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Entspannt euch

Mittwochmorgens liege ich immer im Bett und denke darüber nach, was ich in den Newsletter schreiben will. Heute morgen bin ich so entspannt und zufrieden aufgewacht, dass ich kurz Angst hatte, dass da jetzt nichts kommt, weil das früher so anders war: Wecker klingelt, Kortisol schießt direkt auf 20000, dann noch einen Kaffee drauf, und dann den Stress wieder aus dem Körper schreiben, und die Texte handelten dann von Tod und Schmerz und Krieg, und all das ist real, ich habe genug davon persönlich und auf Recherche erlebt, und ich dachte immer, es gäbe nichts anderes. 

Gestern Abend haben wir uns mit der Berliner Neuen Generation getroffen, zuerst zusammen gegessen, dann kurze Namensrunde und wie es uns geht, und dann in kleineren Gruppen weiter geredet: Was machen wir eigentlich gerne und wo wollen wir noch was lernen?

Eine Bewegung ist wie ein Körper, und wenn der nur aus Nasen oder Ohren oder Füßen bestehen würde, würde was fehlen, und gestern zu hören, wie unterschiedlich die Talente sind – von Singen über Koordinieren bis Sachen auswendig lernen – hat’s dann auch viel entspannter gemacht darüber zu reden, was ansteht: Das Parlament der Menschen wuppen und dann eine Woche Widerstand leisten gegen die Allianz der Rechten und Reichen, wobei ich langsam glaube: In der Art und Weise, wie wir da zusammen sind, leisten wir in jedem Augenblick Widerstand. 

Sybille Berg hat mal – paraphrasiert – geschrieben, dass unsere Gesellschaft Erregung für Lebendigkeit hält. Sie meinte damit nicht Sex sondern dieses Kortisol 20000-Gefühl: Reels, die uns kleine Kicks geben, Konkurrenz auf dem Arbeitsplatz, der uns in den Kampfmodus versetzt, Headlines auf allen Kanälen von Krieg und Krise. Wie soll man da einander mit offenem Herzen begegnen?

Das Gegenteil von Liebe ist ja nicht Hass sondern Angst, weil sie uns zumacht, verschließt, abschneidet. Ich lache nicht, wenn ich Angst habe – es sei denn hysterisch, und das schafft wenig Verbundenheit. 

“Whatever the question, community is the answer”, hat Margaret Wheatley mal geschrieben, aber an dieser Stelle wird es auch tricky, denn Community verleitet dazu, sich abzukapseln. 

Sobald es mir und meiner Crew gut geht, zieh ich einen Zaun drum – physisch oder metaphorisch – und drinnen herrscht dann Frieden. Aber das ist ein falscher Frieden, solange die Welt brennt. 

Den Menschen der Bürgerrechtsbewegung in den USA wurde von Kritiker:innen vorgeworfen, sie würden mit ihren Aktionen den Frieden im Land stören. Aber was für ein Frieden ist das, in dem Schwarze Menschen an Pappeln aufgehängt werden? Was ist das für ein Frieden, in dem Deutschland, ausgerechnet Deutschland, schutzsuchende Menschen an seinen Grenzen abweist, unsere Lebensgrundlage zerstört und zur systematischen Gewalt in Gaza schweigt?

Allein schon diese Zeilen zu schreiben, treibt meinen Puls wieder nach oben. 

Ein Teil von mir hat Lust auf die Entspannung, der andere kann nicht zusehen, was da passiert. Ich glaube, in dem Akt, anderen die Hand zu reichen und gemeinsam das Unrecht zu konfrontieren, darin liegt auch der innere Frieden – wie das aber geht, weiß ich noch nicht genau, wenn ihr inspirierende Beispiele kennt, schickt sie mir bitte. 


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