Gorleben – Hambi – Lützerath: auf in den Kampf!
Atomausstieg und Energiepolitk von unten
Tagesschau, 4.10.2022: “Der Energiekonzern RWE hat angekündigt, den Kohleausstieg um acht Jahre auf 2030 vorzuziehen. Darauf hat sich das Unternehmen mit den Wirtschaftsministerien von Bund und dem Land NRW verständigt... Die Vereinbarung sieht aber auch vor, dass wegen der Energiekrise zwei Kraftwerksblöcke bis ins Frühjahr 2024 weiterlaufen, die eigentlich zum Jahresende stillgelegt werden sollten.” Die Kohle für diese Kraftwerksblöcke, die jetzt wieder ausgemottet werden sollen, soll genau dort abgebaggert werden, wo jetzt das mittlerweile von allen außer der Klimabewegung verlassene Dorf Lützerath steht.
Keine Angst, dieser Text wird kein Energiepolitik-Nerdtext, weil: es geht hier, genau wie in der Debatte um “Streckbetrieb” oder Laufzeitverlängerung für AKW, nicht um Policydetails, nicht um diese oder jene Kilowattstunde, oder gar darum, ob wirklich genau die Kohle, die unter Lützerath liegt, genau diese zwei Kraftwerksblöcke befeuern muss – oder ob es dazu Alternativen gäbe.
Es geht, wie so oft (eigentlich meistens) in der Politik um Macht, um Symbolik, es geht darum, zu zeigen, wer entscheidet, wer den größten hat. Und hier steht das deutsche Kapital, steht das deutsche Exportmodell vor einer doppelten Herausforderung: einerseits hat die 35 Jahre (von Wyhl 1976 bis Fukushima 2011) kämpfende Anti-Atom-Bewegung ein globales Novum etabliert, nämlich, dass eine soziale Bewegung ohne signifikanten Kapitalsupport es schaffen kann, eine unwillige Regierung dazu zu zwingen, eine dreckige &/oder Hochrisikotechnologie abzuschalten.
Ich glaube manchmal, dass viele Menschen hierzulande die Bedeutung des Atomausstiegs vollkommen unterschätzen. Die Energiepolitik ist (ein Bisschen wie Außenpolitik) traditionell eines der “hoheitlichen” Politikfelder, wo sich Eliten eigentlich nie oder nur sehr ungern vom Pöbel (uns) in die Karten schauen, geschweige denn etwas sagen lassen wollen. Der Atomausstieg, den ich für den signifikantesten sozialökologischen Bewegungserfolg weltweit halte (go on, convince me otherwise), etablierte ein völlig neues Prinzip: dass wir Plebs politischen und ökonomischen Eliten unsere Vorstellung einer richtigen (nachhaltigen, gerechten, etc.) Energiepolitik aufzwingen können. You have no idea how much that pissed them off, die Knabbern da immer noch daran. Dann kam da noch der Kohleausstieg 2038, der natürlich aus Klimaperspektive viel zu spät ist, aber der trotzdem eine Bewegungsforderung in Gesetzesform goss, und damit den Präzedenzfall Atomausstieg bestätigte. In short: die sozialen Bewegungen in Deutschland – wir – haben es geschafft, das Prinzip zu etablieren, dass Ausstiegsdaten für dreckige Technologien von unten gegen wirtschaftliche Interessen durchzusetzen sind. Die Bedeutung dieser Tatsache kann kaum übertrieben werden, vor allem nicht für eine Klimagerechtigkeitsbewegung, deren zentrales Ziel sein muss, gegen unwillige Eliten (& leider auch oft gegen gesellschaftliche Beharrungsmehrheiten) fossile Energien abzuschalten.
Grün ist, wer grüne Prinzipien aufgeben kann
Enter: die Zeitenwende, und mit ihr die von den klimafeindlichen und wachstumsfetischistischen Wirtschaftseliten so lange herbeigesehnte Möglichkeit, endlich wieder die volle Kontrolle über energiepolitische Entscheidungen zu reklamieren. Das 1. Kampffeld in diesem Versuch, Macht dahin zurückzuholen, wohin sie nach Ansicht meiner Klasse (dem Großbürger*innentum) nunmal gehört, nämlich nach oben, war die über das Zurückrollen des Atomausstiegs, und die Akteure, die es zu drangsalieren galt, waren die Grünen, deren wichtigste politische Wurzeln in der Anti-Atom-Bewegung liegen (auch die Klimabewegung, angeführt von Fridays For Future, aber die Grünen sind nunmal in der Regierung, daher war es ungleich wichtiger, sie zu Kreuze kriechen zu lassen, und das auch sichtbar zu machen).
Angeführt von der Merz-und-Söder-Union waren unsere Gegner*innen äußerst erfolgreich darin, die Frage “Streckbetrieb von Atomkraftwerken: ja oder nein?” zu einer Art Shibolleth zu machen, zu einer Gretchenfrage, entlang derer zu demonstrieren war: seid ihr für, oder gegen Deutschland? Diese Strategie traf bei den Grünen auf einen schon länger laufenden Prozess, in dem die mittlerweile völlig vom Realo-Flügel dominierte Partei – die, wie gesagt, einst in radikalen sozialen Bewegungen fußte, und immer noch den Anspruch hat, die einzige Partei zu sein, die sowas wie Klimaschutz wirklich ernst nimmt – dem deutschen Autokapitalismus zeigen will, dass sie eine vernünftige, verantwortungsvolle, mithin dem Kapitalismus gegenüber servile Regierungspartei sein kann, ähnlich, wie die SPD das vor gut 100 Jahren schon einmal tun musste.
Um dies zu Erreichen, etablierten “Robert und Annalena” (kulturell alternativ zu wirken kostet nix, also gerne Vornamen) eine ganz neue Art des Grünseins, eine Art, der sich auch ehemalige Linke wie die von mir durchaus geschätzte Ricarda Lang unterworfen haben: grün ist, wer grüne Prinzipien schleifen kann.
Häh? Ok, nochmal langsamer, Schritt für Schritt, this is the logic: “Wir wissen alle, die Kacke ist am Dampfen, um ökologisch noch irgendwas zu retten, um also wahrhaftig grün zu sein, muss schnell gehandelt werden. Um schnell und effektiv zu handeln, muss man regieren. Um zu regieren, muss man Verantwortung für das große Ganze vor die eigenen ideologischen Überzeugungen stellen können. Ergo ist wahrhaftig grün, wer grüne Überzeugungen opfern kann, denn nur so kann man als Grüne regieren, und wer nicht regieren will, kann nix verändern, also müssen wir Grünen regieren, und alles tun, um an der Regierung zu bleiben, besonders, wenn das bedeutet, grüne Ideologeme performativ, vor den Augen der Republik, zu opfern.” Ich nenne das: die neue grüne Gouvernmentalität.
Für uns als Klimabewegung heißt das: der Gegner spürt unsere derzeitige Schwäche, will diesen Moment nutzen, um uns zu demütigen, und endlich als politischen Machtfaktor abzuschaffen; so gleichzeitig die Grünen endlich heim ins Reich (Öffnet in neuem Fenster)zu holen, damit sie ihre historische Funktion erfüllen, und den deutschen Autosektor, die Basis bürgerlicher deutscher Klassenmacht, in die neue E-Auto-Ära zu ziehen; und außerdem wieder das Prinzip zu etablieren, dass der Pöbel bei der Energiepolitik nix mitzureden hat (siehe die weirde Logik des 2030-Beschlusses: das ist eine freiwillige Selbstverpflichtung des Kapitals, kein Gesetz, der Staat zwingt zu nix, und Bewegung ist nirgendwo sichtbar – so mag das Kapital seine Politik).
Das Symbol, an dem der Beginn dieser neuen politische Phase aufgezeigt werden soll (weil es, wie gesagt, hier gerade um Macht geht, & glaubt mir hier sowohl als Politikwissenschaftler, als auch als submissive BDSM-Hure: Macht hat unglaublich viel mit Performance, mit Symbolik zu tun, mit “wer sieht mächtig aus, wer wirkt schwach?”) ist die kleine Ortschaft Lützerath – gerade weil die Genoss*innen von Alle Dörfer Bleiben (Öffnet in neuem Fenster) es im Bundestagswahlskampf so beeindruckend geschafft hatten, Lützerath zum Symbol eines früheren, klimagerechteren Kohleausstiegs zu machen. In short: die wollen Lützerath nicht wegen ein paar Klumpen Braunkohle abbaggern, sondern, um die Grünen auf Linie zu bringen, und um uns zu demütigen.
Alright, you assholes: challenge accepted. Wenn Ihr eine Machtprobe wollt, dann geben wir Euch eine Machtprobe, und ich bin mir nicht sicher, ob Ihr gewinnen werdet. Klar, Ihr könnt eitle alte Männer wie die Vorsitzenden von BUND, Greenpeace DE und DNR in Hinterzimmerkommissionen einladen, und sie auf Linie bringen, wie in der Kohlekommission geschenen (Hubert Weiger, Martin Kaiser und Kai Niebert: I hope you spend the rest of your lives feeling shit for how you let yourselves be played & how you betrayed our movement), Ihr könnt Eure Lobbyschergen in den Bundestag schicken, und die Regierung direkt für Euch Policies und Gesetze schreiben lassen... Aber Lützerath ist keine Kommission, Lützerath ist kein Gesetz, Lützerath ist ein Ort, und sozialen Bewegungen fällt es immer leichter, Orte (places) zu "erobern", zu verteidigen, zu kontrollieren & auszubauen, während unsere Gegner*innen (Kapital, Staat, etc) meist “Räume” (spaces) kontrollieren - also die *Beziehungen* zwischen konkreten Orten.
Soziale Bewegungen können konkrete Orte (das haben uns die Hambi-Besetzer*innen eindrücklich gezeigt) auf eine Art und Weise emotional aufladen, wie das mit dem abstrakten Begriffen wie "Klima" nicht geschehen kann. Und das bedeutet, dass die Gegenseite uns mit dem Versuch, uns öffentlich als machtlos bloßzustellen, uns gleichzeitig die Möglichkeit gegeben hat, endlich wieder einen großen, sichtbaren Erfolg einzufahren, wie wir ihn seit 2018, seit der materiellen Verteidigung des Hambi nicht mehr hatten. (Und mit “wir” meine ich auch die depperten Umweltverbände, die uns in der KoKo verraten haben: ja, Ihr dürft mitspielen. Ich bin zwar nachtragend, aber die Bewegung kann sich das nicht leisten.)
Ihr wisst, ich bin derzeit ein Bisschen down (ähem), wenn's um Klimakrise und Bewegung geht, aber kürzlich fiel mir auf, dass das nicht nur der “objektiven” Situation geschuldet ist, sondern auch der Tatsache, dass wir schon viel zu lange erfolglos auf der Straße herumkrepeln. Wir brauchen einen Sieg um wieder stark zu werden, und die Mäßigkeit der Grünen & die Gier von RWE können, if we play it right, der Beginn eines neuen Zyklus erfolgreicher Klimakämpfe werden. I'm not saying it'll be easy. But imagine this scenario, if you will:
Eine Luetzerath-Bleibt-Kampagne, in der zehntausende - von Linksradikal bis Normalo, von noname zu Promi - ankündigen, sich *physisch* an der Verteidigung von Luetzerath zu beteiligen. Eine Strategie, die weiß: *militärisch* können wir NRWE nicht besiegen, only through numbers. Einen "Schichtplan", der sicherstellt, dass at any given point (also: around the clock. Every day. Until the enemy yields) MEHRERE TAUSENDE MENSCHEN vor Ort sind, um Luetzerath zu verteidigen. Sobald ein Bagger oder eine Wanne auffährt, setzen sich tausende Menschen vor sie hin. Eine Medienarbeit, die dazu führt, dass die Zahl der global Journis & Kameras nur knapp unter der der LuetzerathDefenders liegt. Every Baton that strikes a teenager; every grandma shouting at a Secu *immediately* beamed around the entire world, embarrassing TF out of Germany.
Nach 1-2 Wochen dieses Szenarios haben wir es geschafft, die Frage "bleibt Luetzerath" untrennbar mit dem Image Deutschlands in der Welt zu verknüpfen. Auf EU-Gipfeltreffen sprechen andere Umweltminister*innen die Deutschen an "hey, we heard about Lutzrath: ARE YOU INSANE?" RWE-Mitarbeiter*innen werden aus Kneipen rausgeworfen, weil sie sich positiv über die Räumung von Lützerath geäußert haben; der RWE-shareprice beginnt zu wackeln, während die Besetzung immer größer wird. At some point the enemy realises: sure, militarily we could win this. Aber dann schauen sie nach, was ein "Pyrrhussieg" ist, & sehen ein: if we do this, the climate movement will become like Ben Kenobi after Darth Vader killed him - more powerful than Vader could imagine.
So what's the plan? Luetzerath muss für die andere Seite #unräumbar (Öffnet in neuem Fenster) werden. Wir müssen ab heute alles dafür tun, denen zu zeigen, dass die politischen, ökonomischen & menschlichen Kosten einer Räumung exorbitant wären. Tough. But doable. & like Ben Kenobi: our only hope.
See you in Lützerath!
Foto: Superbass (Öffnet in neuem Fenster) (CC:by:nc)