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Der Antifaschismus* der vielfältigen Gesellschaft (und die Klimafrage)

(source: ideogram.ai (Opens in a new window), prompt: an abstract image depicting a diverse antifascist society)

24.1.2024

Liebe Leute,

wir leben ganz offensichtlich in den “interessanten Zeiten”, vor denen der bekannte chinesische Fluch warnt (May you live in interesting times!): ständig verändert sich Alles, und seit Mittwoch dem 10. Januar ist wieder Alles anders geworden, aber diesmal in eine gute Richtung.

An diesem Tag kippte etwas in Deutschland (Opens in a new window), wurde die bis dahin latente Immunabwehr der demokratischen BRD getriggered, die bis dahin die reale faschistische Bedrohung durch die AfD und den gesellschaftlichen Rechtsruck (einschließlich rechter Massenbewegungen auf den Straßen) eben noch nicht als das wahrnehmen konnte, was sie schon immer war: eine reale faschistische Bedrohung, die schon bald in Deutschland die “Machtfrage” stellen könnte. Aus lauter Leerformeln (“Brandmauer”, “Nie Wieder ist Jetzt!”) wurden reale politische Barrikaden (Opens in a new window) gegen die faschistische Offensive, und wer von Euch bei den großen, nein, bei den teils gigantischen Demos des vergangenen Wochenendes war, wird gemerkt haben, wie geil sich das gerade anfühlt, endlich wieder politischen Rückenwind zu haben, endlich eine reale Perspektive zu sehen, wenngleich noch sehr schemenhaft, die Nazis hierzulande doch noch stoppen zu können.

Und genau darum soll es in diesem Text gehen: herauszuarbeiten, unter welchen Bedingungen es möglich ist, den Faschismus zurückzudrängen, und herauszufinden, wie das gehen kann. Zuletzt werde ich mich an die noch kompliziertere Frage heranwagen, was dieser neue, vielfältige Antifaschismus für die Klimabewegung bedeutet.


Don't mess with women's bodies I: USA

2023 war ein gutes Jahre für den Faschismus, pretty much around the world. In Deutschland erlebten wir das “Coming Out der Arschlochgesellschaft (Opens in a new window)” und den scheinbar unaufhaltsamen Anstieg der AfD. In den USA, immer noch dem mächtigsten Land der Welt, führten die vielen (völlig richtigen!) Gerichtsverfahren gegen Trump leider dazu, dass er qua Magie der Schamlosigkeit zum absolut sicher gesetzten Präsidentschaftskandidaten der Republicans wurde. Das wahrscheinlichste Szenario ist also derzeit, dass die USA 2024 einen faschistoiden Autokraten zum “mächtigsten Mann der Welt machen”. In Frankreich kippt die Stimmung immer mehr gegen Macron und für Le Pen und ihren RN. Die “Offensive” der Ukraine verlief im Sand (oder eher dem Matsch), der Putins klerikalfaschistisches Regime sitzt fest im Sattel. Der Hindufaschist Modi wird endlich international vollständig rehabilitiert, braucht “der Westen” ihn doch als Gegengewicht zu China. Usw, usw: überall, schien es, reüssierte der Faschismus, und die tatsächlich stattfindenden Policydebatten neigten alle, vor allem natürlich die in immer mehr wohlhabenden Ländern laut geführte “Migrationsdebatte” mit ihrer Tendenz zu immer brutaleren Arschlochstatements, die als völlig “normale” Aussagen verkauft werden (vgl. Ricarda Lang zu Asylverfahren an der EU-Außengrenze).

Aber es gab auch einige wenige Lichtblicke: der erste – sorry, hab gerade nachgeschaut, der geschah schon 2022 – war ein wichtiger Rückschlag für den Klerikalfaschismus in den USA. Dort hatte der Supreme Court (SCOTUS) im Juni '22 das bahnbrechen Roe-v-Wade-Urteil aufgehoben, welches das Recht auf Abtreibung garantierte. Daraufhin versuchten Republicans around the country, ein Verbot von Abtreibungen in mehreren Bundesstaaten durch Referenden durchzusetzen. Diese Offensive scheiterte, weil in allen abtreibungsbezogenen Abstimmungen, die im August stattfanden, die pro-choice-Seite (*für* das Recht auf körperliche Selbstbestimmung) gewann – teilweise sogar sehr deutlich, wie im konservativen Kansas, mit 18% Vorsprung. Den Democrats wurde klar: wenn sie 2024 jemand retten kann, werden es Frauen, vor allem Frauen of color sein.



Don't mess with women's bodies II: Spanien, Polen, und was daraus folgt

Der zweite Rückschlag kam aus Spanien: die ziemlich offen faschistisch daherkommende Vox-Partei schien zu Beginn des Wahlkampfs noch en route zu einem monumentalen Erfolg zu sein, am Tag der Wahl selbst reichte es aber “nur” für 12,4% (-2,7% vs. 2019). Ein zentraler Grund für die relative Wahlniederlage war der geplante Angriff einer möglichen rechten Regierung auf Gesetze gegen gegenderte Gewalt (Opens in a new window) – und wie schon in den Usa zeigte sich, dass Frauen willens und in der Lage sind, ihre erkämpften Rechte zu verteidigen. Etwas ähnliches konnte man auch beim 3. Rückschlag der rechten Offensive erkennen, in Polen, wo die Oppositionskoalition um Donald Tusk es schaffte, die jahrelange Dominanz der frauen-, queer-, trans- und migrationsfeindlichen PiS zu beenden. Auch hier war einer der zentralen Auslöser der PiS-Niederlage deren konsistente Angriffe auf Reproduktionsrechte (Opens in a new window).

Aus diesen Beobachtungen leite ich folgende (ziemlich simple) These ab: die rechte Offensive kann dann scheitern (oder zumindest herbe Rückschläge erleiden), wenn sie sich "zu große" Ziele für ihre vergangenheitsfestischistische Politik heraussucht: auf Trans, Queers & Klimas zu hauen, bringt Punkte, u.a., weil es von uns so relativ wenige gibt - sich aber mit *Frauen* anzulegen bringt Probleme. Denn während jeweils nur ein paar Prozente der Bevölkerung aus den o.g. Gruppen stammen, sind Frauen, naja, halt ung. 50%+ jeder Gesellschaft. Und ich würde denken, dass auch konservative Frauen sich mittlerweile daran gewöhnt haben, Abtreibungen selbst zu bestimmen. Ich schrieb kürzlich, dass es nichts stärkeres gibt, als den Wunsch der schon Privilegierten, ihre Privilegien zu verteidigen (Opens in a new window) - in diesem Fall müssen wir das positiv verstehen, dass das Recht auf Abtreibung ist ein erkämpftes Privileg, und das zu verteidigen, ist ein Gut.


#AlleZusammenGegenDenFaschismus: woher kommen all die Leute?

Die derzeitige anti-AfD-Demonstrationswelle ist der 4. große Setback, den die faschistische Offensive im globalen Norden in den letzten 12 Monaten erlebt hat, sowohl nationale wie internationale Presse sind voll davon: das Land, in dem “concern about immigration (Opens in a new window)” derzeit als das wichtigste politische Problem gilt, in dem seit zwei Jahren trotz Unserer Vergangenheit eine rechte Offensive läuft, steht endlich auf, sagt “Nie Wieder” Faschisten in Regierungsmacht in diesem Land.

Was ist so frappierend an dieser Welle? Zweierlei: erstens, dass sie überall beobachtet werden kann, von den größten Städten zu den kleinsten Käffern, vom tiefen Westen bis in den tiefen Osten, von MeckPomm bis BaWü; und zweitens, dass sie so verdammt riesig ist! Nicht nur die Veranstalter*innen (für die es immer eine gute Idee ist, sowohl bei der eigenen Erzählung als auch in der Außenkommunikation die Erwartungen runterzumassieren), auch erfahrene Demobeobachter*innen sind überrascht, wie schnell wie viele Menschen mobilisiert werden konnten. Ob es letztes Wochenende knapp eine Million war, oder, wie andernorts kommuniziert, 1,6-1,9 Millionen Menschen, wird sich nie abschließend klären lassen, aber sowohl re: Anzahl der Menschen als auch politische Wucht und Entschlossenheit waren diese Demos vielleicht nicht einzigartig, aber doch herausragend. Und während bei der 1. großen anti-AfD-Demo in Berlin “nach dem Kipppunkt”, am Sonntag 14.1., noch vor allem die “üblichen (linksgrünversifft-antifaschistischen) Verdächtigen” kamen, war am Sonntag vor dem Reichstagsgebäude doch völlig klar, dass das hier Menschen aus “der Mitte” waren, viele, die sonst nicht auf Demos gehen, jetzt aber endlich aufgestanden sind. Was die Frage aufwirft: Woher, oder vielmehr, warum kamen all diese Leute?

1. Nazis vs. Großgruppe

Erstens haben die Nazis mal wieder ne *sehr* große Gruppe angegriffen, denn es ging ja beim Potsdamer Treffen um die massenhafte Deportation von Menschen mit Migrationsgeschichte: "2019 hatten 21,2 Millionen Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund, was 26,0 Prozent der Bevölkerung in deutschen Privathaushalten entspricht. Mehr als die Hälfte davon sind deutsche Staatsangehörige (52,4%) (Opens in a new window)". Dazu kommen natürlich noch die Umfelder dieser Personen (Partner*innen, Freund*innen, Genoss*innen, whatever), und die Nazis taten uns den PR-Gefallen, ihre fiebrigen Deportationsfantasien auch noch auf unliebsame, geflüchtetensolidarische Biodeutsche auszudehnen. Alles in allem kommt da einiges zusammen, und im Kipppunkt nach dem Correctiv-Exposé wird klar, dass diese vielen Menschen sich selbst, und ihr Umfeld sie, verteidigen werden, und dass sich die Nazis hier mal wieder überhoben haben.

2. Die antifaschistischen Barrikaden stehen wieder

Zweitens zeigt mir der "Neid" meiner Genoss*innen im Ausland ("Wow, amazing how politically destructive it is for your Nazis to be framed as Nazis - we tried the same in Sweden, in Holland, in the US, in France, and it didn't work!"), dass die Anklage "Du Nazi!" in Deutschland tatsächlich Gewicht hat, und der Erfolg der Correctiv-Recherche liegt darin, genau dieses Framing unausweichlich gemacht zu haben. So schwach so teils illusorisch der real-existierende Antifaschismus der BRD auch ausgebildet war, er war doch, auf der normativen Ebene, durchaus real, im Sinne von, die Mehrheit der Menschen in der BRD will zumindest seit 1968 nicht mehr in die Nazizeit zurück (oder nach vorne), will nicht von Faschisten regiert werden, hält “Nie Wieder” - wie gesagt, immer auch als Selbstbetrug – für “die Staatsraison der BRD”. Diese normativen Barrieren habe ich oben als die “Immunabwehr” der BRD beschrieben, und bisher hatten sich die Nazis halt unter dem Radar dieses politischen Immunsystems aufhalten können (auch weil Verdrängung (Opens in a new window)), aber die Correctiv-Recherche et al machen es nun unmöglich, die AfD nicht zumindest in Teilen als faschistische Kraft zu sehen (Opens in a new window). Aus rein normativen Barrieren, aus Leerformeln, wurden in der vergangenen Woche wieder reale politische Hindernisse, aus Werten wurde in der richtigen Situation gesellschaftliche Macht.

Hier ein wichtiger Zusatz zum von mir gerne und oft verwendeten Begriff “Antifaschismus” (um den Asterisk im Titel abzuholen ;)): der Faschismus ist in Deutschland eine zentrale Quelle kollektiver, verdrängter Scham, nämlich genau die Scham “der Mitte”, die im Gegensatz zur official story, der “Hufeisenerzählung” (die “Theorie” zu nennen wäre eine Beleidigung sogar neoliberaler Wirtschafts-”Theorie”), nicht die zentrale Gegnerin des Faschismus war, sondern seine zentrale Steigbügelhalterin; die eben gerade nicht massenhaft im Widerstand war, sondern brav und teils durchaus erfreut mitlief, mitmorderte, mithitlerte. Und auch später, in der BRD, war es eigentlich nur selten “die Mitte”, die gegen rechte Bewegungen, rechte Parteien und Rechtsrucke kämpfte, sondern diejenigen, die sich “Antifa” nannten. Der Begriff “Antifaschismus” stößt “Mitte”-Menschen also nicht ab, wie ich bisher dachte, weil er zu “linksradikal”, zu “antideutsch” (kleingeschrieben) konnotiert ist, nicht, weil er die Mitte daran erinnert, was linksradikale Antifas getan haben, sondern daran, was sie, die Mitte, nicht getan hat. Deswegen rede ich hier zwar von einer funktional antifaschistischen Bewegung, aber auch von einer, die sich niemals selbst als antifaschistisch verstehen wird: sie ist gegen den Faschismus, aber sie ist nicht “antifaschistisch”. If you know what I mean.


3. Endlich wieder “die Guten” sein!

Hier der spekulativste Teil meiner Erklärung für die unerwartet großen Massen gegen die AfD: ich glaube, die "verschämte Mitte" – d.h., die “humanistische Mitte (Opens in a new window)”, von der ich vor ein paar Tagen sprach, die in einer Externalisierungs- und Verdrängungsgesellschaft natürlich immer eine zutiefst verschämte Mitte sein muss, da es borderline unmöglich ist, in diesem “falschen Leben” ein “wahres” zu leben – findet es gerade richtig toll, nachdem sie Jahr um Jahr moralisch auf der moralisch "falschen" Seite standen sich endlich mal wieder gut fühlen zu dürfen.

Um hier etwas auszuholen: bei “popularer” (breiter) politischer Partizipation geht es nie nur um Inhalte im engeren Sinne, sondern auch immer darum, zu “den Guten” gehören zu wollen, anstatt zu “den Schlechten”. Angesichts des oben erwähnten angeblichen moralischen Gründungskonsenses der BRD bedeutet auf Demos gegen Nazis zu gehen immer, zu den Guten zu gehören.

However, in den vergangenen Jahren haben unsere neuen Mitte-Allies, die ich in früheren Texten jetzt vielleicht “Verdrängungsbürgis” genannt hätte, durchaus gespürt, dass sie, zum Beispiel in der Klimafrage, *eigentlich* auf unserer seite hätten demonstrieren und blockieren müssen (vgl. mein Dad: "(D)ie Klimaaktivisten stehen Platos weisem Philosophenkönig wohl näher, als viele Politiker. Der hätte in der Tat schon längst die Kohleverstromung beendet. (Opens in a new window)"), aber konnten sie halt nicht, weil Verdrängung, weil zu schwer zu ändern. Aus dieser kognitiven Dissonanz, aus diesem Missverhältnis zwischen dem Wissen, dass eingreifen notwendig und richtig wäre, und dem ebenso klaren Wissen, dass sie das auf gar keinen Fall machen werden, entstand eine Art Reservoir unterdrückten oder verdrängten Partizipationswillens, der sich jetzt in den anti-AfD-Protesten entlädt. Denn hier kann man sich mal sich gut fühlen, auf der richtigen Seite sein, und sich im besten Fall auch noch stark fühlen. Alles, was den Bürgis in der Klimadebatte nie offenstand. Ich glaube, dass dieses unterdrückte “ich habe bisher viel zu viel nicht getan, weil es zu schwierig war, aber hier kann ich mitmachen, also bin ich hier dabei!” viele Menschen dazu gebracht hat, AlleZusammenGegenDenFaschismus zu stehen.


Vielfältiger Antifaschismus und die Klimafrage

Zum Abschluss dieses schon wieder zu langen Texts noch ein paar stichwortartige Thesen dazu, was diese Analyse für das Verhältnis zwischen neuem Antifaschismus und “alter” Klimabewegung bedeuten könnte:

  1. Die anti-AfD-Demos ermöglicht es der beschämten Mitte, sich wieder gut und stark zu fühlen, auf der richtigen Seite zu stehen. Diese ermächtigenden Momente sind notwendig in dem Prozess, den man mit Marx die "für-sich-", die Selbstbewusstwerdung eines Akteurs nennen kann.

  1. Die "humanistische Mitte" ist ein notwendiger Ally für das linksgrünversiffte Deutschland im Kampf gegen den Faschismus (Opens in a new window).

  2. Die Klimafrage "zu spielen", d.h., gesellschaftliche Debatten über Klimamitigation im klassischen Sinne anzustoßen, wird bei diesem notwendigen Ally *immer* Schamreflexe auslösen, völlig unabhängig davon, wie wir bestimmte Punkte framen.

  1. "Shaming" ist aus Subjektperspektiv *immer* regressiv: d.h., Scham infantilisiert und irrationalisiert ein Subjekt, und das sich schämende Subjekt versucht notwendigerweise, die Quelle der Scham zu vermeiden (ung. so, wie Viele im Alltag Pfaffen und Klimaaktivisti vermeiden ;)).

  2. Im gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus brauchen wir die humanistische Mitte erwachsen, rational und handlungsfähig - & an Unserer Seite. Jeder Diskurs, der unsere Allies beschämt, ergo gefährlich, weil er die gemeinsame Basis der popularen Front stören könnte.

  1. Wenn diese Aussagen zumindest teilweise stimmen, müssen wir uns sehr genau überlegen, wie wir in Zukunft die Klimafrage spielen: wir müssen Alles daran setzen, keine kollektive Scham & Verdrängung auszulösen, denn diese schwächt möglicherweise Unseren wichtigsten Ally.

Soviel dazu. Mehr sehr bald, wenn ich versuche, mich mit These 6 zu befassen.

Bis dahin: antifaschistische Grüße,

Euer Tadzio



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