“Vorerst besiegt” heißt nicht endgültig geschlagen
Die drei Zyklen des Klimakampfes
Gestern, 30.11.2022 im Berliner Tagesspiegel (Öffnet in neuem Fenster): “Klimaaktivist Tadzio Müller im Interview: 'Die Klimabewegung ist vorerst besiegt und gescheitert'” lautet die Überschrift, der Text bleibt leider hinter einer Paywall unsichtbar (Ihr könnt Ihn hier (Öffnet in neuem Fenster) als Twitter-Thread lesen) – aber die Headline reichte aus, um zu einem... sagen wir mal, Minishitstorm in meiner persönlichen Lebensbubble zu führen. Viele Genoss*innen meldeten sich, fragten mich entweder entgeistert, was ich damit gemeint hätte, andere, z.B. aus Lützerath, von der Scientist Rebellion oder der Letzten Generation, meldeten sich mit Geschichten von Erfolgen, vom Gefühl, endlich etwas bewegen zu können, und immer wieder wurde ich gefragt, was aus dem meist sogar übermäßig optimistischen “Hoffnungsonkel” (oder auch, wie ich in meiner alten Bezugsgruppe mal genannt wurde, “Motivationstanzbärchen”) für ein defätistischer, bewegungsverzwergender alter Grantler geworden sei. Keine dieser Kritiken war unfair, alle hatten Ihre Berechtigung – und trotzdem stehe ich zu meinem Punkt, der zugegebenermaßen nach der dritten Kürzungsrunde des Interviews ziemlich kontextfrei im Interview stand, daher möchte ich meinen Newsletter-Text diese Woche dafür nutzen, meine Position nochmal detaillierter darzulegen. Und spoiler alert: “Vorerst besiegt” heißt nicht endgültig geschlagen.
(Enter: der Bewegungsmärchenonkel)
Soziale Bewegungen, das weiß die soziale Bewegungsforschung, das wissen vor allem aber Bewegungen selbst, verlaufen in Wellen oder auch Zyklen: es ist schwer, für die meisten von uns unmöglich, ständig mobilisiert, ständig in Bewegung zu sein. Ich zumindest kann nicht jeden Tag demonstrieren, blockieren, besetzen – ich muss auch mal Chillen, und mein Leben kann nicht nur aus Kampf bestehen, sonst platzt mein Hirn irgendwann, und gelegentlich will ich auch mal einfach nur ne schöne Zeit haben. As for the individual, so for movement.
Die deutsche Klimabewegung, die bis vor kurzem vor allem eine anti-Kohle-Bewegung war, hat bisher zwei Zyklen durchlaufen. Nach einer etwas verwirrten Anfangsphase – 2008 fand das 1. Klima- & Antirassistische Camp in Deutschland statt, in Hamburg-Moorburg (bekannt u.a. aus den diesjährigen Ende Gelände-Aktionen), 2009 mobilisierten wir mit all unserer damals noch sehr begrenzten Macht zum/gegen den Klimagipfel COP15 in Kopenhagen, auf den wiederum die “post-Copenhagen-depression” folgte – wurde 2010 im Rheinland das 1. regionale Klimacamp organisiert, 2011 folgte das 1. Lausitzer Klimacamp.
Damit beginnt der 1. Zyklus der dt. Klimabewegung, die Phase, die ich als die “linksradikal geführte” bezeichne. Während die Jahre 2010 – 2014 als die “Mühen der Ebene” beschrieben werden könnten – Klimacamps versammelten kaum mehr als ein paar hundert Leute, die größte Aktion im Rheinland wurde von schön gerechnet 400 Leuten durchgeführt, Aktionen des Lausitzcamps manchmal nur von 20, und trotz ständig eskalierender Klimakrisenmeldungen kümmerte sich die Verdrängungsgesellschaft im allgemeinen einen Scheißdreck um uns, es gab ja auch “Wichtigeres”, die Eurokrise zum Beispiel. Trotzdem etablierten linksradikale Akteure, zuerst die Hambi-Besetzung ab 2012, ab 2014 Ende Gelände (EG), eine starke Hegemonie in der Bewegung, die sich auch oft Klimagerechtigkeitsbewegung nannte – obwohl, tbh, es sich eher um ein “radical action climate movement” als eine wahrhaft internationalistisch agierende climate justice Bewegung handelte.
Team Kohle
2015 verließen wir mit der 1. erfolgreichen EG-Aktion – endlich hatten wir die Tausender-Marke geknackt, waren zu einem bundesweiten Medienevent geworden, und hatten es geschafft, Klimaaktivismus sexy zu machen (not a mean feat back in those days) – die Mühen der Ebene, und es begann die heroische Phase des 1. Kampfzyklus (Öffnet in neuem Fenster): von 2015 bis 2018 eilte die Bewegung von Erfolg zu Erfolg, jede EG-Aktion war erfolgreich, zumindest taktisch, aber meist, wie 2016 in der Lausitz, und 2017 während der Bonner COP23; und im Herbst 2018 schafften es die ursprünglich gesellschaftlich eher marginalisierten Hambi-Besetzer*innen, die Aufmerksamkeit und – etwas untypisch für militante Anarchist*innen, zu den Sympathieträger*innen der Republik zu werden, und schlussendlich etwas zu schaffen, was sozialen Bewegunger hierzulande seit Ewigkeiten nicht mehr gelungen war: einen konkreten, materiellen (Öffnet in neuem Fenster)Ort (Öffnet in neuem Fenster) gegen die geballte Macht des fossilen Staates (NRWE) zu verteidigen (Öffnet in neuem Fenster), gestützt auf eine bis dato nie gesehenen Solidarisierungswelle aus der “Mehrheitsgesellschaft”. Kurz: plötzlich waren wir Linksradikalen die Guten, während wir doch in der alten BRD immer “Das Andere”, das Böse waren.
Die Forderung “Kohleausstieg Jetzt” war gesetzt, und für ein paar glorreiche Wochen im Herbst 2018 erschien es so, als stünden wir kurz davor, den Erfolg der Anti-Atom-Bewegung (deren Strategie wir im Grunde kopiert hatten (Öffnet in neuem Fenster)) zu wiederholen, und einen klimapolitisch relevanten frühen Kohleausstieg zu erkämpfen.
Aber wir hatten die Rechnung ohne die Gegenseite gemacht. Unter der strategischen Führung des Politgenies Michael Vassiliadis, seineszeichens Chef der Kohle- und Chemiegewerkschaft IG BCE (seine Partnerin ist derzeit Chefin des DGB, und war früher SPD-Generalsekretärin) überzeugte Team Kohle die GroKo, die landläufig “Kohlekommission” genannte “Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung” einzusetzen, und die Abwesenheit der Worte “Klima” und “Kohle” im Namen sprach Bände. Warum das für uns (in diesem Fall nicht nur für die Bewegung, sondern für die ganze Welt außer manchen Deutschen) scheiße laufen musste, hab ich andernorts aufgeschrieben (hier (Öffnet in neuem Fenster)), und ich gestehe, den Outcome etwas zu schwarz gemalt zu haben, immerhin wurde dort das Prinzip, der Präzedenzfall (Öffnet in neuem Fenster) des Atomausstiegs bestätigt: soziale Bewegungen können erfolgreich “von unten” den Ausstieg aus einer dreckigen und/oder gefährlichen Risikotechnologie durchsetzen... Aber: aus klimapolitischer Sicht war es natürlich eine krachende Niederlage, dass eines der reichsten Länder der Welt kurz nach dem “Hitzesommer 2018”, in dem vielen von uns klar wurde (Öffnet in neuem Fenster), dass das globale Klimasyste, schon im Kippen begriffen war, erst in 20 (zwanzig!) Jahren aus dem dreckigsten aller fossilen Brennstoffe aussteigen würde.
In short: der immer noch höchst effektive deutsche Politkorporatismus, der Probleme “löst” (vielleicht eher: bearbeitet, gelegentlich auch einfach unter den Tisch kehrt), indem er sie in einer Hinterzimmerrunde bespricht, die durch klassischen politischen Kuhhandel dann zu einer für niemanden guten, und idealiter für niemanden inakzeptabel schlechten kommt, der immer noch höchst einbindungsfähige deutsche Exportkapitalismus hatte uns besiegt. Ende 2018 war der 1., der linksradikal geführte Zyklus der Klimabewegung am Ende. Besiegt.
Dea ex machina
Enter: die dea ex machina, die junge “Generation Klima” in Gestalt von Fridays For Future, angeführt von der im Wortsinne epischen Figur der jungen Greta Thunberg, die Worte wie Feuer und Schwefel gegen die “offizielle Klimapolitik” (sprich: die Simulation von Klimaschutz) abfeuerte, und in sich als Figur einen Epochenbruch symbolisierte und schuf: das, was wir Klimaradikalen, dito die Klimawissenschaft, schon seit Jahren wusste – das a) die Klimakrise ständig eskalierte, und b) es keinen effektiven Klimaschutz gab, das alles nur Blah, Blah, Blah war – bekam eingang in den gesellschaftlichen Alltagsverstand, und viele Menschen, denen es aus identitären Gründen leicht viel, unsere (remember: linksradikal) Warnungen zu ignorieren, mussten nun, oft zähneknirschend und meist taktisch, der grundsätzlichen Aussage zustimmen, dass das mit dem Klima eine echte Bedrohung sei, und dass, Pariser Abkommen hin oder her, viel zu wenig für den Klimaschutz getan würde.
Darin liegt der große Erfolg von Fridays for Future, das Klimathema “massenfähig” zu machen, und Klimaaktivismus aus der “das machen die Radikalen, die kann man auch gut finden, muss man aber nicht selbst mitmachen”-Ecke rauszuholen: plötzlich wurde die Gesellschaft herausgefordert, doch endlich mal um ihre eigene Scheiße aufzuräumen.
Auch Extinction Rebellion, die in Deutschland nie so durchschlagskräftig wurden, wie in ihrem Ursprungsland UK, waren Teil dieses 2. Bewegungszyklus, in dem die Hegemonie innerhalb der Klimabewegung sich verschob, weg von im besten Falle paar Tausenden Links- und Ökoradikalen, hin zu ideologisch, performativ, habituell und inhaltlich eher moderaten oder zentristischen Akteuren. Wo früher EG & die Hambis dominierten, standen nun FFF und XR, beides dezidiert keine linken Akteure.
Der kurze Sommer der Klimagerechtigkeit
Der neue Hegemon, der 800 Pound Gorrilla (Öffnet in neuem Fenster) FFF, nutzte seine gesellschaftliche Akzeptanz und Mobilisierungsfähigkeit für eine simple und direkte Strategie: immer größere Demos würden a) Mehrheitsmeinungen verschieben, so b) Parteien politische Kosten androhen, falls sie anti-Klima-Positionen einnehmen würden, um es c) für Parteien rational und vernünftig, gar notwendig zu machen, Klimaschutz voranzutreiben.
Ich nehme an, die meisten von uns erinnern sich an diesen (h/t Enzensberger) kurzen Sommer der Klimagerechtigkeit, während dessen es sich für mich manchmal wieder so anfühlte, wie in den frühen Jahren der globalisierungskritischen Bewegung, die Jahre 1999 – 2001, als viele von uns dachten, dass wir mit immer größeren, teils immer militanteren Demos und Aktionen den neoliberalen Kapitalismus in die Knie zwingen, dass wir wirklich etwas verändern könnten.
Die GroKo sah das aber ein Bisschen anders, und wissend, dass die Deutschen zwar gerne sagen, dass sie “für Klimaschutz” sind, solang er nix kostet, zumindest uns hier in Deutschland nicht, veröffentlichte sie in einem beeindruckend bitchy move ihr lächerlich unzureichendes, hinter die Pariser Klimaziele zurückfallende “Klimapaket” (gerne “Klimapäckchen” genannt) genau im selben Augenblick, als die FFF-Leadership am 20.9.2019, der größten Demo der BRD-Geschichte, auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor stand, und die Regierung aufforderte, endlich ein Mindestmaß an globaler Verantwortung zu zeigen.
Der Kommunikationsakt war klar: “liebe Klimas, wir scheißen auf Eure Demos, wir machen weiter, was wir immer gemacht haben: Industrie- und Exportpolitik für den deutschen Autokapitalismus. Demonstriert gerne weiter, we don't give a fuck.” Der kurze Sommer war vorbei, danach wurden FFF-Demos steig kleiner, und als die Coronapandemie begann, war auch der 2. Zyklus vorerst besiegt.
Der besiegte 2. Zykuls
“Vorerst”, weil die Bundestagswahl 2021 FFF nochmal die Chance gab, die 2019 gescheiterte Strategie zu versuchen: zeigen, dass “wir” viele sind, und so darauf hoffen, dass die Parteien in einer klimapolitischen Überbietungswettbewerb eintreten. Dumm nur, dass die meisten Parteien klarer sahen, als wir, dass Deutschland eben keine Lust auf wirklichen Klimaschutz hat, und deswegen einem total klimaunaffinen Betonsozen wie Scholz tatsächlich glaubte (weil es das Verdrängen so leicht macht), er wolle als “Klimakanzler” regieren. Die Grünen - & you know I'm not a fan – waren die einzige Partei, die zumindest versucht hat, glaubhaft zu vermitteln, ihnen ginge es um wirklichen Klimaschutz, und dafür bekamen sie die übliche Klatsche, dass die Prognosen immer deutlich über dem liegen, was die Partei in Bundestagswahlen bekommt. Nur 14% wählten die Partei, deren Markenkern (for better or worse) Klimaschutz ist. Der 2., der zentristische, der freundlich fragende Bewegungszyklus war nun endgültig besiegt.
Wenn ein Bewegungszyklus mal besiegt ist, bedeutet das auch, dass die Akteure, die ihn anführten, besiegt sind, und das trifft auf verschiedene Arten und Weisen auf jeden der bisher genannten Akteure zu:
die Hambis, mit all ihren historischen Verdiensten, sind keine kohärente Kraft mehr, der Resthambi vertrocknet und dürfte bald sterben;
Ende Gelände macht zwar noch taktisch erfolgreiche Aktionen, ist aber mittlerweile so sehr “eingepreist” (Ja mei, Linksradikale blockieren halt, was ist daran News?), dass die diesjährigen Aktionen weitgehend unbeachtet blieben;
XR DE ist kaum noch handlungsfähig (wem von Euch ist die “Rebellion Week” aufgefallen – und wem außerhalb der Bubble?);
FFF, um einen klugen Freund zu zitieren, ist “auf der Stelle tretend festgewachsen”, unfähig, aus ihrer strategischen Sackgasse herauszukommen.
Aber während es für soziale Bewegung “von unten” immer schwer ist, große legislative Erfolge einzufahren, ist es auch wahnsinnig schwer, eine Bewegung endgültig zu besiegen. Im Windschatten des Niedergangs der Akteure des 2. Zyklus, und aus deren Zerfallsprozessen, entstanden die zentralen Akteure des beginnenden 3. Zyklus der Klimabewegung: Scientist Rebellion, *EndFossil/Occupy” (comrades: that name is a bit of a mouthful – sorry to say so), und allen voran natürlich die Letzte Generation, die ich immer wieder hart abfeiere, und deren BER-Blockade (Öffnet in neuem Fenster) den alten Linksradikalen, und dem, was von den “Autonomen” noch bleibt, gezeigt haben, was ne Harke ist, und wie politische Chuzpe aussieht.
Jedoch muss man auch eingestehen, dass die quantitative Mobilisierungsfähigkeit dieser Akteure bisher noch arg begrenzt ist, eher an die Mühen der Ebene der Phase 1 erinnert, als an die großen FFF-Demos, und wenn Ihr meine These von der Verdrängungsgesellschaft ernst nehmt, dann können die gewählten Taktiken der LG im Endeffekt (fast) nur zu mehr Repression und Verdrängung führen. Das bedeutet nicht, dass die LG, dass die Klimabewegung komplett gescheitert ist, soziale Bewegungen sind der Phoenix der Weltgeschichte.
Es heißt meiner Meinung nach aber: dass wir vorerst gescheitert sind, und – wie hier (Öffnet in neuem Fenster)erklärt – wir uns endlich mal alle zusammensetzen müssen, und überlegen, wie wir mit der neuen gesellschaftlichen Einstellung gegenüber unserer Bewegung umgehen. Denn: Deutschland hat fertig mit Klimaaktivismus, ist von uns genervt, und will immer dringender, dass wir das Maul halten, und dieses Land nicht ständig daran erinnern, dass es ein “moral shithole country ist”.
Wie gesagt: vorerst besiegt heißt nicht endgültig geschlagen. Wie Conchita sang: we will “rise like a phoenix”. And if the world burns – the rich & powerful will burn with it.