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Deutschland vs. die Letzte Generation – which side are we on, comrades?

Which side are you on?
There are no neutrals here.

[Pete Seeger]

Liebe Leute,

Deutschland hat fertig.

Ja, wohl auch ein Bisschen mit den Reichsbürger*innen, weil einige von denen einen faschistischen Umsturz samt militärischem Sturm auf den Bundestag und Exekutionen von auf “Feindeslisten” gesammelten Gegner*innen geplant hatten. Aber vor allem mit der radikalen Klimabewegung, sprich, mit der Letzten Generation, derzeit der einzig erweitert handlungsfähige Akteur der Bewegung. Denn die nervt, und zwar so richtig hart, weil sie nicht nur den Alltag unserer “Externalisierungsgesellschaft” stört, sie erinnert uns auch daran, dass wir – massive Transformationsüberlastung durch Corona, Krieg und Energiekrise hin oder her – jetzt nochmal ran müssen, jetzt wirklich unseren gesamten Produktions- und Konsumalltag verändern müssen. Das können, das wollen wir nicht, deswegen nerven Akteure, die uns daran erinnern, denn die machen, dass wir uns schuldig fühlen, gar, dass wir uns schämen. Und das will niemand, also muss das weg (Öffnet in neuem Fenster). Aus dem Auge, aus dem Sinn, aus dem Gewissen

Wem das am 31.10. noch nicht klar war, dem Tag, an dem eine Fahrradfahrerin von einem Lastwagen überfahren wurde, und am Ende die Letzte Generation zur Hauptbeschuldigten in einem diskursiv zum Mordfall aufgebauschten öffentlichen Schauprozess wurde, dem muss das spätestens seit Dienstag, 13.12.22, um 6 Uhr morgens klar sein. Über 11 Wohnungen, in denen sich Aktivist*innen der Letzten Generation aufhalten, werden von der Polizei durchsucht, Laptops und Handys werden mitgenommen. Der Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung, nicht wegen der allgegenwärtigen Autobahnblockaden, sondern wegen der Aktionen der Gruppe gegen die Ölraffinerie Schwedt, bei der Aktivist*innen der Klimagruppe seit April wiederholt Zuleitungen und Schieber am Zuliefernetz für die Raffinerie zugedreht (Öffnet in neuem Fenster)” hatten. Das ist insofern relevant, als es zeigt, dass Angriffe auf “kritische Infrastruktur” vom Staat anders beantwortet werden, als diejenigen Blockaden, die vor allem “Normalbürger*innen” nerven – die unmittelbaren Interessen von Staat und Mehrheitsgesellschaft sind hier nicht identisch – aber sie treffen sich im gemeinsamen Feind: der Letzten Generation.

Mit Mitteln aus der Zeit der Sozialistengesetze (Öffnet in neuem Fenster)(der entsprechende Paragraph, 129 StGB, wurde 1871 eingeführt, und damals auch gegen politisch unliebsame Sozialdemokrat*innen eingesetzt), die die reine Mitgliedschaft in einer Organisation zu einer Straftat machen würden, soll hier der “selbst-ernannten Letzten Generation” (h/t Constantin Schreiber in der Tagesschau) endlich ein Riegel vorgeschoben, soll eine Linie in den Sand gezogen werden: “bis hierher, Ihr kriminellen Klima-Kleber, und nicht weiter.” Die von mir letztes Jahr m berüchtigten “grüne RAF”-Interview (Öffnet in neuem Fenster), hier (Öffnet in neuem Fenster) ohne Paywall zugänglich vorhergesagte “Moralpanik” oder auch induzierte Massenparanoia gegenüber einer ungehorsamen, einer störenden Klimabewegung ist längst hier, wenn politische Akteure aus der “Mitte der Gesellschaft” die Reichsbürger und die Letzte Generation in eins setzen (Stichwort Hufeisen), oder gar, wie Friedrich Merz, schärferes Vorgehen gegen die “Klima-Kleber” fordert, als gegen die faschistischen Putschist*innen.

Die LG, deren strategischer Weitblick und taktischer Mut ihr zunehmend Bewunderung (wenngleich nicht unbedingt Zustimmung) in der “Klima Bubble” verschaffen, geht nun davon aus, dass diese anlaufende Repressionswelle – die nicht auf Razzien beschränkt ist: Bayern und NRW haben schon erheblich verschärfte Polizeiaufgabengesetze am Start, die z.B. in Bayern 30 Tage Vorbeugungshaft möglich machen; in Frankfurt/Main und München wurden Hörsaalbesetzungen von EndFossil: Occupy gewalttätig geräumt – zu einer zunehmenden Solidarisierung der Mehrheitsgesellschaft mit der Klimabewegung, mit den “Klima-Klebern” führen wird. Diese Annahme ist nicht aus der Luft gegriffen, sowohl die indische Unabhängigkeits- als auch die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung vertrauten auf die heilsame Kraft staatlicher Repression (heilsam im Sinne von: zeigen, wie scheiße der Staat im Zweifelsfall ist). Indizien dafür gibt es durchaus, z.B. wurden in Bayern mehrere der in Vorbeugehaft sitzenden LG-Aktivist*innen nach einem für bayerische Verhältnisse sehr breiten öffentlichen Aufschrei von einem Gericht vor Ablauf der 30 möglichen Hafttage freigelassen, und der Zustrom zu LG-Aktionen wirkt nicht nur ungebrochen, er steigt an.

Was aber, wenn der repressive Staat hier ganz im Sinne der deutlichen Mehrheit seiner Bürger*innen handelt? Die Eskalation der gewalttätigen Reaktionen (Öffnet in neuem Fenster)von Autofahrer*innen auf die friedlichen Blockaden der Letzten Generation deuten hier in die selbe Richtung wie die immer wieder eine starke, sich verhärtende Ablehnung gegenüber den Klimaaktivist*innen dokumentierenden Umfragen: der Geduldsfaden einer Verdrängungsgesellschaft (Öffnet in neuem Fenster), die sich zwar gerne eingeredet hat, Klimachampion zu sein, die aber tatsächlich Braunkohle- und betrügerische-fossile-Autos-Weltmeister ist, ist gerissen. Eine Klimabewegung, die immer mehr stört, die vielleicht gelegentlich auch Dinge kaputt macht (vgl. dieses inspirierende Video (Öffnet in neuem Fenster) aus Marseille), und von einer völlig transformationsgetressten Gesellschaft jetzt die große, die wirklich fundamentale Transformation verlangt, die darf es nicht geben.

Gegen unsere Bewegung läuft gerade ein Angriff, dessen Ziel es ist, uns handlungsunfähig zu machen. Deutschland hat fertig mit Klima, und zwar auf lange Sicht.

Die offene Frage ist: wie reagiert die Klimabewegung? Natürlich haben sich Akteure, die eher aus der “radikalen Linken” kommen, sofort mit der LG solidarisiert, die mit 150 Teilnehmenden ziemlich winzige “1312”-Demo (1312 = ACAB), die kurzerhand zu einer LG-Soli-Veranstaltung umfunktioniert wurde, schaffte es sogar in die Tagesschau. Aber am Tag der Razzia blieb es auf den Twitter-Accounts von BUND, DNR und Deutsche Umwelthilfe überraschend still, von den großen deutschen Öko-NGOs schaffte nur Greenpeace DE einen kleinen Soli-Tweet.

Woher diese unübliche Stille, die fast schon dem Schweigen der deutschen Rechten angesichts des Reichsbürger-Komplotts ähnelte? Das Verhalten dieser Umweltverbände, dieser arrivierten NGOs basiert auf intern zirkulierenden Umfragen, die eben gerade das Verhärten mehrheitsdeutscher Ablehnung der Aktionen der LG dokumentieren, und da diese Verbände es sich mit Deutschland nicht verscherzen wollen (obwohl, zugegebenermaßen gilt das sonst für die DUH eher nicht, die hat sich schon den Hass Deutschlands in der Autofrage zugezogen), gibt's dann halt auch keinen Support für die LG, egal, wie sehr diese 2022 den gesamten Klima-Karren gezogen hat.

Wir müssen der LG nicht in allem zustimmen, wir können sowohl Strategie als auch Taktik der Gruppe gerne kritisch diskutieren. Aber einen Akteur, der für uns alle (nicht nur die Bewegung) gerade die Drecksarbeit macht, eine immer stärker und effektiver verdrängende Gesellschaft immer wieder auf die eigene Scheiße hinzuweisen, der jetzt Ziel einer völlig disproportionalen Gegenoffensive von Staat und Gesellschaft ist, jetzt einfach der Repression zu überlassen, ist nicht nur feige und unsolidarisch, es ist auch strategisch unklug: wenn die radikalen Ränder einer Bewegung unterdrückt werden, hilft das traditionell auch den moderaten Kräften nicht. Im Gegenteil, es schränkt weiter den Raum des Mach- und Sagbaren für alle ein.

Es gilt die Maxime “mitgehangen, mitgefangen”, und wenn wir die LG öffentlich hängen lassen, werden wir irgendwann alle gefangen sein in den gefährlichen Spielen der Verdrängungsgesellschaft.

#WirSindAlleDieLetzteGeneration. Let's behave accordingly.

Passt auf Euch auf, und auf die Genoss*innen der Letzten Generation.

Euer Tadzio

Bildnachweis: 1-1111 (Öffnet in neuem Fenster) - CC:sa

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