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Die Klimabewegung in der Defensive, Teil 1: die LINKE als Bewegungsbunker?

[Generiert mit Stable Diffusion; prompt: " army fleeing towards red bunker"]

Liebe Leute,

wenn Ihr meine “Chroniken der Arschlochgesellschaft” in den letzten Wochen mitverfolgt habt (Teil I (Öffnet in neuem Fenster), II (Öffnet in neuem Fenster), III (Öffnet in neuem Fenster) und IV (Öffnet in neuem Fenster)), dann wisst Ihr: nach dem “coming out (Öffnet in neuem Fenster)” der nun endlich schamfreien Arschlöcher, im drastischen transnationalen Rechtsruck und dem anscheinend diesen Sommer beginnenden unkontrollierbaren Klimakollap (Öffnet in neuem Fenster)s (der in der Verdrängungsgesellschaft (Öffnet in neuem Fenster) nur zu mehr Verdrängung – mithin Dummheit und Brutalität – nicht zu mehr Klimaschutz führt), findet sich die Klimabewegung, das im weiteren Sinne “grüne Projekt”, findet sich die gesamte gesellschaftliche Linke in der Defensive wieder. Eine lange Phase linksgrüner kultureller Hegemonie auf der Werteebene (was ist gut und richtig, wohin sollte eine Gesellschaft streben? Zu mehr “Nachhaltigkeit”, zu mehr “Gleichstellung”, zu mehr “Inklusion und Toleranz”...) kam spätestens am 24.2.2022 an ihr Ende. Unter Klimastrateg*innen verschiedener Couleur, von der radikalsten Bewegungsakteurin bis zur moderatesten Ökothinktank-Referentin, ist die Überzeugung weit verbreitet, dass wir in der kommenden politischen Phase (über deren Dauer zu spekulieren müßig ist, weil alles viel zu schnell geht und zu viele unvorhersagbare Faktoren so etwas beeinflussen) keinen einzigen klimapolitischen “Vorwärtskampf” gewinnen werden, was auch wieder darauf zurückzuführen ist, dass die Arschlöcher “jede Vorwärtsbewegung von uns, ob diskursiv, policy, oder auf der Straße, als Versuch wahrnehmen (werden), sie wieder “in den Schrank” zurück zu sperren. Und wer einmal ein Outing erlebt hat, der weiß: there's no way back into the closet (Öffnet in neuem Fenster).”

Soziale Bewegung in der Defensive

To be honest, Defensivstrategien für die Klimabewegung zu entwickeln ist gar nicht so einfach. Erstens für mich ganz persönlich (in der Defensive fühl ich mich nicht wohl – zu reaktiv, zu schwach, zu wenig... naja, nach vorne); zweitens leben soziale Bewegungen im allgemeinen von und in der Vorwärtsbewegung, nicht umsonst verlaufen soziale Bewegungen in “Zyklen (Öffnet in neuem Fenster)”; und drittens ist die Klimabewegung hierzulande ist in doppelter Hinsicht eine recht junge Bewegung (sie existiert erst seit 2008, und hat spätestens seit dem Auftauchen und der hegemonialen Phase von Fridays For Future einen niedrigeren Alterdurchschnitt, als die meisten anderen Bewegungen, die ich kenne), die ich, in Anlehnung an Game of Thrones (hat tip Lady Stark), als die “knights of summer” bezeichnen würde. Ohne durch eine, ansonsten mit vielen Problemen verbundene, linksradikale Sozialisation darauf vorbereitet zu sein, muss diese junge Bewegung plötzlich mitansehen, wie das jahrelang gesellschaftlich geheuchelte Verständnis für Klimaaktivismus in sein Gegenteil umschlägt, und das tut nicht nur weh, es verunsichert auch, vor allem in Abwesenheit existierende Alternativen zu unseren bisherigen, am Ende natürlich weitgehend gescheiterten Offensivstrategien. Viertens und letztens muss sich in einer Klimaaktivistin alles sträuben, wenn von Defensive gesprochen wird, geht es unserer Bewegung doch um eine fundamentale gesellschaftliche Transformation in sehr, sehr kurzer Zeit – also hat man eigentlich keine Zeit für Defensive.

Ich kann diesen Gedanken gut nachvollziehen, habe aber auch in Erinnerung, was passierte, als die globalisierungskritische Bewegung – antineoliberale Gipfelproteste, Hochphase: 12/1999 – 9/2001 – in der ich politisch sozialisiert wurde, nach “9/11” auch eine Situation erlebte, in der sich die gesellschaftliche Stimmung gegen ihre, gegen unsere Inhalte drehte: wir verschwanden einfach. Klar lebten wir politisch in bestimmten Netzwerken und Diskursen weiter, haben aber, mit Ausnahme der politischen Praxen, die durch alte Säcke wie mich in die heutigen Bewegungen eingespeist wurden, im Ökosystem der sozialen Bewegungen ganz wenige Spuren hinterlassen, unsere Leute sind kaum als solche sichtbar, und unserer Kämpfe erinnern sich nur wenige. Warum war das so? Unter anderem, weil wir uns nicht in Institutionen “eingeschrieben” (sprich: eingezeckt) haben, weil “unsere Leute” kaum Jobs finden konnten, die ihnen erlaubten, ihre politische Arbeit auch jenseits von Mobilisierungshochphasen fortzusetzen, weil wir kaum Schutzräume hatten, in denen wir zunehmend repressive Phasen überwintern konnten.

Diese Erfahrung, diese Unfähigkeit der Bewegung, in der ich lernte, Politik zu machen, sich auf ein Defensivspiel einzustellen, hat mich lange umgetrieben, aber bisher konnte ich sie noch nicht in strategisches Denken jenseits von “auch Bewegungen brauchen relativ stabile Institutionen” übersetzen. Nach (zu?) langer vorbereitender Vorrede also: let's think defense.

Defensive ist anders, als Offensive

Wie sieht Defensive also überhaupt aus? Ok, vielleicht kann ich da nicht auf Erfahrungen aus meiner Bewegungspraxis zurückgreifen, aber aus meinen Erfahrungen beim Fußball oder Schach, beim Tischtennis oder in so ziemlich jedem anderen Spiel, das ich je gespielt habe, weiß ich: ein Offensivspiel sieht anders aus, als ein Defensivspiel. Das verteidigende Team (um jetzt mal beim Fußball zu bleiben) stellt sich anders auf, läuft anders, spielt die Bälle anders. In der Sprache der banaler und gleichzeitig tiefgründiger Fußballweisheiten ausgedrückt: Defensive ist anders, als Offensive.

(Einschub: Ich bitte jetzt schonmal die auch um Lützerat herum etwas zu präsente quasi-Militarisierung meines Sprechs zu entschuldigen, aber die Institutionen, die sich historisch und weltweit die meisten Gedanken über Offensiv- und Defensivstrstrategien gemacht haben, darüber, wie man in der Über- vs. in der Unterzahl kämpft, waren nunmal meist militärische. Und denkt bitte daran: strategische Überlegungen sind erst einmal amoralisch, d.h., wenn ich hier “Positivbeispiele” von “der anderen Seite” zitiere, bedeutet das nicht, dass ich die Gründe für deren Kampf teile, oder mich ihnen dadurch irgendwie an die Seite stelle).

Eine bekannte und beliebte Defensivtaktik kämpfender Bewegungspraxis ist die Barrikade. Worum geht es beim Barrikadenbau? Darum, die Bewegungsfreiheit eines Angreifers einzuschränken, womit wir auch gleich ein erstes Ziel einer guten Defensive herausgearbeitet haben: die Bewegungsfreiheit eines Angreifers einschränken. In diesem Sinne können Grund- und Menschenrechte durchaus als “Barrikaden” gesehen werden, wie gerade in der von der Union lancierten Diskussion über die Abschaffung des individuellen europäischen Grundrechts auf Asyl (das deutsche wurde Anfang der 90er unter dem Eindruck antimigrantischer Pogrome schon weitgehend abgeschafft): wenn CDU MdB Thorsten Frei (Öffnet in neuem Fenster) vorschlägt, das individuelle Anrecht auf Asyl durch eine neue Regelung zu ersetzen, dann sieht er sich in der öffentlichen Debatte mit Reaktionen konfrontiert, die darauf hinweisen, dass Grund- und Menschenrechte eben nicht einfach aufzuheben sind, eine Tatsache, die sowohl normative als auch rechtliche Wucht hat (z.B. Grundrechtsvorbehalt im Grundgesetz).

Die Barrikaden stehen nicht mehr...

Barrikaden sind von Natur aus nicht wahnsinnig haltbar und stark, sind sie doch meist spontan gebaut und verlaufen auf Straßen, die auch einfach geräumt werden können. Was also, wenn dereinst die Barrikaden abgeräumt sind, und sich der Angreifer offen im Terrain bewegen kann? Dann kommt es darauf an, Rückzugsorte zu haben, am besten überdachte und ummauerte, weil ein Schützengraben... Nunja, bequem sollen die nicht sein, und eben nach oben offen.

Und seit dem Coming-out der Arschlochgesellschaft befinden wir uns meiner Einsicht nach in ebenso einer Situation: viele normative Barrikaden scheinen gefallen, ich hab gerade auf Twitter Chrissi Linder gesehen, wie er mit heiserer Stimme eine astrein-sozialdarwinistische Rede im AfD-Stil hält, die, Zitat Lorenz Gösta Beutin (Öffnet in neuem Fenster), “vor einigen Jahren noch bei der NPD verortet (und) von Straßenblockaden und Menschenketten begleitet” worden wäre. D.h., der rechte Angreifer kann sich zunehmend offen im Terrain bewegen. Was sind in dieser Situation unsere Rückzugsorte, und hier docken wir wieder an meine Bewegungserfahrungen an: wenn die globalisierungskritische Bewegung u.a. so schnell und nachhaltig von der Bildfläche verschwand, weil sie keine Institutionen hatte, bedeutet das im Umkehrschluss, dass wir Institutionen brauchen, in die wir uns zurückziehen können, wobei “zurückziehen” eben bedeutet: auch jenseits von Mobilisierungshöhepunkten politisch arbeiten zu können, was u.a. auch politische Jobs bedeutet; das bedeutet, dass Geld fließen muss, und zwar stabil, nicht auf eine Art und Weise, die leicht abzustellen ist.

Institutionen als Bunker

Institutionen also, und zwar nicht im analytischen Sinne, in dem auch Sprache eine Institution ist, sondern eher im rechtlich-formalen, also (danke Wikipedia) Einrichtungen oder Organisationen bezeichnet, die einen ganz bestimmten Zweck haben und auf Dauer eingerichtet wurden.“ Die zentrale bewegungsnahe Organisierungsform jenseits der Bewegung ist sicherlich die NGO, die Nichtregierungsorganisation. Davon gibt es vor allem im grünen Feld eine ganze Reihe, war das doch neben der grünen Partei, mit der diese NGOs meist eng verbandelt sind (vgl. Graichen – ohne den ganzen Verschwörungsschmodder mitzunehmen, der diese rechte Kampagne durchzog), die zentrale Organisierungsform der Umweltbewegung, als und wennn diese keine große Mobilisierungsdynamik mehr hatte.

Die NGO ist aber eine sehr leicht angreifbare institutionelle Form, ein... Bunker mit sehr, sehr dünnen Wänden, wie 2014 schon die Erfahrung von attac (lustigerweise eine der ganz, ganz wenigen NGO-artigen Institutionen, die von der globalisierungskritischen Bewegung geschaffen wurden!) zeigt, denen die Gemeinnützigkeit aberkannt, und somit ein erheblicher Teil ihrer Finanzierung entzogen wurde. Oder aber auch die wichtige anti-Online-Hass-NGO HateAid, die mir zum Beispiel geholfen hat, als ich im "shit happens"-Shitstorm letztes Jahr massiver Hatespeech und online-Gewaltandrohungen ausgesetzt war, und gedoxxt wurde. Ihnen wurde gerade von Justizminister Marco Buschmann die weitere Förderung gestrichen, ohne erhebliche neue Finanzierungsquellen ist es mit Hate Aid praktisch erstmal vorbei. Wir sehen also: Institution ist nicht gleich Institution, manche sind sehr viel stabiler, als andere.

Die LINKE: #GemeinsamNeu?

So, und jetzt komme ich ganz zum Ende zur LINKEN, die ich ja im Titel erwähnt habe, und damit sicherlich einige von Euch irritiert habe: erstens, weil ich die LINKE ja in diesem Newsletter (wenn auch vor über einem Jahr) als „gescheitertes politisches Projekt (Öffnet in neuem Fenster)“ bezeichnet habe, und zweitens, weil die LINKE und Strategien der Klimabewegung seit „Aufstehen“ eigentlich nichts mehr miteinander zu tun haben. Jedoch: momentan läuft, wie Ihr vielleicht mitbekommen habt, unter dem #GemeinsamNeu der Versuch einer bewegungsnahen Neuaufstellung der LINKEN, symbolisch angeführt und eingeläutet von Carola Rackete als eine der Spitzenkandidat*innen der LINKEN für die Europawahl im Juni 2024.

Ich überlasse es hier Anderen, einzuschätzen, wie erfolgversprechend dieser Versuch derzeit ist – ich habe während meiner Arbeit bei der Rosa Luxemburg Stiftung zu lange der Partei abgearbeitet, habe im Versuch, die LINKE zu einer überzeugenden Konkurrenz zu den Grünen im Bereich Klimagerechtigkeit zu machen zu viele Rückschläge (einschließlich des Verlusts meines Jobs nach jahrelangem institutionell-gemobbt werden) erlebt, um mich hier jetzt wieder tief in Parteiinterna hinein zu begeben.

Im Kontext meiner Überlegungen re: stabile Bunker, however, erscheint mir #GemeinsamNeu ein extrem wichtiges Projekt, auf dessen Erfolg ich hoffe, und das ich mit meinen beschränkten Mitteln unterstützen werde (short of joining the party, weil das werd ich mein Leben lang nicht tun, einer Partei beitreten: movimiento siempre). Denn: Parteien sind vom deutschen Grundgesetz geschützt, sie haben Verfassungsrang. Tatsächlich wurde das deutsche Parteiengesetz in der BRD nochmal aufgrund der Erfahrungen der Weimarer Republik, damit, wie verhältnismäßig einfach es den Nazis fiel, ihre Parteienkonkurrenz auszuschalten, deutlich umformuliert, und die Hürde zum Beispiel zu Verbotsverfahren erhöht. Auch die Finanzierung von Parteien wurde von kurzfristigen Entscheidungen unabhängig gemacht, und allgemein geregelt.

D.h., dass eine Partei, in der unsere Bewegung einen Fuß hat, eben genau einer dieser Bunker sein könnte, von denen ich spreche. Parteien haben (wenn sie in die Parlamente kommen) Fraktionen, Fraktionen haben Referent*innen (also potenzielle Jobs für Bewegungskader, wenn die NGO-Wiese schon lange abgemäht wurde), können Veranstaltungen organisieren, Gelder bewegen, etc. Parteien können parteinahe Stiftungen einrichten, und die Schwierigkeit, die Desiderius-Erasmus-Stiftung von dieser Förderung auszuschließen, obwohl alle demokratischen Parteien dem zustimmen, sollte zeigen: hier hat die Gesetzgeberin tatsächlich einige Stützen, einige Hürden gegen Angriffe eingebaut.

In dem Sinne, aber nicht nur in diesem (wie schön wäre es, wieder eine Partei zu haben, für die man bei der Bundestagswahl stimmen kann, ohne sich danach duschen zu müssen?) hoffe ich wirklich, dass #GemeinsamNeu Erfolg hat. Weil: nen neuen Parteibunker bauen würde gerade zu lange dauern. Das macht man halt auch nicht, wenn der Gegner gerade angreift, das hat man Idealfall in den Jahren davor gemacht.

Soviel erstmal dazu, bald mehr zur Frage bewegungspolitischer Defensivstrategien. Bis dahin alles Liebe und mucho Solidarität,

Euer Tadzio

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