus den internationalen Rebsorten und PiWis zusammen – sie machen insgesamt 55 Prozent aus. Der Anteil der internationalen Rebsorten hat sich in der Cuvée sogar verdoppelt. Von den einzelnen Rebsorten und den PiWi-Rebsorten in der Cuvée D hat aber keine einen höheren Anteil als 15 Prozent. Was war der Grund für die Verschiebung? Jürgen Sturm sagt: „In diesen Entwicklungsschritten ging es darum, noch etwas mehr aromatische Raffinesse zu erzielen und die vorhandenen und gewollten Gerbstoffe etwas mehr einzubinden, um so bei früherer Öffnung schon eine höhere Genussreife zu erzielen.“ Das beschreibt mein Geschmackserlebnis der Cuvée B ganz gut.

Fruchtige, süßliche, weiche Weine - da greifen die Konsument*innen zu: Das Sensorikstudio in Weinsberg FOTO: LVWO

6. Was war das Ergebnis der Marktstudie?

Der erste Jahrgang der „Cuvée Wü“ soll 2025 erstmals auf den Markt kommen. Aus den Ernten 2023 und 2024. Dietrich Rembold, der Chef der Lauffener Weingärtner*innen-Genossenschaft und Leadpartner im Projekt „Steile Weine“, benennt ein ehrgeiziges Ziel: „30.000 bis 50.000 Flaschen können wir im Idealfall verkaufen.“ Jetzt füllt man nicht mal 50.000 Flaschen ab – und sagt: Hey, hier sind wir, geiles Zeug! Es ist nämlich so, dass es einen existierenden Cuvée-Markt gibt. Regional, national, international. Es gibt hochwertige Württemberg-Cuvées abseits von „Trollinger mit Lemberger“ - der „Herbst im Park“ von Weingut Graf Adelmann (Öffnet in neuem Fenster) oder die „Traumzeit“ vom Staatsweingut Weinsberg (Öffnet in neuem Fenster) zum Beispiel. National hat vor allem Markus Schneider die Rotwein-Cuvée quasi neu erfunden („Ursprung“, „Tohuwabohu“, „Black Print“), international gibt es jede Menge Antinoris & Co. im Einzelhandel. Wo ist da noch Platz für eine „Cuvée Wü“?

Die Fachhochschule Geisenheim hat das Projekt mit einer großen Marktstudie begleitet. In Umfragen unter Weinhändler*innen und Winzer*innen und schlussendlich Verkostungen mit Konsument*innen aus München und Stuttgart wurde der „sensorische Raum für Premiumrotweine“ wie die „Cuvée Wü“ vermessen. „Ziel ist es, einen Wein zu entwickeln, der bei der Zielgruppe der Konsumenten auf hohe Akzeptanz trifft und damit die Voraussetzung für hohe Wiederkaufsrate schafft“, schreiben Sensorikexperte Martin Kern Professorin Simone Loose von der HS Geisenheim in einer Artikelserie über das Projekt im Deutschen Weinmagazin (Öffnet in neuem Fenster).

Aus einer Vielzahl an nationalen wie internationalen Cuvées wurden zwölf Premiumweine für den Konsument*innentest ausgewählt – diese vergaben Punkte bis maximal neun. Es ging um Aussehen, Farbintensität, Geruch und Geschmack. Auf zwei Achsen wurde der Versuchswein Cuvée D aus Weinsberg eingeordnet. In der Horizontalen sind es die beiden Endpunkte „fruchtig, süßlich, traubig“ und „holzig, säuerlich, adstringierend“. Die Cuvée D ist eher auf der säuerlich-adstringierenden Seite. Während der „Ursprung“ von Markus Schneider, das deckt sich mit meinem Geschmachserleben im Vergleich, eher auf der süßlich-fruchtigen Seite zu finden ist. In der Vertikalen sind es die Pole „schwarze Früchte“ und „rote Früchte“. Hier befinden sich sowohl die „Cuvée D“ als auch der „Ursprung“ eher auf der „dunklen“ Seite.

Es ist schon das Fazit der Wissenschaftler*innen, dass die regelmäßigen Konsument*innen von Premiumrotweinen eher ihr Geld für sensorisch „fruchtige, traubige, süßliche, rot-fruchtige“ Weine ausgeben. So erklärt sich der große Erfolg auch von Primitivo-Weinen in Deutschland. Im Umkehrschluss: Wer eher auf säuerliche, holzige, adstingierende Weine trinkt, ist eher kein klassischer Premiumrotwein-Trinker. Es ist noch eine offene Entscheidung, wie die Cuvée D bis zur Marktreife noch weiterentwickelt wird. Hin zu Markus-Schneider-Style?

7. Und wie geht's jetzt weiter? 

Jürgen Sturm sagt: „Im Zielwein sollen die im Rahmen des Projekts gepflanzten, neuen Sorten dann anteilig noch stärker vertreten sein, ohne den Charakter des Weins wesentlich zu verändern. So bekommen wir einen Wein, der württembergische Tradition mit Innovation und auch den Nachhaltigkeitsgedanken im besten Sinne verbindet.“ Und dann geht’s in die Vermarktung. Auch hier sind noch viele Entscheidungen zu treffen. Zum Beispiel, wie sehr die einzelnen Sorten in den Vordergrund gerückt werden – „oder eben nur die Cuvée als das Beste aller Welten“, sagt Jürgen Sturm. Aber irgendwann, 2025, wird die Cuvée Wü geboren.

Ins Glas geschaut: Franz Untersteller testet PiWi von Schwabens Cheopspyramide

Der "mü blanc" besteht aus der PiWi-Rebsorte Cabernet blanc. Davon gibt es nur 407 Flaschen FOTO: FRANZ UNTERSTELLER

In der Rubrik „Ins Glas geschaut“ stellen Weinexpert*innen und Weinliebhaber*innen ihren Wein der Woche vor. Heute: Minister a. D. Franz Untersteller (Grüne) stellt den Cabernet Blanc des Weinbau-Projekts "Steiler Zucker" vor - es ist eine private Initiative zum Erhalt des rießigen Mauerbauwerks entlang des Neckar.

von Franz Untersteller

Der Wein: Weibau Steiler Zucker, mü blanc, 2020, Cabernet blanc, trocken, 12,5 Vol. %, 15 Euro ab Shop (Öffnet in neuem Fenster).

Der Grund: Die „MS Weinkönigin“ gehört zur Weißen Flotte, mit der man von Cannstatt aus den Neckar abwärts fahren kann. Die schwimmende Weinlaube heißt nicht umsonst so, denn von hier aus erblickt man eine einzigartige Wein-Landschaft. Parallel zu den teilweise über vierzig Grad steilen Hängen verlaufen von Menschenhand vor Jahrhunderten kunstvoll angelegte, bis zu drei Meter hohe Trockenmauern.

Heute steht das riesige Mauerbauwerk unter Denkmalschutz und bietet vielen selten Tier- und Pflanzenarten einen idealen Lebensraum. Kluge Köpfe haben einmal ausgerechnet, dass zwischen Plochingen über Cannstatt bis Kirchheim a. N. pro Hektar Steillage eine Gesamtfläche von bis zu 5000 Quadratmeter Trockenmauern verbaut sind. Aneinandergereiht kommt man zwischen Plochingen und Gundelsheim auf eine Gesamtlänge von cirka 1.300 Kilometer Mauerwerk. In Summe wurden hier mehr Steine aufgeschichtet als in der zu den sieben Weltwundern zählenden Cheopspyramide.

Unter Denkmalschutz: Die Trockenmauern entlang des Neckars sind Teil einer einzigartigen Kulturlandschaft FOTO: FRANZ UNTERSTELLER

Der steile Weinbau

Als sich vor sieben Jahren elf weinbegeisterte Stuttgarter Frauen und Männer zur Gründung der „Weinbau Steiler Zucker GbR“ zusammenfanden, war die Erhaltung dieser einzigartigen Kulturlandschaft einer der Beweggründe. Der Name ist Referenz an die am Zuckerberg gelegene Premiumlage „Cannstatter Zuckerle“ und die Kulturlandschaft mit ihren terrassierten Rebflächen. Zu Beginn wurden die Hobbywinzer*innen von alteingesessenen „Wengertern“, wie die Weinbauern im Neckartal gemeinhin heißen, oft mitleidsvoll belächelt. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass sich hier Musiker, Biologen, ein ehemaliger Banker, Leute aus der Verlagswelt, dem Qualitätsmanagement und dem Marketing von Anfang an für die Erzeugung ihrer eigenen Weine aus den Grundsätzen von Slow Food Deutschland „Gut, sauber und fair“ abgeleitete Ziele gesetzt hatten.

Die Qualität des Terroirs sollte zur prägenden Kraft der selbst erzeugten Weine werden und sie sollten nach ökologischen Grundsätzen produziert werden. Beim Weinbau alles über den Weinbau lernen, lautete die Devise.

Die Gruppe bewirtschaftet heute mit dem MÜ 1 in Stuttgart-Mühlhausen und dem zur Nachbargemarkung Stuttgart-Münster gehörenden MÜ 2 rund 40 Ar große, direkt am Neckar gelegene Weinbergparzellen. Jedes Gruppenmitglied ist für einen Bereich verantwortlich: Begrünung, Rebpflege und-schnitt, Pflanzenschutz, Trockenmauerbau, Lese und Ausbau, Steuern und Marketing.

Der kilometerlange Mauerbau

Der Wiederaufbau und der Erhalt der Trockenmauern gehörte von Beginn an zu den Kernanliegen. Etliche der steinernen Kunstwerke waren bei der Übernahme eingestürzt oder sanierungsbedürftig. Im MÜ 1 besteht die Herausforderung, dass die Mauern in dieser 40-Grad-Steillage auf vergleichsweise lockerem Boden fest verankert werden müssen. Der Wiederaufbau der Trockenmauern kann hier nur von Fachleuten durchgeführt werden. Die Wiederherstellung kostet inklusive des komplexen Hinterbaus bis zu 1.800 Euro - wohlgemerkt pro Quadratmeter. Trotz städtischer Zuschüsse ist dies ein finanzieller Kraftakt. Es gibt heute – inklusive meiner Wenigkeit – deshalb rund 70 Fördermitglieder, die mit ihrem Jahresbeitrag von 150 Euro und Mitarbeit bei Rebpflege und Traubenlese unterstützen. Neben der Einladung zum jährlichen Weinbergfest winkt als kleine Anerkennung am Jahresende eine Flasche Wein sowie ein Glas Meersalz, aromatisiert mit Kräutern aus den beiden Weinbergen.

Im MÜ 1 werden in diesen Tagen die letzten noch kaputten Trockenmauern saniert. Im Herbst sollen die neuen Terrassen dann mit der Rebsorte Cabernet Franc bestückt werden, die bekannt ist für ihre hohe Resistenz gegen Trockenstress. Die derzeit noch vorhandenen Cabertin-Stöcke will man im Juni auf diese Rebsorte bzw. auf Cabernet Blanc umpfropfen. Dafür notwendige Ruten wurden beim Winterschnitt Anfang Februar gewonnen. Die Umpfropfungsaktion selbst erfolgt dann – man mag’s kaum glauben - durch Spezialisten aus Mexiko Anfang Juni.

Das sind die elf Gesellschafter*innen des Projekts "Steiler Zucker" (Stand: 31. Dezember 2021): Oben v. l.: Boris Schiek, Albert Henger, Karoline Höfler, Andreas Hohl. Unten v. l.: Ralph Kiss, Eberhard Wallis, Horst Schwewers, Wolf-Dietrich Paul, Gerhard Schiek, Andrea Gramberg, Philipp Vacano FOTO: DIEGO MARIELLA

Die Mü-Weine

Die Steillagenweine des „Steilen Zucker“ gedeihen auf einem mit Lehm und Ton versetzten nährstoffreichen Muschelkalk-Verwitterungsboden. Der MÜ 1 ist bislang mit den Piwi-Sorten Cabertin und Cabernet Blanc bestockt, der MÜ 2 mit Lemberger. Eine Reihe Trollinger ist quasi das lebendige Denkmal an die weinbauliche Tradition der Region.

Die Weine werden so schonend wie möglich ausgebaut. Dazu zählen eine lange Reifung auf der Hefe, eine lange Maischegärung für die beiden Rotweinsorten Cabertin und Lemberger sowie eine schonende Filtrierung und der Ausbau im Holzfass. Ausgebaut werden die Weine im Weingut der Stadt Stuttgart.

Das Flaggschiff des Steilen Zucker ist der aus Cabernet-Blanc-Trauben gekelterte „Mü blanc“. Cabernet Blanc wurde 1991 von dem Schweizer Winzer und Rebenentwickler Valentin Blattner gezüchtet und ist eine aus der Kreuzung von Cabernet Sauvignon mit Resistenzpartnern hervorgegangene pilzwiderstandsfähige Rebsorte. Im Unterschied zu anderen Bundesländern ist diese Rebsorte in Baden-Württemberg bislang nur für den Versuchsanbau zugelassen. Im Duft erinnert der Wein an Sauvignon Blanc mit Anklängen an Zitrusfrüchte und Holunderblüten. Im Geschmack liegt er zwischen einem schönen Riesling und einem Sauvignon Blanc. Die Trauben werden handgelesen und streng selektioniert. Nach der Spontanvergärung wird der Wein auf der Feinhefe im Stahltank sechs Monate ausgebaut. 407 Flaschen wurden vom Jahrgang 2020 (Alkoholgehalt 12,5%) abgefüllt. Sie sind das Gegenteil von einem Massenprodukt.

Franz Untersteller, 65, ist gelernter Landschaftsplaner. Er war zwischen 2006 und 2021 Abgeordneter der Grünen im baden-württembergischen Landtag, zwischen 2011 bis 2021 Minister für Umwelt, Klima u. Energiewirtschaft im Kabinett von Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Aktuell ist er Globaler Botschafter für das weltweite Klima-Projekt Under2Coalition (Öffnet in neuem Fenster). Seit Januar ist er freiberuflich als Unternehmensberater tätig. Und er ist Arbeiter im Weinberg des Projekts "Steiler Zucker" - die Aufgabe eines jeden Förderers. FOTO: FRANZ UNTERSTELLER

Bisher in der Rubrik "Ins Glas geschaut" 2022 erschienen: +++ WeinLetter-Herausgeber Thilo Knott testet Gamaret der neuen Vinissima-Chefin Stefanie Herbst (Öffnet in neuem Fenster) +++ Thilo Knott testet Newcomer-Spätburgunder für 50 Euro von Peter Wagner (Öffnet in neuem Fenster) +++ Philipp Bohn testet Eltz-Riesling, den es seit 1976 eigentlich nicht mehr gibt (Öffnet in neuem Fenster) +++ Andrej Marko testet die PiWi-Rebsorte Cabernet Blanc vom Weingut Hoflößnitz aus Radebeul (Öffnet in neuem Fenster) +++ Anja Zimmer testet Doctor Riesling vom Weingut Wwe. Dr. H. Thanisch - Erben Thanisch (Öffnet in neuem Fenster) +++ Die Test-Highlights aus 2021 liest du übrigens hier! (Öffnet in neuem Fenster)

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