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WeinLetter #42: Was die Queen in Deutschland trank

Liebe Wein-Freund*in,

Du liest den WeinLetter #42. Heute gibt's, der Aktualität geschuldet: Trauriges Trinken. Queen Elizabeth II. ist tot. Prinz Charles hat nen Job. Er ist jetzt King. Sie wird am 19. September beerdigt - es ist Staatstrauer anberaumt. Also beschäftigt sich der WeinLetter: Mit dem freudvollen Trinken aus Anlass der vielen Staatsbesuche der Queen in Deutschland. Kein Land hat die Queen so häufig besucht wie Deutschland - sie war sogar mal auf Helgoland (Diese Briten!). Hier im WeinLetter geht's deshalb um die Staatsbankette in Deutschland - ihr letztes überhaupt im Ausland fand 2015 statt. Welche vier Weine wurden da beim Bankett serviert? Und was beim Antrittsbesuch in den 60er Jahren? Wie haben sich die "Queen-Weinkarten" entwickelt - und was sagt das über Deutschland aus? Ich habe mit dem Autor Knut Bergmann gesprochen. Er hat zu diesem Thema das Standardwerk "Mit Wein Staat machen: Eine Geschichte der Bundesrepublik" (Opens in a new window) geschrieben. Er analysiert die Weinkarten-Diplomatie und kennt auch einen der größten Wein-Fails (nicht mit der Queen!). Viel Spaß beim majestätischen Lesen und Weinen! +++ Empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte weiter. Unterstützt den WeinLetter auch finanziell und werdet aktives Mitglied! (Opens in a new window) Es würde mich freuen! Aber vor allem:

Trinkt friedlich!

Euer Thilo

Die Queen. 21. September 1926 - 8. September 2022 FOTO: MARK DE JONG (Opens in a new window) ON UNSPLASH (Opens in a new window)

"Mittags Haut Brion, abends patriotisch"

Wie sucht man Weine für ein Staatsbankett mit der Queen aus? Was verlangt das Protokoll? Autor Knut Bergmann hat die Weinlisten studiert. Er sagt: Es gilt das "Pathos der Nüchternheit". Was der Queen tatsächlich aufgetischt wurde und warum die Weinwahl beim Präsidenten aus Guinea daneben ging - gibt's hier.

Interview: Thilo Knott

WeinLetter: Herr Bergmann, das letzte auswärtige Staatsbankett der Queen fand 2015 in Deutschland statt. Was gab’s zu trinken?

Knut Bergmann: 2014er Saulheimer Chardonnay Ré­serve vom Weingut Thörle in Rheinhessen, Spätburgun­der Barrique trocken 2012 vom Pfälzer Ökowinzer Rummel, als Dessertwein Freiburg Schlossberg Spätburgunder Weißherbst Beerenauslese 2013 von Stigler in Baden. Dazu gab es, nicht auf der Menükarte angegeben, als Sekt zum Anstoßen Wegeler Geheimrat »J« Rheingau Riesling Brut 2009.

"Thörle war ein Newcomer, Rummel ungewöhnlich": Ungeöffnete Exemplare des Weiß- und Rotweins des Staatsbanketts  vom 24. Juni 2015 in Berlin. Fotografiert am Todestag von Queen Elizabeth II. FOTO: KNUT BERGMANN

WeinLetter: Einmal weiß, einmal rot, einmal prickelnd, einmal süß: Das ist klassisch auf Banketten. Aber warum gerade diese vier?

Knut Bergmann: Generell ist es im Nachhinein immer schwierig herauszufinden, warum genau diese oder jene Kombination zustande gekommen ist – zumal sich in den Protokoll-Akten des Auswärtigen Amtes kaum Dokumente finden, aus denen sich ableiten lässt, weshalb ein Wein aufgetischt wurde. Hinsichtlich des Essens werden vor allem in älteren Akten Vorlieben und Abneigungen referiert. Zum konkreten Fall: Stigler und Wegeler gab es öfter, beides sind bekannte Weingüter. Thörle war damals eher ein Newcomer, die haben meinem Eindruck nach sehr davon profitiert, dass ihr Chardonnay auf diesem Bankett ausgeschenkt wurde. Rummel war schon ungewöhnlich, der Winzer eher anarchisch veranlagt. Der Kontakt kam wohl auf Vermittlung aus dem Büro des Bundespräsidenten zustande. Aber es geht ja auch darum, die Vielfalt des deutschen Weinbaus zu vermitteln – und da gehören die etablierten Winzer genauso dazu wie die aufstrebenden oder unorthodoxen.

WeinLetter: Hat der Bundespräsident einen Sommelier – oder wer sucht die Weine aus?

Knut Bergmann: Nein, im Gegensatz zu Frankreich gibt es keinen Sommelier. Aber einen Koch, Jan-Göran Barth, der sich auch um die Getränke kümmert – und ich finde, dass er das sehr gut macht.

WeinLetter: Nach welchen Kriterien werden solche Weine ausgesucht? Bekömmlichkeit, Preis, Food Pairing?

Knut Bergmann: Die Passung zum Essen ist natürlich das wichtigste. Der Preis spielt auch eine Rolle, die Maßgabe in Sachen Staatsrepräsentation lautet – 1951 vom ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss geprägt – besonders gut zum Wein passend: Pathos der Nüchternheit. Es ist eine bewusste Entscheidung, nicht das Bestmögliche auszuschenken. Haushalterisch wäre es kein Problem, nur die besten Großen Gewächse aufzutischen bei drei bis vier Staatsbanketten im Jahr mit jeweils maximal 150 Gästen. Aber das ist nicht gewollt.

WeinLetter: Gab’s auch schon richtige Faux-Pas auf Staatsbanketten?

Knut Bergmann: In Sachen Wein war die Amtszeit von Karl Carstens aus der Kategorie: Kraut und Reben. Viele nicht-deutsche Weine, oft aus grausigen Jahrgängen. Und der im November 1981 dem Präsidenten Guineas offerierte Chateau Clos Fourtet 1976 war zumindest ignorant. 

WeinLetter: Warum ignorant?

Knut Bergmann: Dazu muss man wissen, dass die vormalige französische Kolonie Guinea in einem Referendum 1958 als einzige französische Kolonie in Afrika komplett mit der Kolonialmacht gebrochen hatte. Dem Gui­neer dann einen Bordeaux zu servieren, zeugt nicht von überragendem diplomatischem Geschick, schließlich repräsentiert kaum etwas Frankreich so sehr wie bordelaiser Rotwein.

"Dem Guineer einen Bordeaux servieren": Die unglückliche Weinabfolge beim Staatsbesuch von Guineas Präsident Andrée Touré 1981 (Auszug). Dazu gab's Morchelkraftbrühe, Seezungenschleifen "Walewska", Wildentenbrust sowie Preiselbeerparfait mit Zimtschaum und warmen Pflaumentörtchen FOTO: ARCHIV BERGMANN

WeinLetter: Zurück zu Queen Elizabeth II: Gin - das ist der große Mythos bei Her Majesty. Ihr Lieblingscocktail war Gin Dubonnet. Aber war sie denn auch eine Weinliebhaberin oder zumindest eine Weinkennerin?

Knut Bergmann: Ihr Lieblings-Chateau war angeblich Haut Brion. Insofern war es höflich, dass ihr Bundespräsident Walter Scheel, der viel von Protokoll verstand, 1978 bei ihrem zweiten Staatsbesuch in Deutschland beim nicht-offiziellen Mittagessen in der Villa Hammerschmidt den 1966er servieren ließ. Abends beim Staatsbankett waren die Weine hingegen alle patriotisch korrekt. Die Queen ist aber nie mit einer öffentlichen Vorliebe zu irgendeinem Suchtmittel auffällig geworden – dafür war sie viel zu diszipliniert. Um Weinkennerin zu werden, hätte sie allerdings beste Voraussetzungen gehabt: In keinem Land der Welt wird auf Staatsbanketten so hochklassig ausgeschenkt. In weiß früher deutsche Spitzenrieslinge, rot bis heute die besten Burgunder und Bordeaux – was man halt so trinkt in der königlichen Familie.

WeinLetter: In keinem anderen Land war die Queen so häufig wie in Deutschland. 1965 das erste Mal. Sie haben das Phänomen Wein auf Staatsbanketten untersucht. Was erzählen die Weinlisten über die Weingeschichte in Deutschland?

Knut Bergmann: Nicht nur über den Weinbau. Die Menükarten sagen in der Frühzeit der Bundesrepublik etwas aus über den Willen, nichts falsch machen zu wollen. Der Weißwein war immer aus Deutschland, in den ersten Jahrzehnten Winzer wie Lagen fast durchweg erstklassig, meist Auslesen. Der Rotwein kam hingegen manchmal aus Frankreich, für die Queen 1965 beispielsweise ein Corton Grand Cru aus dem Jahrhundertjahrgang 1959. Und dann sind die Staatsbankette selbstverständlich Spiegel der Weinbaugeschichte – die süße Welle schwappte auch über die präsidentielle Tafel, dann das deutsche Weinwunder. Heute zeugen die Weine vom Klimawandel, von dem der Weinbau hierzulande bislang profitiert hat. Unter Roman Herzog wurde die erste Rotweincuvee und der erste deutsche Chardonnay serviert, mittlerweile gab es auch schon deutschen Merlot.

"Den Willen, nichts falsch zu machen": Die Vorschläge für die Weine beim ersten Staatsbankett für Queen Elizabeth II. am 18. Mai 1965 - aus Akten des Protokolls FOTO: ARCHIV BERGMANN

WeinLetter: Was sind Entwicklungen, die in den Queen-Bankettweinen herauszulesen sind – von Oechsle-Inferno zu Lagen-Mineralik?

Knut Bergmann: Nun ja, das Oechsle-Inferno war damals der Geschmack der Zeit. Die Winzer und Lagen waren beim Weißwein fast durchweg erstklassig. Allerdings waren die Weine stetig zu jung.

WeinLetter: Aber mochte Queen Elizabeth II. deutsche Weine? Oder hatte sie heimlich britische Schaumweine oder Bordeaux‘ aufm Zimmer?

Knut Bergmann: Hier gilt die Maßgabe: Never complain, never explain. Beschwere dich nie, erkläre dich nie! Die hatte sich die Queen zu eigen gemacht. Grundsätzlich ist es aber so, dass deutsche Rieslinge früher der Standard-Weißwein am britischen Königshof waren. Als die Queen 1953 gekrönt wurde, gab es beim Cronation Lunch neben 1945er Krug einen 1943er Brauneberger. Zu einer Zeit, als in Großbritannien noch Lebensmittelmarken nötig waren, schenkte man also einen Wein aus dem Land des Eben-Noch-Feindes aus einem Kriegsjahrgang aus. Mittlerweile wurde der deutsche Riesling durch weiße Burgunder ersetzt. Und tatsächlich werden mittlerweile Schaumweine aus Südengland auch auf Staatsbanketten ausgeschenkt.

"Wein aus dem Land des Eben-Noch-Feindes aus einem Kriegsjahrgang": Die Menükarte des Cronation Lunch anlässlich der Krönung von Queen Elizabeth II. am 2. Juni 1953 FOTO: ARCHIV BERGMANN

WeinLetter: War es bei der Queen einfacher, deutschen Wein zu servieren, weil die Briten bei Wein nicht konkurrieren? Bei den französischen Präsidenten muss man da schon mehr aufpassen. Ist das eine diplomatische Frage – oder ein Klischee?

Knut Bergmann: Rheingau-Rieslinge und Moselle waren lange Zeit selbst auf britischen Staatsbanketten üblich. Und das vinophile Niveau ist bis heute dort höher als bei den Franzosen – dem Cola-Trinker Donald Trump servierte man Lafite-Rothschild 1990. Generell sollte selbst der snobistischste Staatsgast honorieren, dass ein Land eigenen Wein ausschenkt, auch wenn der nicht überragend ist. Außerdem trinken Staatsoberhäupter sowieso kaum Alkohol bei diesen Gelegenheiten – oder wie es ein Chef des Bundespräsidialamtes einmal so hübsch formulierte, dass auf Staatsbanketten sehr kontrolliert getrunken werde: „Die Leute sind einfach zu seriös für irgendwelche Ausschweifungen.“

"Bei Hofe die Genehmigung geholt": Queen Elizabeth II. als Winkefigur und eine Flasche Königin Victoriaberg Riesling am Stand des heutigen Besitzers Joachim Flick auf einer Weinmesse FOTO: KNUT BERGMANN

WeinLetter: Wenn man jetzt noch einmal auf diese außergewöhnliche Frau anstoßen will – mit welchem Wein erwiese man Queen Elizabeth II. die größte Ehre?

Knut Bergmann: Anbieten würde sich vielleicht ein Glas Hochheimer Victoriaberg, der nach ihrer Ur-Ur-Großmutter benannt ist. Queen Victoria hatte 1845 den Weinberg besucht, und der Winzer hatte sich danach bei Hofe die Genehmigung geholt, ihn nach der Königin benennen zu dürfen – was alle Besitzer bis heute zu Marketingzwecken genutzt haben. Letztlich vermute ich aber, dass Queen Elizabeth II. das Getränk egal ist – sie sich aber freut, wenn man ihrer gedenkt. Ob mit einem Riesling, einem Gin&Tonic oder was auch immer.

Knut Bergmann studierte Politische Wissenschaften, Psychologie und Öffentliches Recht an der Universität Bonn, wo er 2002 mit einer Gesamtdarstellung des Bundestagswahlkampfes 1998 promoviert wurde. Anschließend arbeitete er u.a. für die TV-Moderatorin Sabine Christiansen, als Grundsatzreferent im Bundespräsidialamt und Redenschreiber des Bundestagspräsidenten. Seit 2012 arbeitet er für das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Berlin und Köln. Daneben lehrt erPolitikwissenschaften an der Universität Bonn. 2018 erschien sein Buch „Mit Wein Staat machen. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ im Insel Verlag (Opens in a new window). FOTO: IW

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