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Der postfaktische Klimapopulismus der bürgerlichen Mitte

(Source: stablediffusion.com (Öffnet in neuem Fenster))

02.04.2024

Liebe Leute,

“Populismus”, das wissen wir alle, ist schlecht.

Na gut, er ist auch, das sollten wir zugestehen, leider ein Bisschen geil, so auf der affektiven Ebene (Übers.: “fühlt sich gut an”), und ist in diesem Sinne ein Bisschen, wie Deichkind (Öffnet in neuem Fenster) das beschreibt:

“Schlecht für den Nachwuchs, schlecht für die Nordsee
Schlecht für den Kopf (doch leider geil)
Schlecht für dein Karma, schlecht für die Zukunft
Schlecht für den Job (doch leider geil)”.

Und “leider geil” ist er, 1. weil er zwar auf Angst basiert, diese aber dergestalt politisch artikuliert, dass aus Angst Wut wird, und aus kollektivierter Wut Handlungsmacht; 2. weil er extrem einfache, inhaltlich und logisch völlig inkohärente angebliche “Lösungsvorschläge” für die Probleme macht, die die Angst verursachen; 3. weil er ein einfaches “WIR gegen DIE” als zentrale politische Spaltungslinie konstruiert, wobei “DIE” eigentlich gar nichts gemeinsam haben müssen, als dass sie in der fiebrigen Imagination der Populist*innen irgendwie alle UNSERE Gegner*innen sind, DIE meistens auch noch über Machtmittel und -potenziale verfügen, die UNS nicht zur Verfügung stehen. Aktivierte, kollektive Wut, aus ganz einfachen Gründen auf ein diskursiv vereinheitliches DIE gerichtet, und dann noch ein Bisschen David-vs-Goliath-Vibe dazu, fertig ist der Populismusauflauf (ich habe hier im Detail erklärt (Öffnet in neuem Fenster), wie die Konstruktion rechter populistischer Äquivalenzketten und leerer Signifikanten funktioniert).


Vulgärzentrismus, oder: die Mitte und ihr Klimapopulismus

Angstbasiert, einfache aber falsche Lösungen, simple wir-gegen-die-Konstruktionen, Politik, die dumm ist, sich aber “leider geil” anfühlt... das ist eine Kombination von Elementen, die wir gerne “den Rechten” zuschreiben, auch manchmal, in einem Anfall von Klassensnobismus, den “einfachen Leuten”, was dann wiederum oft und gerne gleichgesetzt wird. Was aber, wenn die “bürgerliche Mitte” den Verlockungen des Populismus genau so ausgesetzt ist, wenn sie genau so, wie alle anderen auch zur angstbasierten Politik neigt, zum intellektuell überformten Hinrotzen “einfacher”, tatsächlich also magischer, falscher Lösungen, zur Konstruktion absurder “Wir-gegen-Die”-Konstellationen? Was, wenn – oh Schreck! Oh Graus! - “die bürgerliche Mitte” keinen Deut besser ist, als der Rest der Gesellschaft, besonders, wenn es darum geht, die unlösbare Klimakrise in ihren Köpfen zu lösen?

Am Osterwochenende stolperte ich während meines täglichen medialen Jauchebades auf genau so ein Beispiel himmelschreienden “Mittepopulismus” in der Klimafrage, in einem Text von Peter Unfried, dem Doyen des rechten, des schwarz-grünen Flügels der taz, der auch in der Ära Merz nicht müde wird, jede Kolumne mit einem Lob auf Schwarz-Grün zu beenden. In einem Text mit der Übles versprechenden Überschrift “Demokratie, Marktwirtschaft und Mitte: Kompromiss als neues Progressiv (Öffnet in neuem Fenster)” steht folgender Bullshitsatz:“Ohne funktionierende Demokratie, Marktwirtschaft und starke Mitte gibt es keine Klimapolitik: Weder rechts außen noch links außen passt die Erderhitzung ins Konzept.”

Holy shit, davon stimmt wirklich gar nichts, im Sinne von: keine dieser Aussagen ist durch die Empirie, durch real-world-developments, belegbar. Die sich so gerne als den Hort, als fons et origo gesellschaftlicher Vernunft wahrnehmende bürgerliche Mitte entwickelt also langsam einen gefährlichen, populistischen Vulgärzentrismus, der sich in vielerlei Hinsicht nicht vom postfaktischen Bullshit rechter Klimapopulist*innen unterscheidet. Denn das Kernproblem von Unfrieds Aussage über die Notwendigkeit von Demokratie, Kapitalismus und Mitte beim Klimaschutz geht, hat keinerlei Basis in der Realität. Warum? Weil es bisher keinen Klimaschutz gibt (vgl. die #ClimateInactionStripes), ergo keine Variablen, die beeinflussen, wie viel davon es gibt.

Und jetzt weiter zur Detailkritik.

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Ideologem 1: “ohne Demokratie kein Klimaschutz”

Unfried schreibt: “Der Kompromiss mit andersdenkenden Demokraten ist in einer pluralen Gesellschaft das, was Zukunftspolitik ermöglicht.” Gegen die Angst in bürgerlichen Demokratien, autoritäre politische Systeme mit ihrer Fähigkeit zum “Durchregieren” könnten in der Bearbeitung von “wicked problems” wie der Klimakatastrophe den auf oft langsameren diskursiven Aushandlungsprozessen basierenden reichen Externalisierungsdemokratien des Nordens überlegen sein, wird hier die klassische “List der Demokratie” beschworen. So ungefähr: wenn sich alle vernünftigen Leute zusammensetzen, und einen gesellschaftlichen Konsens über eine sozioökonomische Transformation herstellen, ist dieser Konsens belastbarer und politisch nachhaltiger, als autoritäres Durchregieren, stellt ergo am Ende mehr, vernünftigere und durchsetzbarere Klimapolitik her, als z.B. Xi Jinpings China.

Leider lässt sich aber erstens kein empirischer Zusammenhang zwischen Regierungsform (demokratisch oder autoritär) und Klimaschutzerfolgen aufzeigen (zumindest dann nicht, wenn man Emissionen am Ort des Konsums von Waren, nicht an ihren Produktionsorten berechnet), außerdem gilt: Klimazerstörung wird durch wirtschaftliche Aktivität verursacht. Mehr davon bedeutet mehr Treibhausgase, weniger davon bedeutet (ceteris paribus) weniger Treibhausgase. Treibhausausstoß ist vollkommen regierungsforminelastisch, ob demokratisch oder autoritär, doesn't matter – die Klimakatastrophe ist Resultat einer Produktionsweise, nicht einer Regierungsform.

Die Idee, dass Demokratien besser beim Klimaschutz sind, als Autokratien, ist eine nette und nachvollziehbare Illusion, sie bleibt aber eine Illusion. Zwar stimmt es nämlich, dass Demokratien besser darin sind, lokale Umweltprobleme zu lösen, als autoritäre politische Systeme, weil sie bessere Mitsprache- und Interventionsmöglichkeiten für politische Akteure haben. Aber im Falle globaler Umweltprobleme ist eine national verfasste Externalisierungsdemokratie wie die deutsche UND teils die EU-ropäische auch nicht besser als andere Externalisierungsgesellschaften, sie bürdet ihren Scheiß anderen auf. Ist einfacher so (Öffnet in neuem Fenster).

Der neue Klima-Hufeisenmythos

Demokatie ist also weder notwendig, noch hinreichend, um das Klima zu schützen.

Natürlich ziehe ich die Demokratie dem Autoritarismus als Staatsform vor. But let's not bullshit ourselves, wie das Peter Unfried stellvertretend für seine Klasse und sein Milleu tut, wenn er jetzt eine wirklich abstruse Variante des “Hufeisenmythos” an den Start bringt, und erklärt, dass die Erderhitzung “weder recht außen noch links außen” ins Konzept passen.

Waitwhatwho... come again? Wenn das Klima nicht geschützt wird, waren es schon wieder die Ränder, wie ehedem in Weimar? Über die Absurdität des historischen Hufeisenmythos habe ich hier (Öffnet in neuem Fenster) geschrieben, in short: weil das deutsche Bürgertum den Nazis die Macht im Grunde übergab, um sie vor den Sozialist*innen zu schützen, fühlte es während und nach der Nazizeit eine enorme Schuld und Scham, die es nicht aushalten konnte, also musste eine Verdrängungserzählung entwickelt werden, die zwar historisch weitgehend Quatsch war, aber das Bedürfnis befriedigte, wie ein trotziges Kind herauszuquäken: “wir waren's nicht, die andern waren's!”

To be honest ist Unfrieds “Argument” an dieser Stelle so dünn, dass ich es nicht wirklich im Detail bearbeiten werde, es ist ja nicht einmal *intuitiv* irgendwie resonant: immerhin waren es doch die Linksradikalen der Interventionistischen Linken, von Ende Gelände, von AusgeCO2hlt, der Hambi-Besetzung und so weiter, die seit 2008 das Klima- und das Klimagerechtigkeitsthema auf die Agenda gehoben haben. Fun fact: als Ende Gelände 2014 in der Planung für die 1. Aktion im August 2015 die Forderung “Kohleausstieg Jetzt” artikulierte, waren es Ökoliberale vom Schlag eines Unfrieds, die uns Linksradikalen davon abrieten. Aber, is klar, lieber Peter: wenn das Klima nicht klappt, waren wir Schuld.

Echt jetzt. Mach ma Fenster auf Kipp.

Ideologem 2: "ohne funktionierende Marktwirtschaft keine Klimapolitik"

Zuerst einmal leidet diese Aussage natürlich am selben Problem, wie die oben schon widerlegte: da es keine Klimapolitik im Sinne nachhaltiger Emisssionsreduktionen (Klimaschutz) gibt, ist der Satz Nonsens.

Darüber hinaus gibt es keine Belege dafür, dass gerade marktwirtschaftliche Instrumente beim Klimaschutz besser greifen, als ordnungsrechtliche. Das Lieblingsinstrument der Marktfetischist*innen, der Emissionshandel, hat einen üblen track record, schafft seit ca. 20 Jahren keinen effektiven Klimaschutz, war als Policyinstrument nicht in der Lage, den radikalen Ausbau fossiler Gasinfrastrukturen zu verlangsamen oder gar zu verhindern (ein effektiver CO2-Preis müsste solche Kraftwerke perspektivisch unprofitabel machen – aber offensichtlich glauben die Betreiber, diese noch 50 Jahre betreiben zu können (und denkt immer dran: vom “grünen Wasserstoff” gibt es nur unwesentlich mehr auf der Welt, als Vorräte von Regenbogeneinhörnerpisse), denn sonst würde sich der Bau nicht lohnen.

(Wenn jetzt manche meiner moderaten Allies darauf verweisen, dass ein Bisschen Klimaschutz im Kohlesektor durchaus vom Emissionshandel produziert wurde, kann ich sagen: na und? Ein Bisschen Klimaschutz qua Kohleausstieg hat auch die Klimabewegung produziert, trotzdem sind wir gescheitert – was für niedrige Maßstäbe haben wir hier denn plötzlich? Das wär' so, als würde ich sagen: hey, ich hör mit den chemischen Drogen auf (Öffnet in neuem Fenster), aber... nur, wenn's ganz langsam und schrittweise geht, und ich auch mal mehr nehmen darf…)

In der Literatur wird davon ausgegangen, dass von den preisbasierten Klimapolicytools (E-Handel vs. carbon tax) die Steuer dem Handel überlegen wäre (z.B. schreibt der sonst ziemlich “marktaffine” IWF: “Overall, carbon taxes have significant practical, environmental, and economic advantages (especially for developing countries) (Öffnet in neuem Fenster)”); außerdem davon, dass ein ordnungsrechtlicher Eingriff wie ein schrittweises Verbot beiden Preismechanismen überlegen wäre, aber hierfür gibt es wegen eines Mangels an ordnungsrechtlichen fossilen Phaseouts noch keine wirkliche Datenbasis.

Und letztens kommen wir zum o.g. Wachstumsproblem (Öffnet in neuem Fenster) zurück: "Marktwirtschaft" ist ja nur ein anderes Wort für Kapitalismus; Kapitalismus basiert auf, *ist* unendliches Wachstum, dazu ein endlicher Planet; Wachstum = schlecht fürs Klima; mehr Kapitalismus also... You get the idea.

Ideologem Nr. 3: "Ohne starke Mitte gibt es keine Klimapolitik"

Diese Aussage ist purer, völlig empiriebefreiter Mittepopulismus. Wo hat denn "eine starke Mitte" das Klima geschützt (Öffnet in neuem Fenster)? Unter Merkel? Im Rahmen des LNG-Ausbaus durch die mittige Ampel? Wie schon diskutiert ist Unfried sich hier nicht zu schade, den historisch schon lange widerlegten Hufeisenmythos aufzuwärmen, und ihn 1-zu-1 auf die Klimafrage zu übertragen.

Wieso tut er das? Weil die Mitte am Klimaschutz genauso scheitern muss, wie am Antifaschismus (Öffnet in neuem Fenster), denn genau wie Klimaschutz ist das mit dem Antifaschismus am Ende halt viel zu schwierig, man müsste viel mehr machen, als nur wählen gehen und manchmal auf ner Demo “zeigen”, wofür/wogegen man ist. Also muss schon vorsorglich das notwendige (schon eingetroffene, in der Vergangenheit liegende, NICHTMEHRZUÄNDERNDE, aber noch nicht eingestandene) Scheitern der Mitte an den zwei großen Menschheitsaufgaben des frühen 21. Jahrhundert auf andere geschoben werden.

Wir haben also etabliert, dass die im weiteren Sinne "intellektuelle Basis" von Unfrieds Argument zentristischer Selbstbetrug ist: weder mehr Demokratie, noch mehr Marktwirtschaft, noch mehr "Mitte" machen Klimaschutz leichter. Nur weniger Kapitalismus kann dies (Öffnet in neuem Fenster).

Kompromiss als neues Progressiv” oder: die Verdrängungspsychologie der gescheiterten Mitte

Der gute Peter Unfried ist natürlich weder ungebildet, noch unklug. Aber dass verdrängende Menschen dummen Quatsch reden können, auch wenn, oder gerade wenn sie besonders intelligent sind & viel wissen (Öffnet in neuem Fenster), ist bekannt. In diesem Fall sagt Unfried aber durchaus interessanten Quatsch, er sagt – wie kürzlich auch Luisa Neubauer, die den Kampf fürs Klima mit den Worten aufgab und von sich wies, “die Konservativen sollen das (mit dem Klimaschutz) mal alleine machen (Öffnet in neuem Fenster)” - dass jetzt "die Mitte" mal Klimaschutz machen müsse und die politische Bewegungsform der Mitte ist nunmal der Kompromiss. Oder, wie Unfried das formuliert: Kompromiss ist das neue Progressiv.

Das ergibt aus Unfrieds Perspektive durchaus Sinn, denn die Mitte kann Politik nur als Abfolge von Kompromissen denken, diese Mitte, die durch jahrzehntelange Merkelisierung gelernt hat, dass Macht nur durch das Vermeiden von Konflikten zu sichern ist.

Das ist blöd, denn: Kompromisse sind over (Öffnet in neuem Fenster).

Wir stehen am Anfang einer "posthegemonialen" Welt, in der das Ende der Pax Americana, die gesell. Überforderung qua Polykrise, und das Erreichen planetarer Grenzen (less stuff to go around) dazu führt, dass Kompromisse immer schwieriger werden.

Wir stehen am Anfang einer Zukunft, die von immer mehr intra- und intergesellschaftlichen Konflikten gezeichnet sein wird, die eben nicht durch das nettmittebürgerliche "Wir setzen uns zusammen und besprechen das ruhig und rational" zu klären sein werden (Öffnet in neuem Fenster).

Wir stehen vor einer Zukunft, die von Gewalt und Konflikt, anstatt Frieden und Kompromiss gekennzeichnet sein wird, diesmal auch (and that's really the main difference) in den "kapitalistischen Zentren", die Gewalt und Konflikt sonst lieber auslagern (Öffnet in neuem Fenster).

Ich verstehe, warum Peter Unfried, einer der klügsten Fürsprecher der verschwindenden Mitte ("die letzten Humanist*innen"), zunehmend postfaktisch und appellativ argumentieren muss: seine Mitte isch over; sie hat keine Vorschläge, keine Mechanismen mehr, sie bietet den ihren keine existentielle Sicherheit mehr. Sie kann nicht mehr versprechen, zu tun, wofür sie delegiert ist: by any means necessary dafür zu sorgen, dass sich im Kern alles gleich bleibt, auch, wenn sich dafür alles ändern muss. Sie kollabiert praktisch, intellektuell, und, wie wir sehen (werden), auch ethisch.

Mit unfriedlichen Grüßen,


Euer Tadzio

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