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WeinLetter #45: Das Frühburgunder-Drama

Liebe Wein-Freund*in,

Du liest den WeinLetter #45. Heute gibt's: Frühburgunder. Und jetzt holt mal alle die Taschentücher raus. Es geht um das schleichende Ende des Frühburgunders. Ja, diese kleine, aber feine Rotwein-Delikatesse droht langsam auszusterben. Dabei ist die Mutation des Spätburgunders noch gar nicht so alt. 1971 zugelassen, hat sie doch einen kleinen Aufschwung erlebt. Es gibt tolle Exemplare davon, teilweise sogar Große Gewächse - in der Pfalz, im Ahrtal, in Franken oder in Rheinhessen, wo sie vor 51 Jahren in Ingelheim wiederentdeckt und in Geisenheim hochgepäppelt wurde. Jetzt aber geht's um den Niedergang. Ich habe mit Barbara Klein vom Weingut Klein in Hainfeld, Pfalz, und mit Marc Adeneuer vom Top-Ahr-Weingut J. J. Adeneuer geredet: Warum packt es die Rebsorte nicht (mehr)? Warum ist es ökonomischer Harakiri, sie weiter auszubauen? Es hat mit dem Klimawandel zu tun - und mit Wespen und Bienen. +++ Empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte weiter. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied! (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Aber vor allem:

Trinkt friedlich!

Euer Thilo

Die Spitzenlage Gärkammer in Walporzheim: Das Weingut J. J. Adeneuer besitzt diese Parzellen. Daraus entsteht der Top-Spätburgunder "Walporzheimer Gärkammer". Das Ahrtal ist Spätburgunder-Land. Hier wird aber auch noch Frühburgunder angebaut - wie lange noch? FOTO: WEINGUT ADENEUER

Es ist zu spät, Frühburgunder!

von Thilo Knott

Der Frühburgunder Kirchenstück ist „Ausgetrunken“. Im Online-Shop des Weinguts Klein aus Hainfeld prangte dieses Schild noch eine Weile, jetzt ist die Flasche ganz von der Plattform verschwunden. Wer Frühburgunder will, kann noch den Kalkmergel erstehen. Der Frühburgunder wird ganz klassisch wie ein Spätburgunder ausgebaut. Auch der „kleine“ Frühburgunder wird also entrappt und auf der Maische vergoren. „Der Kalkmergel ist Terroir, das Kirchenstück ist Lage“, sagt Barbara Klein, die mit ihrem Bruder Peter das Weingut aus der Pfalz führt. Der eine reife im Barrique in zweiter oder dritter Belegung, der Frühburgunder Kirchenstück bekam neues Barrique, so dass das Holz präsenter ist. 

Doch auch der Frühburgunder Kalkmerkel wird bald ausgetrunken sein. Für immer.

„Wir haben den Frühburgunder rausgerissen“, sagt Barbara Klein. „Es ergibt ökonomisch keinen Sinn.“ Das Dreifache müssten sie verlangen für diese arbeitsintensive Rebsorte mit äußerst geringen Erträgen. Das Pfälzer Weingut ist nicht das einzige, das den Frühburgunder nicht mehr kultiviert. 

Das Weingut J. J. Adeneuer aus dem Ahrtal macht aus dem Frühburgunder sogar ein Großes Gewächs. Lage: Sonnenberg. Ein Muster an Frühburgunder. Sie haben zudem noch einen „kleinen“ Frühburgunder. Das Top-Ahr-Weingut hält noch daran fest, „aus Tradition“, wie Marc Adeneuer sagt. Doch zuletzt hatten sie gepachtete Frühburgunder-Lagen wieder zurückgegeben.

„Es ergibt ökonomisch keinen Sinn“: Barbara und Peter Klein FOTO: WEINGUT KLEIN

  • Weingut Klein: Frühburgunder, Kalkmergel, trocken, 2018, 13 Vol. % Alc., 13 Euro ab Hof.

  • Weingut Klein: Frühburgunder Kirchenstück, trocken, 2019, 13 Vol. % Alc., 19 Euro ab Hof, ausgetrunken. FOTO: THILO KNOTT

Die Adeneuers bewirtschaften jetzt lediglich noch 80 Ar an Frühburgunder. Von insgesamt 13 Hektar. Die Kleins, die vor allem Spätburgunder und Rieslinge anbauen, haben die Rebstöcke auf 1,5 Hektar rausgerissen. Von ihren 32 Hektar. Und so geht es dahin mit einer Rebsorte, die von Slow Food Deutschland als "Passagier" Anfanf der Nullerjahre in die „Arche des Geschmacks“ aufgenommen wurde.

Die Weinbranche durchlebt Entwicklungen, Auf und Abs. Vermarktet werden die Trends, um das Marktpotenzial auszuschöpfen. Deshalb wurde der Sauvignon Blanc seit den 2010er Jahren als das neue, große Ding gepriesen und mit größeren Anteilen im deutschen Anbaugebiet gefeiert. Mal sind es dann die Oranges und die Natures, die die „Revolution“ des Weinhandwerks „von den Rändern“ proklamieren (obwohl 80 Prozent ein bisschen Schwefel guttäte). Dann ist es wieder die Internationalisierung, die die deutschen Weinbauern (mitunter zurecht) als innovativ darstellen, wenn plötzlich Chenin Blanc in Franken (z. Bsp. Stahl) oder Tempranillo in Württemberg (z. Bsp. Staatsweingut Weinsberg) angebaut werden. Gerade werden die PiWis im Kampf gegen den Klimawandel platziert. Nur selten werden die Verfallsgeschichten erzählt.

Vier Gründe für das Frühburgunder-Drama

Der Frühburgunder besetzte 2021 laut Statistischem Bundesamt nur noch 228 Hektar der 103.421 Hektar in Deutschland. Das sind ein paar Promille. Er dümpelt damit irgendwie zwischen den Rebsorten Faberrebe, Dunkelfelder oder Cabernet Dorsa. Ausgerechnet eine Rebsorte, aus der Winzer:innen spannende Barrique-Weine oder gar Große Gewächse machen. Winzer:innen wie Barbara Klein oder Marc Adeneuer. In seinen besten Zeiten hatte der Frühburgunder mal 260 Hektar.

Es gibt eine Reihe von Gründen, warum der Frühburgunder für manch Winzer:innen ein Thema geworden ist. Hier sind die vier wichtigsten:

1. Der Frühburgunder hat natürliche Feinde. 

„Wespen“, sagt Marc Adeneuer. „Bienen, Mäuse, Wildschweine“, zählt Barbara Klein auf. Sie laben sich an den Trauben, die gut zwei Wochen vor dem Spätburgunder reif sind und geerntet werden müssen. Abhilfe? „Netze sind sehr aufwändig“, sagt Barbara Klein. Die Adeneuers tricksen die Wespen ein bisschen aus, weil sich in der Nachbarschaft Obstbäume befinden. Wenn die viel tragen, gehen die Insekten lieber dahin. Wenn nicht? Dann Prost Mahlzeit, Frühburgunder!

2. Die Frühburgunder-Erträge sind äußerst gering. 

Barbara Klein kommt – wenn theoretisch nix verloren ginge – auf 45 Hektoliter pro Hektar Frühburgunder, doch durch die auch gezwungenermaßen selektive Lese bleiben noch 35 Hektoliter pro Hektar. Die geringen Erträge, zumal bei den kleinen Beeren, sind ein grund, warum sie sich vom Frühburgunder verabschiedet hat. Marc Adeneuer sagt, beim Großen Gewächs seien es sogar unter 20 Hektoliter pro Hektar.  Vom GG gibt es daher lediglich 450 Liter – „extrem wenig, eine Minimenge“, sagt Marc Adeneuer, bei maximalem Aufwand.

"Der Frühburgunder ist sehr speziell": Marc Adeneuer (rechts), mit seinem Bruder Frank (links) und seinem Neffen Tim im Weinkeller FOTO: PETER BENDER

  • Weingut Adeneuer: Frühburgunder "Sonnenberg", trocken, Großes Gewächs, 2018, 13 Vol % Alc., 37 Euro ab Hof

  • Weingut Adeneuer: Frühburgunder, trocken, 2020, 13 Vol % Alc., 19 Euro ab Hof.  FOTO: THILO KNOTT

3. Der Aufwand beim Frühburgunder wird nur bedingt honoriert. 

37 Euro verlangt Marc Adeneuer für das Große Gewächs. Hier fangen auch seine Großen Gewächsen im Spätburgunder-Segment an. Warum nicht mehr verlangen? „Der Frühburgunder hat seine Fans, ist aber sehr speziell“, sagt Adeneuer. Sein Rebsortenspiegel besteht grob aus 85 Prozent Spätburgunder, 10 Prozent Weißburgunder – und 5 Prozent Frühburgunder. Er sagt über das Kaufverhalten: „Spätburgunder-Fans kaufen keinen Frühburgunder.“ Der Frühburgunder ist eine natürliche Mutation des Spätburgunders, hat durch die zwei Wochen frühere Lese aber nicht die Säurestruktur eines Pinot, ist weicher und weniger komplex. Er steht damit qualitativ unter dem Spätburgunder. Der Aufwand kann daher nicht einfach an die Kund:innen weitergegeben werden.

4. Der Klimawandel treibt die Frühburgunder-Ernte bis in den frühen August hinein. 

Barbara Klein sagt: „Die Beeren verkochen, wenn es zu warm wird – dann gibt es marmeladige Aromen.“ Und es wird zu warm. Sie rechnet vor, dass es ein Jahr durchregnen müsste, bis die Wasserspeicher wieder aufgefüllt wären. Sie arbeiten mittlerweile mit Tröpfchenbewässerung. Also: Ist der Frühburgunder eines der ersten Opfer des Klimawandels? Es gibt noch einen ganz pragmatischen Punkt, der mit der frühen Ernte zu tun hat: Mitte August sei die Zeit, wo sie vor der großen Weinlese nochmal durchatmen könnten. Wenn jetzt der Frühburgunder so früh verarbeitet muss, falle auch diese Phase weg. Also haben sie sich vom Frühburgunder verabschiedet – nach 20 Jahren Anbau.

Ist es also vorbei mit dem Frühburgunder? Oder bleibt es eine seltene, sogar erschwingliche Delikatesse, damit die „Arche des Geschmacks“ genügend Wein zu trinken hat? Das Weingut Adeneuer ist ein Spätbugrunder-Weingut und macht auf 80 Ar weiter ein bisschen Frühburgunder, „aber man weiß nie“, sagt Marc Adeneuer. Das Weingut Klein hat die 1,5 Hektar Ex-Frühburgunder mit Grauburgunder, Chardonnay und Sauvignon Blanc bestockt. Sie wollten die schon vorhandenen Mengen dieser Rebsorten erhöhen. Sie setzen auf die internationalen Rebsorten: Syrah, Cabernet Sauvignon – und Tempranillo. „Diese Rebsorten passen zu den klimatischen Bedingungen in der Pfalz“, sagt Barbara Klein. „Sie sind für uns ein Alleinstellungsmerkmal.“ Es ist größer als der Frühburgunder.

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Das hier ist Frühburgunder FOTO: DEUTSCHES WEININSTITUT

Die fünf wichtigsten Fragen zum Frühburgunder

1. Wo stammt der Frühburgunder her?

Die Frage der Herkunft des Frühburgunders ist eine der wissenschaftlich am wenigsten beantwortbaren Fragen. Klar, aus Frankreich, wie alle Burgundersorten. Aber wie kam sie zustande? Der Frühburgunder ist zunächst eine natürliche Mutation des Spätburgunders. Darauf bezieht sich auch der Name der Rebsorte, weil sie zwei Wochen früher als der Spätburgunder reif ist. Ob bei der Mutation allerdings noch eine andere Rebsorte beteiligt war, ist unbekannt. So ist die Frage, ob der Frühburgunder gar eine andere Rebsorte ist, wissenschaftlich nicht beantwortbar. 

2. Wie viel Frühburgunder gibt es in Deutschland? 

Noch 228 Hektar. Das weist das Statistische Bundesamt für 2021 aus. Das ist bei mehr als 103.000 Hektar Anbaufläche in Deutschland ein Klacks. Und es wird weniger. Die Geschichte des Frühburgunders ist ein einziges Auf und Ab. Im Ahrtal war sie im 19. Jahrhundert weit verbreitet. "Doch die starke Neigung zum Abwerfen der Blüten, der sogenannten  Verrieselung, die geringen Erträge der kleinen Trauben und Viren in den alten Klonen führten dazu, dass sie in den 1960er-Jahren fast ausgestorben war", schreibt Slow Food Deutschland. Die Organisation hat die Rebsorte deshalb in die "Arche des Geschmacks" aufgenommen. In den 70ern hat die Forschungsanstalt Geisenheim das Potenzial wieder entdeckt und hat die Rebsorte wieder aufgebaut. In der Spitze existierten 260 Hektar in Deutschland. 

3. Was sind die Hauptanbaugebiete für Frühburgunder in Deutschland?

Rheinhessen, Ahr, Pfalz, Franken. In Rheinhessen, genauer gesagt in Ingelheim, wurde er rekultiviert Anfang der 70er Jahre. Dort fungierte das Weingut Julius Wasem Rodensteiner Hof als Erhaltungszüchter. Prozentual gesehen bauen die Winzer:innen im Ahrtal den meisten Frühburgunder an.

4. Gibt es in anderen Ländern Frühburgunder?

Es gibt Minibestände in Österreich, der Schweiz, in Ungarn - und sogar Versuche in England. Die Rebsorte benötigt relativ wenig Wärme.

5. Wie schmeckt der Frühburgunder? 

Es gibt einen großen Unterschied: Der Frühburgunder ist viel weicher (nicht marmeladiger) als sein großer Bruder. Der Spätburgunder erreicht durch die längere Reifung - es sind in der Regel mindestens zwei Woche - eine deutlich spannendere Säurestruktur. Dem Frühburgunder fehlt dieses Gerüst - und deshalb das Reife- und Alterungspotenzial eines Spätburgunders. Der Frühburgunder kann voluminöser daher kommen, eindeutig komplexer ist der Spätburgunder. Und dennoch: Das Große Gewächs vom Weingut J. J. Adeneuer ist wirklich sehr gut, ich hatte diesen Frühburgunder zu Reh, da korrespondierte er sehr gut mit Süßkirschen-Aromen. Am zweiten Tag kam dann mehr Pflaume durch. Wer auf Barrique-Weine steht, ist mit dem "Kirchspiel" vom Weingut Klein sehr gut bedient - wenn man noch was bekommt.

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