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A tale of two Deutschlands: Doitschland vs. die vielfältige Gesellschaft

(source: stablediffusionweb.com (Öffnet in neuem Fenster))

18.01.2024

It was the best of times, it was the worst of times

Charles Dickens


Liebe Leute,

in den vergangenen Tagen war ich sehr oft, gefühlt ein Bisschen zu oft, am Brandenburger Tor, dem symbolischen Herzen Deutschlands, mal rechts davon, mal links davon.

Deutschland Nr. 1: Doitschland

Vor zehn Tagen war ich dort, um mir anzuschauen, wie der rechte Rand der Bauernproteste – die “Freien Bauern” - sich versammelte. Dort (Öffnet in neuem Fenster)wurde ein Deutschland artikuliert, in dem alle Veränderungen, alle Eingriffe in die absolute Verfügungsgewalt des meist biodeutsch-weißen, meist männlichen Land- und Kapitaleigentümers als illegitim, als übergriffig, als im Kern undeutsch abgelehnt werden. Immer und immer wieder vermittelten die Reden den Eindruck, die Anwesenden wären überzeugt, dass, zum Beispiel, nur die Ampel gestürzt und die Letzte Generation eingesperrt werden müsste, dann würde niemand, aber wirklich niemand mehr sie mit irgendwelchem klimakommunistischen Gedöns vollsülzen. Ob “Veränderung” hier “von außen” oder “von oben” kommt, ist egal, das wird einfach gleichgesetzt.

Das Deutschland, das hier artikuliert wurde – nennen wir es kurzerhand Doitschland – war eines, das in einer Vielzahl imaginierter Vergangenheiten lebt, sich in diese zurück wünscht: geschlechterpolitisch, klima- und umweltpolitisch, migrationspolitisch, sexualitätspolitisch,gesundheitspolitisch, geopolitisch, nicht zu vergessen landwirtschaftspolitisch. Dass dies manchmal die Vergangenheit der 1950er, mal der 1850er, gelegentlich auch der 1930er ist, ist ebenfalls egal, die imaginierte Vergangenheit der Rechten ist nie die reale Vergangenheit, sondern ein mythischer Raum, in dem, wie schon angedeutet, die Privilegierten keinerlei Einschränkungen ihrer Freiheiten erleben.

Und genau dort treffen sich dann die Bauernproteste mit dem breiteren rechten Projekt, entsteht ein neuer rechter Inkubator: in der Verteidigung mythologischer Vergangenheiten gegen die transformationsüberlastende Gegenwart, die auf eine allzu fremde Zukunft verweist. In dem Sinne ist der heutige Faschismus tatsächlich das genaue Gegenprojekt des “For Future (Öffnet in neuem Fenster)”-Subjekts, von dem ich gelegentlich gesprochen habe: Faschismus für Vergangenheit (oder gleich mit F, Fergangenheit?).

Deutschland Nr. 2: die vielfältige Gesellschaft

Vor vier Tagen war ich wieder dort, um dabei zu sein, als auf der von Fridays For Future dankenswerterweise einberufener “Demokratie Verteidigen”-Demo (Öffnet in neuem Fenster) zwei bisher getrennt marschierende... Millieus? Projekte? Nennen wir sie mal: Gesellschaften zusammenkamen, um gemeinsam die Demokratie gegen die faschistische Offensive zu verteidigen.

Der linksgrünversiffte Teil des Landes, der aus historisch-kulturellen Gründen und aus ausgeprägtem Eigeninterrese notwendigerweise immer aktiv antifaschistisch ist und sein muss; und das, was ich vorsichtig die “humanistische Mitte” nennen würde, also den Teil der Verdrängungsgesellschaft, der zwar nie zu Unseren Klimablockaden kommen würde – weil, er muss ja weiterhin sein ethisches Scheitern in dieser Frage verdrängen – der aber doch ein solides Grounding in humanistischer Ethik hat, und diese nicht einfach der foranschreitenden Arschlochisierung opfern will. Der Teil des Landes also, der sich selbst zwar nie “antifaschistisch” nennen würde, weil der Begriff im Diskursfeld der BRD immer links und gegen die real-existierende BRD gerichtet war, der aber funktional antifaschistisch sein möchte, weil er den Faschismus halt auch scheiße findet.

Ich habe hier (Öffnet in neuem Fenster) darüber geschrieben, wie geil es sich anfühlte da zu sein, an diesem “coming out” dieses neuen politischen Subjekts teilzuhaben, das ich (Arbeitstitel) vorerst die “vielfältige Gesellschaft” nenne: Vielfalt, “die offene Gesellschaft”, Demokratie – darauf können Wir Linksgrünversifften Uns mit der humanistischen Mitte einigen, das ist es, was Wir gemeinsam gegen die Faschos verteidigen können, und, im Sinne klassischer linker Strategiedebatten über den Antifaschismus, bin ich überzeugt davon, dass Wir heute wieder eine “popular front”-Strategie brauchen: eine Strategie, die linke Kräfte mit zentristischen zusammenbringt, um den gemeinsamen Feind zu besiegen.

Aber: ich rede ja immer wieder davon, dass es (zumindest zur Zeit) bei Politik weniger um Inhalte und Positionen, und mehr um Affekte und “emotionale Arbeit” geht. Was also unterscheidet uns jenseits der Inhalte und Positionen vom rechten Projekt, vom Faschismus für Fergangenheit? Unsere Einstellung zur Zukunft natürlich. “Wir leben in einer Zeit, wo Veränderungen der Status Quo sind”, hatte Habeck das im Wahlkampf 2021 mal griffig formuliert, und “Veränderung” bezieht sich hier nicht nur auf Geopolitik oder Klima, sondern auch auf Sexualitäten, sprachliche Normen, auf grundsätzliche Kategorien der Realität.

Wir Linksgrünen haben die emotionale Arbeit, die notwendig ist, um sich darauf einzustellen, dass Veränderungen wirklich passieren, und sie uns richtig hart anstrengen werden, schon (zum Teil) erbracht; die humanistische Mitte macht diese Arbeit gerade, angefeuert durch Bauernproteste, AfD-Umfragewerte und eben die Correctiv Recherche. Wir trafen uns also auf der Basis eines gemeinsamen Kampfes nicht nur gegen Faschismus und für Demokratie, sondern für eine Zukunft, in der wir Veränderungen eher rational als im kindlichen Modus der Trotz und der Abwehr begegnen. Nb: darin steckt wahnsinnig wenig realer Policykonsens, außer vielleicht im Umgang mit der fucking AfD. Aber es geht halt nicht um die Policies.

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Die real-existierende Zukunft: Kampf st (Öffnet in neuem Fenster)att Kompromisse

Sondern um die Frage, wessen “Normalität” die richtige ist: die doitsche? Oder die bundesrep (Öffnet in neuem Fenster)ublikanische? In dieser sich seit dem Jahreswechs (Öffnet in neuem Fenster)el enorm schnell zuspitzenden Auseinandersetzung werden Policykonzessionen (wie die an die Bauernproteste) nicht mehr, wie sonst im bundesdeutschen Politkorporatismus, gesellschaftliche Kompromisse ermöglichen. Wir erlebten das schon in der Kohleausstiegsfrage, wo die Kohlekommission 2018 es mitnichten schaffte, den langen Konflikt zu befrieden, und erleben das jetzt wieder bei den Bauernprotesten, wo Bauernverbandspräsident Ruckwied auch diesen Montag, bei der großen Berliner Abschlussdemo der Protestwoche, nicht müde wurde, zu betonen, dass die Trecker erst von den Straßen verschwinden werden, wenn alle Kürzungen und andere Zumutungen gegenüber den Bäuer*innen zurückgenommen werden.

Wenn meine Analyse stimmt, dann zerlegt die gesellschaftliche Polarisierung die korporatistische Verhandlungslogik, die seit vielen Jahrzehnten die dominante politische Praxisform in Deutschland ist. Und ich kann verstehen, wie sehr das Menschen aus der Mitte stresst, die nicht linksradikal sozialisiert sind, denen also Ideen wie “Antifaschismus” und “Kampf”, genauer: ein dauernder, gelegentlich auch militanter Kampf gegen den Faschismus, nicht nur äußerst fremd, sondern zutiefst zuwider sind. Ich kann aus eigener Erfahrung sehr gut verstehen, wie unglaublich anstrengend es sein kann, sich aus einer imaginierten Zukunft des ruhigen Privilegiertseins zu verabschieden, und anzuerkennen, dass nicht nur “Veränderung” zum neuen Status Quo geworden ist, sondern eben auch der gesellschaftliche Kampf (das war einer der Prozesse, die ich in meiner Depressionsphase (Öffnet in neuem Fenster) durchlief). Denn nur durch den können wir sicherstellen, dass wir diesen Veränderungen ansatzweise ethisch und rational (Öffnet in neuem Fenster)begegnen, und nicht, unter den Faschos, im dauernden Modus der Ablehnung und der Verdrängung.

In diesem Kampf wird sich entscheiden, welche Normalität gewinnt, welche Gesellschaft, welche Art von Menschen wir in Zukunft sein werden. Es ist der Kampf, der über Alles entscheidet: der zwischen einer imaginierten, zunehmend irrationalen und brutalen Vergangenheit, und einer vielfältigen, offenen und demokratischen Zukunft. Und wie schon mehrfach gesagt: das ist ein Kampf, desen Ausgang total offen ist; den wir gewinnen können. Jeden Tag wieder.

Mit humanistisch-antifaschistischen Grüßen,

Euer Tadzio



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