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Kollaps ist, wenn...

Stable diffusion. Prompt: create an abstract image depicting collapse.

Liebe Leute,

Hosiannah, wir sind gerettet!

Hatte ich bis vor kurzem, bis letzte Woche noch, große Angst vor dem “Klimakollaps” & einer in ihrem Gefolge rapide voranschreitenden Faschisierung der Welt, kann ich mich seit dieser Woche wieder entspannt zurücklehnen und mir die Birne wegkiffen, titelt die BLÖD doch angesichts eines Interviews, dass Klimaforscher Jim Skea, der neue Chef des Weltklimarats, dem Spiegel gegeben hat (Öffnet in neuem Fenster): “Weltklimachef hat genug von Klima-Panik”. Zitiert wird der Satz, der seitdem sowohl in den Arschloch-, als auch den Verdrängungsmedien die Runde macht, und uns mit Sicherheit noch laaaange erhalten bleiben wird:

„Die Welt wird nicht untergehen, wenn es um mehr als 1,5 Grad wärmer wird“.

Auch der Spiegel nutzt diesen Satz als Aufmacher, beschreibt Jim Skea als pragmatisch, als Optimist, der uns nicht vor dem Klimakollaps warnt, sondern vor “Schockstarre” angesichts der Tatsache, dass wir das 1,5 Grad Limit mit absoluter Sicherheit dieses Jahrzehnt überschreiten werden, egal, worauf “die Weltgemeinschaft” sich in Paris geeinigt hat. Aber hat Skea wirklich “ein Ende der Panikmache” gefordert, wie die Berliner Zeitung ihm unterstellt? Natürlich nicht, denn “'Es wird jedoch eine gefährlichere Welt sein', ergänzte (Skea) den viel zitierten Satz. (Öffnet in neuem Fenster)

Also doch keine Entwarnung: Wir sind nicht gerettet. Sorry to disappoint you. Trotzdem ist es spannend, sich diese kleine Furore kurz anschauen, offenbart sie doch vieles darüber, in welchen Zwickmühlen Klimakommunikation heute steckt, und wie wir nicht über die kommenden Kollapse sprechen (können).


1.5 is not alive

Vorweg: Skea mag mit diesem Satz der “Gegenseite” Munition geliefert haben, aber tbh: wer seit Jahren, seit Jahrzehnten Klimakommunikation macht, vergreift sich gelegentlich auch mal im Ton oder Inhalt, wie Ihr wisst, weiß ich da, wovon ich rede. Im Kern hat er überhaupt nichts neues gesagt, ich konzentriere mich hier mal auf zwei Kerninhalte im Interview: das 1,5 Grad Limit, und was er im Reden darüber über den “Klimakollaps” offenbart.

Zuerst mal zu 1.5: “1.5 to stay alive”, so der Slogan der am stärksten von der Klimakatastrophe betroffenen Länder 2015 in Paris, als die “Weltgemeinschaft” angesichts eines “Klimaschutzabkommens”, das weder verbindliche (sanktionsbewehrte) Emissionsreduktions- und Klimafinanzierungsziele, noch einen einzigen Verweis auf “fossile Brennstoffe” beinhaltete (also wirklich denkbar schwach war, wie im Nachgang ziemlich offensichtlich), irgendeinen ethischen “win” auf die Fahnen schreiben musste, und diese Forderung in das Pariser Klimaabkommen hineinschrieb: to hold global average temperature increases to “well below 2°C above preindustrial levels and pursuing efforts to limit the temperature increase to 1.5°C above pre-industrial levels”.

Ob es damals irgendeinen realistischen Pfad zu diesem Ziel gab? Who can say. Sicher ist aber, dass es diesen Pfad heute nicht mehr gibt, Skea selbst sagt, dass bereits dieses Jahrzehnt während eines oder mehrer Jahre das Limit überschritten würde, und “wann das dauerhaft geschieht, wissen wir nicht genau.” Die Frage ist nicht mehr, ob, sondern wann wir diese Grenze überschreiten, und wann dieser Zustand dauerhaft wird.

Das ist eine Tatsache, der sich die Klimawissenschaft schon lange in der Innen-, aber nicht der Außenkommunikation stellt, dito die Klimabewegung, was für eine Bewegung, deren größter Flügel immer wieder “hört auf die Wissenschaft!” ruft, schon ein Bisschen trauriglustig ist. Im Jahr 2023 für die Einhaltung des 1,5 Grad Limits zu kämpfen, wäre ein Bisschen, als würde ich für meine Jungfräulichkeit kämpfen – that ship has sailed and is not coming back. Skea hat das klar auf dem Schirm, und sagt das auch so. 1.5 is no longer alive. Rest in power.


Was geschieht jenseits von 1.5?

So, nachdem wir jetzt jedes strategische Reden über “1.5” als postfaktischen Quatsch zur Ruhe gelegt haben – das haben wir doch, oder? - können wir damit auseinandersetzen, worum es Jim Skea mit seinen Sätzen über 1.5 und den nicht drohenden “Weltuntergang” wirklich ging. Im Grunde verortet er sich zwischen zwei albernen Extrempositionen, beide von empirischer Realität unbeleckt: die eine, die zwangsoptimistische Position beharrt darauf, dass die Zeit rückwärts laufen, und wir das 1.5 Grad Limit noch unterschreiten können; die andere krakeelt, dass das Überschreiten des Limits den sofortigen Tod aller Menschen auf der Erde bedeuten würde, den filmartigen Weltuntergang, die A-po-ka-lyp-se!

Skea weiß, dass bei den meisten Menschen, die den Begriff “Klimakollaps” hören, ein im Grunde durch eine Art gesellschaftliches Kollapstabu geschaffene Unfähigkeit unserer Gesellschaft Bild im Kopf entsteht, das eher der Johannesoffenbarung und ihren apokalyptischen Visionen nahekommt, als einem tatsächlichen Verständnis physikalischer, natürlicher und gesellschaftlicher Zusammenhänge: ein Bild der sofortigen und totalen Zerstörung aller Dinge, ein Ende allen zumindest menschlichen Lebens.

Und hier ist der Punkt, wo er tatsächlich Entwarnung gibt: er erinnert uns daran, dass ein systemischer Kollaps der Stabilität des Weltklimas nicht bedeuten würde, dass wir alle sofort krepieren würden; nicht einmal, dass alle Menschen außerhalb der überprivilegierten Gesellschaften des reichen globalen Nordens sofort sterben würden – hier Skeas Botschaft:

Die Welt wird nicht untergehen, wenn es um mehr als 1,5 Grad wärmer wird. Es wird jedoch eine gefährlichere Welt sein. Die Länder werden mit vielen Problemen kämpfen, es wird soziale Spannungen geben. Und dennoch ist das keine existenzielle Bedrohung für die Menschheit. Wir werden auch bei 1,5 Grad Erwärmung nicht aussterben.”


Kollaps ist, wenn...

Ich muss gestehen, ich bin in dem, was in Frankreich schon länger als Collapsologie bekannt ist, noch nicht besonders firm, und obwohl ich nun seit mehreren Wochen dauern vom Kollaps rede, fiel mir auf, dass ich da noch gar keine ganz klaren Vorstellungen habe, was das konkret eigentlich ist, wie so ein Kollaps sich anfühlt, wie er aussieht, und – natürlich die langfristig zentrale Frage – was für Handlungsmöglichkeiten sich darin ergeben. Daher rekurriere ich hier mal wieder auf meine Gespräche mit den Menschen vom Klimakollapscafé, von denen ich zu diesem Thema sehr viel gelernt habe.

Auf die Frage “was ist eigentlich ein (systemischer) Kollaps”, bekam ich die ziemlich blutleere aber vollkommen korrekte Antwort: eine radikale Reduktion systemischer (gesellschaftlicher) Komplexität”. Ok, fair enough, aber wie kann ich mir das konkret vorstellen? Enter Felix vom Kollapscafé, der uns vorschlägt, uns die Gesellschaft wie nen schnieken neuen Laptop vorzustellen. Kollaps wäre dann der Prozess, in dem die Gesellschaft in fünf Jahren vom Laptop zum 70er Jahre Mainframe wird, und in noch weiteren fünf Jahren zum Abakus geworden ist.

Aber auch das ist noch zu abstrakt: was bedeutet das konkret für Menschen in ihrem Alltag – was für eine Geschichte können wir, die Klimarealist*innen, den Menschen um uns herum erzählen, damit sie realistisch verstehen, worauf wir zusteuern, und sich nicht in heiliger Angst abwenden? Für solche Kommunikation ist es immer gut, wenn sie sich auf weithin bekannte Elemente des Alltagslebens bezieht, mit denen sich (fast) alle Menschen across bubbles auseinandersetzen müssen: Arbeit, Wohnen, Konsum, Mobilität, etc. Denn aus der Perspektive dieser Alltagsnotwendigkeiten ist der Kollaps natürlich nicht der Moment, wo “die Welt untergeht”, oder gar die menschliche Spezies ausstirbt.

Kollaps ist nicht, wenn alle tot sind; Kollaps ist, wenn es keine Selbstverständlichkeiten mehr gibt. Wenn Du nicht mehr zur Arbeit fahren kannst, entweder, weil Du keine Arbeit mehr hast, oder, weil Mobilität nicht mehr funktioniert.

Kollaps ist, wenn Du nicht mehr einkaufen kannst, entweder, weil Du kein Geld mehr hast, oder nix mehr in den Supermarktregalen liegt.

Kollaps ist, wenn sich Bürgerwehren gründen, um Gesetze und gemeinschaftliche Regeln durchzusetzen, weil der Staat nicht mehr in der Lage oder willens ist, diese auf seinem gesamten Territorium durch die Exekutive durchsetzen zu lassen.

Ich könnte das jetzt wie diese alten “Liebe ist...”-Postkarten weiter durchdeklinieren, but I think you got the idea, und mein Zug kommt in zehn Minuten in Hannover an, wo das System Change Camp von Ende Gelände stattfindet, also komme ich mal zum Ende. Denn: der letzte Punkt in der Kollaps ist-Aufzählung deutet auch das wichtige Handlungspotenzial einer intersektionalen Klimagerechtigkeitsbewegung an: im Kollaps wird immer mehr durch nichtstaatliche Netzwerke und Gemeinschaften organisiert und bereitgestellt werden.

Die zentrale Zukunftsfrage ist dementsprechend nicht mehr “können wir den Klimakollaps noch verhindern?”, since we can't. Aber wir können noch dafür sorgen, dass die Netzwerke, die sich dann bilden werden, um alltägliche Notwendigkeiten zu organisieren, nach solidarischen Prinzipien organisiert sind, anstatt nach, sagen wir mal, national-patriotischen.

Weil Nazis sind immer scheiße. Auch und vor allem im Kollaps.


Mit entschlossenen Grüßen,

Euer Tadzio

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