Die Letzte Generation und ihr zu ruhiges Hinterland: let's #changethestory!
Liebe Leute,
eine kleine Marktforschungsumfrage zum Einstieg: wisst Ihr, warum der “Aufstand der Letzten Generation (Öffnet in neuem Fenster)” (kurz: die Letzte Generation, kürzer: LG) so heißt? Ist es, weil sie
a) die letzte Generation vor dem Ende der Menschheit ist?
b) die letzte Generation ist, die etwas gegen das Ende der Menschheit tun kann (Öffnet in neuem Fenster)?
c) die letzte Generation ist, die im kapitalistischen Realismus (Öffnet in neuem Fenster) leben muss?
Die richtige Antwort ist natürlich (b), und bezieht sich auf eine berühmte Rede des damaligen US Präsidenten Obama, der bei einem UN-Klimagipfel 2014 genau diesen Punkt machte – vielleicht wissen die meisten von Euch das, aber zumindest in der öffentlichen Debatte geht dieser Punkt oft unter. Viele glauben, die richtige Antwort sei (a), was wiederum oft als apokalyptisch-anmaßend wahrgenommen wird (obwohl es, such is the power of stories, nichts mit der Realität zu tun hat). Warum also die Frage zu Beginn dieses Textes, in dem es, so der Titel, darum geht, die Story über die Letzte Generation zu ändern?
PR-Probleme
Weil ich glaube, dass die Letzte Generation aus der Perspektive des Storytelling zwei gravierende Probleme hat. Erstens ist sie, als sichtbarster und weithin angefeindeter gesellschaftlicher Akteur, nicht in control ihrer eigenen Geschichte (z.B. über ihren Namen), d.h., die unter zunehmendem Druck (durch die Realität der Klimakatastrophe sowie zunehmend irritierenden und machtvollen Klimaaktivismus) stehende Verdrängungsgesellschaft produziert ständig Diskurse über die LG und ihre Aktionen, die im Gegensatz zu dem steht, was die LG über sich selbst erzählt und erzählen will (z.B. die Thailand-Bali-Story (Öffnet in neuem Fenster)). Zweitens... and I'm not really sure how to put this: sogar in der Klimabewegung werden die Aktionen der LG oft als unsexy, als anstrengend, als nervig (also auch aus der Aktivist*innenperspektive) gesehen, sogar in der Klimabewegung gibt es viele, die angesichts der zwar immer sehr respektvoll kommunizierten, aber in der Sache korrekterweise völlig unnachgiebigen Strategie der LG ihre Solidarität begrenzen, einschränken, an bestimmte Bedingungen knüpfen.
Diese zwei Fakten – not being in control of the story, und der Mangel an Sexappeal – sind, in den Worten von Isaac Deutscher zu den streikenden Studierenden an der Pariser Uni im Mai '68, nicht die Schuld der Letzten Generation, aber sie sind ihr Problem, bedeuten sie doch, dass der Druck brutaler Autofahrer*innen auf die LG ständig ansteigen kann, denn diese sehen sich durch breiten gesellschaftlichen Support bestärkt; nicht weil es diesen notwendigerweise wirklich gibt, sondern weil sie glauben, dass es in gibt; und, dass die Teilnahme an LG-Aktionen wie etwas wirkt, dass notwendigerweise mit unglaublich viel Aggression von außen, mit Stress, mit gefährlichen und traumatischen Situationen einhergeht, wie zum Beispiel vor 1,5 Wochen im Westen Berlins, als ein Autofahrer über den Fuß eines Blockierenden fuhr (Öffnet in neuem Fenster), die Bilder gingen durch die ganze Republik (und während ich diese Zeilen schreibe, sehe ich diese Headline: “SUV-Fahrer fährt Klimaaktivisten bei Straßenblockade in Hannover an (Öffnet in neuem Fenster)”).
Klar, diese Erfahrungen, diese Bilder, diese Stories gibt es zuhauf, auch ich habe daran mitgearbeitet, die Erzählung “Deutschland hasst die Letzte Generation” zu verbreiten, bestätigte sie doch a) meine allgemeine politdepressive Perspektive von der Verdrängungsgesellschaft Dummschland (Öffnet in neuem Fenster), und b) meine sehr begrenzten eigenen Erfahrungen (Öffnet in neuem Fenster) bei Blockaden der Letzten Generation. Aber während es also nicht inhaltlich falsch ist, diese Erzählungen zu verstärken, in den Chor derer einzustimmen, die eine epische, eine manichäische Konfrontation zwischen Gut und Böse am Horizont aufziehen sehen (wer Gut und wer Böse ist unterscheidet sich natürlich je nach Perspektive, aber die Grundstruktur des Konflikts ist die gleiche für beide Seiten), muss ich mir als strategischer Storyteller die Frage gefallen lassen, idealiter selbst stellen: was folgt aus dem Erzählen dieser Geschichten, machen sie es der Letzten Generation leichter, oder eher schwerer, ihre für einen möglichen Erfolg unserer Bewegung absolut notwendigen Kampagnen weiter durchzuführen?
Die Antworten habe ich eigentlich schon gegeben: natürlich machen diese Geschichten es der LG nicht leichter, erschweren sie ihr die politische Arbeit, weil sie dazu führen, dass die AutoAggressiven sich in ihrer Aggression durch eine angeblich weit verbreitete “Volksmeinung” bestärkt sehen, weil sie es möglichen Unterstützer*innen schwieriger machen, diese Unterstützung auch öffentlich zu bekunden, und weil sie die Schwelle zur Teilnahme an Aktionen der LG erhöhen, wenn mensch bei jeder Aktion nicht nur Angst vor staatlicher Repression haben muss, sondern zuerst und vor allem vor hardcore AutoAggressiven.
Alle immer Aggro?
Im Umkehrschluss ergeben sich dann sowohl die nächste Frage, als auch die Antwort darauf. Frage: welche Arten von Geschichten bräuchte es aus der breiteren Klimabewegung, um die wichtige politische Arbeit der Letzten Generation zu erleichtern, ihre Handlungsfähigkeit auszuweiten, und um möglicherweise dazu beizutragen, sie vor Aggressionen zu schützen? Antwort: es bräuchte Geschichten von positiven Reaktionen auf die LG-Blockaden, von sich spontan solidarisierenden Menschen, von gegenseitiger Menschlichkeit gerade auch im Konflikt zwischen Klimabewegung und Normalwahnsinn, der durch bloßes Geschichtenerzählen nicht einfach so aufgelöst werden kann; Geschichten von positiven Affekten, die in uns aus den Aktionen der Letzten Generation entstehen; Geschichten von Fortschritt-durch-Straßenblockade.
Was mich zurück zur Situation von vor 1,5 Wochen bringt, der berüchtigten Fußüberfahrt an der Berliner Messe. Zu sehen im Video (Öffnet in neuem Fenster) ist ein Auto, das über den Fuß eines wie am Spieß brüllenden LG-Aktivisten rollt, und dann nochmal drüber zurückrollt. Das Ganze wirkt auf den 1., und den 2. und 3. Blick wie eine brutale Eskalation, ein weiterer Schritt in Richtung Letztes Gefecht.
So weit, so bekannt. Was auf dem Video nicht zu sehen war, wie die Geschichte weiterging, bekam ich diesen Montag zu hören, von Tenzin Heatherbell (Öffnet in neuem Fenster), einem Fotografen, der vor 1,5 Wochen selbst bei der Blockade an der Messe dabei war und fotografierte, wie sich der Autofahrer danach wortreich und wohl äußerst ehrlich bei Alex von der LG entschuldigte (Öffnet in neuem Fenster), wie sich ein wohlwollendes inhaltliches Gespräch entspann, wie am Ende sogar Kontakte ausgetauscht wurden, nicht aus Versicherungs-, sondern aus inhaltlichen und persönlichen Gründen. Also nicht Letztes Gefecht, sondern the start of a conversation.
Aus diesem veränderten Blickwinkel, aus der Perspektive der Suche nicht nur nach Konflikten, nach Aggression, nach nervigen Auswüchsen der Verdrängungsgesellschaft (die ich neuerdings so zusammenfasse: wenn Scham, dann nur dumm, oder scheiße), sondern nach Offenheit, nach Unterstützung für die LG, nach Geschichten, die nicht den Konflikt befeuern, sondern den gesellschaftlichen Multilog, der jeder tatsächlichen klimarelevanten “Reform” notwendigerweise vorgeschaltet sein müsste, sah die LG-Blockade, der ich am vergangenen Montag (13.2.) beiwohnte (Öffnet in neuem Fenster), völlig anders aus, als die vor 1,5 Wochen. Gechillt-resignierte statt aggressive Autofahrer*innen; in aller Ruhe und ohne jeglichen Stress agierende Cops; und neben den natürlich weiterhin präsenten, gut seh- und hörbaren Aggros gegen die LG (“ihr seid so lächerlich!”; “geht arbeiten”, you know, the greatest hits – fehlte nur “macht doch rüber”, oder entlarve ich damit nur mein hohes Alter?) eben auch Stimmen und Gesichter der Unterstützung: zum Beispiel ein älterer Herr, der einstimmte, mir in die Kamera zu erzählen, dass er das super fände, was die jungen Leute da machten (übrigens waren nicht nur junge Leute da, wie eine wundervolle Oma gegen Rechts (Öffnet in neuem Fenster) bezeugte), und dass wir “nur mit zivilem Ungehorsam (Öffnet in neuem Fenster)” wirklich weiterkommen würden.
Interessant am Video des älteren Herren war, dass in den Twitter-Kommentaren die AutoAggressiven nun mit aller Macht versuchten, sich einzureden, dieser Herr sei von mir, oder der LG, “gekauft”, “bezahlt” worden, um diese Sachen zu sagen. Dieser zwanghafte und durch nichts argumentativ unterstützte Versuch, eine einzelne Stimme aus der Vielfalt der vox populi zu diskreditieren erschien mir nicht zufällig, sondern symptomal, er stand für etwas: für die Brüchigkeit eben jenes konstruierten “Volkswillens”, jener Wut, die sich (im Rahmen der “alten”, der “Letztes Gefecht”-Geschichte) unaufhaltsam gegen die LG in Bewegung setzt. Wenn “das Volk” es nicht aushält, eine von ihrer imaginierten Einigkeit abweichende Stimme aus eben jenem “Volkskörper” zu hören, dann muss dieses Volk tatsächlich sehr brüchig sein, dann geht die Einigkeit wohl nicht sehr weit, dann hat “das Volk” Angst vor seiner real-existierenden Vielstimmigkeit, vielleicht sogar vor den Schreienden selbst bekannten Reservoirs von Unterstützung für die LG (am schlimmsten: vielleicht sogar in ihnen selbst liegenden solchen Reservoiren) – am Ende vor seiner eigenen Nichtexistenz als “Volk”.
#ChangeTheStory
Aus diesem Tableau von Stimmen, Erfahrungen und Analysen ergibt sich für mich, und vielleicht auch für Euch, eine neue diskursive Strategie in Bezug auf die Letzte Generation. And to be clear: im folgenden beziehe ich mich nicht auf die diskursive Strategie der Letzten Generation selbst. Ich habe den größten Respekt vor der strategischen Intelligenz der LG, ihrem Mut und ihrer Weitsicht, you're doing an amazing job for all of us. Nein, ich wende mich zuerst an die LG-solidarischen Teile der Klimabewegung, aber im weiteren auch an alle LG-solidarischen Menschen in dieser unserer Verdrängungsgesellschaft: we need to change the story, the stories, that are being told about and around the Letzte Generation.
Um zur Formulierung von Isaac Deutscher zurückzukehren: es ist zwar das Problem der LG, dass die Diskurslandschaft so ist, wie sie ist, aber nicht ihre, sondern unsere Schuld (genauer: Verantwortung). Zu viele von uns haben es zu lange zugelassen (manche von uns haben sogar dazu beigetragen), dass die LG so in die Ecke geboxt werden kann. Wir haben zu wenige Geschichten erzählt, in denen die LG als Teil einer breiten gesellschaftlichen Bewegung dargestellt werden, gar als rationalster, zumindest mutigster Teil der Gesellschaft. In denen klar wird, wie breit die Unterstützung für diese mutigen Klimakämpfer*innen ist, wie tief sie geht, und von welchen überraschenden Ecken und Enden sie kommt.
Darin sehe ich unsere, also der LG-solidarischen Klimabewegung und Gesellschaft Aufgabe: to #ChangeTheStory. Damit es wieder attraktiver wirkt, sich der LG anzuschließen; damit den Autoaggressiven klar wird, dass sie eben nicht die “geeinte Volksmeinung” wiederspiegeln, sondern bloß den eben autoaggressiven Teil der Gesellschaft; und damit der LG klar wird, how fucking much we admire them, wie dankbar wir ihnen sind. So go on: macht Videos von Euch selbst, Eurer Familie, Euren Freund*innen und zufälligen Bekannten aus der Ubahn, erzählt davon, wie grandios Ihr die LG findet, und findet Menschen, die Euch dies aufschreiben, oder in die Kamera erzählen.
Let's: #changethestory re: #LetzteGeneration.
Euer Tadzio
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