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Tesla und das Märchen vom klimaschützenden Elektrokapitalismus

(Source: stablediffusion.com (Öffnet in neuem Fenster); prompt: electric cars and unicorns save the world)

21.03.2024

Liebe Leute,

gebt fein Acht, ich hab Euch heut' ein Märchen mitgebracht.

Fossiler Kapitalismus: mehr Wachstum = mehr Zerstörung

Es war einmal eine Produktionsweise, deren bis dahin ungekannte produktive Dynamik, deren “Entfesselung der Produktivkräfte” alle anderen ökonomischen Systeme in den Schatten stellte, weil sie schneller, besser, effizienter produzieren und verkaufen konnte, als der Feudalismus, die Sklavenhaltergesellschaft, etc. Es war einmal der fossile Kapitalismus.

Dieser fossile Kapitalismus hatte seinen Ursprung um 1800 in England, und eroberte von dort die Welt. Wo zuvor Energie vor allem aus Biomasse gewonnen wurde, verbrannte er zuerst Kohle, ab den 1920ern immer mehr Öl, und seit den 1950ern immer mehr fossiles Methan, durch einen cleveren Marketingtrick auch bekannt als “Erdgas”.

Allein, diese unglaubliche Produktivität wurde, unter anderem, mit der Zerstörung der Erde erkauft. Seit dem Beginn der industriellen Revolution steuert die kapitalistisch hochgetunte Menschheit immer schneller auf den ökologischen “Overshoot” zu, den Punkt, an dem wir so viele planetare Grenzen (Klima, Biodiversität, etc.) überschritten haben, dass die industrielle Gesellschaft kollabieren muss, woraus ein massiver Einbruch menschlicher Populationen resultieren würde. Übers.: Milliarden würden krepieren. Wo “Wachstum” (in manchen Regionen der Weltwirtschaft, und unter bestimmten Umständen) kurz- und mittelfristig tatsächlich vielen Menschen den Ausgang aus absoluter Armut ermöglichte (wenngleich es auch neue Arten von Armut in die Welt brachte), würde es langfristig und überall auf der Welt die gesamte Menschheit in die Katastrophe stürzen.

(Schaubilder 1 (Öffnet in neuem Fenster) u (Öffnet in neuem Fenster)nd 2 (Öffnet in neuem Fenster): (Öffnet in neuem Fenster)der enge Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und Treibhausgasemissionen von 1800-2000.)

Entkopplung, oder: der ökokapitalistische Märchenprinz

Im fossilen Kapitalismus, das konzedieren auch seine ökologisch aufgeklärte Freund*innen und Bekannten, bestand also ein enger Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Aktivität und Umweltzerstörung: mehr vom einen hieß mehr vom anderen, und besonders in Bezug auf das Klima war das so, weil das zentrale Antriebsmittel dieses zerstörerischen Biests nunmal fossile Brennstoffe waren, deren Verbrennung... You know all of that.

Dieser enge, zumindest im fossilen Kapitalismus unauflösbare Zusammenhang, diese Kopplung, galt es nun aufzulösen, und um die Möglichkeit der “Entkopplung” tobt seit mindestens 20 Jahren (als 2005/6 mit Hurricane Katrina, dem Stern Report und Al Gores nobelpreisgekrönten Diavortrag die Klimafrage zum 3. Mal öffentliche Aufmerksamkeit erregte), eigentlich aber schon seit über 50, seit der Veröffentlichung des berühmten “Limits to Growth”-Berichts des Club of Rome, eine hitzige Debatte: ist Entkopplung im Kapitalismus möglich?

Die Verteidiger*innen des Kapitalismus legen an dieser Stelle oft nationale Daten aus dem globalen Norden vor, die, so ihre Erzählung, zeigen, dass Entkopplung möglich ist; die antikapitalistische Seite kontert üblicherweise mit globalen Daten, in denen (wenn man die nichtgezählte Methanleckage dazurechnet) keinerlei globalen Entkopplungsdynamiken erkennbar sind (ich diskutiere diese Fragen im Podcast “Wicked Problems (Öffnet in neuem Fenster)”).

To be honest ist der historische Teil der Debatte aber ein Bisschen pointless: die Entkopplungs-Seite muss die Tatsache ignorieren, dass die relevante Analyseeinheit natürlich die Weltwirtschaft ist, und national-level data einfach nicht ausreicht, um den intellektuell ziemlich weitreichenden Claim zu unterstützen, den sie machen; während wir Antikapitalist*innen im besten Fall sagen können “Entkopplung gab's bisher nicht, wird's also auch nicht geben”, was wahrscheinlich eine logical fallacy darstellt.

Tesla und der Elektrokapitalismus

Die wirklich relevante Frage ist nämlich nicht “hat's das bisher gegeben?” (die Vergangenheit ist ja schon passiert, kammer nich mehr viel machen), sondern: kann es das in Zukunft geben?, was uns direkt in eine Debatte bringt, die das “linksgrünversiffte” gesellschaftliche Feld in Deutschland derzeit umtreibt: Die Debatte um Tesla. Pro oder contra mehr Tesla, pro oder contra mehr Proteste und Aktionen gegen Tesla (mit 'ner Klammer um den Brandanschlag, dazu nach den Aktionstagen im Mai (Öffnet in neuem Fenster)mehr). Denn diese ist die heutige Version der Entkopplungsdebatte: eigentlich geht es immer (noch) um die Frage, ob ein elektrischer Wachstumskapitalismus das Problem lösen kann, das der fossile Wachstumskapitalismus geschaffen hat.

Wie letzte Woche (Öffnet in neuem Fenster) schon angerissen beruht die “protestiert mal lieber gegen die fossile deutsche Automafia, als gegen eine Firma, die immerhin Elektroautos produziert”-Position auf zwei Argumenten: erstens wird darauf verwiesen, dass Elon Musk mit seinem Gigaego den deutschen Autobauern (dem Endgegner der deutschen Klimabewegung) zumindest symbolisch viel mehr auf die Nerven geht, als die chinesischen Anbieter, die einen größeren Teil des Markts beherrschen. Zweitens wird argumentiert, dass, ceteris paribus, jedes verkaufte EAuto besser ist, als jeder verkaufte Verbrenner. Und daher, so das Argument, ergibt es keinen Sinn, wenn die Klimabewegung sich auf Tesla einschießt, weil, lieber Teslas EAutos, als die dreckigen deutschen Verbrenner.

To be sure, Auto für Auto stimmt das. Die Zahlen gehen hier auseinander, aber spätestens nach einigen zehntausenden Kilometern ist ein EAuto, das mit erneuerbarem Strom fährt, eine ökologisch bessere Investition, als ein Verbrenner, und die Nutzerin des Autos hat kein eingebautes Interesse an niedrigen Benzinpreisen. Aber es geht hier ja nicht um ein paar einzelne Autos, auch nicht um ein paar Fabriken, die den heimischen Autobauern Konkurrenz machen. Es geht um den Aufbau einer global vernetzten Produktionsinfrastruktur, die bis 2030 um die 330 Millionen EAutos (Öffnet in neuem Fenster) herstellen soll. Es geht um nicht weniger, als das Lostreten einer neuen kapitalistischen Entwicklungsphase, analog zum fossilen Kapitalismus, der den erneuerbaren Biomassekapitalismus der frühen Neuzeit ablöste (auch innerhalb des fossilen Kapitalismus gab es Übergänge von einer Energieform zur nächsten: von der Kohle zum Öl, und vom Öl zum Gas).


Energiesysteme: überlagern statt ersetzen


Nochmal: es geht in der “Tesla-Frage” nicht nur um ein paar Autos und Fabriken, auf dem Spiel steht die Zukunft des Kapitalismus, mithin der Welt. Kann ein elektrisch getriebener (genauer: ein zunehmend von erneuerbaren Energien angetriebener, weitgehend elektrifizierter) Kapitalismus an die Stelle des alten, fossilen Wachstumsmodells treten? Die ehrliche Antwort ist: möglicherweise, kann man nicht mit Sicherheit vorhersagen. Aber auch, wenn wir die Frage mit Sicherheit mit “Ja” beantworten könnten, würde das noch nicht das Klimaproblem lösen, denn: neue, effizientere Energiesysteme ersetzen nie die alten Systeme, sie überlagern sie. In neuen / effizienteren / produktiveren Sektoren wird die neue Energieform eingesetzt, aber der Großteil der Weltwirtschaft läuft weiterhin auf den alten Energien. Mehr neue Energie heißt nicht weniger alte Energie, im Gegenteil.

Die Grafik oben belegt das, wie ich finde, ziemlich eindeutig und eindrücklich. 2000, 250-200 Jahre nach dem Beginn der kohlegetriebenen industriellen Revolution in England, wird weltweit mehr Energie aus Biomasse gewonnen, als im frühen Biomassekapitalismus. Als mit der weltweiten Ausweitung der fordistischen Massenproduktion nach dem Ende des 2. Weltkriegs das Ölzeitalter richtig an Fahrt aufnahm, wurde deutlich mehr Kohle verbrannt, als zum “offiziellen” Ende des Kohlezeitalters um, give or take, 1920 herum. Das selbe gilt für jede neue Energieform: ihre Einführung korrelliert nie mit einer Reduktion alter Energieformen, tatsächlich steigt die Nutzung alter Energieformen in jedem Fall weiter an, auch während die neue Energieform immer größere Verbreitung findet. Das neue Energiesystem ersetzt das alte nur in ganz bestimmten, wirtschaftlich “führenden” Regionen und Sektoren (ersetzt im Sinne von: jetzt Öl, wo davor Kohle, jetzt Gas, wo davor Öl), während der absolute Großteil globaler Produktion mit den alten Prozessen und der alten Energie abläuft.

Wenn man dies auf die Entstehung eines möglichen erneuerbaren Elektrokapitalismus überträgt, würde das bedeuten, dass das neue, elektrokapitalistische Energiesystem zwar aus mehr erneuerbaren Energien bestünde, aber eben auch mehr fossile Brennstoffe und klassische Biomasse verbrennen würde. Weil in der Geschichte des Kapitalismus die Einführung einer neuen Energieform nie, never ever ever, dazu geführt hat, dass von irgendeiner anderen Energieform weniger genutzt wurde. In short: mehr Teslas in Deutschland = mehr fossile Produktion global, und mehr Elektrokapitalismus = mehr (nunmehr untergeordneter) fossiler Kapitalismus.

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Warum ist das so? Aus zwei Gründen: Ungleichzeitigkeit in der globalen politischen Ökonomie, und “Artikulation”.

Wenn eine neue Energieform an einem Ort eingeführt wird, stellt diese Location sozusagen das Epizentrum des neuen Energiesystems und der neuen, von ihm angetriebenen kapitalisten Entwicklungsphase dar. Als man in England anfing, Kohle zu verbrennen und so Dampfmaschinen anzutreiben, wurde England zum dominanten Player im entstehenden Kapitalismus. Das bedeutete natürlich nicht, dass überall auf der Welt sofort Kohle für Dampfmaschinen verbrannt wurde, der Rest der Welt verbrannte erstmal weiter fleißig Biomasse und nutzte Windkraft, und arbeitete so der überlegenen britischen Wirtschaft zu. Die Ausdehnung der neuen Energieform wurde also durch die Ungleichzeitigkeit der Weltwirtschaft verlangsamt, was bedeutete, dass ihre Einführung und dominant-Werdung, die gleichzeitig zu einer Dynamisierung des globalen Kapitalismus führte, einherging mit dem quantitativen Anstieg der Nutzung alter Energieformen. Der neue, dominante Energiesektor artikulierte, unterwarf sich sozusagen den Rest der globalen Energiewirtschaft, transformierte ihn in Bezug auf seine Rolle im globalen Kapitalismus, lies seine technische und soziale Basis aber weitgehend unangetastet, oder gab ihr eben noch einen freundlichen Wachstumspush. Die alten Produktionsprozesse laufen weiter, sind aber halt nicht so effizient und daher nicht so profitabel, wie die Produktionsprozesse, die mit der neuen Energieform laufen.


Die elektrische Radikalisierung des globalen Kapitalismus

Das bedeutet, dass eine rapide Ausweitung der Produktion von EAutos jetzt, im Moment wo das Klima im Grund in den "game over"-Modus kippt, alle Produktion auf der Welt massiv hochfahren würde; dass jeder Furz fossiles Gas aus jedem kleinsten Loch herausgefrackt würde, dass jeder Krümel Lithium überall gefördert würde, dass jeder fossil betriebene Bergbauer, Autozulieferer, und jedes globale Transportunternehmen sich vor Aufträgen nicht mehr retten könnte.

Wer einer EAuto-Revolution das Wort redet, ruft nach einer radikalen Ausweitung globaler kapitalistischer Produktion, von der der absolute Großteil (remember: we live in fossil capitalism) fossil getrieben wäre. Was wird hier also wirklich “entkoppelt”? Die Endnutzung eines, wenngleich ziemlich zentralen, Produkts der Weltwirtschaft wird elektrifiziert, aber eben der Rest der Produktionskette nicht. Stattdessen wird die globale Produktion massiv ausgeweitet, und damit eben auch die Teile, in denen Wachstum nicht von Klimazerstörung entkoppelt ist (von den ganzen anderen globalen Umweltkrisen, die nichts mit Kohlenstoff im engeren Sinne zu tun haben, mal ganz zu schweigen).

And nobody (except maybe the rich) lived happily ever after.

Mit teslaskeptischen Grüßen,


Euer Tadzio


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