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Der Stadtstillstand ist ein Erfolg. Jetzt gilt: #WirAlleSindDieLetzteGeneration


Liebe Leute,

Der “Stadtstillstand” der Letzten Generation ist ein Erfolg!

Als ich zum 1. Mal den “Stadtstillstand-Plänen hörte, war meine Reaktion darauf eine Mischung aus Begeisterung und Panik. Begeisterung, weil hier endlich mal ein aktivistischer Plan vor mir lag, dessen Radikalität der Radikalität der Herausforderung entspricht, dessen Dimension – die radikale Klimabewegung droht der Verdrängungsgesellschaft Deutschland den klimapolitisch begründeten Shutdown ihrer Hauptstadt an – die Tatsache ernst nimmt, dass Politik und Wirtschaft (früher hieß das noch “Staat und Kapital”, aber egal) mitten in der Klimakatastrophe eben diese Klimakatastrophe nicht aufhalten, sondern aktiv vorantreiben. Panik, weil ich tatsächlich Angst hatte vor einer zwar nicht koordinierten, aber diskursiv im Vorfeld aktiv legitimierten autofaschistischen Gewaltexplosion hatte, Angst vor der 1. toten Klimaaktivistin hierzulande seit der versuchten Räumung des Hambi durch Reuls Schlägertrupps; weil ich Angst vor einem Flopp hatte, wie so oft bei Klimaaktionen, wo wir Dinge groß ankündigen, und am Ende sehr wenig bei rumkommt; und weil ich Angst hatte, dass der mit der Letzte Generation fremdelnde Teil der Klimabewegung den “LG-solidarischen Teil” überwiegen, und die LG am Ende relativ isoliert dastehen könnte.



Taktischer Erfolg

Keine dieser Befürchtungen hat sich bewahrheitet: der Stadtstillstand muss am 4. Tag als taktischer und politischer Erfolg gewertet werden. Und beim Schreiben dieser Worte fällt mir auf, wie selten ich das uneingeschränkt über eine Aktion der Klimabewegung sagen kann. Kudos, liebe LG.

Woran mache ich diese Einschätzung fest? Zuerst am taktischen Erfolg: obwohl, so der Eindruck mehrerer erfahrener Beobachter*innen, zu keinem Zeitpunkt erheblich mehr als 300 Menschen an den Aktionen teilnahmen, gab es am Montag von 7:30 bis gegen 11 Uhr durch 33 Blockaden erhebliche Störungen des Berliner Verkehrs, der sich erst kurz vor Mittag wieder “beruhigte”; und während die Blockaden am Dienstag eher schwach wirkten (auch, weil die Berliner Polizei sich enger entlang neuralgischer Verkehrsknotenpunkte aufstellte), und am Mittwoch pausierten, ist die Letzte Generation am heutigen Donnerstag wieder am Start. Während ich diese Zeilen schreibe, twittert (Öffnet in neuem Fenster) Erik Peter, der für die taz die Proteste begleitet, (durchaus ein wenig begeistert :)) folgendes: “Die #LetzteGeneration (Öffnet in neuem Fenster) blockiert heute nahezu alle großen Einfallstraßen nach Berlin, auch die A100 ist massiv betroffen. Die Staumeldungen klingen nach Stadtstillstand.” An zwei Tagen in einer Woche derart drastisch in den deutschen Normalwahnsinn einzugreifen, das hat lange keine Bewegung mehr geschafft, und viele haben es der LG nicht zugetraut, trotz ihres immer wieder bewiesenen taktischen Geschicks. Wie gesagt: Chapeau.

Aber der Erfolg einer politischen Aktion lässt sich nie nur materiell messen, die politisch-symbolische, die diskursive Ebene bleibt meist die wichtigere. Und auch hier lassen sich gleich auf mehreren Ebenen Erfolge vermelden:

Bewegungssolidarität

In der Zusammenarbeit gegen die A100 im Rahmen des Wald Statt Asphalt-Aktionswochenendes 3.3.-5.3. wurzelnd, entstand in Berlin zuerst eine Kooperation, dann sogar ein Bündnis zwischen LG und anderen Akteuren der Klimabewegung, das dazu führte, dass die nächste A100stoppen-Fahrraddemo am 23.4., ausgehend von einem Lebenslaute-Konzert auf dem Highway to Hell, sich mit einem großen LG-Solievent vor dem Brandenburger Tor vereinte, und so klar zeigte, das die Letzte Generation nicht allein steht, sondern Teil des Ökosystems Klimabewegung ist. Die Soliblockade von Scientist Rebellion am Montag Morgen, ebenso wie die mini-Critical-Mass die Interventionistischen Linken zeugten ebenfalls von dieser neuen Kooperationsfreude, zumindest im radikalen Flügel der Bewegung. Distanzierungen durch moderatere Akteure blieben aus. Nicht, weil wir alle Letzte Generation sind. Sondern weil sich immer mehr auch in der Klimabewegung die Erkenntnis durchsetzt, dass wir alle die letzte Generation (vor den Kipppunkten) sind.

Gegendruck

Es stimmt zwar, dass die juristische Repression gegen die Letzte Generation zunehmend eskaliert, und Urteile wie das eines Berliner Amtsgerichts gegen Maja Winkelmann, die für 2 friedliche Klebeaktionen weit jenseits der Forderung der Staatsanwaltschaft nach €900 Geldstrafe zu 4 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wurde, stehen sicherlich im Kontext der gesellschaftlichen Reaktion auf den Stadtstillstand. Außerdem haben wir in den vergangene Wochen eine erhebliche Verrohung des Diskurses gegen die Letzte Generation erkennen können, zum Beispiel in der abstoßenden Debatte darüber, ob Gewalt gegen friedliche Klimaaktivist*innen Notwehr sein könnte, die nur schwer anders zu interpretieren ist, als die diskursive Vorbereitung und Legitimierung einer möglichen autofaschistischen Gewaltexplosion gegen die LG. Allein: diese Explosion blieb aus, und auch wenn die Stimmung in Richtung LG bei den Blockaden meist eher gereizt und negativ wirkte, gab es auch viele Beispiele von Unterstützung, verbal und emotional wie praktisch, für die LG, wie zum Beispiel in diesem Video (Öffnet in neuem Fenster), das zwar einen brutalen Übergriff eines Menschen gegen eine Aktivistin zeigt, direkt danach aber die Intervention mehrerer Passant*innen, die die Genossin vor dem Angriff zu schützen versuchten. Hier ist sicherlich noch Luft nach oben (#ChangeTheStory (Öffnet in neuem Fenster)), aber dass es nicht zu schweren Verletzungen bei den Aktivist*innen kam, ist angesichts der verrohten Debatte einerseits eine glückliche Fügung, andererseits eben aber auch ein politischer Erfolg.

Lufthoheit

Ich habe ja schon mehrfach gesagt, dass es sich beim Stadtstillstand auch um eine Machtprobe handelt – wie stark ist der radikale Flügel der Klimabewegung derzeit, kann er so etwas durchziehen, kann er wirklich effektiv den Normalwahnsinn stören? Wichtig hierbei ist gar nicht unbedingt die reale, materielle Fähigkeit zur Störung, sondern, ob sich in der Gesellschaft der Eindruck festsetzt, dass die LG, dass die Klimabewegung zu so etwas in der Lage sei. Mein Gefühl ist, dass hier rechte und Boulevardmedien der LG direkt in die Hände spielen, und eben genau diesen Eindruck verstärken. Wenn BZ, BILD und Tagesspiegel gleichzeitig gegen die LG titeln, vermitteln sie damit vor allem den Eindruck einer gewissen gesellschaftlichen Allmacht, an dessen Aufbau eine aktivitische Gruppe sonst jahrzehntelang arbeiten könnte. Dazu eine Anekdote, nein, diesmal nicht von einem Lover oder Dealer, sondern vor einer Freundin, deren Genossenschaftshaus eine Feuersicherheitsprüfung durchführen lassen musste. Weil mensch in Berlin auf sowas wohl ne ganze Zeit warten kann, hat die Genossenschaft einen Prüfer aus Dresden bestellt. Termin war gestern, aber der Prüfer sagte ab: er erklärte, er würde nicht nach Berlin kommen, da sich dieses im “Belagerungszustand” befände. Score Letzte Generation.

Ausnahmsweise: ein Demoaufruf

Die Frage ist: wie weiter? Die LG wird weiter an ihrem Stadtstillstand arbeiten, und da sogar ich LG-Cheerleader immer wieder merke, dass ich die LG an manchen Stellen immer noch taktisch unterschätze, halte ich mich hier mal mit Vorhersagen zurück. Was ich aber vorhersagen kann, ist, das die LG in den nächsten Tagen und Wochen viel Unterstützung und Solidarität aus der ganzen Klimabewegung brauchen wird. Und wenn Ihr jetzt sagt “aber Tadzio, ich hab keine Lust/Zeit/nicht die Möglichkeit, mich anzukleben!”, then I get that, ich klebe mich ja auch nicht an. Aber die LG hat schon mehrere Aktionsformate entwickelt, für diejenigen, die sich nicht ankleben wollen (den “slow march” zum Beispiel), und organisiert diesen Freitag in Berlin um 15:00 am Alex in Berlin (Marx Engels Forum) einen “öffentlichen Protestmarsch”, auf dem wir unsere Unterstützung für, unsere Solidarität mit der mutig und klug kämpfenden, und unter enormen Druck von der deutschen Verdrängungsgesellschaft stehenden Letzten Generation. Ich werde auf jeden Fall dabei sein. Du auch? Und wenn Du nicht in Berlin wohnst hab ich gleich nen Vorschlag: organisier doch eine Solidemo bei Dir vor Ort! Lasst uns LG-solidarische Menschen am 28.4. um 15 Uhr auf der Straße sein, um zu zeigen: #WirAlleSindDieLetzteGeneration!

Bis morgen,

Euer Tadzio


p.s.: Es ist mir zwar ein Bisschen unangenehm, dass ich immer wieder darauf hinweise, aber noch unangenehmer ist es, am Monatsende Rechnungen nicht begleichen zu können, oder noch vor dem Monatsende ein leeres Konto zu haben. Ihr wisst vielleicht, dass ich mich zum institutionell ungebundenen, also “selbstständigen” Vollzeitklimaaktivismus entschieden habe. Solltet Ihr meine Arbeit schätzen und die Möglichkeit haben, mich ökonomisch zu unterstützen, wäre ich Euch sehr dankbar. Am einfachsten könnt Ihr dies tun, indem Ihr diesen Newsletter als Freund*in (€5 pro Monat) (Öffnet in neuem Fenster), oder Freund*in plus (€10 p/M) (Öffnet in neuem Fenster) abonniert. Solidarität muss gelegentlich auch praktisch werden. Danke für Euer Verständnis und Euren Support.

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