Wie gewinnen wir?
Teil 1: Ressourcen und Strategien der Klimabewegung
Liebe Leute,
zuerst eine kleine Vorwarnung: es geht in diesem Text - & wohl den nächsten ein bis zwei auch noch – um eine Frage, deren Beantwortung ich quite literally die letzten 25 Jahre meines Lebens und den absoluten Großteil meiner akademischen und intellektuellen Arbeit gewidmet habe: how do we win, how do social movements win? Ich werde es mit Sicherheit nicht immer schaffen, mich kurz zu halten, weil, you know, alter Mann *&* “Experte”, da verfällt man schon manchmal ins Labern. I hope you can bear with me, und dass es trotzdem spannend und interessant wird. An manchen Stellen zumindest ;)
Zur Sache: ein Bisschen Tomatensuppe auf nem Gemälde, ein paar blockierte Pendler*innen, und presto wird allenthalben in der Klimabubble über die wichtige Frage diskutiert, wie “wir” (dazu unten mehr) zusammen unser Ziel erreichen können, wie unsere Aktionen dazu beitragen, oder eben nicht, ein klimagerechtes Deutschland in einer klimagerechten Welt zu erkämpfen. Das bedeutet zwar einerseits, dass ich nun endlich ein Bisschen verstehe, wie sich Virolog*innen während der Corona-Pandemie gefühlt haben, als plötzlich Twitter, Facebook & jeder deutsche Stammtisch nur noch aus anerkannten Virologie-Expert*innen bestand, aber immerhin: im derzeitigen strategischen Stillstand (mithin dem politischen Rückschritt) der Klimabewegung kann es nur gut sein, dass wir uns fragen: was bringt das, was wir tun, eigentlich? Bringt es überhaupt etwas, und wie sorgen wir dafür, dass es mehr als bisher bringt? Am Ende stehen wir vor der extrem komplizierten Frage: wie funktioniert eigentlich soziale Bewegung?
Die Antwort auf diese Frage ist vielschichtig, und frustrierend ungenau, unter anderem, weil die “Wirkungsketten” sozialer Bewegungspraxis – also die Kausalketten, die dafür sorgen, dass X Demos and Y Orten mit Z Teilnehmenden, plus ungehorsame Aktionen A, B & C, gepaart mit den Diskursstrategien D & E irgendwie, irgendwo, irgendwann auch die gewünschten Effekte haben – extrem komplex sind. Wir schreiben meist nicht direkt Gesetze, und schon die Genese eines Gesetzes innerhalb des Parlaments ist bei genauerem Hinschauen ziemlich kompliziert, wer da in der Analyse noch außerparlamentarische Faktoren hinzuzieht, hat ne echte intellektuelle Sissyphosarbeit vor sich. Dieser Hinweis zielt darauf ab, dass Ihr eine gesunde Skepsis entwickelt gegenüber dem seit dem Auftauchen von XR, aber besonders seit der Tomatensuppenaktion zunehmend verbreiteten Zitieren (genauer: meist Cherrypicking) sozialwissenschaftlicher Studien zu den Effekten von Klimaaktivismus im Besonderen, und Aktivismus im Allgemeinen. Diese “Studien” sind oft methodologisch fragwürdig, beruhen – zumindest, wenn es um heutigen Klimaaktivismus geht – auf zu wenigen untersuchbaren Ereignissen/Prozessen, und versuchen, zu kurze Zeitabläufe zu analysieren, in denen z.B. noch nicht ausreichend klar ist, wie Policyveränderungen eigentlich genau ausgehen werden. Z.B. wäre eine empirische Analyse der Effekte der Antikohlebewegung notwendigerweise noch nicht abgeschlossen (wie wir in Lützerath sehen können), obwohl wir da schon über 12jährige Datenreihen verfügen; bei Fridays For Future wären es knapp vier Jahre, bei der Letzten Generation nicht einmal 1 Jahr – da lässt sich meist nichts wirklich solides “beweisen”.
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Neben der tatsächlichen intellektuellen Komplexität der Fragestellung taucht in vielen Diskussionen, die derzeit auf Twitter und anderswo über die Effektivität verschiedener Aktionsformen toben (neben der Debatte über den Londoner Suppenwurf entspann sich auch ein lebhaftes Streitgespräch unter einem Tweet (Öffnet in neuem Fenster) der deutschsprachigen Sektion der Scientists For Future, in dem sich freundlich aber bestimmt von zivilem Ungehorsam distanziert wurde), noch ein anderes Problem auf: es wird ein viel zu statisches Verständnis von sozialer Bewegungspraxis angelegt, in dem Aktionen heute den selben Effekt haben können wie Aktionen vor 50 oder gar 500 Jahren, wo weder die sich verändernden Praxen der “Gegenseite” (oder der Mehrheitsgesellschaft) reflektiert werden, noch die Frage gestellt wird, was derartige Veränderungen für unsere eigene Praxis bedeuten könnten. Dito wird selten gefragt, wie sich unsere eigene innere Zusammensetzung verändert, und was das zum Beispiel für das Verhältnis zwischen den radikalen und moderaten Flügel unserer Bewegung impliziert. In short: times change, und wer das als Strateg*in nicht reflektiert, verschwendet Zeit und Hirnschmalz.
So, und jetzt endlich zur eigentlichen Frage: wie können wir dafür sorgen, dass unsere Proteste, unsere Aktionen und Kampagnen effektiv sind, was bedeutet eigentlich Effektivität im Kontext einer Bewegungen, deren “Flügel” nicht programmatisch durch ein “Zentralkommittee” koordiniert werden – und was für Ressourcen existieren, um diese wie gesagt komplexen Fragen zu beantworten? Jenseits der absurden Vorstellung von sozialem Wandel als kommunikativem Verhanlundgsprozess zwischen rationalen Akteuren finden wir die Vorstellung von sozialem Wandel als Resultat gesellschaftlicher Auseinandersetzungen (um Macht, Ressourcen, Ansehen), sprich, Wandel als Resultat von Kämpfen (h/t Kalle (Öffnet in neuem Fenster)). Und das Kämpfen, das kann man tatsächlich am besten vom Militär lernen, so merkwürdig das für einen Linken klingen mag.
Aus “militärischer” Perspektive betrachtet – Lesetipp: Waging a Good War (Öffnet in neuem Fenster), eine Militärgeschichte der Bürgerrechtsbewegung – stellen sich, würde ich denken, mindestens fünf Fragen: die nach den eigenen Truppen (Ressourcen); die nach der eigenen Strategie; die nach den Taktiken; die nach dem Terrain der Auseinandersetzung; und die nach der Gegenseite (um nicht “dem Gegner” zu sagen). All diese Fragen müssen im Rahmen einer Analyse der jetzigen politischen Bedingungen und Kräfteverhältnisse beantwortet werden, denn soziale Bewegungspraxis ist nichts, wenn sie nicht in der Lage ist, sich schnell an neue Situationen anzupassen – allein der extrem stark sinkende mediale Grenznutzen der Aktionen der Letzten Generation sollte eindrücklich beweisen, dass die Frage: “was bringen Straßenblockaden im allgemeinen?” eine unbeantwortbare ist. So let's do this:
1. Unsere Ressourcen (“Truppen”)
Wenn wir uns die letzten größeren Klimamobilisierungen ins anschauen, wird schnell klar: wir sind eine deutlich geschrumpfte Bewegung. Klar, Fridays For Future hat es am 23.9.22 geschafft, im Vorfeld die Erwartungen so weit herunter zu bringen – in Berlin waren bloß 8.000 Teilnehmende angemeldet – dass dann doch mehr Menschen auftauchten, als befürchtet. Aber 36.000 zum Beispiel in Berlin, bei einem groß angelegten Klimastreik, für den FFF alle Mobi-Kapazitäten aufbot (in Berlin hatten wir nen Auftritt von Marc Uwe Kling!), das ist wirklich nicht viel, und die bundesweiten “Hunderttausende (Öffnet in neuem Fenster)”, wie viele es nun genau wirklich waren, blieben natürlich weit hinter den 1,4 Millionen vom 20.9.2019 zurück. Dito Ende Gelände: an der Aktion im August nahmen wohl um die 12-1500 Menschen teil, was sehr nah an den Zahlen von 2015 ist, aber mehrere Tausend unter der EG-Hochphase 2016-2018.
Beiden Events fehlten aber nicht nur Teilnehmer*innen (the numbers), ihnen fehlte auch... pizzazz, ihnen fehlte der Feenstaub, der soziale Bewegungsaktionen zu magischen Events machen kann, das Gefühl erweiterter Ermächtigung gegen die Gesamtscheiße. Außerhalb der Letzten Generation und Scientist Rebellion berichten viele Klima-Aktivist*innen von einem Gefühl der Entmutigung, Erschöpfung, Erlahmung. Das ist nicht überraschend, denn soziale Bewegungen bewegen sich in Wellen oder Zyklen, und da nunmal 2015-2019 Klimabewegungszyklus durch die 3 sukzessiven (Teil-)Niederlagen Kohlekommission, Klimapäckchen 20.9., und dann nochmal an der 2021 an der Bundestagswahlurne besiegt, und ein dynamischer Gegenschlag durch Corona unterbunden wurde, ist es nicht überraschend: eine einmal gebrochene Welle fängt nicht einfach wieder auf dem Niveau wieder an, auf dem sie war, als sie brach.
Klar, es gibt die Letzte Generation und Scientist Rebellion, and thank the goddess für deren Mut und ihre politische und persönliche Sturheit (was bei mir ein Lob ist ;)). Aber die Letzte Generation bleibt in punkto numbers noch weit hinter dem zurück, was sogar XR DE (nicht der erfolgreichste der XR-Exporte) in ihren Hochzeiten auf die Straßen bringen konnten, und SR erzielt seine Publicityeffekte vor allem durch die kluge Nutzung ihres akademischen Elitestatus. Ich will LG und SR hier nicht ans Zeug flicken, sondern darauf hinweisen, dass for the time being – d.h. Zeitenwende, Energiekrise, Rechtsruck in Europa – akzeptieren müssen, dass wir eine Bewegung sind, die sich erst einmal wieder selbst aufbauen, die wieder einen neuen Zyklus dynamischer Kämpfe hervorbringen muss, bevor wir davon ausgehen können, wieder die alten numbers auf der Straße erreichen zu können. Teile der Bewegung sind besiegt, die neuen noch nicht erweitert mobilisierungsfähig.
Jede strategische Diskussion in der Klimabewegung muss diese Tatsache ernst nehmen und reflektieren – sonst, wie schon gesagt, ist sie reine Zeitverschwendung. Denn wir wir gleich sehen werden, lässt sich unsere bisherige Strategie mit deutlich weniger Menschen als 2019 so nicht mehr kohärent anlegen.
2. Unsere Strategien
Die Strategie, mit der wir bisher gefahren sind, haben wir basically von der Antiatombewegung “abgeschrieben” - aus gutem Grund, insofern als, wie vor zwei Wochen erklärt, der deutsche Atomausstieg einen zumindest im globalen Norden einzigartigen Erfolg einer sozialökologischen Bewegung darstellt, und “ein globales Novum etabliert (hat), nämlich, dass eine soziale Bewegung ohne signifikanten Kapitalsupport es schaffen kann, eine unwillige Regierung dazu zu zwingen, eine dreckige &/oder Hochrisikotechnologie abzuschalten (Öffnet in neuem Fenster).” Genau das wollte die Antikohle-, will die Klimabewegung, einen schnellen Kohleausstieg, unabhängig von den politischen Positionen der jeweils regierenden Parteien. Es lag in der 1. Hälfte des vergangenen Jahrzehnts also nahe, die Strategie zu kopieren, die diesen bemerkenswerten Erfolg erzielt hatte: eine aktivistische Protestbewegung organisiert
kleinere ungehorsame Blockaden (bis zu maximal 15/20.000 Teilnehmer*innen), die von der Polizei aufgelöst werden müssen, was zu Konflikten führt, die wiederum Medienaufmerksamkeit erzielen, und so diskursiven Raum schaffen (vgl. meine entsprechende Analyse der EU-Gipfelproteste/-krawalle in Göteborg, Schweden, 2001 (Öffnet in neuem Fenster)). Daraus folgt ein kleiner Hinweis an die vielen Normalitätspartisan*innen in der Tomatensuppedebatte (den “moderaten Flügel”), die immer wieder darauf hinweisen, dass man doch mit solchen Aktionen keine neuen Unterstützer*innen gewinnen könne, sondern diese nur abschrecken würde: es ist oft, tatsächlich meistens nicht die Funktion “radikaler” Aktionen (also solcher, die in Form und Inhalt deutlich über den Rahmen des Bestehenden hinausgehen & -weisen), neue Unterstützer*innen für eine Sache zu gewinnen, denn “Radikalität” schreckt immer auch ein Bisschen ab, for obvious reasons. Ihre Aufgabe ist es, medial/diskursive Räume zu öffnen, in welchen dann die verschiedenen Botschaften der Bewegung untergebracht werden können, was im Idealfall zu neuen Unterstützer*innen führt. Dies geschieht u.a. durch:
größere Demonstrationen (bis zu mehrere Hundertausend (Öffnet in neuem Fenster)), die gesellschaftliche Mehrheitsmeinungen verschieben: im Gegensatz zu radikalen, ungehorsamen Aktionen, die oft bloß “Sportberichterstattung” (event-based coverage) produzieren – wir alle kennen diese “Katz-und-Maus-Spiel zwischen Cops & Aktivist*innen”-Presseberichte – produzieren große, “friedliche” Demonstrationen tendenziell mehr inhaltliche Berichterstattung (issue-based coverage), in deren Rahmen, so z.B. die Erfahrung der antineoliberalen Gipfelproteste 1999ff., moderatere Bewegungsakteure dann ihren Job machen können, Menschen zu überzeugen, “Unentschiedene” zu “passiven Unterstützer*innen” zu machen, oder “passive” zu “aktiven Unterstützer*innen”.
Dieses Zusammenspiel von Aktion, Demo und Medienarbeit führt im Idealfall “over time” zu einer Meinungsverschiebung innerhalb der Bevölkerung, und siehe, nach 35 Jahren Antiatomkampf, nach einem regierungsoffiziell entschiedenen Atomausstieg (2001), und dem merkelschen Ausstieg aus dem Ausstieg (2010), waren 2011, als im März Fukushima explodierte, ca. ¾ der Menschen hierzulande solide gegen Atomkraft eingestellt, Resultat dieser 35jährigen gesellschaftlichen Auseinandersetzung.
Als Fukushima explodierte, kam noch ein gesellschaftlicher Zufall hinzu, es war nämlich bloß ein paar Wochen vor einer Schicksalswahl in Baden Württemberg, Stammland der Union, die dort unter Druck von Kretschmanns konservativen Grünen stand. Um BaWü nicht an die Grünen zu verlieren, und außerdem unter Druck von einer nach dem 2010er Energiemauscheldeal und eben besonders nach dem GAU in Japan wieder erstarkten Antiatombewegung, entschied die kluge Strategin Merkel kurzerhand, dass Deutschland jetzt aus der Atomenergie aussteigen würde.
Genau diese Strategie haben wir im Antikohlekampf genutzt, und genau diese Strategie, dieses freundliche (übrigens aber nicht, wie bei uns heute, unkoordinierte: es gab damals die “Gorlebenrunde”, in der von der autonomsten Zecke bis zur moderatesten NGO-Checkerin alle Teile der Bewegung miteinander diskutieren und koordinieren konnten) Zusammenspiel verschiedener Taktiken und der Androhung erheblicher elektoraler Kosten im Falle des Nichtumsetzens unserer Bewegungsforderungen. Genau diese Strategie ist, *aus klimapolitischer Sicht*, in der Kohlekommission, und wieder 2019, und wieder 2021 gescheitert. Jetzt sind wir eine, sagen wir mal, um ¾ reduzierte Bewegung, die zusätzlich noch das gesellschaftliche “Momentum” nicht mehr auf ihrer Seite hat. Warum also dieser lange Ausflug in die Strategiegeschichte? Um denjenigen, vor allem auf dem moderaten Flügel der Bewegung, die es sich, wie Scientists For Future, leicht machen, wenn sie sagen: “es gibt verteilte Rollen in der Bewegung, wie damals im Antiatomkampf, und unsere Rolle ist es, Papers zu schreiben, die Feuerwehr anzurufen, und mehr Information zu produzieren – soll doch der radikale Flügel seine Rolle wahrnehmen, Gesetze brechen, die eigene Sicherheit riskieren, etc.” zu zeigen: liebe Leute, Ihr redet Mist, denn ihr bezieht Euch in dem, was ihr sagt, auf eine schon einmal gescheiterte Strategie, und versucht jetzt, diese gescheiterte Strategie mit deutlich weniger Ressourcen/Truppen nochmal zu fahren. Das muss scheitern, und das weiß der moderate Flügel eigentlich auch – oder vielmehr, wüsste es, wenn es auch dort nicht mittlerweile mehr um Verdrängung, als um realistische, d.h. radikale Klimastrategie ginge. Denn im Grunde wissen wir alle: die Frage des “Bruchs” - des praktischen, des habituellen, des politischen – mit der Normalität wird sich uns allen bald stellen, und ich habe Angst, auf welcher Seite am Ende viele unserer “Moderaten” stehen werden.
Im Kern geht's darum: wir sind, aus klimapolitischer Perspektive, genau so gescheitert, wie es Regierungspolitiken sind. Das bedeutet, wir müssen, wie wir es von der anderen Seite auch fordern, unser “business as usual” (der Flügel macht das, der andere jenes) überdenken. Sonst machen wir's auch nicht besser, als diejenigen, die seit Jahren “marktbasierte Lösungen” pushen, obwohl sich diese als völlig irrelevant erwiesen haben.
Mehr dazu in 2 Wochen. Bis dahin alles Gute, und danke für Eure Geduld,
Euer Tadzio
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