Verdrängungsgesellschaft & Faschismus: da wächst zusammen, was zusammengehört
8.6.2023
Liebe Leute,
ich weiß nicht, wie's Euch geht, aber mich stresst die Tatsache enorm, dass ein Szenario, in dem die AfD zusammen mit einer desantisierten Union noch vor Ende des Jahrzehnts im Bund regiert, seit den vergangenen Wochen keine Unmöglichkeit mehr darstellt.
Die kommende CDU-AfD Bundesregierung
Think about it: die angebliche “Brandmauer” zwischen den demokratischen Parteien, natürlich vor allem FDP und Union, und der “in Teilen rechtsextremen” AfD ist weniger eine Brandmauer, als eines dieser löchrigen Tarnnetze, mit denen in manchen Clubs die “Darkrooms” abgehängt sind. Jenseits der vielen Kooperationen auf lokaler Ebene (an denen sich übrigens auch die anderen demokratischen Parteien beteiligen) finden sich diese Löcher auch auf Landesebene, vor allem in Thüringen und Sachsen-Anhalt, auch in Sachsen blinkt Kretschmer derzeit hart rechts.
In Thüringen, das mit Thomas Kemmerich schon einmal ganz kurz einen Ministerpräsident von Höckes Gnaden hatte, in Brandenburg und in Sachsen finden nächstes Jahr Landtagswahlen statt, und angesichts der Umfragen, in denen die AfD nicht nur bundesweit gleichauf mit der “Kanzlerpartei” SPD liegt, sondern im Osten in jedem Bundesland far and away die stärkste Kraft darstellt, stellt sich eigentlich nur noch die Frage, in welchem CDU Landesverband die reaktionäre Basis stark genug ist, um eine Koalition mit irgendwelchen “woken” Kräften (in den Köpfen der antiwoken Teile der Verdrängungsgesellschaft sind das SPD, Grüne & LINKE) zu verhindern, und eine mit der AfD durchzusetzen. Side note: wer glaubt, Merz könne das verhindern, vergisst erstens, wie wenig Macht Bundesparteivorsitzende über Landesverbände haben, und zweitens, was für ein ausgeprägtes Interesse Merz jenseits seiner öffentlichen Verlautbarungen an einer politischen Läuterung des AfD hat – bietet sie ihm doch die beste, stabile Machtoption überhaupt an.
Sollte so eine CDU-AfD-Koalition auf Landesebene eine ganze Legislatur hindurch halbwegs stabil regieren, & die Umfragewerte der beiden Parteien dadurch nicht leiden (warum sollten sie? Der deutsche Volkswille will derzeit ganz klar nach rechts), würde das den Weg für eine Koalition auf Bundesebene frei machen, denn die AfD hätte dann ja “bewiesen, dass sie zu staatstragender Politik fähig sei” (fiktives Zitat aus einer CDU-PK nach der Bundestagswahl 2029). In so einer Regierung, dieses Modell kennen wir u.a. aus Österreich, würde die Union Finanz- & Wirtschaftsministerium bekommen, die Rechtsextremen Inneres und Familie – so könnten sie beide ihre Lieblingspolicies durchsetzen, und kämen sich nicht ins Gehege. Und siehe, die stabile Regierungskoalition der 30er Jahre (oops) wäre geboren.
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Alles nur Schwarzbraunmalerei? (Öffnet in neuem Fenster)
“Och nee”, denkt Ihr Euch jetzt vielleicht, “das ist doch wieder nur der alte Depri-Tadzio, so schlimm wird's schon nicht werden.” Klar, es kann gut sein, dass ich mit dieser Prognose Unrecht behalten werde – auch wenn, I'm sorry to remind you, viele meiner bisherigen Prognosen sich durchaus bewahrheitet haben (die 3 Radikalisierungen (Öffnet in neuem Fenster), etc., woran der Diskurspatzer mit der “grünen RAF” nix ändert, so unglücklich er auch war) – aber zweierlei solltet Ihr Euch bewusst machen.
Erstens erleben wir derzeit – Stichwort Lina E. – ein dramatisches Wiederaufleben der intellektuell eigentlich schon lange sturmreif geschossenen sog. “Extremismusthese”, oder auch “Hufeisentheorie”, derentsprechend (think Hufeisen) die beiden “Extreme”, links und rechts, nicht nur beide gleich weit vom moralischen Maß aller Dinge, der “Mitte der Gesellschaft entfernt sind, sondern eben auch einander viel näher sind, als dieser Mitte. In short: Zecken sind mindestens genau so böse und gefährlich wie Nazis.
Diese “Analyse” (hüstel) wirkt angesichts tatsächlicher Realitäten wie den enormen Unterschieden in z.B. Todespferzahlen politischer Gewalt von Links und Rechts seit 1990 – unter zehn von links, mehrere Hunderte von rechts – ziemlich absurd, und wird trotzdem von gar nicht so dummen Leuten immer wiederholt. Und wie ich immer wieder betone: wenn kluge Leute Quatsch reden, ist oft Verdrängung am Start.
Anstatt Hufeisentheorie: die Mitte waren die Nazis, die Nazis waren die Mitte
Hier also eine kurze Geschichte der “Extremismusthese” aus den Untiefen der deutschen Verdrängungsgesellschaft, genauer, aus der Zeit direkt nach dem 2. Weltkrieg – und es geht, wie immer bei der Verdrängungsgesellschaft, um das verdrängen von Schuld und Verantwortung (btw: not the same thing (Öffnet in neuem Fenster)): Ihr kennt sicherlich den Begriff “Machtübernahme”. Ich zumindest habe damals in der Schule gelernt, dass die Nazis zum Ende der Weimarer Republik die Macht “übernahmen”, durch Notstands- und Ermächtigungsgesetze, durch Terror gegen politische Gegner*innen und unliebsame Teile der Gesellschaft. Anfang 1933 kam es also zur Machtübernahme, und von da an, als die Macht nicht mehr in den Händen des klugen aber erschöpften deutschen Bürgertums lag, ging alles den Bach runter.
Dumm nur, dass diese Geschichte so nicht der historischen Wahrheit entspricht, so komfortabel sie auch für Deutschland gewesen sein mag. Denn die "Mitte" der deutschen Gesellschaft hat die Macht an die Nazis übergeben, u.a., um die sozialistische Arbeiter*innenbewegung zu besiegen, und natürlich hat diese Mitte später auch fleißig mitgehitlert, mitgeprügelt und mitgemordet. Die Mitte waren die Nazis, und die Nazis waren die Mitte.
Als dann Deutschland besiegt, besetzt und erst dadurch scheinbar von sich selbst befreit wurde, musste das neue Deutschland sich selbst einreden, dass es nicht für jenes Böse aller Bösen, die Shoa verantwortlich war, auch nicht für die Gräuel der Ostfront (“gute Wehrmacht, böse SS”), etc. Daraufhin wurde die absurde "Hufeisentheorie" des Zusammenbruchs der Weimarer Republik an den Start gebracht, in der das aufrechte deutsche Bürgertum so lange wie möglich den Wahnsinnigen von Rechts und Links trotzte (klar, die Kommunisten haben mit der sog. "Sozialfaschismusthese" der stalinistischen Komintern, derentsprechend der Hauptfeind nicht der Faschismus, sondern die Sozialdemokratie sei, einen riesigen historischen Fehler begangen), bis sie dann nicht mehr die Kraft hatten, und Hitler und die NSDAP die Macht "übernahmen".
Aber es war eben keine Machtübernahme, sondern eine ziemlich konsensuelle Machtübergabe vom Bürgertum an die Nazis, die also nicht gegen, sondern durch die Mitte kamen. Und nochmal: die Deutschen waren die Nazis - da gab es kein Verhältnis von Externalität. A = B = A. Das bedeutet, dass in realitas Deutschland, die Deutschen (und nicht bloß eine fremde Kraft namens "die Nazis") für eines der schlimmsten Übel der Weltgeschichte verantwortlich waren. Und diese Schuld muss - remember #Verdrängungsgesellschaft (Öffnet in neuem Fenster) - natürlich verdrängt, auf Andere projiziert werden, so wie die Angst vor der Klimakatastrophe auf Klimaaktivist*innen verdrängt wird, denn Subjekte mögen keine unangenehmen Gefühlszustände, vor allem keine, die kommunizieren: DU UND DIE DEINEN SEID MORALISCHER ABFALL! Daher die gesellschaftliche Popularität der Extremusthese: sie ermöglicht es Deutschen mal wieder, andere für ihren Scheiß zu blamen.
Warum ist das wichtig? Naja, wenn meine Vorhersage stimmt, dann kippt Deutschland derzeit gefährlich Richtung Faschismus (dazu unten noch gleich mehr), und die “Mitte”, das oben mehrfach erwähnte deutsche Bürgertum, muss jetzt schonmal seine moralische Selbstentlasung vorbereiten – daher das Wiederaufleben einer akademisch schon diskredierten “Theorie”, denn dann wird es ja nicht Deutschland gewesen sein, das Schuld war am neuen Faschismus, sondern die linksgrünwoken KlimakommunistEN.
Der Faschismus ist die optimale politische Form der Verdrängungsgesellschaft
Aber warum bin ich mir eigentlich so sicher, dass der Faschismus in ganz Europa, dem globalen Norden, tatsächlich überall, wo es ein paar nationale Privilegien zu verteidigen gibt, auf dem Vormarsch ist und bleiben wird? Naja, dass er auf dem Vormarsch ist, ist kaum zu bestreiten: von den USA nach Russland, von Indien zum Bolsonarismo, von Schweden nach Italien und von Ungarn über Österreich nach Spanien, in all diesen Ländern regieren oder regierten Faschist*innen, oder tolerieren schwache konservative Minderheitsregierungen. Faschistischer Vormarsch: check.
Und warum wird er auf dem Vormarsch bleiben? Weil der Faschismus die optimale Ideologie einer Verdrängungsgesellschaft ist: Klimaleugnung? Findet man am ehrlichsten bei den Faschos. Auf Menschen anderer Hautfarbe, anderer Herkunft scheißen? Können Faschos am besten. Eine Außenpolitik, die sich nur nach doitschen Interessen richtet? Fordert die AfD am lautesten. Nun wissen wir alle mittlerweile, dass die jeden Tag eskalierende Klimakatastrophe einerseits innergesellschaftliche Konflikte entfacht und verstärkt, und in anderen Teilen der Welt derartige Verwüstungen anrichtet, dass viele Menschen in die Flucht getrieben werden – meistens bleiben sie in ihrem Heimatland oder flüchten in nahegelegene Länder, manche versuchen aber auch, ins noch verhältnismäßig wohlhabende Europa zu kommen, weil, you know: nicht in Armut leben wollen ist halt irgendwie nachvollziehba
Zunehmende gesellschaftliche Konflikte, zunehmender “Migrationsdruck”, ein zunehmendes Bedürfnis, die Klimakatastrophe zu ignorieren und die aus ihr trotzdem entstehende Angst auf easy targets zu projizieren? All diese Tendenzen sind strukturell angelegt, sind nicht zufällig, und werden sich, natürlich mit auf-und-ab-Zyklen innerhalb dieser säkularen Trends, immer weiter verstärken. In so einer Situation ist der Anstieg der Umfragezahlen für die AfD nicht die Schuld der linksgünen Wokeria, und auch nur teilweise der hart nach rechts blinkenden Union und FDP: er repräsentiert den sich zunehmend nach rechts, zur Verdrängung, zum trumpesquen schamfreien Arschloch-Sein tendierenden doitschen Volkswillen.
Die Rechten merken, wir merken das. Das Ende gewisser linksgrüner Hegemonien ist gekommen. Was jetzt kommt: das wird sich im Kampf entscheiden. So let's get ready for it.
Euer besorgter aber entschlossener Freund und Genosse Tadzio