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Das Ende vom (Alp)Traum der “Grünen Volkspartei”

(Source: Twitter)

Liebe Leute,

Grün, oder nicht grün – das ist in der Arschlochgesellschaft nicht mehr die Frage, weiß man doch mittlerweile, dass man am Klimaschutz gescheitert ist, und der politische Fluchtpunkt in dieser Situation ist eben gerade nicht die Grünen zu wählen. Stattdessen diskutiert Deutschland, warum die Grünen vor kurzem noch umworbene Koalitionspartnerin, jetzt zum Schmuddelkind geworden sind (z.B. heute die DLF Presseschau & im Interview mit Ricarda Lang), von dem sich Alle absetzen wollen.

Wieso Grün?

Die Grünen entstanden zwar aus progressiven Bewegungen (der Quelle alles Wahren, Schönen, Guten auf der Welt), waren aber nie selbst “die Guten”, sondern der Versuch, progressive Bewegungsdynamiken systemkonform zu kooptieren, und, wie seit jeher in der Geschichte des Kapitals, so neue Entwicklungsdynamiken zu ermöglichen. In diesem Fall war der Teil, auf den sich Teile des dt. Bürgertums und Teile der sozialen Bewegungen einigen konnten: Ablehnung des fossilen Verbrennungsmotors als langfristige Basis der deutschen Wirtschaft. Aus dieser systemkonformen Interessenkonvergenz entstand das, was ich die "historische Funktion (Öffnet in neuem Fenster)" der Grünen nenne: den deutschen Autosektor, die Basis bürgerlicher deutschen Klassenmacht, in die E-Auto-Ära zu ziehen.

Was jetzt vielleicht ein Bisschen wie die Selbstbestätigung eines alten Linksradikalen klingt (ohne soziale Bewegung ist nicht mal das Kapital dynamisch), lässt sich durchaus in der Literatur, und wichtiger, der Geschichte belegen. Der “operaistischen Häresie” von Mario Tronti entsprechend, der von sich behauptete, den alten Marxismus-Leninismus, in den das Kapital die armen, ausgebeuteten Arbeiter*innen ständig vor sich hertrieb, von den Kopf auf die Füße gestellt zu haben, sind es nämlich Kämpfe und Forderungen “von unten” (vor allem von Arbeiter*innen im Produktionsprozess, aber auch darüber hinaus, in der gesamten “sozialen Fabrik”, also auch von sozialen Bewegungen), die das Kapital ständig zwingen, sich anzupassen, sich zu erneuern, sich wieder so zu organisieren, dass es auch die “neuen”, jüngere, weniger “disziplinierte” Arbeiter*innen ausbeuten, sich neuen, noch nicht so abgerichteten Konsument*innen zuwenden kann.

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Weshalb Grün?

Kurz: das Kapital braucht (vgl. auch Boltanski/Chiapello) für neue Entwicklungsphasen immer Tritte von unten in den Arsch, und wie auch der Neoliberalismus Bewegungsdynamiken "von unten" aufnahm – es war nicht zuerst “das Kapital”, das Diversität und flache Hierarchien forderte, sondern die alternativen Bewegungen der 60er und 70er Jahre, then capital took that shit over, too), sollte auch der "grüne Kapitalismus" angetrieben werden: durch die Dynamik der ökologischen Krise und der Kämpfe, die aus ihr entstehen würden. NB: es ging nie um die Lösung der globalen sozialökologischen Krisen, die wäre in einem Wachstumsregime (Öffnet in neuem Fenster) ohnehin nie möglich gewesen, sondern darum, ihre Dynamik zum internen Motor einer neuen kapitalistischen Wachstumsphase zu machen – vor 12-15 Jahren nannten wir diese noch “grünen Kapitalismus”, heute würde ich eher zur Bezeichnung “Elektrokapitalismus” neigen. Trotz aller Abneigung: das Wort “grün” ist dann doch noch zu gut fürs Dreckskapital.

Und wie organisiert man so einen “Antrieb”? Indem man die politische Partei, die aus den Bewegungen entsteht, die wiederum die relevante Dynamik gesellschaftlich artikulieren, zuerst “regierungsfähig” domptiert (vgl die vielen Häutungen der Grünen seit Joschka vs. Jutta), dann in die Regierung lässt, und sie dann, wie ich aus Lützerath (Öffnet in neuem Fenster) schrieb, zu allerlei öffentlichen Demütigungs- und Signalhandlungen zwingt. Ziel dieser Praxis ist, sowohl den Gedemütigten Grünen selbst, als auch ihren Masters und Mistresses im deutschen Exportkapitalismus zu zeigen, wer wirklich Koch, und wer Kellner ist, dass also eine Grüne Partei regieren könnte, ohne dabei die Akkumulationsinteressen der zentralen deutschen Kapitalfraktionen negativ zu beeinflussen.

Deshalb war Lützerath so wichtig, sind die ständigen “Wir haben Bauchschmerzen, aber”-PKs der Grünen so bezeichnend: es geht (auch) darum, sie sich öffentlich ihrer letzten Verbindungen zu den Bewegungen berauben, aus denen sie entstanden waren, jeder Verbindung zu den progressiven, sich bewegenden Teilen der Gesellschaft, mit dem schlussendlichen Ziel, die Grünen zur adäquaten, nein, zur perfekten Regierungspartei der Verdrängungsgesellschaft zu machen.

Warum nicht Grün?

Ok, die Grünen wären also die perfekte Regierungspartei der Verdrängungsgesellschaft, denn der Job der Verdrängungsregierung ist, der verdrängenden Bevölkerung die ethisch-politische Kackscheiße, die notwendig ist, um unseren Wohlstand in einer zutiefst ungerechten Welt aufrechtzuerhalten, jeden Tag und immer wieder schönzureden ("Bauchschmerzen", "hart mit uns gerungen") und doch jeden Tag weiterzumachen. Verdrängung halt.

Wie schon mehrfach aufgeschrieben, wird aber die Verdrängungsgesellschaft gerade unter dem Druck der Polykrise, und um leichter scheiße sein zu können, zur Arschlochgesellschaft (Öffnet in neuem Fenster), und das ist für die Grünen ein Problem, die zwar Arschlochpolitik machen können – z.B. baut unser grüner Wirtschaftswachstumsminister gerade LNG-Infrastruktur aus, die auf Jahrzehnte u.a. US-gefracktes amerikanisches fossiles Gas verbrennen soll, das im besten Fall wegen der vielen Leckage am Ende pro Energieeinheit 24% klimaschädlicher ist, als Kohle, im schlechtesten Fall 274% (Öffnet in neuem Fenster), und in der Migrationsdebatte fordern ex-Linksgrüne wie Ricarda Lang ohne grün im Geschicht zu werden, mittlerweile Asylverfahren jenseits europäischer Außengrenzen. Arschlochpolitik halt, aber grüne Minister*innen können und müssen so etwas verdrängen, weil sie ja die Guten sind, aber in der Arschlochgesellschaft gewinnt nicht die, die am besten herumdruckst und verdrängt, sondern die, die am offensten und am schambefreitesten Arschloch (Öffnet in neuem Fenster) sein kann – und das ist den Grünen, ist meiner Klasse reicher, mithin ausbeutender, egoistischer Verdränger*innen zuwider.


Wohin mit grün?

Dazu kommt dann, dass die armen Grünen von der rechten Offensive in den Kern der populistischen Mobilisierung gestellt wurden: die "Äquivalenzkette (Öffnet in neuem Fenster)" rechter Hassobjekte ist so arrangiert, dass grün = vegan = kommunistisch = gendern = MENSCHENRECHTE! = Gutmenschentum = tatsächlich moralisch einwandfreies Verhalten, und mit letzteren hat man es im assholocene (Öffnet in neuem Fenster) nicht so. Die Grünen stecken also in einem tiefen, ich würde sagen, unauflösbarem ethisch-politischen Trilemma: links ihre historische Verankerung in Bewegungen, die der Partei und dem gesellschaftlichen Projekt den Markenkern (Klima) liefern, aber richtige Klimapolitik ist als deutsche Regierung nicht möglich, da Autoexportkapitalismus, Chemieindustie und Braunkohleweltmeister; in der Mitte ihre Basis, das Verdrängende Bürgertum, das aber keine inhaltlichen Vorschläge machen kann (Verdrängenden fällt meist nichts ein außer mehr Verdrängung), und rechts die immer lauter werdenden Arschlöcher, die jeden Move nach linksgrün als die Erklärung des “totalen Krieges” wahrnehmen, und dementsprechend reagieren.

In diesem Trilemma, zwischen diesen drei Polen, ist Politik unmöglich, never mind how good your triangulation is. Die Zeit, in der wir dachten, die Grünen könnten zu einer "Volkspartei" werden, sind vorbei: und das zeigt, mehr, als alles Andere, den Übergang von der Verdrängungs- zur Arschlochgesellschaft.

But take heart, liebe Grüne: die anderen Parteien sind meist noch kaputter, als Ihr ;)

So, jetzt muss ich versuchen, irgendwie nach Wuppertal zu kommen, um heute Abend über Klimakollaps, Verdrängungsgesellschaft & den kommenden Faschismus reden soll, Bahnstreik allowing. Gestreamed wird auch, nämlich hier (Öffnet in neuem Fenster).

Bis nächste Woche,

Euer Tadzio

p.s.: willkommen an die vielen neuen Leser*innen – und eine kleine Bitte, überlegt Euch doch, ob manche von Euch von Leser*innen zu Unterstützer*innen werden können und wollen. Hier der Link: https://steadyhq.com/de/friedlichesabotage/about (Öffnet in neuem Fenster)

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