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Live aus Lützerath #2: wenn die Steine fliegen

Wenn die Steine fliegen – wo wirst Du stehen?

Liebe Leute,

ich gestehe, heute war der frühe morgen in Lützerath ein Bisschen anstrengend. Gerade aufgewacht wollte unsere Bezugsgruppe einen Kaffee kochen, sich in die Medienberichterstattung zu Lützerath einlesen & gemeinsame Framings diskutieren, als plötzlich der “mittlere Alarm” ausgelöst wurde, d.h., nicht Lützerath wird von der Polizei angegriffen, aber einige der Strukturen, die im Vorfeld des Dorfes gebaut wurden, um der Polizei die Räumung zu erschweren – vor allem sog. “Tripods (Öffnet in neuem Fenster)”, aktivistische Konstruktionen, die es der Polizei schwer machen, Menschen zu räumen, ohne sie dabei schwer zu verletzen, und glücklicherweise haben sich soziale Bewegungen hierzulande das Recht erkämpft, bei Räumungen nicht von der Polizei umgebracht zu werden. Die Auseinandersetzung heute morgen lief von unserer Seite maximal “friedlich” ab, d.h., dass wir gegen das Pfefferspray, die Schilder und Schlagstöcke (Öffnet in neuem Fenster) der Polizei nur unsere Körper eingesetzt haben, unsere Entschlossenheit und unsere Solidarität. Der Slogan “wir sind friedlich, was seid Ihr?” schallte immer wieder über die Helme der Robocops, die wohl gerade keine Zeit hatten, oder einfach zu unfreundlich waren, um die ehrliche Antwort zu geben: “Wir sind RWEs Schlägertrupps, wieso fragt Ihr?”

Aber, wie die Amis sagen, “make no mistake”: ich will hier nicht die Verteididung von Lützerath “peacewashen”, in den Chor vieler einstimmen, die sagen “hier sind nur friedliche Leute, niemand hier würde oder wird je Steine auf die Polizei werfen.” Das stimmt nämlich nicht. Schon am 2.1.23, als die NRWE-Polizei überraschend früh im Jahr losschlug und daher am 3.1. der TagX (Öffnet in neuem Fenster) ausgerufen wurde, stellten manche in Lützerath sich der Polizei militant entgegen, auch am Sonntag 8.1. flogen ein paar Steine und Flaschen auf die Polizei. Es gab durchaus viel Kritik daran, auch innerhalb der politischen Strukturen, die in Lützerath entstanden sind – ein sehr lauter, von vielen Stimmen am Sonntag gerufener Slogan war “Keine Steine” - aber allen hier ist auch klar: es wird in Lützerath zu militanten Auseinandersetzungen kommen, und nicht alle Gewalt wird nur von der Polizei ausgehen.

Ich will damit weder – a la “Grüne RAF” - ein Schreckgespenst in die Welt setzen, dass uns dann irgendwann in den Arsch beißen wird, noch will ich verneinen, dass die meisten Menschen, mit denen ich bisher in Lützerath gesprochen habe, lieber eine “friedliche”, als eine “militante” Verteidigung dieses Dorfes erleben würden. Aber (obacht, schlechte Ponyhof-Metapher coming up) Lützrath gegen die taktische und politische Übermacht des fossilen Staates NRWE zu verteigen ist nunmal kein Ponyhof.

To be direct: NRW, RWE und deren Fußtruppen unter Knuddelgeneral Dirk Weinspach (der charmante, gutaussehende grüne Aachener Polizeipräsident) haben versprochen, dass sie Lützerath räumen werden; wir, die Klimabewegung, und genauer gesagt 12.860 Menschen (Öffnet in neuem Fenster) haben versprochen, dass wir Lützerath unräumbar machen werden, dass wir dafür sorgen, dass Lützerath bleibt. Abgesehen davon, dass mir von diesen 12.860 noch ein paar (knapp zehntausend) in Lützerath fehlen (wo wart ihr gestern beim Abendessen, I kept looking for you ALL), bedeutet das, dass es zu Auseinandersetzungen kommen wird. Und wenn die eine Seite versucht, Menschen aus ihren Häusern zu vertreiben, Pfefferspray benutzt, Menschen mit Schlagstöcken verprügelt, dann kann es auch sein, ist es, to be honest, sogar wahrscheinlich, dass manche von uns sich auch militant verteidigen, Steine schmeißen, oder sich den Cops nicht nur passiv in den Weg stellen werden. Ob Ihr das wollt, ob wir das wollen, oder nicht, tut hier nix zur Sache – wichtig ist, was passieren wird, und dass wir uns als Bewegung realistisch darauf einstellen (dito unsere Unterstützer*innen in der breiteren Gesellschaft).

Wenn dann also diese Steine geflogen sind, manche davon gefilmt wurden, und in der Tagesschau landen – und diese Situation wird es geben, gab es ansatzweise schon – dann ist die Frage nicht eine, die an die “Militanten” gestellt werden muss (in etwa: “warum macht Ihr so schlimme Sachen wir Steine schmeißen?”), denn diese Frage ist schon lange beantwortet: die Steine werden von manchen Lützerath Defenders als notwendig angesehen, um Lützerath zu verteidigen, und wer von Euch draußen in Berlin, Plauen oder Aalen versteht, wie es ist, sein zu Hause und die globale Klimagerechtigkeit gegen einen brutalen Polizeiangriff zu verteidigen? Ich, to be honest, hatte diese Erfahrung so noch nicht, und nehme mir nicht das Recht heraus, diese Menschen zu verurteilen. Tatsächlich schrieb ich nach Riots in Göteborg (2001) (Öffnet in neuem Fenster) dieses: “while there may be many tactical reasons to choose not to riot (the fear of increased repression being a very salient one – friends of mine sat in jail for months, some for over a year), there is also no reason to categorically rule it out as a tactic.”

Nein, die Frage, die wir stellen müssen, geht an die Menschen, die von außen auf diesen Konflikt schauen und sich, sobald sie den 1. Stein fliegen sehen, in die gemütliche Situation versetzen, in der auch schon diejenigen waren, die sagten “Klimaaktivismus? Finden wir super, aber nur, wenn er niemanden daran hindert, rechtzeitig zur Arbeit zu kommen, in den Urlaub zu fliegen, oder einen Vermeer in einem Museum zu bewundern”, die jetzt sagen “naja, ich war ja schon für Lützerath, aber militant, das geht nun wirklich nicht.” Surely, you must see the similarity. Die Frage bleibt: auf welcher Seite steht Ihr? Steht Ihr auf der Seite von RWE, NRW und Pfefferspray? Dann könnt Ihr Euch gerne den Luxus rausnehmen, Euch über ein paar Steine aufzuregen, die nicht nur ethisch im Vergleich zum fossilkapitalistischen Wahnsinn ziemlich irrelevant sind, sondern möglicher-, gar wahrscheinlicherweise notwendige Bestandteile des Kampfes gegen ihn sind. Oder steht Ihr auf der Seite von Lützerath, Klimagerechtigkeit und 1,5 Grad? Dann steht Ihr, ob Ihr es wollt, oder nicht*, auch auf der Seite derer, die manchmal Steine schmeißen, und es ist Eure Aufgabe, zu verstehen, dass die gerade auch die Drecksarbeit für Euch, für uns alle machen.

Natürlich wäre es mir lieber, wenn wir Lützerath so verteidigen könnten, dass hier alles nur Party, Hedoaktivismus und love-ins wären (einige der Cops sind tatsächlich so süß, die würde ich manchmal gerne dazu einladen). Aber das ist ne ziemlich unrealistische Annahme. Militanz wird passieren, manche davon von unserer Seite. Der Hambi hat gezeigt, dass wir, wenn wir in solchen Situationen dem Spaltungsdruck standhalten können, den Kampf um einen Ort gewinnen können. Lasst uns das wieder tun. Zusammen. Müslis und Militante, Hippies und Anarch@s (Öffnet in neuem Fenster), Moderate und Radikale. So können wir gewinnen. Und nur so.

Bis morgen von den Barrikaden,

Euer Tadzio

Kategorie Lützerath

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