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Make Klimaaktivismus sexy again: die Zukunft des zivilen Ungehorsams

Generiert mit: stable diffusion. Prompt: create an abstract image depicting civil disobedience

10.08.2023


Liebe Leute,

seit Monaten diskutieren wir darüber, ob die Aktionen der Letzten Generation “dem Klimaschutz schaden”, oder der Klimabewegung, oder dem gesellschaftlichen Klima, etc. Klar, diese Debatten werden primär geführt, um es sowohl der Verdrängungsgesellschaft, als auch der Klimabewegung zu erleichtern, ihr strategisches Scheitern an der Klimafrage noch weiter wegzudrängen (im Sinne der Projektion des eigenen Scheiterns auf andere Akteure). Und meine Antwort auf die Frage “schadet die LG dem Klimaschutz?” ist weiterhin die Gegenfrage: was meint Ihr, turnt Menschen eher vom Klimaschutz ab – dass er mit Sicherheit wahnsinnig teuer wird, eine fundamentale Transformation aller Lebensbereiche beinhaltet, viele alte Sicherheiten umstoßen wird (eben gerade, um das Umstoßen aller alten Sicherheiten zu vermeiden)...? Oder, dass ein paar hundert Menschen in orangenen Warnwesten dafür Straßen blockieren? You see, it's really quite obvious.

Ich weiß, die Zahlen der vielzitierten Studie von more in common (Öffnet in neuem Fenster) (MiC) legen nahe, dass Deutschland zwar die Klimabewegung zunehmend Scheiße findet, aber immer noch für “gerechten” Klimaschutz ist, der die Leute hierzulande “nicht überfordert”. Meine Analyse davon kennt Ihr vielleicht, ich will sie aber, da ich mich in diesem Text ausführlich auf die MiC-Studie beziehe, nochmal kurz darlegen: ich bin überzeugt, dass diese scheinbaren Mehrheiten für “gerechten”, “niemanden überfordernden” Klimaschutz sog. weiche Mehrheiten (Öffnet in neuem Fenster) sind, d.h., im Zweifelsfall nicht politisch belastbar. Gleichzeitg hat abstrakte “Zustimmung zum Klimaschutz” nix, aber auch garnix damit zu tun, ob solcher wirklich durchgesetzt wird – die abgefragte Variable “Pro Klimaschutz?” ist für den tatsächlichen Klimaschutz völlig irrelevant (manchmal haben die Neoklassiker*innen doch recht – z.B., wenn sie argumentieren, dass man Handlungen anschauen sollte, anstatt verbal artikulierte Präferenzen, nennt sich “revealed preference”).

(Quelle: more in common)

Ungehorsam ist unsexy geworden

Die Frage, die ich aber eigentlich diskutieren möchte, hat dann auch zuerst einmal nichts mit “Klimaschutz” im engeren Sinne zu tun, sondern handelt von der Legitimität der Aktionsformen der Klimabewegung, genauer, des zivilen Ungehorsams (ZU), den wir hierzulande vor allem in Form von Blockaden und Besetzungen kennen: dem rechtswidrigen aber legitimen Okkupieren relevanter Orte durch eine soziale Bewegung, ob Anti-Atom, Antifa oder eben die Klimabewegung. Und hier beginne ich tatsächlich, ein Problem zu erkennen, an dem die Letzte Generation nicht “Schuld” ist, weil das ne dämliche, irrationale und irrationalisierende Kategorie ist, aber für das sie möglicherweise eine nicht unerheblich Mitverantwortung trägt: ungehorsamer (Klima-)Aktivismus ist ziemlich... unsexy geworden, und, damit einhergehend, hat deutlich an gesellschaftlicher Legitimität verloren, vgl. die Zahlen von MiC.

Das ist ein echtes Problem, denn während Unterstützung für Aktionen der Klimabewegung nicht bedeutet, dass es dann Klimaschutz gibt, ist es doch so, dass, je weniger Support es für unsere Aktionen und Aktionsformen gibt, desto weniger Menschen nehmen an diesen Aktionen teil, treffen wir auf mehr und aggressivere Gegenwehr der autobewehrten Hilfssherriffs des Normalwahnsinns, und ist es leichter für die repressiven Staatsapparate, uns aufs Korn zu nehmen.

All diese Themen waren beim Workshop zur “Zukunft des zivilen Ungehorsams” auf dem System Change Camp in Hannover (Öffnet in neuem Fenster) präsent, bei dem eine große Zahl meist junger Aktivist*innen sich die Frage stellte, was die Probleme sind, die unsere Aktionen derzeit oft klein und oft ineffektiv enden lassen, und was mögliche Lösungswege wären. In der Diskussion wurde mir schnell klar, dass ein zentrales Element dessen, was die Tradition des zivilen Ungehorsams in Deutschland so einflussreich gemacht hat (vom global einzigartigen Atom- über den aus klimaperspektive zwar zu späten aber doch als Policymove der Bewegung zuzuschreibende Kohleausstieg (Öffnet in neuem Fenster) über große Erfolge gegen Neonazis wie z.B. in Dresden), vielen nicht wirklich bewusst war. Das Gespräch drehte sich nämlich vor allem um die Frage, wie wir unsere Taktiken “im Feld” (in der Aktion selbst) effektiver machen können, welche neuen Handlungsmöglichkeiten, Kommunikationsstrukturen etc. wir brauchen könnten.


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Warum eigentlich ziviler Ungehorsam?

Mir zumindest erschien es so, als würden die Genoss*innen in Hannover “zivilen Ungehorsam” vor allem als “taktisch effektiven Regelbruch” verstehen, weshalb es natürlich Sinn ergab, darüber zu diskutieren, wie unser ZU taktisch effektiver werden könnte, während die Frage der “Legitimation der Aktionen durch Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit” (incl. die gesamte Frage der Strategie) erst einmal ausgeklammert wurde.

Und genau darin liegt der Fehler, den zu verstehen uns erlauben wird, ein umfassenderes Verständnis von ZU und seiner Wirkungsweise zu entwickeln: beim zivilen Ungehorsam handelt es sich nämlich nicht bloß um taktisch effektiven Regelbruch, sondern gesellschaftlich legitimierbaren und deswegen taktisch effektiven Regelbruch. Ziviler Ungehorsam findet genau an der Grenze des Machbaren, an der Grenze zwischen bisher schon weithin legitimiertem Regelbruch (Beispiel: als weißer Bürgi in Berlin kiffen ist ein auch von den Cops meist akzeptierter Regelbruch; oder als schwuler Mann im Tiergarten öffentlichen Sex haben, same thing there), und bisher noch nicht legitimen Regelbrüchen statt, und versucht, diese zu verschieben.

So eine Verschiebung lässt sich, abstrakt gesprochen, auf zwei Wegen erreichen: entweder nimmt man ein Konfliktfeld, in dem bestimmte Regelbrüche schon legitim sind, und radikalisiert in diesem die Aktionsform. Ein Beispiel dafür war die Antiatom-Kampagne Castor? Schottern! (2010/11), die im schon ungehorsamsgesättigten Antiatom-Feld eine sonst von eher militanten Kleingruppen durchgeführte Aktionsform – das “Schottern”, also das Entfernen der Steine aus dem Gleisbett, auf dem später der Castor fahren würde, um diesen aufzuhalten – plötzlich en masse durchgeführt wird, und durch eine massive PR-Kampagne eben legitimiert wird. Im Grunde haben wir damals ziemlich offen gesagt “klar machen wir Sabotage im Wendland – wär doch crazy, wenn nicht”, nur haben wir nicht “Sabotage” gesagt, sondern den Begriff ZU einfach ein Bisschen ausgeweitet, basierend auf dem Verständnis desselben eben gerade als der Regelbruch, der von einem Großteil der Gesellschaft noch als vielleicht nicht richtig, aber als legitim wahrgenommen wird. Alternativ nimmt man eine schon legitimierte Aktionsform, und dehnt sie auf ein neues Themenfeld aus, wie zum Beispiel Ende Gelände mit der 5-Finger-Taktik und dem Antikohlekampf.


ZU in der Klimabewegung

In jedem Fall ist die Veränderung der gesellschaftlichen Einstellung zur Aktion ein zentraler Teil der Aktion. Ein wichtiger Grund, warum Ende Gelände für einen linksradikalen Akteur ungewöhnlich wenig Repression erleben musste, lag darin, dass ein erheblicher Teil der politischen und anderweitigen Ressourcen der Kampagne nicht nur in die Aktionsplanung floss, sondern in die Arbeit, unsere Aktionen gesellschaftlich zu legitimieren. Ende Gelände und die im Laufe der vergangenen Jahrzehnts immer effektiver kommunizierenden Hambis zusammen schafften es, Klimaaktivismus zu etwas zu machen, für das man mit “FoMo” (fear of missing out) mobilisieren konnte, schafften es, Klimaaktivismus sexy zu machen - & nicht, pace Trump, “wieder”, weil vor 2015 war Klimaaktivismus echt nicht sexy, nirgendwo, für (fast) niemanden.

Sexy, d.h. gesellschaftlich nicht nur legitim sondern sogar attraktiv zu sein, bedeutete auch, dass es sehr schwer war, die Klimabewegung mit Repression zu überziehen: meines Wissens nach ist keine einzige EG-Pressesprecherin jemals wegen öffentlichen Aufrufens zu Straftaten belangt worden (wenn ich da falsch liege, bitte sagt Bescheid, comments are open). Es war u.a. dieser Raum legitimen Regelbruchs, in den Fridays For Future in Deutschland hineintrat, und in dem FFF hierzulande so groß und einflussreich werden konnte.


Die Letzte Generation und der Ungehorsam

Ich kritisiere nun schon lange und immer wieder die politische... Entscheidungsunfähigkeit von Fridays for Future (erwarten wir von der Regierung Klimaschutz, oder nicht? Sind wir für Ungehorsam, oder nicht? Organisieren wir ihn, oder nicht?), aber eines kann man FFF nicht absprechen, nämlich ihre enorm große gesellschaftliche Legitimität. Und hier kommen wir zurück zur Auseinandersetzung über die Aktionsform(en) der Letzten Generation, denn: egal, wie man die Zahlen von MiC zum Support für Klimaschutz einschätzt (s.o.), so deutlich sind doch die Zahlen zur Unterstützung für die Aktionsformen der Klimabewegung: die rutscht rapide in den Keller. Klar steckt darin auch ein erhebliches Element von “oh dear, die Aktionsformen erinnern mich daran, dass wir viel zu wenig machen, also finde ich sie erstmal blöd, weil Verdrängungsgesellschaft”, aber natürlich finden Leute das erstmal grundsätzlich scheiße, wenn sie in ihren für sie völlig legitimen und meist notwendigen Alltagsabläufen gestört werden.

Alle Umfragen der letzten 1,5 Jahre bestätigen dies, und meine persönlichen, anekdotischen Erfahrungen (wie auch die vieler Klimaaktivisti, mit denen ich darüber sprach) decken sich völlig damit: bis 2019 brachte der Satz “ich bin Klimaaktivist” als Reaktion meistens entweder ein “so wie bei Greenpeace?” hervor, oder einen Verweis auf EG oder die Hambis; von 2019 bis 2022 wurde ich dann meistens Greta und Luisa zugeordnet – wichtig: all diese Verweise, einschließlich der auf Greenpeace, waren grundsätzlich positiv gemeint. Seit 2022 produziert der Hinweis auf Klimaaktivismus meist die gereizte Rückfrage, ob man denn Klimakleber sei, weshalb ich auch schon mit Genoss*innen sprach, die mittlerweile auf diese Selbstbeschreibung verzichten.

Worauf will ich hinaus? Darauf, dass die LG zwar nicht den Support für Klimaschutz reduziert (sie hat weiche Mehrheiten abgetragen, und auf ihren harten, politisch auch einlösbaren Kernsupport reduziert), aber doch erheblich den Support für ungehorsamen Aktivismus, für aktivistische Blockaden reduziert hat, was insofern ein Problem darstellt, als Blockaden bisher die zentrale Aktionsform des radikalen Flügels der Klimabewegung waren, und durch den Legitimitätsverlust der Aktionen auch die Teilnahmebereitschaft sinkt, sowie das Repressionspotenzial steigt (was dann wieder Einfluss auf die Teilnahme hat, & round & round it goes).


Anstatt LG-Kritik

To be clear, es geht mir hier nicht um eine Fundamentalkritik an der LG, deren Aktionsformen waren genau die Taktik, die notwendig war, um den letzten möglichen strategischen Move der Klimabewegung vor dem rechten Backlash noch durchzuführen, nämlich den “wer nicht hören will, muss fühlen”-Move

. Ich habe die LG oft gefeiert und bewundere sie in vielem, aber ein Aspekt dieser Bewunderung – die Faszination mit der unglaublichen Effizienz der LG-Aktionen (wenig Input, wenig Leute, viel Output) – lies eines außer acht: die Tatsache, dass die LG im Grunde den “politischen Overhead”, den Kampagnen- und Legitimationsapparat auf ein fast schon neoliberal anmutendes Minimum heruntergekürzt hat, was dazu führte, dass sie das Legitimationspolster des Klima-ZU nicht weiter vergößerten, sondern vielmehr abtrugen, mit jeder Straßenblockade erodierte ein Bisschen weiter die seit Wyhl '76 aufgetragene Legitimation des aktivistischen Ungehorsams.

Again: not their fault, but also their responsibility. Das stellt die Frage: wie damit umgehen? Kurz gesagt: die Klimabewegung muss daran arbeiten, den Ungehorsam wieder zu legitimieren, damit wir überhaupt wieder erweitert handlungsfähig werden. Da sehe ich einerseits die LG in der Pflicht, die zumindest mehr Aufmerksamkeit auf leicht legitimierbare Aktionen wie z.B. vs. Yachten und Privatjets legen sollte, auch, wenn diese nicht ganz die zentrale Strategie der LG fortschreiben. Andererseits Fridays For Future, die ihren Klimastreik am 15.9. nicht nur passiv-reaktiv dazu nutzen sollten, zu zeigen, dass wir immer noch einige (nicht: viele) sind, sondern zu zeigen, dass wir ungehorsam und somit handlungsfähig sind, sie sollten einiges ihrer Legitimität für die Bewegung im allgemeinen nutzen, denn ohne “radikale Flanke” ist auch ein bestens aufgestellter moderater Flügel (which Fridays definitely isn't) nicht nur ineffektiv – er ist auch einfach unsexy.

In dem Sinne: let's do what the Hambis & EG did nearly ten years ago. Let's make climate activism sexy again.

Euer Tadzio

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