WeinLetter #64: Falscher Mehltau und das Bordeaux-Drama
Liebe Wein-Freund:in,
Du liest den WeinLetter #64. Heute gibt’s: Bordeaux. Oder besser: keinen Bordeaux. Denn 2023 ist ein Elend für die französischen Winzer:innen. Une Castrophe. Und sie trägt den Namen: Falscher Mehltau. Der Schlechtwetterpilz hat quasi die gesamte Ernte schon jetzt platt gemacht. Weg. Nix da mit Haut-Medoc, Margaux, St. Estéphe, Pauillac, Pomerol. Jahrgang 2023 ist fast weg. Und das, wo die Franzosen doch zuletzt die Überproduktion beklagt haben und deshalb für Ausstiegsprämien vom Staat demonstrierten. L'ironie du sort! Kann man da nur sagen. Doch auch diese Ironie des Schicksals hat einen Namen: Klimawandel. Changement climatique. Das beschreibt WeinLetter- und Bestseller-Autor Manfred Kriener extrêmement profond und beantwortet alle Bordeaux-Fragen. Die Mehltau-Fragen wiederum klärt Helmut Dolde. Wie arbeitet der Falsche Hund, pardon, Pilz? Was hilft dagegen (oder nicht)? Der Württemberger Winzer und Ex-Bio-und-Chemie-Lehrer weiß es! +++ Plus: Die Foto-Serie dieses WeinLetters stammt von Gerd Götz. Der Weinbauberater am Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz hat die verschiedenen Stadien des Befalls durch Falschen Mehltau eindrücklich dokumentiert. Es handelt sich um das Jahr 2016. In Deutschland. +++ Und jetzt empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied! (Öffnet in neuem Fenster) Aber vor allem:
Trinkt friedlich!
Euer Thilo
PS: Ich gehe jetzt mal kurz in Urlaub - und damit auch der WeinLetter. Wir kommen im September wieder, versprochen!
So endet es: Sporuliernde Beeren nach Befall durch Falschen Mehltau FOTO: GERD GÖTZ/DLR RHEINPFALZ (Öffnet in neuem Fenster)
Der Falsche Mehltau und die Bordeaux-Bredouille
von Manfred Kriener
1. Die Lage in der Region Bordeaux sorgt für Schlagzeilen: Wie groß ist die Wein-Katastrophe durch Falschen Mehltau?
Die Weinberge in der Region von Bordeaux, dem bekanntesten und größten Weinanbaugebiet der Welt, werden von einer Epidemie des Falschen Mehltaus in nie da gewesener Heftigkeit heimgesucht. Nach Zahlen der Landwirtschaftskammer der Gironde sind 90 Prozent aller Weinstöcke des Bordelais befallen. Die Region hat Notruftelefone eingesetzt und den betroffenen Winzern psychologische Hilfen angeboten. Teilweise überfliegen Drohnen die Weinberge, um das Ausmaß der Katastrophe zu dokumentieren. Viele Betriebe haben alles verloren, sie werden in diesem Jahr keine Trauben ernten können, andere müssen mit massiven Ertragseinbußen rechnen.
2. Ist nur die Region Bordeaux vom Falschen Mehltau betroffen?
Die Region Bordeaux ist am härtesten betroffen. Doch neben dem Bordelais haben auch andere Anbaugebiete wie Bergerac, das Jura sowie die Weinregionen Irouleguy, Provence und Languedoc mit dem Falschen Mehltau zu kämpfen. Dort sind die Ausmaße nicht ganz so verheerend.
3. Was sind die Ursachen für den Falschen-Mehltau-Befall in der Region Bordeaux?
Die tropisch-feuchten Wetterverhältnisse in Südfrankreich während des Sommers und späten Frühjahrs sind neben den riesigen Wein-Monokulturen die Ursache für den Pilzbefall. Der Falsche Mehltau, wissenschaftlich als Peronospora bezeichnet, ist eine gefürchtete Pflanzenkrankheit, die in den vergangenen Jahren wegen des veränderten Klimas stark zugenommen hat. Pilze lieben es feuchtwarm, und diese Witterungsverhältnisse herrschen schon seit Monaten im 110.000 Hektar großen Anbaugebiet des Bordelais. Morgens, so berichten betroffene Winzer, liege Tau auf den Blättern, dazu sei es häufig gewittrig mit starken Niederschlägen bei gleichzeitig hohen Temperaturen. Die Regenfälle Ende Juni hätten den ohnehin vorhandenen Mehltau noch einmal schlagartig geboostet, sagt Laurent Bernos, Direktor der Landwirtschaftskammer Gironde, jetzt habe er „stratosphärische Ausmaße“ angenommen.
Offenbar waren zunächst die Merlot-Rebstöcke befallen, inzwischen hat sich die Krankheit aber auch unter der etwas robusteren Rebsorte des Cabernet-Sauvignon ausgebreitet. Die Pilzkrankheit greift das Laub an. Es wird fleckig, an der Blattunterseite breitet sich ein Pilzrasen aus. Auch die Trauben werden attackiert, ein großer Teil der Beeren vertrocknet und schrumpft rosinenartig zu braun-harten Gebilden zusammen. Befallene Trauben können nicht geerntet werden, wenn Anfang September die Lese beginnt.
Erntejahr 2016 in Deutschland - so fängt es an: Pero-Schäden am Weinblatt FOTO: GERD GÖTZ/DLR RHEINPFALZ
4. Bordeaux und Falscher Mehltau: Das betrifft aber nicht die deutschen Winzer:innen, oder?
In Deutschland hatten die Weinberge in den Jahren 2016 und 2021 massiven Befall, einige Betriebe meldeten Verluste von bis zu 50 Prozent. In diesem Jahr sind die deutschen Anbaugebiete in Sachen Mehltau bisher mit einem blauen Auge davongekommen, sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut. Der Trockenstress durch fehlende Niederschläge sei aktuell das weitaus gravierendere Problem. Da haben allerdings die regenreichen letzten zwei Juli-Wochen geholfen. Teilweise ist in diesem Jahr der Traubenbehang recht hoch. Ich komme gerade vom Bodensee, wo die qualitätsbewussten Winzer:innen massiv Trauben rausschneiden mussten, um den Ertrag zu drosseln.
Peronospora wird aber auch in Deutschland ein Dauerproblem bleiben. Und gerade im Bioanbau sind die Abwehrmöglichkeiten reduziert. Wenn es zu heftig wird, reichen die Kupferspritzungen manchmal nicht aus. Pflanzenstärkungsmittel und Backpulver werden ebenfalls eingesetzt und können bei leichterem Befall und zur Prävention durchaus helfen.
5. Ist denn kein „Kraut“ gegen den Falschen Mehltau gewachsen?
Zur Bekämpfung des Pilzbefalls werden in den Berichten der Landwirtschaftskammer und der französischen Onlinemedien kaum Angaben gemacht. Aber klar ist, dass die Winzer im Bordelais nicht kampflos kapitulieren werden. Schon Ende April hatte sich dort die Zahl der Anwendungen von Pflanzenschutzmitteln gegenüber dem gleichen Zeitpunkt des Vorjahrs verdoppelt. Der Falsche Mehltau wird mit Antipilzmitteln bekämpft, das sind neben traditionellen Kupferverbindungen, die auch im Bio-Anbau erlaubt sind, vor allem synthetisch hergestellte Pestizide mit fungizider Wirkung.
6. Die Bordeaux-Winzer:innen galten bisher als Spritz-Weltmeister: Rächt sich das jetzt?
Wegen des intensiven Pestizideinsatzes in der Region ist das Bordelais in der Vergangenheit tatsächlich schon mehrfach in die Kritik geraten. Im November 2020 waren die beiden Weingüter Castel la Rose und Château de Barbe wegen unsachgemäßen Pestizideinsatzes zu Geldstrafen verurteilt worden. Auf einem Schulhof in der Nähe ihrer Weinberge hatten sich Schüler:innen beim Gesangsunterricht im Freien übergeben müssen, sie bekamen Hautausschläge und beklagten Übelkeit.
Die französische Bürgerinitiative „Giftalarm“, angeführt von der Winzertochter Valerie Murat, hat wiederholt Rückstandsmessungen bei Bordeaux-Weinen veranlasst und dabei 28 verschiedene Substanzen gefunden mit teils krebserregenden, teils hormonellen oder erbgutverändernden Wirkungen. Die Winzer:innen des Bordelais seien „süchtig nach Pestiziden“ hatte sie in einer aggressiven Presseerklärung geschrieben und war daraufhin im Februar 2021 wegen Verleumdung und übler Nachrede zu einer Geldstrafe von 125.000 Euro verurteilt worden. Die Berufungsverhandlung steht noch aus.
7. Den Betrieben in der Bordeaux-Region droht der komplette Ausfall der Ernte. Zuletzt litten sie unter einer eklatanten Überproduktion, die viele zum Aufgeben brachte. Was ist da los?
Die aktuelle Mehltau-Epidemie verschärft die ohnehin bestehende wirtschaftliche Krise der Bordeaux-Winzer:innen. Neben den gehypten Top-Weingütern, die nach wie vor astronomische Preise für ihre Gewächse von 1.000 Euro und mehr je Flasche erzielen, gibt es Heerscharen von kleinen Winzer:innen in den Randgebieten, denen es zunehmend schlecht geht. Die Keller sind voll mit Wein, die Franzosen trinken deutlich weniger. Es gibt Ausstiegs- und Rodungsprämien für die Bettriebe, aber das sichert keine Existenzen, das ist zu wenig, um zu überleben. Die Winzer:innen sind tatsächlich verzweifelt und jetzt kommt noch der Mehltau obendrauf.
Eine Umfrage der Landwirtschaftskammer Gironde offenbarte, dass 1.320 Weinbaubetriebe nach Selbstauskunft in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken. Jeder dritte von ihnen will aufgeben.
Der Falsche Mehltau macht sich breit: Ölflecken auf allen Weinblättern FOTO: GERD GÖTZ/DLR RHEINPFALZ
8. Werden die Bordeaux-Weine jetzt wegen der ausgefallenen Ernte teurer?
Das ist schwer zu sagen. Man muss trennen zwischen den sündteuren Spitzenprodukten von Lafitte, Mouton, Pétrus und Co und den anderen, kleineren Bordeauxgütern. Es steht zu befürchten, dass die teuren Weine noch teurer werden, weil fast eine komplette Ernte ausfällt. Die einfachen Tropfen werden wohl preiswert bleiben, weil die Keller voll sind.
9. Im Bordeaux wurden 2021 sechs PiWi-Rebsorten zugelassen: Haben die Franzosen den Klimawandel zu lange nicht ernst genommen – und jetzt ist es zu spät?
Die ganze Welt hat den Klimawandel nicht ernst genug genommen. Wir haben überall massive Probleme. Das Mittelmeer bei Mallorca erreichte am 1. August eine Wassertemperatur von unglaublichen 29 Grad. Und in deutschen Weinbergen werden verstärkt Bewässerungsanlagen gebaut. Der Weinbau in ganz Europa steckt im Schwitzkasten des Klimawandels mit massiven Auswirkungen in den kommenden Jahren.
10. Was kann die deutsche Weinbranche von der Bordeaux-Katastrophe lernen?
Es ist eine fürchterliche Lektion, die zeigt, dass mit dem veränderten Klima bestimmte Pflanzenkrankheiten eskalieren und ganze Ernten schlagartig vernichten können. Natürlich werden jetzt Anstrengungen zur Prävention unternommen und die Forschung wird verstärkt. Gleichzeitig ist diese Katastrophe ein zusätzlicher initialer Schub für die pilzwiderstandsfähigen Sorten, also für die bei manchen Weinliebhabern ungeliebten Piwis.
Das große PIWI A bis Z! Hier liest Du alles über die neuen Wein-Rebsorten! (Öffnet in neuem Fenster)
Manfred Kriener, Jahrgang 1953, geboren in Schramberg im Schwarzwald, ist Experte für Klima- und Umweltpolitik, Essen und Trinken. Er istAutor des Spiegel-Bestsellers „Lecker-Land ist abgebrannt. Ernährungslügen und der rasante Wandel der Esskultur (Öffnet in neuem Fenster)“ (S. Hirzl Verlag, 2020). Für den WeinLetter hat Manfred Kriener über die Flutkatastrophe im Ahrtal geschrieben (Öffnet in neuem Fenster) und über die Wein-Bilanz 2022 für Deutschland und Europa (Öffnet in neuem Fenster). FOTO: PIXELMANN
WeinWissen: Falscher Mehltau - das musst du über den Schlechtwetterpilz wissen!
Oben Ölflecken, unten Teppich: An der Blattunterseite hat der Falsche Mehltau einen Pilzrasen entwickelt FOTO: GERD GÖTZ/DLR RHEINPFALZ
von Helmut Dolde
Der Falsche Mehltau (Peronospora) wurde 1878 mit importierten nordamerikanischen Wildreben nach Europa eingeschleppt. Erstes Auftreten war in der Umgebung von Bordeaux. Peronospora ist eigentlich eher ein Problem von nördlichen, feuchteren Anbaugebieten.
Denn der Falsche Mehltau ist ein typischer Schlechtwetterpilz. Er braucht für die Infektion regennasse Blätter. Dabei schwimmen begeißelte Zoosporen über die Spaltöffnungen der Blattunterseite ins Blattinnere. Blütenknospen und kleine Beeren können bis zur Erbsengröße der Beeren befallen werden. Dann sind die Spaltöffnungen bei den Weinbeeren dauerhaft geschlossen.
Eine befallene Beere wird braunschwarz und dürr. Das ist dann je nach Befall ein massiver Ertragsausfall. Bei der Weinlese müssen die trockenen Beeren aussortiert werden, da die einen Muffton in den Wein übertragen können.
Sind Blätter befallen, reduziert das die fotosynthtische Fläche, die wachsenden Trauben werden nicht mehr so gut versorgt. Das bedeutet eine Qualitätsminderung.
Typische Falscher-Mehltau-Jahre in Deutschland waren 2016 und 2021 mit einem besonders kalten und nassen Sommer. Hier mussten viele Betriebe herbe Ertragsverluste hinnehmen.
Im Öko-Weinanbau ist das Ausfallrisiko noch größer, weil Kupfer das einzige, mögliche Mittel gegen Falschen Mehltau ist. Da es den Mehltau (echt und falsch) erst seit ungefähr 150 Jahren in Europa gibt, konnten die europäischen Kulturrebsorten durch evolutive Anpassung keine Resistenz ausbilden. Deshalb ist Pflanzenschutz notwendig.
Ende absehbar: Der Ertrag geht hier wegen des Falschen Mehltaus gegen null FOTO: GERD GÖTZ/DLR RHEINPFALZ
Das Mittel der Wahl sind Kontaktmittel, die sich auf der Oberfläche von Blättern und Trauben befinden. Diese Oberflächen sind gewachst, also fettfreundlich. Organisch-synthetische Kontaktmittel haften normalerweise gut an diesen Oberflächen, Kupfer mit seinem Salzcharakter schlecht. Kupfer wird deshalb leicht abgewaschen und muss nach jedem Regen schnell wieder nachgelegt werden. Das bedeutet häufig mehr Anwendungstermine und damit auch Überfahrten. Wachsen die Blätter und werden die Weinbeeren größer, entsteht eine Fläche, die noch keinen Schutz hat. Sobald eine kritische Fläche zugewachsen ist, muss man das nächst Mal spritzen. In Extremjahren muss man als Öko-Winzer:in also sehr viel mehr Kupfer ausbringen als vorgesehen.
Hilfe bekommt man durch neue Methoden der Vorhersage. Hierzu kann man das von Agroscope in der Schweiz und dem Weinbauinstitut Freiburg entwickelte Tool Vitimeteo nutzen. Da die Biologie des Echten und falschen Mehltau gut bekannt ist, wird mit den Wetterdaten einer benachbarten Station das Risiko einer Infektion berechnet. Eine virtuelle Pflanze wächst anhand der Wetterdaten mit und so weiß man stets, wie viel neue Oberfläche ohne Schutz da ist. Wird eine kritische Grenze überschritten, kann man beim Falschen Mehltau bis kurz vor dem nächsten Regen mit der nächsten Spritzung warten. So spritzt man nur, wenn es absolut nötig ist. Unnötige Spritzungen werden vermieden.
Zurück zur aktuellen Situation: Im Süden Europas ist normalerweise der "Schönwetterpilz" Echter Mehltau (Oidium) das Problem. Verrückte Welt: Wir Winzer:innen in Deutschland kämpfen dieses Jahr eher mit einem extremen Oidiumdruck durch den trocken-heißen Sommer. Mit Falschem Mehltau gibt es hingen nur vereinzelt Probleme, sie entstanden im regnerischen Mai.
Es ist wohl das Schicksal von uns Winzer:innen: Bei schlechtem Wetter kämpfen wir mit dem Falschen Mehltau, bei gutem mit dem Echten Mehltau.
Helmut Dolde, Jahrgang 1952, ist Winzer und betreibt das Weingut in Frickenhausen-Linsenhofen mit seiner Frau Hedwig. Erst war es Hobby, denn eugentlich unterrichtete er Biologie und Chemie am Gymnasiusm. Doch jetzt ist es Berufung. Seine Weinberge in Linsenhofen und im Neuffener Tal zählen mit mehr als 520 Höhenmetern zu den höchstgelegenen Deutschlands. Spezialität u. a.: Silvaner - und das in Württemberg am Füße der Schwäbischen Alb und nicht in Franken. Über den Silvaner Alte Reben von Helmut Dolde hat im WeinLetter der Ex-Umweltminister von Baden Württemberg Franz Untersteller geschrieben (Öffnet in neuem Fenster). FOTO: FRANZ UNTERSTELLER
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