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Kommentar zu EU und Pestiziden: Das ist pures Gift

Ein Kommentar von Franz Untersteller, Minister a. D.

"Hoher ökologischer Nutzen und wertvoller Lebensraum": Die Neckarterrassen sind ein Kulturgut des deutschen Weinbaus FOTO: FRANZ UNTERSTELLER

Sieht man einmal von dem ein oder anderen Hardcore-Lobbyisten ab, wird heute von niemand mehr ernsthaft bestritten, dass diverse Mittel aus der Giftküche der Chemiebranche zum Rückgang der Artenvielfalt bei Kleinlebewesen wie Insekten, Käfern oder Schmetterlingen beigetragen haben. Dass dies wiederum für die Bestäubung von Pflanzen ebenso gravierende Folgen hat wie für die Vogelwelt, der damit die Nahrungsgrundlage entzogen wird, ist vielfach wissenschaftlich belegt und beschrieben. Völlig zurecht wurden die Forderungen in den vergangenen Jahren immer lauter, dieser fatalen Entwicklung endlich Einhalt zu gebieten. Und die Politik hat an verschiedenen Stellen reagiert.

So sieht beispielsweise das als Reaktion auf das seinerzeitige Volksbegehren „Rettet die Bienen“ 2020 in Baden-Württemberg beschlossene Biodiversitätsstärkungsgesetz vor, den Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel im Südwesten bis 2030 um 40 bis 50 Prozent zu reduzieren und deren Anwendung in privaten Hausgärten ebenso wie in Naturschutzgebieten zu untersagen. Ganz ähnlich lesen sich die Anforderungen in dem ein Jahr später auf Bundesebene in Kraft getretenen „Gesetz zum Schutz der Insektenvielfalt“.

Nicht mal der ökologische Weinbau kommt ohne Pflanzenschutzmittel aus

Ganz neue Töne schlägt nun die EU-Kommission mit dem Ende Juni vorgelegten Entwurf einer „Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln“ an. Mit dem Vorschlag wird die seit 2009 bestehende Pflanzenschutzmittelrichtlinie zu einer Verordnung umgewandelt, wodurch die darin enthaltenen Regelungen unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat Geltung erlangen. Und diese haben es in sich: Zwar möchte auch Brüssel den Pflanzenschutzmitteleinsatz – in dem Fall EU-weit - bis 2030 um 50 Prozent reduzieren, schlägt aber zur Umsetzung ein Anwendungsverbot für jegliche Art von Pflanzenschutzmittel in „empfindlichen Gebieten“ vor. Dies soll wohlgemerkt auch für biologische (!) Pflanzenschutzmittel gelten. Unter die Rubrik „ökologisch empfindliche Gebiete“ subsumieren die Autoren des Kommissionsentwurfs nicht nur die oben genannten Naturschutzgebiete, sondern auch Landschaftsschutz- und Wasserschutzgebiete, Vogelschutzgebiete und die sogenannten Natura-2000 bzw. FFH-Schutzgebiete.

Weinberge von Hedwig und Helmut Dolde rund um Neuffen: Die Schwäbische Alb ist ein Natura-2000-Gebiet - und Pflanzenschutzmittel wären verboten FOTO: FRANZ UNTERSTELLER

Intime Kenner des Weinbaus scheinen beim Abfassen des Entwurfs kaum beteiligt gewesen zu sein. Ansonsten wäre ihnen rasch aufgefallen, dass man in gleich mehrerlei Hinsicht weit übers Ziel hinausschießt. Nicht mal der ökologische Weinbau kommt ohne Pflanzenschutz aus, will er nicht widerstandslos vor den diversen Pilzkrankheiten, die Rebstöcke nun mal regelmäßig befallen, kapitulieren. Die Menge der hier aktuell eingesetzten Mittel wie Backpulver, Schwefel und Kupfer lassen sich auch nicht - wie von Brüssel gefordert - pauschal halbieren. Würden die EU-Vorschläge 1:1 Wirklichkeit, wäre dies in vielen Gebieten vermutlich gleichbedeutend mit dem Ende ausgerechnet des Ökoweinbaus.

Die Verbuschung der Flächen würde den Lebensraum seltener Arten zerstören

Mit rund 9.100 Hektar liegt in Baden-Württemberg rund ein Drittel der Rebflächen in diversen Schutzgebieten. Besonders betroffen wäre beispielsweise der seit langem in weiten Teilen als Vogelschutzgebiet ausgewiesene Kaiserstuhl. Aber auch weite Teile der Steillagen entlang des Neckars und dessen Seitentäler wie das Remstal, die verbreitet als Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen sind, wären betroffen. In Rheinland-Pfalz gilt das gleiche wie für die Mosel samt der Riesling-Steillagen entlang der oberen Saar. Fast das gesamte Moseltal ist nämlich ebenfalls als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen. In Rheinhessen liegen rund 1.000 Hektar an Weinreben in diversen Schutzgebietszonen, in der Pfalz mit 2.200 Hektar mehr als doppelt so viel. In Franken müsste wegen der Schutzgebietsausweisungen auf rund der Hälfte des Weinanbaugebiets auf jeglichen Pflanzenschutz verzichtet werden.

Dass die teilweise Jahrhunderte alten, zigtausend Kilometer langen Trockenmauern in den terrassierten Weinberglagen von Mosel, Neckar und anderswo einen hohen ökologischen Nutzen haben und einen wertvollen Lebensraum für viele Wärme liebende und teilweise vom Aussterben bedrohte Pflanzen- und Tierarten darstellen, wurde von den Autoren des Entwurfs offensichtlich komplett ausgeblendet. Würde nämlich in der Folge der jetzt angedachten Regelungen die Bewirtschaftung dieser traditionellen Weinanbauflächen aufgegeben, wäre das Gegenteil dessen bewirkt, was man in Brüssel damit beabsichtigt. Die Verbuschung der Flächen und der ohne Bewirtschaftung drohende Zerfall der alten Trockenmauern würde vielen seltenen Arten ihren Lebensraum zerstören. Gleiches gilt für das - und hier wird's dann schin fast grotesk - im Green New Deal noch enthaltene Bestreben Brüssels, den Anteil nach ökologischen Grundsätzen bewirtschafteter Flächen auszuweiten.

Cem Özdemir muss in Brüssel auf die Barrikaden gehen

Bleibt zu hoffen, dass man in der weiteren Debatte um den Entwurf seitens der EU-Kommission gewillt ist erheblich nachzubessern. Übrigens: Die Betroffenheit der Weinländer Spanien, Frankreich und Italien ist aufgrund geringerer Schutzgebietsausweisungen hier wesentlich geringer. Die deutsche Politik – insbesondere das Umwelt- und Landwirtschaftsministerium - und hiesige Weinbauverbände müssen jetzt aktiv werden. Sie müssen in Brüssel möglichst rasch auf die Barrikaden gehen. Ansonsten bedroht die „Sustainable Use Regulation“-Verordnung die Existenz vieler traditionsreicher Weinbaubetriebe in Deutschland.

Franz Untersteller, 65, ist gelernter Landschaftsplaner. Er war zwischen 2006 und 2021 Abgeordneter der Grünen im baden-württembergischen Landtag, zwischen 2011 bis 2021 Minister für Umwelt, Klima u. Energiewirtschaft im Kabinett von Ministerpräsident Winfried Kretschmann. In dieser Funktion hat er im Südwesetn vor zwei Jahren das Biodiversitätsgesetz realisiert. Auch damals gab es diese Diskussion um ein Komplettverbot von Spritzmitteln in Schutzgebieten. Das war die Maximalforderung der Bienenschützer, die dies mit einem Volksbegehren erzwingen wollten. Sie haben davon Abstand genommen, weil Untersteller und Landwirtschaftsminsiter Peter Hauk (CDU) viele Forderungen der Naturschützer in das Gesetz der grün-schwarzen Regierung aufgenommen hatten. Nur nicht das Komplettverbot der Spritzmittel in Schutzgebieten. Aktuell ist Untersteller Globaler Botschafter für das weltweite Klima-Projekt Under2Coalition (Öffnet in neuem Fenster). Er ist zudem seit Januar freiberuflich als Unternehmensberater tätig. Er schreibt regelmäßig für den WeinLetter - hier ist er bei der Weinlese des Weinguts von Hedwig und Helmut Dolde (Öffnet in neuem Fenster) zu sehen. FOTO: FRANZ UNTERSTELLER

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