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Live aus Lützerath #4: et tu, Robert?

Donnerstag morgen in Luetzerath unräumbar: wieder mit Alarm aufwachen, immerhin gibt's diesmal Kaffee. Die Polizei hat, wie angekündigt, die Räumung nachts nicht ausgesetzt, sondern in Regen, Sturm & Dunkelheit Menschen aus Scheunen und Bäumen, von Traversen und sog. “Monopods” geholt (und währenddessen witzelten, “wie lustig es wird, wenn Aktivist*innen von Wind runterfallen und sterben (Öffnet in neuem Fenster)”). Unser Haus blieb verschont, aber langsam ziehen sie vor uns auf. Wir harren sorgenvoll aber stabil der Hebebühnen, die es den Cops erlauben sollen, verbarrikadierte Türen zu umgehen, und direkt über den 1. Stock oder den Dachboden in die Häuser einzudringen, und die auf verschiedene Arten und Weisen dort “befestigten” Aktivist*innen herauszuholen.

Es wird also langsam ernst, alles spitzt sich Richtung Samstag zu, wenn eine wahrscheinlich bis zu (oder sogar über) 20.000 Teilnehmer*innen starke Demo sich auf Lützerath zubewegen wird – oder auf das, was dann von Lützerath noch steht. Dazu mal zwei Szenarien: im 1. Szenario, dem NRWE-Neubaur-Weinspach-Szenario, schaffen die Cops es heute noch, uns Lützerath Defenders aus allen bewohnten Strukturen herauszuziehen/-prügeln-/schmerzzugreifen. Dann wäre der Weg frei für die Bulldozer und Räumfahrzeuge, und wenn dann am Samstag Greta Thunberg an der Spitze einer gigantischen Demo in Lützerath ankommt, stellt die Demonstration keinen Entsatz für uns Besetzer*innen dar, sondern verkommt zu einem bloßen Trauermarsch am Grab der Klimagerechtigkeitsbewegung im Rheinland.

Im zweiten Szenario schaffen wir Lützerath Defenders es, noch zwei Tage auszuhalten, schaffen es gegen den Willen von grünem Staat, fossilem Kapital und welcher rachsüchtiger Gottheit auch immer die Union anhängt, unsere Strukturen – to be clear: unsere Wohnhäuser! Ich habe hier in der vergangenen Tagen mit Menschen geredet, die immer noch hier gemeldet sind, die am 10.1. ihr legales zu Hause verloren haben und denen das ihr Herz gebrochen hat – zu verteidigen, schaffen es, hier noch 48+ Stunden auszuharren. Wenn die Demo sich dann Mittags in Keyenberg versammelt, hat sie dann ein Ziel: nicht die Zerstörung eines Dorfes und die Niederlage einer Bewegung zu betrauern, sondern, diese zu verhindern.

Picture this: 20.000 Menschen setzen sich in Bewegung, davon 2-3.000 dem “radikalen” Flügel zugehörig – Ende Gelände, Extinction Rebellion, die Letzte Generation, EndFossil/Occupy: alle zusammen haben angekündigt, den Zaun um Lützerath zu stürmen (bei EG wird es dann wohl “überwinden” heißen ;)), der politische Druck auf die Grünen steigt ins Unermessliche, weil der politische Spagat, den die Grünen seit so langem aushalten, und der in der MdB Kathrin Henneberger wohl ihre Apotheose findet – auf der einen Seite für das deutsche Industriekapital zu regieren, aber auf der anderen Seite immer wieder vorzutäuschen, ein verlässlicher Partner an der Seite der Klimabewegung zu sein – durch das Zusammentreffen der Lützerath Defenders mit den bundes- und im besten Fall europaweiten Ensatztruppen unmöglich gemacht wird. Entweder Lützerath und Klimagerechtigkeit, oder RWE und Garzweiler (Öffnet in neuem Fenster).

In diesem Szenario, in dem wir Lützerath bis Samstag halten, ist klar: wenn die Demo den Zaun erreicht, werden Teile davon ihn angreifen, werden alles tun, um zu uns zu gelangen, uns numerische, kulinarische und politische Unterstützung zu bringen (fyi: I miss Haribo & single malt whisky). Wenn also hier noch Strukturen stehen, bestünde die “Gefahr”, dass hunderte, vielleicht sogar tausende Aktivist*innen versuchen würden, diese wiederzubesetzen oder zu verstärken. Das darf aus NRWE-Perspektive nicht passieren, also müssten die Cops alles tun, um den Zaun zu verteidigen. Die Konfrontation – die, wohlgemerkt, brutale Konfrontation wäre vorprogrammiert, unausweichlich schöbe sich ein Teil der grünen Wähler*innenbasis auf grünbefehligte Polizeitruppen zu.

Der Spagat hätte ein Ende: die Grünen müssten sich entscheiden, und würden in dieser Situation, so meine Prognose, ein Neubauropfer bringen, um den Druck abzuwehren, der jetzt schon auf dem nächsten Grünen Kanzlerkandidat, Robert Habeck lastet – waren es doch Neubaur und Habeck, die den schmutzigen Lützerath-Deal mit RWE verhandelt haben (Öffnet in neuem Fenster) – denn der nächste Grüne Kanzler, Kanzler aller Deutschen (Unternehmen) darf auf keinen Fall beschädigt werden.

So würde die Bewegung bestärkt in ihrem Wissen, dass die Grünen gerade der Hebel sind, den es zu drücken, zu ziehen, an den Bruchpunkt zu bringen gilt. Je klarer der Republik, je klarer der Welt wird, dass die Grünen eine Partei des Wirtschaftswachstums, nicht des Klimaschutz sind, je schwächer die Verbindung zwischen den Grünen und ihrem symbolischen Markenkern Klima wird, desto klarer wird es innerhalb der Klimabewegung werden, dass Klimaschutz – um einen Slogan der anti-Atom-Bewegung zu kapern – Handarbeit bleibt, von keiner der im Bundestag vertretenen Autoparteien zu erwarten ist, sondern von unten erkämpft werden muss.

Dieses Szenario ist, wie bisher, nicht das wahrscheinlichste. Aber jede Stunde, die wir in Lützerath ausharren, rückt es näher. Die politische Zerstörung des Mythos der Grünen als Klimakraft; und die physische Verteidigung des Dorfes Lützerath gegen das fossilkapitalistische Nichts des Tagebaus.

Wir sehen uns am Samstag auf den Barrikaden. Wir sehen uns in Lützerath.

Kategorie Lützerath

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