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Klimaschutz ist Minderheitenschutz

Liebe Leute!

Nach der Wiederholungswahl und dem am Quorum gescheiterten Klimavolksentscheid, nach den immer kleiner werdenden “Klimastreiks” von Fridays For Future, und vor allem im Vorfeld des von der Letzten Generation angekündigten (angedrohten) Statdstillstands in Berlin stellt sich eine Frage immer offensichtlicher: Ist wirklicher, sprich, schneller, effektiver und global gerechter Klimaschutz in Deutschland, in den reichen Ländern des globalen Nordens mehrheitsfähig?

Kreative Mehrheiten?

Ob im Gespräch mit Lina Johnsen (Öffnet in neuem Fenster) von der LG (für Lukas Ondreaks exzellenten Dissens Podcast (Öffnet in neuem Fenster)), ob solidarischen Strategiegespräch mit Momo (Öffnet in neuem Fenster) für die taz, oder im handfesten Streitgespräch mit Peter Altmaier für den Tagesspiegel, in jeder strategischen Diskussion über die Zukunft von Klimaaktivismus, Klimabewegung und Klimapolitik taucht diese Frage auf, denn die Situation as is sieht folgendermaßen aus: die breiten “Mehrheiten” für Klimaschutz, die es 2018 (Jahr des Hitzesommers und der größten Popularität der Antikohlebewegung während der versuchten Räumung des Hamb (Öffnet in neuem Fenster)i), 2019 (the year of Greta & Fridays For Future) und 2020 (1. Corona-Lockdown) dafür gab, für Klimaschutz gab, waren “weiche” Mehrheiten, sie übersetzten sich 2021 nicht in die Wahl einer echten “Klimaregierung”, und sie ermöglichen nicht die Durchsetzung von Klimapolitiken, die diesen Namen verdienen; und wofür es unter gegebenen Bedingungen definitiv keine Mehrheiten gibt, ist Klimaschutz, der Menschen hierzulande tatsächlich etwas kosten würde, was wiederum die Mehrheit aller tatsächlich effektiven Klimaschutzpolitiken beschreibt.

Jetzt ließe sich durchaus argumentieren, wie das die Chefredakteurin eines deutschen linken Magazins in einer Diskussion vergangenen Freitag (Öffnet in neuem Fenster) tat, dass dies nur daran liege, dass wir, die Klimaschützer*innen, bisher noch keine ausreichend “sozialen” Vorschläge zum Klimaschutz gemacht hätten; dass wir noch nicht den Durchbruchsgedanken zum “gerechten Übergang (Öffnet in neuem Fenster)”, der “industriellen Konversion” gefunden hätten, der es uns erlauben würde, die Arbeiter in den Braunkohleregionen des Landes ebenso mitzunehmen, wie andere, die von einer ökologischen Modernisierung anderweitig negativ betroffen wären; dass es also vor allem unserer mangelnden Fantasie und schlechten Bündnisarbeit läge, dass wir noch keine Mehrheiten für Klimaschutz organisiert hätten. Dass es auf jeden Fall möglich wäre (im Grunde, weil es möglich sein müsse), Mehrheiten für Klimaschutz auch in der Externalisierungsgesellschaft (h/t Stefan Lessenich) Deutschland zu schaffen.

Materielles und psychologisches Interesse greifen ineinander

Dieses Vertrauen in die kollektive Rationalität Deutschlands ist irgendwo bezaubernd in seiner optimistischen Naivität, aber Naivität sollte hier nicht handlungs- und strategieleitend sein – dafür geht es um zu viel. Da 1. die “Beutegemeinschaft Deutschland” eben eine Externalisierungsgesellschaft ist, die den durch Ausbeutung, Übernutzung und Externalisierung angehäuften Mehrwert (ungefähr: “Profit”) dafür nutzt, im Rahmen seines im globalen Vergleichs immer noch verhältnismäßig umfangreichen Wohlfahrtsstaats auch diejenigen in den deutschen Exportkapitalismus einzubinden, die nicht Kernbelegschaft im Auto- oder Chemiesektor sind, Mehrheiten und Massenloyalität für das bestehende klimazerstörerische System zu schaffen wir also in Deutschland mehrheitlich von der Zerstörung des Klimas profitieren; und 2. in einer Verdrängungsgesellschaft das psychologische Interesse vorherrscht, sich nicht mit der Angst vor einer radikal verändeten, immer dunkler werdenden Zukunft einerseits, und mit der kollektiven Scham, die wir unterbewusst fühlen, weil die meisten von Uns im globalen Vergleich ziemlich weit oben auf einer Pyramide von Ausbeutung, Zerstörung und Mord leben, mit diesen negativen Affekten auseinanderzusetzen; deswegen kann es in Deutschland unter gegebenen politischen und materiellen Bedingungen keine stabilen Mehrheiten für effektiven Klimaschutz geben.

Nochmal kürzer: weil wir mehrheitlich vom fossilen Kapitalismus profitieren, und weil wir uns mehrheitlich nicht mit der Realität der Klimakatastrophe und der in sie eingelassenen Ungerechtigkeit auseinandersetzen wollen, können wir uns auf nichts einigen, was wirklich das Klima schützen würde.

Die Freiheit des Einen hört da auf, wo der Körper der Anderen beginnt

Trotzdem kündigt die Letzte Generation an, Berlin für den Klimaschutz lahmlegen zu wollen, trauen sich diese wundervollen, mutigen, entschlossenen Menschen zu, die Hauptstadt eines Landes dicht zu machen, das sie und ihre Protestform mit großer Mehrheit (je nach Umfrage zwischen 70 und 80%) ablehnt. “Wie kann das legitim sein?”, werden wir immer wieder gefragt. “Ihr seid undemokratisch!”, wird uns immer wieder vorgeworfen. “Klimaschutz braucht in einer Demokratie Mehrheiten!”, wird uns immer entgegnet.

Dazu zweierlei. Erstens: wenn es stimmt, dass es derzeit keine mehrheitsfähigen effektiven Klimaschutzpolitiken (mit der signifikanten Ausnahme des Tempolimits (Öffnet in neuem Fenster) auf Autobahnen!) gibt, dann ist die Position, mit dem Klimaschutz zu warten, bis dieser mehrheitsfähig ist, eine Absage an effektiven Klimaschutz, mithin ein Rechts- und globaler Vertrauensbruch. Kurz gesagt, wenn wir das Klima schützen wollen, wenn wir versprochen haben, das Klima zu schützen, dann müssen wir dies auch tun, wenn es unpopulär ist.

Zweitens: es stimmt zwar, dass in Demokratien im Normalfall die Mehrheit entscheidet, aber sie darf eben nicht alles entscheiden. Zum Beispiel dürfen Heten nicht entscheiden, Queers alle Bürger*innenrechte zu nehmen; es darf nicht demokratisch darüber entschieden werden, ob Kriegs- und Völkerrecht einzuhalten sind; und natürlich darf eine Mehrheit nicht entscheiden, ihr Recht auf Bewegungsfreiheit über das Recht auf Leben in körperlicher Unversertheit einer Minderheit zu stellen. Die Freiheit des Einen hört da auf, wo der Körper der Anderen beginnt.

Klimaschutz ist Minderheitenschutz

Ich habe diese Tatsache bisher immer mit dem ziemlich blutleeren Begriff “Rechtsgüterabwägung” ausgedrückt – im Sinne von: “In jeder vernünftigen Rechtsgüterabwägung muss der Bruch der völkerrechtlich verbindlich vereinbarten klimapolitischen Versprechen der BuReg als deutlich schwerwiegender als die Rechtsbrüche der Letzten Generation gelten” - bin damit aber selten bei den Gesprächspartner*innen durchgekommen. Ein Gespräch mit Nana Grüning (Öffnet in neuem Fenster) von Scientist Rebellion brachte mich da wirklich weiter, denn sie formulierte den Sachverhalt ung. So: “Die Mehrheit Deutschlands kann gerne entscheiden, Ihr Recht auf Leben in körperlicher Unversertheit dem Autowahnsinn zu opfern, aber ich will das halt nicht. Wir Klimaaktivist*innen sind eine Minderheit, und wir haben ein Recht darauf, dass unser Recht auf Überleben respektiert wird, und die Mehrheit darf nicht entscheiden, letzteres zum Beispiel ihrer Bewegungsfreiheit zu opfern. Klimaschutz ist Minderheitenschutz, mithin auch Menschenrechtsschutz.”

Tja, und genau so ist es. Mehrheiten dürfen in Demokratien allerlei entscheiden, aber in liberalen Demokratien (im Gegensatz zur illiberalen Demokratie a la Orban) dürfen sie eben nicht alles entscheiden, u.a. nicht, dass andere Bürger*innen (Menschen andernorts haben in der nationalen deutschen Demokratie keinen rechtlichen Wert, sorry to say) für ihren Wohlstand draufgehen sollen. Ergo sind die Aktionen der Letzten Generation, die friedlich Alarm gegen den klimapolitischen Rechtsbruch der Bundesregierung schlagen, oder auch selbst in den mörderischen fossilen Alltag eingreifen, um diesen zu stören, keine illegitimen, undemokratischen Handlungen. Sie sind Zeichen genau der Art von bewusst und ethisch agierender Zivilgesellschaft, die eine wirklich liberale Demokratie erst ermöglicht und attraktiv macht.

Q.E.D.

Daher: see you in the streets next week!

Euer Tadzio

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