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WeinLetter #43: Alkholfreier Wein - warum gelingt das nicht?

Liebe Wein-Freund*in,

Du liest den WeinLetter #43. Heute gibt's: Alkoholfreien Wein und Schaumwein. Fachgerecht: Entalkoholisierter Wein und Schaumwein. Oder lapidar gesagt: Ich destilliere aus dem Wein den Alkohol raus, um Alk-freien Wein zu bekommen - und indiziere noch reichlich Kohlensäure, wenn ich Schaumwein haben will. Ich habe mich hier schon mal weit rausgelehnt und versprochen: Ich trinke nach dem letzten Alk-freien Wein keinen mehr - es war eine Zumutung. Jetzt bin ich zu neugierig, um der Sache nicht auf den Grund zu gehen. Ich habe mich durch Weine und Blubber unter 0,5 Vol. % ge...nötigt. Habe mit Weinhändlern, Winzern und Null-Alk-Händlerinnen geredet. Bekommen's die deutschen Winzer:innen nicht hin? Die zweite Frage nach der Verkostung diverser Säure-Glukose-Mixturen war: Warum nicht? Ich finde den Weg ja gut, Wein-Alternativen herzustellen, aber man muss sich schon in die Augen schauen und sagen: It's a long way home! +++ Empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte weiter. Unterstützt den WeinLetter auch finanziell und werdet aktives Mitglied! (Opens in a new window) Es würde mich freuen! Aber vor allem:

Trinkt friedlich!

Zero. Alcohol free. Der Genuss alkoholfreier Weine und Schaumweine ist ein Trend. Doch ist das wirklich gut? FOTO: THILO KNOTT

Zero Points!

von Thilo Knott

1. Die Zumutung

Ich hatte eine Ansage gemacht: “Bei entalkoholisierten Weinen komme ich gerne wieder – in drei bis fünf Jahren." Das habe ich tatsächlich geschrieben. Neulich erst. WeinLetter #38 widmete ich zwölf Rheingau-Weinen. Und eher zufällig trank ich den „Eins Zwei Zero“ vom Weingut Leitz. Top-Adresse, Flop-Alkoholfrei.

Weingut Leitz: Eins Zwei Zero, Riesling, 0 Vol %, trocken, 7,90 Euro ab Hof. FOTO: THILO KNOTT

Was soll ich sagen? Mein Urteil hat sich nicht groß verändert. Rhabarbersaftschorle. Bei 7,90 Euro ab Hof ein gar nicht so günstiges. Nur: Es arbeitete in mir. Solch kategorische Festlegungen auf drei bis fünf Jahre passen gar nicht zu mir. Klar, ich habe Präferenzen Richtung Spätburgunder und trockene Rieslinge, aber ich bin undogmatisch was Rebsorten und Anbaugebiete national wie global angeht. Also machte ich mich wieder auf die Suche. Nach alkoholfreien Weinen und Schaumweinen.

Ich änderte meinen Anspruch. Kriterium war nicht: Kommt das dem Original nahe? Sondern: Schmeckt das? Ich habe dafür Weinhändler und Winzer meines Vertrauens befragt – bevor ich wieder zuschlug. Mit Wein und Schaumwein vom Weingut Riffel.

2. Der neue Versuch

Was sagen die Expert:innen? Als ich nachfrage, ist es nicht so, dass ihnen positiven Beispielen geradezu raussprudeln. Da sagt der eine mal: „Der Riffel war ganz okay.“ Da sagt der andere: „Dr. Lo von Loosen ist der einzige, der gut ist.“ Das Mosel-Weingut Dr. Loosen hat einen Riesling und einen Riesling-Sekt alkoholfrei im Angebot. Die Expert:innen erzählen von Blindverkostungen, wo der eine Teil den alkoholfreien Riesling-Sekt dem normalen Crémant vorziehen würde. Dann kommen aber gleich die Einschränkungen: Manchem gefällt vermutlich „der höhere Zuckeranteil“, dem anderen fällt vielleicht nicht auf, „wenn die Kohlensäure zugesetzt wurde“.

Lies' mehr zum Thema: Die Schaumwein-Alternativen von Holunderblüten-König Bernuld Schlauch (Opens in a new window)!

Zucker, Kohlensäure? Es ist handwerklich so, dass dem Original-Wein der Alkohol entzogen werden muss. Das erfolgt mit einer Methode, die Dr. Carl Jung vom gleichnamigen Weingut in Rüdesheim vor mehr als 100 Jahren entwickelt hat. Es ist eine Vakuumdestillation, die dem Wein bei 27 Grad den Alkohol schonend entzieht. Es gibt als Verfahren zudem noch die Schleuderkegelkolonne. Weil mit dem Alkohol auch Aromen verloren gehen, verwenden Winzer:innen vor allem aromatische und Bukett-Rebsorten. Oder setzen wieder Zucker zu. Im Falle von Schaumweinen auch noch Kohlensäure.

Weingut Riffel: Zero Riesling, trocken, 9,90 Euro ab Hof. Und: Zero Riesling Sparkling, trocken, 9,50 Euro ab Hof. FOTO: THILO KNOTT

Ich entschied mich für einen Vergleich des alkoholfreien Rieslings und des alkoholfreien Sparkling Rieslings vom Weingut Riffel aus Bingen. Hm. Der Riesling ging diesmal nicht in Richtung Rhabarberschorle wie bei Leitz, sondern erinnerte an Zitronenlimo. Ich trank den Low-Riesling als Schorle weiter. Der Sekt war okay. Blubberte im Glas wie ein Whirlpool. Den qualitativen Unterschied bestätigten meine Experten: Bei Sekt sind die deutschen Produzent:innen weiter als mit dem Wein. Liegt an der zugesetzten Kohlensäure, klar. Aber: Ich wollte weiter machen. Eine meiner Expert:innen sagte noch: „Die Bierbrauer haben auch 20 Jahre gebraucht, bis sie alkoholfreies Bier richtig gut hinbekommen haben.“ Oh Gott, dann bin ich – 20 Jahre älter.

3. Die Fakten

Beim Produkt der alkoholfreien Weine und Schaumweine gibt es ein Parodoxon: Die Qualität des Produkts hält bei weitem der steigenden Nachfrage nicht stand. Und das wegen der aufwendigen Produktionsweise zu nicht vernachlässigbaren Preisen ab 6,50 Euro. Wie kann das sein? Fakt ist: Entalkoholisierte Weine liegen im Trend eines achtsamen Genusses, der Gesundheit als hohes Gut behandelt. Die Bierindustrie hat seit Jahren Absatzrückgänge, weil man aufm Bau eben keine Kiste Helles mehr durchzieht.

Hast Du die gleichen Erfahrungen mit entalkoholisiertem Wein gemacht? Kennst du Produkte, die wirklich gut sind? Dann schreibe mir oder her damit – ich werde hier weiter dranbleiben: weinletter@posteo.de

Das Deutsche Weininstitut taxiert den entalkoholisierten Anteil am Gesamtabsatz zwar noch unter einem Prozent – doch die Menge verkaufter  Weine im Lebensmitteleinzelhandel ist nicht mehr zu ignorieren: Für 2021 schätzt das Deutsche Weininsitut den Alk-freien Weinabsatz auf rund fünf Millionen Flaschen. Mit etwa 23 Millionen Flaschen pro Jahr ist der Absatz alkoholfreier Sekte bereits deutlich größer und ebenfalls steigend. Dies entspräche rund sechs Prozent der hierzulande konsumierten Schaumweine, rechnet das Deutsche Weininstitut vor.

Weingut Pierre Chavin: Zera. Chardonnay, trocken, ungeschwefelt, Languedoc, 6,90 Euro in ausgesuchten Bio-Supermärkten. FOTO: THILO KNOTT

Gut, da muss doch ein akzeptables Produkt dabei sein! Ich entdeckte in den Weinregalen meines Bio-Supermarkt den „Zera“ aus dem Languedoc, ein alkoholfreier Chardonnay, trocken, ungeschwefelt. Der hatte einen angenehmen Wein-ähnlichen Trinkfluss. Aber süß. Wie eine Beerenauslese. Stand aber trocken drauf auf dem Etikett. Da stand es: Nix Wein, Traubensaft. Der Anteil des Chardonnay-Traubensafts liegt gerade mal bei 22 Prozent, den größten Anteil hatten Traubenkernextrakte und Hefeextrakte. 0,0 Alkohol sind das Ergebnis. Aber 4,8 Gramm Zucker. Auf 100 ml. Auf 100 ml! Der hat also nicht einmal Alkohol gesehen. Man könnte sagen: Er ist eher Mahlzeit als Prost! Ich war bedient. Ich suchte Hilfe.

„Wir sind nicht dogmatisch“: Isabella Steiner vor dem Wein-Alternativen-Regal ihres Spätis im Bergmannkiez in Berlin (Opens in a new window) FOTO: THILO KNOTT

4. Die Erlösung

In einem Kreuzberger Souterrain fand ich Hilfe. Hier, in der Solmsstraße im Bergmannkiez betreibt Isabella Steiner mit einem kleinen Team den ersten Späti Deutschlands mit ausschließlich alkoholfreien Getränken. Null Prozent heißt er. Macht um 14 Uhr auf wie ein Orginal-Späti. Gegründet hat sie zuerst den Online-Shop, 2020 war das. Der Späti kam im Februar 2021 hinzu.

200 alkoholfreie Produkte vertreibt sie. Nullprozentige Gins, Aperols, Liköre. Und hat eines der größten Angebote an entalkoholisierten (Schaum-)Weinen: 35 Weine und 25 Schaumweine. So etwas wie den „Zera“ findet man hier vergeblich. Isabella Steiner sagt: „Ich unterscheide ganz klar: Es gibt Wein-Alternativen, sprich entalkoholsierter Wein – und es gibt Traubensaft-Alternativen. Das ist der Unterschied. Wir sind kein Saftladen!“

Weingut Bibo Runge: Deserteur, Sparkling Riesling, alkoholfrei, 12 Euro ab Hof. FOTO: THILO KNOTT

Was ich aber hier gefunden habe, ist mein bisheriger Favorit Of All Time – der FOAT. Der alkoholfreie Sekt „Deserteur“ vom Weingut Bibo Runge aus Oestrich-Winkel im Rheingau. Weinrechtlich korrekt wäre es übrigens, den alkoholfreien Sekt als „Schäumendes Getränk aus alkoholfreiem Wein“ zu bezeichnen. Der „Deserteur“ hat eine angenehme Säure, feine Perlage, ich meinte geschmacklich sogar Toast erkannt zu haben. Ich atmete auf und desertierte nicht.

Lies auch: Das sind die Wein-Trends 2022, Teil 1 (Opens in a new window)! Und das sind die Wein-Trends 2022, Teil 2 (Opens in a new window)!

Was ist die Idee eines Nüchtern-Spätis? Isabella Steiner stellt klar: „Wir sind nicht dogmatisch. Wir sagen nicht: Der Teufel sitzt im Kühlschrank – hört alle auf zu trinken.“ Dass sie mitten in der Corona-Krise gründete, erwies sich als Vorteil. Einerseits profitierten die „normalen“ Weinhandlungen – weil die Kundschaft die Gewächse nicht mehr im Restaurant trank, sondern zu Hause. Gleichzeitig hat sich auch ein Gefühl der Verletzlichkeit eingestellt. Oder wie es Isabella Steiner sagt: „In der Corona-Zeit kamen wir kaum nach, die Bestellungen abzuarbeiten. Die Pandemie hat den Menschen ein neues Gefühl für die eigene Gesundheit gegeben – und wie viel Alkohol-Genuss noch gut ist.“

5. Die Ernüchterung

Wie beurteilt sie Weine? Was sind ihre Kriterien? Die Vergleichsebene „Original“ versus „Alkoholfrei“ findet sie nicht weiterführend. Oder nur individuell beantwortbar. Ihr Ansatz ist zunächst: „Geschmack ist individuell: Wenn du mir sagst, der schmeckt wie ein Wein, obwohl der Alkohol fehlt, dann ist das dein individuelles Urteil.“ Dann geht sie einen Schritt weiter und auf den Vergleich ein: „Wer Original-Nutella oder eine Original-Coca Cola will, der braucht sicherlich kein Alternativ-Produkt. Die Menschen sind allerdings sehr offen geworden für neue Geschmäcker.“

Weingut Carl Jung: Chardonnay, alkoholfrei, 6,50 Euro ab Hof. FOTO: THILO KNOTT

Ich auch. Muss ich sagen. Ich merke, wie meine Toleranz größer wird. Ich habe sogar einen Zero-Zero-Aperol-Spritz getrunken. Zero-Zero, weil es auch Produkte gibt, die wirklich auf 0,0 Volumenprozent Alkohol reduziert sind. Ich mixte einen Null-Prozent-Rosé-Sekt von der Sektmanufaktur Strauch mit der Null-Prozent-Aperol-Alternative „Volée“ und fand das sehr angenehm.

Naja, die Ernüchterung folgte halt auch aus dem „Nüchtern“: Ich kaufte Chardonnay alkoholfrei vom Weingut Carl Jung. Ausgerechnet. Denn hier in Rüdesheim lebte Dr. Carl Jung, der Pionier des entalkoholisierten Weins, der Erfinder der Vakumdestillation. Die Zutaten: alkoholfreier Wein, Zucker, Kohlensäure, Schwefeldioxyd. 40 Gramm Restzucker pro Liter. Doch bei diesem Chardonnay wurde so ein bisschen der Chardonnay wegvakuumiert. 

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Ich stand wieder am Anfang, oder? Isabella Steiner sagt: „Die Sekt-Alternativen sind weiter als die Wein-Alternativen.“ Sie belegt das mit den Reaktionen auf ihre Weine und Schaumweine: „90 Prozent unserer Kund:innen sagen – bei entalkoholisierten Sekten gibt es keinen Unterschied mehr zu normalen Sekten. Bei Weinen sind es immerhin 50 Prozent.“

6. Die Hoffnung

Meine letzte Flasche, die ich im Null-Prozent-Späti gekauft habe, war ein alkoholfreier Wein, den viele Berliner „Alkoholhändler“ auch in ihrem Sortiment haben – ein Zero-Wein des Berliner Start-ups Kolonne Null aus der spanischen Rebsorte Verdejo. Die Macher sind nicht selbst Winzer, sie co-produzieren mit Weingütern. Hier ist es Bodegas Diez Siglos. Philipp Rößle und Moritz Zyrewitz gründeten ihre Unternehmung 2018 – also vier Jahre sind sie überhaupt erst am Start. Das ist wenig bei solch einer Herausforderung. Ich will den Verdejo gar nicht beschreiben, mir schmeckte er nicht sonderlich, denn seine Viskosität war auch hier mit 30 Gramm Zucker pro Liter wieder eher eine Glukosität. Aber okay: Es ist Bewegung in dem Thema.

Kolonne Null: Verdejo, in Kooperation mit Weingut Bodegas Diez Siglos, 2019, 11,80 ab Online-Shop. FOTO: THILO KNOTT

„Alkoholfrei ist das neue vegan“, sagt Isabella Steiner. „Vegan hat aber auch zehn Jahre gebraucht, bis es Produkte gab, bei denen man geschmacklich kaum mehr einen Unterschied feststellen kann. Wahrscheinlich braucht entalkoholisierter Wein in der Entwicklung auch noch einmal fünf Jahre, bis sich dieses Gefühl einstellt. Da kommt noch sehr viel auf uns zu.“

Ich jedenfalls merke, wie tolerant ich durch den Selbstversuch geworden bin: Soll es doch denen schmecken, denen es schmeckt!

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