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Ich will meine Sicherheit zurück

Ich erinnere mich an eine Zeit, da hatte ich keine Angst vor der Zukunft. Es sind immer schlimme Dinge passiert, und als Reporter habe ich es selbst miterlebt: Polizeigewalt, Flucht, Krieg. Doch auch wenn ich die Zukunft nie als Versprechen gesehen habe, nie mit einem Glauben an Fortschritt aufgewachsen bin, so war sie zumindest auch nicht bedrohlich. 2019 ist das gekippt. 

Das hat gleichermaßen mit dem zu tun, was in der Welt und in mir passiert ist, weil das eine das andere ja letztlich nur spiegelt. Greta Thunberg und die Fridays auf der einen, mein eigener Erkenntnisprozess um die Verletzlichkeit unseres Planeten auf der anderen Seite. 

Mit Kickl, mit Trump und Musk hat sich dieses Gefühl verdichtet. Die Angst bezieht sich nicht mehr auf die nächsten Jahrzehnte. Sie bezieht sich auf die nächsten Jahre. Sie drückt sich aus nicht mehr in abstrakten Statistiken, sie ist grotesk konkret jeden Tag zu beobachten. 

Ich will sie zurück, diese Zeit, in der ich keine Angst hatte vor der Zukunft. Ich will, dass es uns gut geht. 

Der 13. Juli 2024 war eine Gewissensprüfung für jede:n von uns. Es war der Tag, an dem ein Attentäter versuchte, Donald Trump zu erschießen. Was ging dir da durch den Kopf? Warst du erschrocken über das versuchte Attentat, oder hast du bedauert, dass Trump überlebte? Und wenn du sein Überleben bedauert hast, bist du dann über dich selbst erschrocken? Vielleicht aber noch wichtiger: Was hast du in den Tagen darauf laut gesagt? 

Wenn Angst in einer Gesellschaft ihre Wurzeln schlägt, dann trägt sie hässliche Blüten. Zum Beispiel, dass wir hoffen, jemand wäre bei einem Attentat gestorben, dass wir zu anderen sagen: “Schade, dass Trump nicht gestorben ist.” Ich möchte das gar nicht moralisch verurteilen, wenn du das gedacht oder gesagt hast, ausser in dem Sinne einer praktischen Ethik: Was ist das richtige Handeln, damit es möglichst vielen Menschen gut geht?

Wenn ich schreibe: “Ich will sie zurück diese Zeit”, dann merke ich, dass da Rachegelüste mitschwingen, dass ich anderen Menschen die Schuld gebe, für das, was gerade passiert, und darin liegt auch ein Wunsch zu bestrafen, und das ist die Scheisse: Angst produziert ihren eigenen Nährboden. Angst produziert mehr Angst. 

Welche Wirkung hatte das Attentat auf den Menschen Trump? Welche Wirkung hatte es auf seine Anhänger:innen? Sie begegnen uns seitdem sicherlich nicht mit mehr Liebe, sondern träumen von noch mehr Gewalt gegen uns. Das macht uns wiederum noch mehr Angst – unser Impuls nach Gewalt und Strafen wird größer. Irgendwann dann gibt es da kein Halten mehr. 

Jetzt ist es ja noch lustig, dass in Kanada keine Americanos, sondern Canadianos serviert werden als Revanche für Trumps Politik. Gleichzeitig finde ich es verstörend, wenn in großen Medien so ein aufkommender Nationalismus gefeiert wird. Im Geiste ist das: Auge um Auge. Irgendwann sind alle blind. Wenn es eskaliert. Wenn es kein Halten mehr gibt. Wenn der Krieg ausbricht. Dann sind alle Opfer. Außer die Oligarchen. Die profitieren weiter.

"Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat."

Erich Kästner hat das über den Nationalsozialismus gesagt. Ich glaube, er hat im Kern Recht. Aber ich mag seine martialische Ausdrucksweise nicht. Ich würde sagen: Man muss den Schneeball schmelzen, bevor es zu spät ist. 

Wir werden dem Hass nicht mit Hass beikommen können. Nur Liebe kann das. Nur Ruhe kann das. Nur Zuhören, Ernstnehmen, Verstehen. 

Das braucht Zeit und Raum. Dafür ist es notwendig, dass es uns gut geht, dass wir entspannt sind und uns sicher fühlen. Wenn wir selbst Angst haben, sind wir nicht dazu in der Lage, einem anderen Menschen wirklich zuzuhören. Dafür braucht es eine Tasse Tee und vielleicht ein paar Kekse auf dem Tisch. Oder ein Bier und eine Laugenbrezel. Einen Spaziergang im Park oder im Wald. Dafür braucht es Räume, in denen wir uns als Gleiche unter Gleichen begegnen können. In denen wir uns in die Augen schauen, und unseren Gegenüber sehen als Menschen mit all seinen Sorgen und Träumen, Schwächen und Stärken. 

Noch ist das möglich. Noch geht es uns als Gesellschaft gut genug, noch hat die Angst ihre Wurzeln nicht zu tief ins Fundament gegraben. 

Doch wenn es so weit ist, dann folgt auf Angriff nur noch Gegenangriff, Hass wird mit Hass beantwortet, Gewalt mit Gewalt. 

Ich denke an meinen Bruder und seine beiden Kinder. Ich denke an meine liebe Freundin Theresa und ihre Neffen. Wenn es soweit kommt, wenn es eskaliert, dann ist keine Familie mehr sicher. Auch meine Kinder, wenn ich das Glück haben sollte, mal welche zu haben, sind dann nicht mehr sicher. 

Der Schneeball, wir müssen ihn schmelzen. 

Jetzt. 




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