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Nach den 129er-Razzien: Vom Ende der Klimamehrheitsillusion

25.5.2023

Liebe Leute,

Die völlig bekloppten Razzien gegen die Letzte Generation und die befriedigte Reaktion der Mehrheitsgesellschaft, der verlorene Berliner Klimavolksentscheid, das (kommende) krachende Scheitern des Heizungsenergiegesetzes zeigen: die Welt ist im Wandel. Wir spüren es im Wasser. Wir spüren es in der Erde. Wir riechen es in der Luft. Leider sieht dieser Wandel nicht so aus, wie wir “Klimas”, von der außerparlamentarischsten Anarchistin hin zum ausgefuchstesten wirtschaftsgrünen Karrieristen, uns ihn erhofft, nay, vorgestellt hatten: der Trend geht weg von einer rationalen Klimadebatte und von Klimaschutz als gesamtgesellschaftlichem Ziel, hin zum irrationalen Kulturkampf, zum “war on woke”. Und damit stirbt endlich die immer schon irrationale Hoffnung darauf, in der Externalisierungs- und Verdrängungsgesellschaft Deutschland eine Mehrheit für effektiven Klimaschutz zu organisieren.

How did we get here?

Die Geschichte von den Zyklen des Klimakampfes (Öffnet in neuem Fenster) habe ich schon erzählt, hier soll es darum gehen, die Strategie der Klimabewegung von der Perspektive gesellschaftlicher Rationalitäten, mithin der Suche nach Mehrheiten zu verstehen. Denkt Euch also bitte, sofern das vom Alters- und Erfahrungshintergrund her geht, in die Situation der Klimabewegung 2010, nach dem spektakulär geflopten COP15-Klimagipfel in Kopenhagen hinein. Dort wurde der ganzen Welt verdeutlicht, dass zwar “die ganze Welt” ein allgemeines Interesse daran hatte, das Klima zu schützen; dass dieses Interesse aber äußerst ungleich verteilt war: der globale Norden blockierte die Verabschiedung eines Kyoto-Protocol Follow-Up-Abkommens, und der Bewegung wurde klar: von den UN-Klimagipfeln ist kein Klimaschutz zu erwarten, wir werden ihn selber machen müssen. In Handarbeit. Nur: wie sollte das gehen? Von der Anti-Atom-Bewegung lernen hieß, Siegen lernen.

2010 war nämlich auch das Jahr, in dem die Regierung Merkel II in einem dreckigen Hinterzimmerdeal mit den alten Energieoligopolisten den alten Atomausstieg kassierte (“Laufzeitverlängerungen”). Die alte, teils erfolgreiche, teils besiegte Anti-Atom-Bewegung lebte auf, gewann kurz danach den signifikantesten sozialökologischen Bewegungserfolg hierzulande: den Atomausstieg (Öffnet in neuem Fenster).

Wie dieser global einzigartige Erfolg erkämpft wurde, habe ich im Detail hier (Öffnet in neuem Fenster) beschrieben, wichtig für uns ist daran, dass eine zu erheblichen Teilen außerparlamentarische Strategie (1. hatten die Grünen seit “ihrem” Atomausstieg 2002 den Kampf im Grunde beendet, 2. war die damals regierende Schwarz-Gelbe Koalition beileibe kein “Ally”) es in den Jahren 2002 – 2011 schaffte, eine solide gesellschaftliche Mehrheit gegen die Atomkraft zu stabilisieren. Merkel sah sich so nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima und vor der drohenden Niederlage bei den BaWü-Wahlen (Kretschmann vs. Mappus) von der gesellschaftlichen Anti-Atom-Mehrheit zum 2. und (hoffentlich) endgültigen Atomausstieg gezwungen.

Inspiriert diesem Sieg im sonst “hoheitlichen” (pöbelundurchlässigen) Feld der Energiepolitik, in das hinein sich unsere Aktivitäten nach Kopenhagen verschoben hatten – wir gingen in die Kohlereviere, um die Klimakatastrophe at the point of its production zu bekämpfen – schrieben wir unsere Strategie ziemlich direkt von der siegreichen Anti-Atom-Bewegung ab, hofften also, ähnlich stabile außerparlamentarische Mehrheiten gegen die Kohle aufzubauen, um dann irgendwann, eventuell unter dem Eindruck eines klimakrisenbedingten Extremwetterevents, die Regierung zu einem frühzeitigen Kohleausstieg zu bewegen. 

2015-2018: Weiche Mehrheiten für den Kohleausstieg

Auf dem Papier sah das eigentlich ziemlich einfach aus.

  1. Die Klimaperspektive: die Diskussion im Vorfeld des Kopenhagener Klimagipfels hatte immerhin eines klargemacht – der zentrale Treiber der Klimakatastrophe (damals meist noch Klimawandel, manchmal Klimakrise genannt) sind fossile Brennstoffe, von denen ist die Kohle der dreckigste, und die Braunkohle, in deren Förderung Deutschland einen seiner begehrten Weltmeistertitel eingeheimst hatte, ist wiederum die dreckigste Kohle, die es gibt. Ergo bedeutet ein früher Kohleausstieg mehr Klimaschutz, der sich zwar erst in 50 Jahren niederschlagen würde, aber doch im allgemeinen Interesse liegt.

  2. Die Betroffenheitsperspektive: es stimmte zwar, dass Deutschland, der globale Norden im Allgemeinen noch nicht so stark von der Klimakrise betroffen war, wie der globale Süden, aber die USA hatten 2005 ihren Katrina-Moment, Al Gore hatte seinen nobelpreisprämierten Diavortrag vor allem im Norden gehalten, und auch bei der Anti-Atom-Frage ging es oft weniger um direkte Betroffenheit im Jetzt (mit Ausnahe natürlich des GAUs in Tschernobyl), als darum, eine durchaus angstgeschwängerte Erzählung über eine dunkle mögliche Zukunft zu nutzen, um Mehrheiten herzustellen.

  3. Die ökonomische Perspektive: gesamtgesellschaftlich gesehen war der schnelle Kohleausstieg eigentlich auch ein “no-brainer”. Auf der einen Seite die unter 20.000 Arbeitsplätze in den deutschen Braunkohletagebauen (Öffnet in neuem Fenster) (klar: stark geclustert, daher politisch schwerer zu bearbeiten), auf der anderen Seite die 2010 ca. 300.000 Arbeitsplätze in den Erneuerbaren Energien (Öffnet in neuem Fenster). Und da ein sog. “Systemkonflikt” zwischen der grundlastorientierten Kohlestromproduktion und der flexibleren erneuerbaren Stromproduktion besteht – mehr Kohle heißt tendenziell weniger Erneuerbare, und umgekehrt – war die Rechnung ja einfach. Die größere Lobby würde gewinnen, richtig?

Scheinbar. In den Jahren 2010 bis 2018 – dem Jahr, in dem mit dem “Hitzesommer” die Klimakatastrophe auch in Deutschland angekommen war – schafften wir es tatsächlich, gesellschaftliche Mehrheiten gegen die Kohle in Stellung zu bringen: “Bundesweit (Öffnet in neuem Fenster) gibt es (2018) eine eindeutige Mehrheit für ein Gesetz zum schrittweisen Kohleausstieg: 75 Prozent der befragten Bundesbürger stimmen überein, dass die kommende Bundesregierung unverzüglich ein Gesetz zum schrittweisen Kohleausstieg beschließen soll.”

Hier aber offenbarte sich das erste Problem scheinbarer “Mehrheiten” für Klimaschutzpolitiken in Deutschland: die anti-Kohle-Mehrheit war eine weiche Mehrheit, d.h., Menschen stimmten der Aussage “es braucht einen schnelleren Kohleausstieg” zwar zu, waren aber nicht bereit, dafür irgendeine Art von Anstrengung jenseits dem Unterschreiben einer Petition auf sich zu nehmen, während die Gegenseite, angeführt von der aus gegebenem Anlass hochmotivierten Bergbaugewerkschaft IG BCE, auf der Basis einer “harten Minderheit” kämpfte. Diese Gemengelage, in der die letzte GroKo dann den klugen Move der Kohlekommission machte, produzierte am Ende einen klimapolitisch völlig unnützen, weil viel zu späten Kohleausstieg 2038. In short: wir hatten eine Mehrheit, und verloren trotzdem, weil diese Mehrheit weich war. Sie entsprach dem Muster: Klimaschutz? Klar. Aber nur, wenn ich mich dafür nicht stressen muss.

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2019-2021: Weiche Mehrheiten für den Klimaschutz (Öffnet in neuem Fenster)

Aber vielle (Öffnet in neuem Fenster)icht war das Problem nur, dass die harte (weil betroffene) Minderheit den Kampf gewinnen konnte, weil die Klima (Öffnet in neuem Fenster)katastrophe noch nicht genug in Deutschland angek (Öffnet in neuem Fenster)ommen war, der Hitzesommer 2018 war noch nicht tief genug in die Knochen eingesunken, und, klar, das “Klimaangebot” kam bisher üblicherweise von nicht besonders gut gesellschaftlich beleumundeten Linksradikalen. Vielleicht wäre unser Kampf tatsächlich so versandet, wie, vorläufig, der der Anti-Atom-Bewegung nach dem mäßigen Atomausstieg 2002, der die Bewegung als komplizierter Teilerfolg spaltete und enorm schwächte, wäre da nicht die junge Generation Klima in Gestalt von Fridays for Future angekommen, angeführt von der epischen Figur der Greta Thunberg.

Daraufhin sah es “auf dem Papier” wieder etwas einfacher, zumindest ein Bisschen hoffnungsvoll aus:

  1. Die Klimaperspektive wird zur Betroffenheitsperspektive: 2019 war das 2. Jahr, in dem die Klimakatastrophe in Deutschland wirklich spürbar war. Dies war insofern relevant, dass sich daraus durchaus die Hoffnung ableiten ließ, dass die bisherige “weiche Mehrheit” aufgrund der sich verändernden Betroffenheit durch die Klimakatastrophe zu einer harten Mehrheit werden könnte, ging es doch mittlerweile offensichtlich auch um die Stabilität des eigenen Lebens, nicht nur irgendwelcher anderer Leben irgendwo anders. Man sollte meinen, oder eher: hätte meinen sollen, dass die Angst um die eigene nahe Zukunft die eigenen Interessen neu dar-, und das eigene Verhalten neu aufstellt.

  2. Die ökonomische Perspektive: diese blieb zugegebermaßen eine schwierige, denn die Mehrheit der Menschen hierzulande profitiert natürlich relativ zu Menschen im globalen Süden von der Weiterführung des fossilen Wachstumskapitalismus, der das Klima zerstört, hängt doch das komplette Land im Kern am deutschen Autosektor und seiner Überproduktion-übergroßer-Premiumautos-für-übergroße-Premiumprofite-Strategie (auch die Bezieher*innen staatlicher Leistungen tun dies vermittelt). D.h., dass ein mittel- bis langfristiges ökonomisches Interesse (schon seit dem 2006er Stern-Report versuchen Ökonom*innen den Menschen zu erklären, dass alles ohne Klimaschutz hinten raus viel teurer würde) zu einem kürzerfristigen Interesse ins Verhältnis gesetzt werden musste, und da zieht meist die “Spatz-in-der-Hand”-Logik, u.a., weil Menschen schrecklich schlecht darin sind, adäquate Diskontsätze zu denken.

  3. Die ethisch-politische Perspektive: diese wird relevant, weil jetzt nicht mehr nur Links- und Ökoradikale – sprich: andere – mehr Klimaschutz forderten, diesmal waren es die eigenen Kinder, denen gegenüber sich das Bürgertum anders rechtfertigen muss. Auch die Ansprache von Greta Thunberg in der damaligen Sturm-und-Drang-Phase von Fridays For Future machte diese Dimension auf, als sie einen der Schlachtrufe ihrer Generation artikulierte: how dare you? Im Grunde war 2019 klar (diesen ideologischen Erfolg immerhin kann sich Fridays For Future auf die Fahnen schreiben, egal, wie lost dieser Ex-Bewegungshegemon mittlerweile manchmal erscheint, vgl. die “Blutgrätsche (Öffnet in neuem Fenster)”): wer keinen Klimaschutz machen will, ist ein Arschloch, .

Dummerweise waren diese Mehrheiten eben wieder weiche, und die sich mit sowas sehr viel besser auskennenden Politiker*innen der damals noch regierenden GroKo waren sich dieser Tatsache sehr bewusst, ungefähr: “die Deutschen wollen keinen echten Klimaschutz, der würde sie viel zu viel kosten – was sie wollen, ist das Gefühl, dass jemand das Klima schützt, während sie weiter ihr Leben leben können, ungestört von Klimakatastrophe, Transformation und Klimaaktivismus.” Auf dieser Basis entstand das berüchtigte (später vom BverfG gekippte, weil völlig unzureichende) Klimapäckchen von 2019, das die Bundesregierung bezeichnenderweise genau dann veröffentlichte, als die FFF-Führungsriege vor 1,4 Millionen Menschen standen, den größten Demos der BRD-Geschichte, und mind. drei Viertel der Bevölkerung der Meinung, dass Klimaschutz eine größere Rolle im Regierungshandeln spielen sollte (Öffnet in neuem Fenster). Weiche Mehrheit = kein effektiver Klimaschutz; und wer “harten” Klimaschutz anbietet oder verlangt, kriegt dafür keine Mehrheit.

Dieses Szenario wiederholte sich dann 2021, dem nächsten Scheitern der auf Mehrheiten setzenden Strategien, in diesem Fall der “Volksparteistrategie” der Grünen, und der elektoralen Strategie von Fridays For Future (“Klimawahlen”). Die Grünen wurden, allem schwarz-grünen Kuscheln zum Trotz, von der Bevölkerung als die Partei “harten Klimaschutzes” gesehen (oder brachten zumindest die Angst hervor, dass sie irgendwann mal was “hartes” fürs Klima machen würden), weshalb sie, wie üblich bei Bundestagswahlen, am Ende nur etwa halb so viele Prozente bekamen, wie ihnen zu Beginn des Wahlkampfes zugetraut wurden; stattdessen entblödete sich Deutschland, die BetonSozen zur stärksten Partei zu machen, und einem Mann zu glauben, er wolle als Klimakanzler regieren, der bis 2017 noch nicht wusste, wofür ppm steht. Das sind nicht die Wahlentscheidungen einer Gesellschaft, die verstanden hat, dass Klimaschutz jetzt aba richtig stattfinden muss, das sind die Wahlentscheidungen einer Verdrängungsgesellschaft.

2022 f.: Harte Mehrheiten gegen die Transformation

Seitdem hat sich einiges verschoben, ich möchte mich hier auf zwei Elemente konzentrieren: 1. den Aufstieg der Letzten Generation von verschroben wirkendem Nischenakteur (“Hungerstreik”) zum dominanten Player der Klimabewegung (Öffnet in neuem Fenster), und 2. die wachsende Einsicht der deutschen Externalisierungsgesellschaft, dass Klimaschutz sie wirklich etwas kosten würde, sowohl ökonomisch wie psychologisch und lebenspraktisch. Diese beiden Elemente zusammen schmelzen die weichen Mehrheiten für Klimaschutz tatsächlich ab, und das sind die empirisch messbaren Daten, auf die viele gerade ihre linksökologischen Kritiken an der Letzten Generation basieren, aber tatsächlich schmelzen hier keine politisch wirkmächtigen, sondern rein illusorische Mehrheiten ab.

Wer nämlich wirklichen Klimaschutz fordert, vorschlägt, oder, wie die letzte Generation, durch ihre nervigen und umkämpften Aktionen sozusagen “präfiguriert”, im hier-und-jetzt süprbar macht, wird merken: es gibt keine Mehrheiten für echten Klimaschutz. Hat es noch nie gegeben, gibt es nicht, und wird es in naher und mittelfristiger Zukunft auch nicht geben. Bisher habe ich immer nur aufgeschrieben, auf der konzeptionellen Ebene, warum das sehr wahrscheinlich so sein wird. Hier habe ich hoffentlich erklärt, dass und warum es bisher immer so wahr, und derzeit auch so ist. Alle mehrheitsbasierten Strategien der Klimabewegung, des “grünen gesellschaftlichen Feldes” sind gescheitert. Diejenigen, die jetzt die Letzte Generation, die Macher*innen des Berliner Volksentscheids oder gar die Grünen und ihr Heizungsenergiegesetz kritisieren, und ihnen vorwerfen, so dem Klimaschutz einen Bärendienst erwiesen zu haben, übersehen alle diese zentrale Tatsache: they never had a chance. Kein Vorschlag, der tatsächlich negativ in die Leben vieler Menschen hierzulande eingreift, um das Klima zu schützen, wird sich je der Unterstützung harter Mehrheiten erfreuen, tatsächlich wird es, so meine Prognose, immer (oder zumindest in vorhersehbarer Zukunft) harte Mehrheiten gegen die Transformation geben.

Das bedeutet: Klimaaktivismus und -gesetzgebungen, die dem alten “Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass”-Prinzip folgen, das Klimaschutz zum (relativen) Nulltarif verspricht, werden unterstützt und möglicherweise auch gewählt werden. Aber das bringt halt nur dem eigenen Gewissen was, und dem Klima nix. Aktivismus und Gesetze, die tatsächlich das Klima schützen, also die deutsche Externalisierungsgesellschaft etwas kosten würden, werden bekämpft und verteufelt werden.

Darauf müssen wir uns einstellen. Wie genau das aussehen wird, kann ich jetzt noch nicht sagen. Die völlig bekloppten Razzien gegen die Letzte Generation zeigen den Weg, den die Gegenseite gehen wird. Welche die Klimabewegung einschlagen wird, ist noch offen (hier ein Vorschlag von mir (Öffnet in neuem Fenster)). Mein 1. Weg aber führt mich morgen nach Rügen. Dort kann man vielleicht wieder kurz Mehrheit sein. Would be nice.

Euer Tadzio

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