WeinLetter #86: Sind Sommerweine ein Erfolg? Mit 5 Tipps aus Deutschland und Italien
Liebe Wein-Freund:in,
Du liest den WeinLetter #86. Heute gibt’s: Sommerwein. Mit fünf Tipps aus Deutschland und Italien. Aber ohne Riesling und ohne Rosé. Jetzt ist Wein ja zunächst kein saisonales Produkt. Ist ja kein Spargel. Oder keine Erdbeere. Oder kein Grünkohl. Wein ist ein Jahrgangs-Projekt. Also gibt es überhaupt Sommerwein? Jetzt abseits der Klischees: Sommerwein muss spritzig, leicht und kühl sein. Und im Winter trinkt man Rotwein und im Sommer Weißwein. Schöne Sch…e! Pinot Noir von Armaud Rousseau nur im Winter! Kapiert! Im Ernst: Sommerwein ist ein Marketing-Move, den die Winzer:innen in Deutschland auch jetzt in ihren Sommer-Newslettern großflächig verwenden – zurecht? Funktioniert das? Laura Ehm ist Marketing-Professorin am Weincampus in Neustadt an der Weinstraße. Mit ihr habe ich über das Prinzip Sommerwein gesprochen. Sie sagt: „Das funktioniert nicht, wenn man irgendwelche Restbestände ohne Konzept als Sommerwein verkauft.“ Sondern: „Es funktioniert, wenn ich das Thema Sommerwein in meine Produktentwicklung verankere.“ Wie das gehen kann und wie nicht – das alles gibt’s in diesem Sommer-WeinLetter. +++ Plus: Meine persönlichen 5 Sommerwein-Tipps. Cliffhanger: Es ist kein Rosé dabei! +++ Viel Spaß beim Lesen! Und jetzt empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied! Aber vor allem:
Trinkt friedlich!
Euer Thilo (der sich jetzt mal kurz in den Urlaub verabschiedet. Mal schauen, was ich an Urlaubsweine wieder mitbringe!)
Sommerwein in the City FOTO: DEUTSCHES WEININSTITUT
So kann Sommerwein ein Erfolg werden (obwohl es keinen Sommerwein gibt)
von Thilo Knott
Es gibt keinen Sommerwein. Wein ist kein saisonales Produkt. „Schokolade ist auch kein saisonales Produkt“, sagt Laura Ehm, Professorin für Marketing am Weincampus in Neustadt an der Weinstraße. „Und doch legen wir uns die Erdbeer-Joghurt-Schokolade im Sommer in den Kühlschrank“, sagt sie. Warum? „Weil saisonale Varianten Erfolg haben bei Konsumentinnen und Konsumenten.“ Denn Menschen suchen nach Abwechslung.
Variety Seeking, heißt das in der Konsumforschung, die Sehnsucht nach Abwechslung, das das Konsumverhalten prägt. Insofern: Sommerwein kann das auch – wenn? Es gibt ein paar Prämissen und Erkenntnisse, die man beachten sollte als Weinproduzent:in.
1. Die Deutschen geben nix aus für Wein. Eine Chance für den Sommerwein?
„Es gibt die 10-Euro-Schwelle“, sagt Laura Ehm. Die große Mehrheit der Wein-Konsument:innen gibt nicht mehr aus für eine Flasche. Die 10-Euro-Grenze ist für viele prinzipiell ein Hindernis, zur Flasche Wein zu greifen. Heißt für unseren Sommerwein: Er muss auf jeden Fall drunter liegen. 7,50 Euro für einen Rosé, der immer mit Sommer verbunden wird? Laura Ehm sieht hier für die Weingüter vor allem eine Chance: „Erschwingliche Sommerweine können ein niedrigschwelliger Einstieg in den Weinkonsum sein.“ Heißt: “Weingüter können so ihr Sortiment sinnvoll erweitern.“ Das betreffe nicht nur den Sommer. Man müsse kleinteiliger und damit gezielter arbeiten. „Ein alkoholfreier Sekt für den Dry January würde das Sortiment auch sinnvoll definieren“, sagt Laura Ehm.
2. Sommerweine sind nicht dazu da, das Lager zu leeren.
Sagt Laura Ehm. „Es funktioniert nicht, wenn man irgendwelche Restbestände ohne Konzept als Sommerwein verkauft.“
3. Sommerwein muss Teil der Produktentwicklung sein.
Gerade gibt’s den Sommerling. Den Sommerling macht das Sekthaus Winterling. Got it mit der Produktentwicklung? Nicht nur wegen des Namenswitzes zeigt das Beispiel: „Dieses saisonale Getränk ist Ergebnis einer saisonalen Produktentwicklung“, sagt Laura Ehm. Mit 12,50 Euro ist der Sommerling der günstigste Brut von Winterling. Beschrieben wird er als prickelnd, erfrischend, zitrisch. Wer eher auf Crémant steht, wird das vielleicht nicht mögen. Aber es gilt ja immer, neues Publikum zu generieren.
“Die Deutschen stehen auf Rabatt”: Laura Ehm, Professorin für Marketing. Sie hat schon im WeinLetter #25 Wein-Marketing-Trends prognostiziert (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) FOTO: WEINCAMPUS NEUSTADT
4. Qualität reicht nicht – es braucht eine Story gerade bei Sommerwein.
Die Weinbranche besteht ja nicht nur aus VDP-Weingütern und Erste-Lagen-Produzenten. Es gibt viele Weingüter, die eher normale Landwirtschaftsbetriebe sind. Deshalb sagt Laura Ehm: „Es schaffen nur wenige Weingüter, sich ausschließlich über die hohe Qualität des Weins zu definieren.“ Heißt für die Sommerwein-Frage: „Hier lohnt es sich kaum, einen High-End-Bereich zu vermarkten.“ Sondern? Laura Ehm nennt „Sommer-Love-Pakete“, die sie gelungen findet, mit Sauvignon Blanc, Rosé und einem anderen Weißwein. „Vielleicht mit einem Rabatt versehen”, sagt Laura Ehm, „die Deutschen stehen auf Rabatte“. Positiv fallen ihr auch immer die Grillwein-Pakete ein. „Normalkonsumenten benötigen manchmal eine Hilfestellung, um zum Wein zu kommen“, sagt Laura Ehm.
5. Sekt geht immer im Sommer.
Wein oder Sekt sind kein „Normal-Produkt“, sagt Laura Ehm. Wein oder Sekt wird - anders als Bier . noch häufig anlassbezogen getrunken. Also: Hochzeiten, Feste, Geburtstage, Betriebsfeiern. Nur bei Sekt scheint sich der Konsum zu „normalisieren“. Man trinke Sekt im Sommer „auch mal so“. Gerne auch in der alkoholfreien Variante. Gerade Sekt eigne sich auch für Events im Sommer. „Sommer in der Flasche“ nennt sie dabei das Gefühl. Denn Laura Ehm sagt zu einem Prinzip für Sommerweine: „Wir müssen ein Gefühl auch vermarkten und eine Geschichte erzählen, an der die Konsumenten teilnehmen können.“
Mehr Sommer im WeinLetter
Fünf Sommerwein-Tipps aus Deutschland und Italien – ohne Rosé und Riesling
von Thilo Knott
Ob die ganzen Attribute prickelnd, erfrischend oder zitrisch jetzt auf meine Auswahl an “Sommerweinen” passen? Wenn tatsächlich eine psychologische 10-Euro-Schwelle beim Kauf von Wein existiert, dann liegen immerhin die drei deutschen Wein-Tipps drunter. Die Italiener ein bisschen drüber - es lohnt sich trotzdem. Hier sind meine fünf Sommerwein-Empfehlungen:
Sommerwein 1: Weingut Hanspeter Ziereisen: Heugumber, Gutedel, 2022, 10 % Vol. Alc., 9,80 Euro ab Hof.
Ich hatte noch einen famosen 2018er im Keller: Heugumber vom Weingut Hanspeter Ziereisen FOTO: THILO KNOTT
Hanspeter Ziereisen ist ja quasi ein Synonym für Gutedel. Kein Winzer auf diesem Planeten hat diese eigentlich eher schnöde, badische Zech-Rebsorte so an ihre qualitativen Grenzen getrieben wie der Mann aus Efringen im Markgräflerland. Der „10 hoch 4“ hat als erster Gutedel 100 Punkte im Weinführer Gault&Millau erhalten. Herausragend ist vor allem sein Portfolio an Gutedeln, das auf 7 verschiedene Ausarbeitungen kommt.
Am Anfang steht der Heugumber, etymologisch-markgräflerisch gleichzusetzen mit dem Grashüpfer, der mit 10 Volumenprozent Alkohol das Sommerwein-Kriterium „leicht“ erfüllt, aber das Gegenteil eines Leichtgewichts ist. Im großen Holz vergoren und 20 Monate auf der Hefe belassen, bringt er schon eine tiefgründige Struktur mit. Dann erscheinen Birne, Heu, grüne Früchte. Und er hat null Gramm Restzucker, ist brutal trocken. Und vor dem ersten Schluck benötigt er Luft, viel Luft. Aber hat man ja draußen viel – denn der Summer is in the City.
Sommerwein 2: Weingut Zehnthof Luckert: Silvaner, 2023, 12,5 % Vol. alc., 1-Liter-Flasche, 8 Euro ab Hof.
Die Basis eines erstaunlichen Silvaner-Portfolios: Liter-Silvaner vom Weingut Luckert aus Sulzfeld FOTO: THILO KNOTT
Die Silvaner vom Weingut Zehnthof Luckert sind famos. Sie zeugen davon, dass diese Rebsorte ihren Rückstand auf ihre Konkurrentin Riesling eindeutig verkürzt hat. Auch hier beginnt die Qualitätspyramide im Basisegment auf recht hohem Niveau für diesen Preis. Ich griff hier zur Literflasche. Dieser Liter-Silvaner liegt mit 12,5 Volumenprozent Alkohol höher als der Heugumber. Er ist nicht so trocken wie der badische Kumpel.
Aber er ist gleichsam von hoher Einsteiger-Qualität. Spontanvergoren, im traditionellen Eichenstückfass ausgebaut, malolaktische Gärung. Daher kommt die feine Balance aus Säure und Schmelz, die sich durchs ganze Portfolio zieht. Es ist die Burgunderisierung des Silvaner, wie ich es im WeinLetter schon einem beschrieben habe. Und diese Wende fängt eben im Basissegment an. Immer aufmachen, den Hauch von Birne genießen – denn es ist Sommer.
WeinLetter #1: Die Renaissance der Liter-Weine (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Sommerwein 3: Weingut Vietti: Roero Arneis, 2023, 13,5 % Vol. alc., zirka 16 Euro digital erhältlich.
Arneis ist eine autochthone Rebsorte aus dem Piemont: Der Roero Arneis vom Weingut Vietti FOTO: THILO KNOTT
Arneis ist mir eine der liebsten Weißwein-Rebsorten, die außerhalb Deutschlands angebaut werden. Gut, Chardonnay aus dem Burgund gibt’s natürlich auch so nicht in Deutschland – denn einen Meursault gibt’s halt nicht in Nierstein oder Wachenheim. Es gibt ja auch keinen Nierstein oder Wachenheim wie es einen Meursault gibt. Das haben die Franzosen schon gut hinbekommen. Aber jetzt wird’s zu kompliziert und wir gehen wieder zurück zum Arneis aus dem piemontesischen Anbaugebiet Roero.
Ich mag den Arneis des Weinguts Vietti am liebsten. Vietti produziert eigentlich hauptsächlich Rotweine und weist eine sehr gute Barolo-Linie auf. Aber ihr Arneis ist auch sehr gut. Vielleicht nicht so durchstrukturiert wie der von Bruno Giacosa, aber das Preis-Genuss-Verhältnis ist top. Und geschmacklich ist es: Am Samstagmorgen einmal mit der Nase den Obststand auf dem Markt von Canale entlang riechen. Zitronen- und Orangenzesten, Aprikose, Pfirsich, es hört nicht auf. Das passt gut zu seiner Mineralik. Da fragt man sich in Gesellschaft eigentlich nur, wer die nächste Flasche Arneis aufmacht – quando quando quando.
Sommerwein 4: Weingut Wöhrwag: Trollinger „Rädles“, 2022, 11,5 % Vol. alc., 8:50 Euro ab Hof.
Ein sau-ehrlicher Wein: Trollinger Rädles FOTO: WEINGUT WÖHRWAG
Und da sage bei diesem Trollinger vom Weingut Wöhrwag in Stuttgart-Untertürkheim noch einer: Die Deutschen können keinen Rosé! Ich behaupte das immer. Die Deutschen mögen Rosé. Sie mögen aber diese südfranzösischen Brad-Pitt-Angelina-Jolie-Als-Sie-Noch-Ein-Paar-Waren-Rosés. Provence ist die Benchmark. Und da kommen die Deutschen mit ihren Rosés nicht hin. Jetzt aber zum Trollinger, der so hell ist, dass man den Glasboden gut sehen kann. Da habt ihr euren Rosé!
Also wenn es eine Sommer-Rosé-Empfehlung von mir gibt, dann den Trollinger „Rädles“. Es ist ein sau-ehrlicher Wein. Er gibt gar nicht erst vor, dass er Großes Gewächs kann. Oder wie es Hans-Peter Wöhrwag einmal im #WeinLetter über seinen Trollinger gesagt hat: „Du kannst aus einem Trollinger nichts zaubern. Das gibt die Traube nicht her.“
Was er aber hat? Er hat die entsprechende Frische durch die Säure und Süße von beerigen Früchten. Und man kann den Trollinger „Rädles“ ruhig runterkühlen auf Rosé-Kälte. Das passt perfekt zu Gegrilltem. Fehlt dann nur noch: ein Bett im schwäbischen Kornfeld.
WeinLetter #6: Trollinger. Geht’s noch? Mit sechs Tipps! (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Sommerwein 5: Cantina Endrizzi: Teroldego Rotaliano Reserve, 2019, 13 % Vol. alc., digital für ca. 17 Euro erhältlich.
Paolo Endrizzi hat mir den Teroldego nahegebracht: Teroldogo Riserva von der Cantina Endrizzi FOTO: THILO KNOTT
Die Trollinger-Rebsorte kam ja ursprünglich von Südtirol nach Württemberg. Sie heißen dort: Vernatsch. Insofern ist der Württemberger Trollinger keine autochthone Rebsorte. Wenn man Südtirol südlich verlässt, kommt man ins Trentino. Und da gibt’s eine ähnliche Traube, wie den Vernatsch: den Teroldego.
Der Teroldego war ursprünglich eine extrem dicke Tafeltraube. Doch irgendwo in den Bergen hat die große Meisterin des Teroldego, Elisabetta Foradori, noch kleinbeerige Rebstöcke gefunden. Sie hat die Rebstöcke mit den dicken gegen Rebstöcke mit den kleinen Beeren komplett ausgetauscht. Seitdem ist Teroldego auch international vermarktbar geworden.
Neben der Familie Foradori gibt es für mich noch zwei Top-Winzer des Teroldego: das Weingut Zeni Schwarzhof – und die Cantina Endrizzi. Ich habe Paolo Endrizzi, den Senior des Weinguts, in den Nullerjahren in Reutlingen bei einer Weinmesse kennengelernt. Er hat mir den Teroldego nahegebracht. Seitdem hat mich diese Weinsorte nicht mehr verlassen. Die Endrizzis produzieren einen Basis-Teroldego. Dann den Top-Teroldego Gran Masetto, der leicht angetrocknete Beeren verarbeitet und einen Giganten hervorbringt.
Hier geht es um den Teroldego Superiore Reserve, der dazwischen liegt und den ich hier empfehle. Weil er mit etwas mehr Tanninen ausgestattet ist und diese Gegend so auf den Punkt bringt: Diese Gegend unterhalb der Dolomiten verbindet ein mediterranes Klima und ein Bergklima, was diesen Weinen so dunkelbeerig-fruchtig und gleichzeitig minzig-mineralisch daherkommen lässt. Auch hier gilt wieder: Aus dem Kühlschrank trinken. Warm wird er im Sommer ja ohnehin. Azzuro!
WeinLetter #10: Warum die Rebsorte Teroldego eine Granato ist! (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
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