Zum Hauptinhalt springen

Debranding statt “Volksfront von Judäa”: schafft 2, 3, viele lokale Aktionsforen!

(Screenshot aus dem Kultfilm Life of Brian von Monty Python. Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=a0BpfwazhUA (Öffnet in neuem Fenster))


Liebe Leute,

von den Rechten lernen, heißt Siegen lernen.

Don't take it from me, take it from the fact, dass die Rechten derzeit mehr gewinnen, als verlieren, nicht nur in Bayern und Sachsen, auch in Deutschland und Europa, und der ganzen Welt (die rechten Niederlagen in Spanien, Polen und den 2022 US-midterms sind relevant, dazu aber mehr in einem anderen Text). Damit meine ich nicht “lasst uns so werden, wie die Rechten” (also patriarchale, nationalegoistische Arschlöcher), sondern “was machen die eigentlich strategisch richtig, was wir gerade nicht auf die Reihe kriegen?”

Tatsächlich ist es so, dass seit jeher der Kampf zwischen Faschismus und Antifaschismus, zwischen Rechts und Links, nicht nur gegeneinander verläuft, sondern auch voneinander lernt (und nein: das ist keine Neuauflage der Hufeisentheorie: ich würde auch von den Grünen lernen, wenn's da was zu lernen gäbe). Marx lernte vom Christentum (die hegelsche Dialektik entstammt der spätmittelalterlichen Scholastik), Gramsci vom Katholizismus. Rechte Strategen wie Steve Bannon wiederum lesen Gramsci, von dem sie den Fokus auf “kulturelle Hegemonie” lernen, und Alain Badiou, von dem sie ihren Fokus auf “Metapolitik” haben, auf den Versuch, die den politischen Prozessen zugrundliegenden Werte zu verschieben, und so across the board politische Erfolge wahrscheinlicher zu machen. Und links wie rechts werden Ernesto Laclau und Chantal Mouffe gelesen, die in ihrem unter orthodoxen Marxist*innen zu Unrecht in Verruf geratenem Hauptwerk Hegemonie und sozialistische Strategie zwei Begriffe einführen, die für uns im Folgenden wichtig sind: Leerer Signifikant, und Äquivalenzkette.

Rechte Erfolgsstrategien: Alle auf Grün

Also: nicht “drauf setzen”, sondern “draufhauen”.

But first things first, erstmal wieder auf Anfang. Und der Anfang einer großen, populistischen Mobilisierung (Hinweis: ich nutze den Begriff populistisch nicht pejorativ, sondern deskriptiv, im Sinne einer bestimmten Beziehung zwischen der Populistin und “der Masse”) liegt in der Schaffung eines “leeren Signifikanten” (Übers.: einer “Leerformel”), der sozusagen das Fundament oder den Knotenpunkt eines Projekts oder Diskurses darstellt. Und weil Politik nunmal von Antagonismus, von Kampf und Konflikt handelt (Max Webers Definition: Politik ist der Versuch, Einfluss auf die Verteilung von Macht zu gewinnen, und das tut man natürlich im Konflikt mit anderen, die ebenso Einfluss haben wollen), braucht ein politisches Projekt einen leeren Signifikanten, der den “allgemeinen Antagonisten” des Projekts darstellt, in den man alles Schlechte auf dieser Welt hineinprojizieren kann (dies ist, interessanterweise, eine sehr viel effektivere Strategie, als das Schaffen eines “positiven” Signifikanten, denn über das, was man will, lässt es sich viel leichter zerstreiten, als darüber, was man nicht will – take that, you “positive narrative”-types ;)).

Der leere Signifikant

Wie könnt Ihr Euch das vorstellen? Ein bekanntes Beispiel ist die Mobilisierung von Podemos, der u.a. aus den Platzbesetzungen 2011ff. hervorgegangenen Partei, die eine Zeitlang “drohte”, das politische System Spaniens komplett durcheinander zu bringen. Podemos mobilisierte gegen “la casta”, die aus dem ziemlich weird verlaufenen Demokratisierungsprozess Spaniens nach der faschistischen Franco-Diktatur entstandene, als zutiefst korrupt und selbstreferentiell geframte “politische Klasse” des Landes. El pueblo contra la casta, das Volk (im spanischen kein rechter Begriff) gegen die Elite, der klassische populistische Move. Auch der durchgeknallte “Anarchokapitalist” Javier Milei, der gerade versucht, Präsident Argentiniens zu werden, mobilisiert gegen “la casta”. In den USA griff Donald Trump den “Sumpf” Washingtons an, und im UK sagte Tory Fürst Michael Gove den grandiosen Satz “people are tired of experts”. Wir Guten hier unten gegen die Bösen da oben.

Der dominante “leere Signifikant” der globalen Rechten ist derzeit der “wokeismus”, aber hier in Deutschland gibt's wie üblich einen Sonderweg, hier ist das, was in den USA und dem UK der Kampf gegen “woke” ist, der Kampf gegen “Grün”. Und nein, damit meine ich nicht nur die Partei “Bündnis 90/die Grünen”, die aber als Regierungspartei und “Eigentümerin” des Labels grün besonders im Schussfeld steht (weil halt ganz oben, in der Regierung, und gegen oben lässt sich populistisch gut mobilisieren). Nein, grün ist ein “leerer Signifikant”, in den alles (aus rechter, aus Arschlochperspektive) schlecht ist, hineinprojiziert werden kann: grün ist vegan ist trans ist homo ist feministisch ist postkolonial ist gegendert ist Lastenrad ist erneuerbar ist Hafermilch ist “Guavendicksaft” (h/t Markus Lanz) ist kommunistisch ist Postwachstum ist Umverteilung ist Sprachpolizei ist Einwanderung ist Fahrradweg ist Schnitzelverbot... You get the idea. Im Kern dessen, wo der Begriff “grün” steht, ist das Gefühl, dass Rechte bestimmte Privilegien angegriffen sehen, an die, egal, wie illegitim sie mal begannen, man sich gewöhnt hat (im Kern: den nur durch das eigene Einkommen begrenzten Zugriff auf Alles und Alle in der Welt, das Geburtsrecht des reichen weißen Mannes).

Rechte Äquivalenzketten

Um diesen leeren Signifikanten herum, so das Playbook des Populismus according to Laclau and Mouffe (übrigens ein Playbook, aus dem ich mir gelegentlich auch ein paar Moves herausnehme), baut man als nächstes eine “Äquivalenzkette” (eine Aneinanderreihung strukturell unterschiedlicher Elemente, oder in unserem Fall: Meinungen, Millieus, Bewegungen), in der sich u.U. völlig unterschiedliche “Projekte” miteinander verbinden können, verbunden durch die Macht des gemeinsamen Antagonismus. So lernen Menschen, die gegenüber Corona-Impfungen skeptisch waren, auch die Klimawissenschaft in frage zu stellen, und als nächstes, trans Menschen in frage zu stellen, gar zu hassen; sie lernen, dass Schnitzelverbote, Fahrradwege und Feminismus zusammengehören, und daher Omnivoren, Autofahrende und solche, die “Emanzen” hassen alle miteinander auf der selben Seite stehen, gegen den selben Feind kämpfen, und im populistischen Idealfall entsteht aus diesem Antagonismus dann auch eine positive Bestimmung des Ziels, im Fall der heutigen antigrünen Rechten würde ich dieses Ziel als die “Arschlochgesellschaft” beschreiben, auch wenn die selbst sicherlich eine andere Benennung wählen würden ;)

Wie “baut” man so eine Kette? Natürlich würde ich als eitler “Intellektueller” jetzt gerne schreiben: “durch diskursive Praxis”, also durch immer wieder die selben Formeln wiederholen, weil, irgendwann werden die durch bloße Wiederholung zur Wahrheit. Aber ganz so einfach ist populistische Politik nicht, es braucht nicht nur Worte, es braucht auch und vor allem Orte, an denen die “Wahrheit” der populistischen Sprechakte ge- und erlebt werden kann. Der Sprung vom gerne Schnitzel essen zum “ALLE VEGANER SIND KOMMUNISTEN, DIE UNSERE AUTOS UND UNSEREN WOHLSTAND WEGNEHMEN WOLLEN, SIE SOLLTEN ALLE INS LAGER!!!” ist für Manche weiter, als für Andere, und deshalb braucht es offene Orte des Austauschs, in denen Dinge (Meinungen, Statements, Handlungen) normalisiert und verallgemeinert werden, die bisher für die meisten dort neu waren.

Und wo haben die Rechten diese Orte geschaffen? Ich kann das nicht mit Sicherheit sagen (weil: nicht mein Spezialgebiet), glaube aber, dass es die regelmäßigen “Montagsspaziergänge” der “Querdenker” waren, die diese Funktion übernommen haben, die vielleicht gerade dafür immer wieder, teilweise auch nur mit ein paar sehr vereinzelten Hanseln, durchgeführt wurden. Während wir zu Hause saßen, trafen die sich, hetzten gegen den leeren Signifikanten, und bastelten fleißig Äquivalenzketten, die – vgl. “Coming Out der Arschlochgesellschaft” - dieses Jahr in die Offensive übergingen: eine Offensive, in der die Öffnung jeder neuen Front den rechten Angriff stärkt und mit mehr Zunder unterfüttert.

Reminder: in dieser rechten Offensive steht alles auf dem Spiel, was die großen progressiven Bewegungen der letzten, say, 170 Jahre erkämpft haben: in den USA wird das allgemeine Wahlrecht jetzt schon hart eingeschränkt, erkämpfte Rechte wie das auf Abtreibung gekippt, werden Migrant*innen ihre Menschenrechte aberkannt, was natürlich auch in der EU passiert, eigentlich überall, wo es Privilegien zu verteidigen gibt. Und hierzulande? Der Atomausstieg und der Kohleausstieg werden regelmäßig angegriffen (zuletzt von Chrissi Lindner), trans Menschen sollen aus dem öffentlichen Raum (und manchmal aus dem Leben) verdrängt werden, CSDs werden angegriffen, Klimaziele sollen gekippt werden, in Berlin werden von der Stadtregierung illegal Fahrradwege zurückgebaut, das Tempelhofer Feld-Gesetz soll zur zukünftigen Bebauund aufgebohrt werden... Ich könnte mich jetzt in einer meiner üblichen Aufzählungen verlieren, but you get the idea: die rechte Äquivalenzkette ist höchst handlungsfähig und gemeinsam effektiv.

___________

Ich finanziere meine politische Arbeit vor allem über diesen Blog, und wäre dankbar für Deine Unterstützung

___________

Die Klimabewegung: Debranding statt V (Öffnet in neuem Fenster)olksfront von Judäa

Während die Rechten es also schaffen, im Kern völlig wesensfremde Affekte und Kämpfe mit (Öffnet in neuem Fenster)einander zu verbinden, steuert die Klimabewegung (Öffnet in neuem Fenster)gerade auf eine Situation zu, in der wir so gespalten sind, dass zwei sich historisch sehr nahestehende Organisationen (LG und Extinction Rebellion) nicht in der Lage sind, sich auf ein gemeinsames Aktionsdatum für Aktionen gegen fossile Subventionen zu einigen, obwohl beide aus Holland inspiriert wurden, beide zum ungehorsamen, “klimaradikalen” Flügel der Bewegung gehören, allerlei persönliche Querverbindungen existieren, und der diplomatische Dienst der Klimabewegung ordentlich gerödelt hat, um die beiden auf ein und das selbe Datum zu bringen. Won't happen, wir werden am 25.11. und am 9.12. zwei verschiedene Aktionen zur selben Kampagne mit verschiedenen Sprechs haben (!?), und unsere Aufgabe ist jetzt, dafür zu sorgen, dass die nicht gegeneinander ausgespielt werden können.

Und jetzt kommt mein populistischer Move: “Hey Ihr großen Organisationen, Ihr Fridays und LG, ihre XR und Ende Gelände, ihr BUND und wer sonst noch – kommt mal von Euren hohen organisatorischen Rossen runter, wir hier unten an der Klimabasis haben überhaupt keinen Bock auf dieses ganze Organisationsgehabe, dieses zwanghafte Labelling von Aktionen unserer zwei dominanten Akteure als FFF oder als LG; wir haben auch keinen Bock auf dieses Herumgezerre über Aktionskonsense, und die scheinbar unendliche Zeit, die es braucht, verschiedene Aktionskulturen miteinander zu integrieren. Wir – und das ist nicht nur populistisches Gefasel, das entspringt sehr, sehr vielen Einzelgesprächen, die ich in den letzten Wochen auch im den 28.10. herum geführt habe – wir an der Basis, unterhalb, zwischen und neben den großen Organisationen wollen, dass wir Klimas uns alle mal zusammensetzen, ohne Labels und einladende Großorganisation, und wir Eure Köppe zusammenknallen können, damit Ihr aufhört, so ne Scheiße zu machen wie 25.11. & 9.12., oder, noch schlimmer, die sich zwanghaft voneinander absetzende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verschiedener großer Klimaakteure (ja, ich meine hier einerseits FFF, aber auch die LG hat mehr Absetzungs- und Distinktionsrituale, als ich je bei einer politischen Gruppe erlebt habe.

Wer sich die LINKE in den letzten Jahren von außen angeschaut hat (wenn von innen: mein Beileid) wird gemerkt haben, wie unattraktiv ein Haufen ist, der sich scheinbar vor allem streitet und gegenseitig zerlegt, und in einer Zeit, wo die Verdrängungsgesellschaft vor lauter Klimamüdigkeit zur Arschlochgesellschaft tendiert, ist es natürlich besonders attraktiv, sich von uns abzuwenden, weil wir so gespalten und irrelevant aussehen (wie wir es auch weitgehend sind). Dazu kommt, dass die großen Gruppen derzeit kaum in der Lage sind, über ihre Kernbelegschaften hinaus zu mobilisieren, weshalb Aktionen mit Organisationslogo tendenziell kleiner bleiben werden, als solche, die aus der Klimabewegung kommen, die nicht nur ihre eigenen Leute, sondern zumindest potenziell und in der Intention alle Klimas anspricht.

Was es also dringend braucht ist ein DEBRANDING von Aktionen und Prozessen (also: das Organisieren von Prozessen und Aktionen, die nicht immer direkt unter dem Label und der Kontrolle einer bestimmten Organisation stehen), und XR hat da schonmal einen guten Aufschlag gemacht, indem sie die ganzen Kampagnenmaterialien zu “Fossile Subventionen Stoppen” (der Slogan, den die Holländer*innen so effektiv genutzt haben) zwar in XR-Bildsprache, aber ohne XR-Logo produziert haben. Danke, XR, das ist vorbildlich – im Wortsinne von “da sollten sich Andere ein Vorbild dran nehmen” (bes. FFF & LG).

Linksgrünversiffte Äquivalenzkette?

Um so etwas hinzukriegen, so einen populistischen “wir treiben die Großorgas vor uns her”-Moment, dachte ich eine zeitlang, wir bräuchten lokale “Klima Aktions Plena” anstatt der einzelnen Gruppenplena, einen nicht gebrandeten Ort, wie alle aktionswilligen und -fähigen Klimas zusammenkommen könnten, in den Orgas ihre Kampagnen einbringen und vorschlagen könnten, die dann dort aber nicht zerredet würden, sondern einfach die Menschen sich beteiligen könnten, die darauf Lust hätten – mit drei Bedingungen:

  • erstens müsste die Kampagne “debranded” sein;

  • zweitens müsste sie Aktionen beinhalten, die über bloße Demos hinausgehen;

  • drittens müssten sie offen designed sein, d.h. keine “take it or leave it”-Sachen.

Und ich finde weiterhin: genau solche Klima Aktions Plena sollten sich in den Städten gründen, in denen mehrere Klimaakteure um schrumpfenden Raum konkurrieren. Leider würde das aber nichts am schon oft artikulierten Grundproblem ändern, dass der Kampf für eine weniger klimaungerechte Zukunft in reichen Ländern immer hart minoritär (“minderheitlich”) sein wird, weshalb “nur” für die und in der Klimabewegung neue Orte der Gemeinsamkeit zu schaffen, nicht hinreichend sein, uns nicht ausreichend handlungsfähig gegen die Rechten machen wird.

Daher schlage ich außerdem vor, dass wir solche gemeinsamen, offenen, “debranded” Aktionsforen nicht nur fürs Klima brauchen: sondern, wir brauchen etwas, das wir der rechten Äquivalenzkette entgegensetzen können, wir brauchen unsere eigene, linksgrünversiffte Äquivalenzkette, was wiederum auch heißt, Orte zu schaffen, an denen wir uns alle wohlfühlen können, Linksradikale Klimas und bürgerliche Fahrrad-Ultras, Mietaktivist*innen und diejenigen, die das Tempelhofer Feld verteidigen wollen, die anti-A100-Bewegung, etc... (entschuldigt den Berlin-Fokus, it'll work the same way where you are).

In dem Sinne, und um diesen jetzt schon wieder viel zu langen Text zu Ende zu bringen: schafft lokale Klima-, oder aber noch breiter aufgestellte Aktionsforen, ansonsten machen uns die Rechten mit ihrer uns absolut überlegenen Einheitsstrategie durch Grünhass platt.

Mit solidarischen und überraschend hoffnungsvollen Grüßen,

Euer Tadzio

p.s.: willkommen an die vielen neuen Leser*innen – und eine kleine Bitte, überlegt Euch doch, ob manche von Euch von Leser*innen zu Unterstützer*innen werden können und wollen. Hier der Link: https://steadyhq.com/de/friedlichesabotage/about (Öffnet in neuem Fenster)

Vielen Dank!

3 Kommentare

Möchtest du die Kommentare sehen?
Werde Mitglied von Friedliche Sabotage und diskutiere mit.
Mitglied werden