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Vom Missbrauch der DDR-Vergangenheit

Guten Morgen ☀️

die Mitgliederzahlen der AfD steigen (Öffnet in neuem Fenster) - trotz der Correctiv-Recherche. Oder deswegen? Ob es sich um alte Anträge handelt, die noch nicht abgearbeitet waren oder tatsächlich neu eingegangene, ist unerheblich. Anstieg ist Anstieg.

Gleichzeitig gibt es nicht nur Zahlen, sondern auch rührende Momente, die uns daran erinnern, warum wir laut bleiben oder laut werden sollen - beispielsweise die Rede des Sportjournalisten Marcel Reif im Bundestag über seinen Vater, den Holocaust-Überlebenden. Schaut mal rein:

https://www.zdf.de/nachrichten/video/marcel-reif-bundestag-rede-holocaust-gedenken-video-100.html (Öffnet in neuem Fenster)

Bleibt achtsam miteinander - und jetzt gehts los!

Um was geht’s?

Die AfD und viele Neue Rechte versuchen gerade, Erinnerungen an das DDR-Regime zu wecken.

Martin Sellner mutmaßt beispielsweise im Gespräch mit der Sezession (Öffnet in neuem Fenster), dass die Correctiv-Recherche (Öffnet in neuem Fenster) der Beginn einer “ganzen Serie an Stasi-Methoden, Ibiza-Fallen und Schmutzkübelkampagnen” sei, um das “rechte Lager” zu lähmen.

Beatrix von Storch (Öffnet in neuem Fenster) schreibt auf X ebenfalls von der “[…] #Correktiv-Stasi-Kampagne”.

Björn Höcke (Öffnet in neuem Fenster) fragt auf dem Kurznachrichtendienst: “Warum erinnert mich der aktuelle Zustand des Landes immer mehr an die DDR?”

Und Tino Chrupalla sagt bei Sandra Maischberger, als er auf die Correctiv-Recherche angesprochen wird, dass es sich “absolut” um Stasi-Methoden handeln würden. Er, der aus dem Osten komme, könne diesen Vorfall sehr wohl mit der DDR vergleichen: “Das erinnert mich wirklich an düstere Zeiten.”

Was aber sollen die DDR-Vergleiche und Stasi-Erzählungen bezwecken?

Wer spricht da?

Einer, der beides oft bedient, ist Tino Chrupalla. Er forderte vor einigen Jahren beispielsweise Parteimitglieder auf, ihm “Hintergrundinformationen über als Journalisten getarnte Zersetzungsagenten (Öffnet in neuem Fenster)” zu geben. Auch der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstellte er einmal, “Herrschafts- und Zersetzungsstrategien (Öffnet in neuem Fenster)” in ihrer DDR-Jugend gelernt zu haben.

Zersetzung ist Stasi-Methode, um “gegnerische Kräfte zu zersplittern, zu lähmen, zu desorganisieren und sie untereinander und von der Umwelt zu isolieren (Öffnet in neuem Fenster).”

Chrupalla ist seit 2015 AfD-Mitglied, heutiger AfD-Bundessprecher und Vorsitzender der Bundestagsfraktion. Er stammt aus Weißwasser, wuchs in Ostsachsen auf. Bei der Bundestagswahl 2017 gewann er seinen Wahlkreis gegen Michael Kretschmer, Sachsens aktuellen Ministerpräsidenten (CDU). Chrupalla gilt bei Beobachter:innen als Identifikationsfigur für Wähler:innen aus Ostdeutschland.

In der Taz (Öffnet in neuem Fenster) hieß es 2019, dass Alexander Gauland deshalb Chrupalla zum Parteichef gemacht hätte: “Für Gauland war klar, es soll jemand aus Ostdeutschland sein, denn dort sind die Erfolge der AfD besonders groß. Einer mit guten Kontakten zum extrem rechten Flügel, aber bitte einer ohne größere Skandale.” Chrupalla wird in dem Text als “Teamplayer” und “guter Netzwerker” beschrieben, der anschlussfähig ins bürgerliche Lager sei.

Beim Spiegel klingt das drei Jahre später anders (Öffnet in neuem Fenster). Da heißt es, Chrupalla stehe mittlerweile Björn Höcke sehr nahe und dass er keine “inhaltlichen Unterschiede” zu den Positionen von Höckes extremen Flügel sehe. Das zeige auch seine Sprache:

“Chrupalla redet wie ein Reichsbürger, wenn er sagt, dass Deutschland kein ‘souveränes Land’ sei, solange US-amerikanische Truppen in der Bundesrepublik stationiert seien. Und wie ein Rechtsextremist, wenn er sagt, dass alle anderen Parteien ‘derselbe Sumpf’ seien und nur die AfD die Lösung. Und wie ein Verschwörungsideologe, wenn er sagt, dass es gerade einen ‘von Habeck angezettelten Wirtschaftskrieg’ gebe.”

Aktuell ist Chrupalla in den Schlagzeilen, weil er offenbar an früheren Geheimtreffen (Öffnet in neuem Fenster) der sogenannten “Düsseldorfer Runde” teilgenommen hat - also der Vereinigung, die Correctiv zufolge Millionen Menschen aus Deutschland “remigrieren (Öffnet in neuem Fenster)” will.

Das Narrativ dahinter

Die Deutsche Demokratische Republik bestand von 1949 bis 1990 als Besatzungszone der sowjetischen Siegermacht nach dem Zweiten Weltkrieg. In der DDR herrschte eine Parteidiktatur durch die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. Die Bundeszentrale für politische Bildung erklärt (Öffnet in neuem Fenster): “Es gab keine freien Wahlen, keine Meinungsfreiheit, keine Demokratie.”

Weil viele Menschen deshalb flohen, wurde die Grenze in Richtung Westen befestigt und mit Gewalt bewacht - man konnte sie nicht mehr ohne Lebensgefahr übertreten. Gleichzeitig setzte die Regierung auf Überwachung und Unterdrückung, um Kritik am System zu ersticken.

1️⃣ Die AfD kritisiert das System - sie ist im Widerstand.

Das ist der Kern, auf den die AfD mit ihrem DDR-Narrativ hinauswill. Sie legt nahe, dass die Bundesregierung ein Unrechtsstaat sei, der sich nur durch illegale Überwachung und Unterdrückung an der Macht halte. Sie vergleicht heutige gesellschaftliche Umstände “mit der Agonie in der Endphase der DDR (Öffnet in neuem Fenster)”.

(Als Agonie werden eigentlich die Anzeichen des nahenden Todes bezeichnet, die von Außenstehenden oft als uangenehm empfunden werden; umgangssprachlich heißt es so viel wie “qualvoller, auswegloser Zustand”).

👉 Daraus folgt, dass es sich bei AfD-Positionen, und seien sie noch so extrem, auch immer um legitime Kritik handeln soll.

Gleichzeitig bietet die AfD vielen Menschen die Möglichkeit, sich mit einer Gruppe Gleichgesinnter zu identifizieren, indem sie die Erzählung vom historischen Widerstand in Ostdeutschland beschwört - Volk gegen Staat.

Eigentlich ist es im Kern das (rechts-)populistische unten-gegen-oben-Narrativ (Öffnet in neuem Fenster).

Die Journalistin Antonie Rietzschel beschrieb diese Rhetorik 2020 in der Süddeutschen Zeitung (Öffnet in neuem Fenster) als Standardrepertoire von AfD und Neue Rechte (die damals aber auch von CDU-Politiker:innen übernommen wurde):

[Sie] haben daraus eine starke Erzählung entwickelt: die des widerständigen Ostdeutschen, der 1989 ein System stürzte und auch jetzt wieder bereitstehe. Demonstrationen werden zum Akt des Widerstands gegen ‚die da oben‘ erklärt – in der Tradition der friedlichen Revolution […] gegen diktaturähnliche Verhältnisse.”

Gleichzeitig will die AfD den Schulterschluss mit ihren Unterstützer:innen. Sie inszeniert sich als Teil des Volkes. Volk und AfD bilden gemeinsam eine starke Opposition gegen die angebliche Diktatur. Unter anderem missbraucht sie auf Demonstrationen deshalb weiterhin den Spruch der friedlichen Demonstration von 1989: “Wir sind das Volk”.

Rechtsextremismus-Experte David Bergrich erklärt: (Öffnet in neuem Fenster) “Die AfD hat das Diktatur-Narrativ, also die Behauptung, sie sei die letzte Oppositionskraft, die der Totalität des politischen Systems noch was entgegenzusetzen hat, strategisch sehr erfolgreich eingesetzt.” Und: Die AfD vermittle den Eindruck, der legitime Verwalter des historischen Erbes der friedlichen Revolution (Öffnet in neuem Fenster) zu sein.

2️⃣ Die Anschuldigungen ihrer Kritiker:innen sind für die AfD haltlos.

Ein wichtiger Effekt, den sich die AfD von ihrem DDR-Vergleich erhofft, ist, dass sie so immun wird gegen Kritik. Ihre Erzählung lautet: Die Organe des Staates, die gegen sie ermitteln, sind von oben gesteuert - wie zu DDR-Zeiten das Ministerium für Staatssicherheit.

Deshalb lehnt die AfD beispielsweise die Einordnungen des Verfassungsschutzes ab, dass Teile der Partei “gesichert rechtsextreme Bestrebungen” seien.

Dazu erklärt Bergrich:

“Zu glauben, man könne die AfD mit dem Verfassungsschutz politisch zurückdrängen, ist eine westdeutsche Illusion. Im gesellschaftlichen Diskurs im Osten ist der Verfassungsschutz keine Autorität. Und aus der AfD heißt es, das sei die Stasi von heute.”

Bergrich sagt in einem anderen Interview (Öffnet in neuem Fenster), dass die strategische politische Kommunikation der AfD von der Fähigkeit geprägt sei, “auf regionale mentalitätsbedingte Unterschiede einzugehen”. Das zeigt sie in den neuen Bundesländern besonders stark.

3️⃣ Die AfD macht so klar: Ein Machtwechsel muss her.

Die DDR ist Geschichte. Die Gründe dafür sind zahlreich. Verstärkt und beschleunigt wurde diese Entwicklung aber entscheidend durch den zivilen Widerstand gegen das Regime.

Hier zieht die AfD ihre Parallele zur Gegenwart, wenn sie immer wieder “die dunklen Zeiten der DDR” in Erinnerung ruft, die durch die Wende beendet wurden: Als sogenannter Alleinverwalter (s.o.) der Friedlichen Revolution ist nur die AfD in der Lage, dieses Ereignis zu wiederholen - und Deutschland zu retten.

Denn die Bundesrepublik - verursacht durch die anderen Parteien - steht vor dem Untergang.

Was sie damit erreichen will, hat Sprachforscher David Lanius das “Kernargument des Populismus (Öffnet in neuem Fenster)” genannt. Es besteht aus einem Dreiklang (Öffnet in neuem Fenster):

[Wie die DDR] steht Deutschland vor dem Untergang.

Es kann nur gerettet werden, wenn der Volkswille verwirklicht wird.

Nur wenn die AfD an die Macht kommt, wird der Volkswille verwirklicht.

Die logische Konsequenz daraus: Nur durch die AfD kann Deutschland gerettet werden.

4️⃣ Die AfD missbraucht die Spätfolgen der DDR: “Wenn ihr so etwas nicht wieder wollt - schließt euch uns an.”

Erfahrungen aus der DDR wirken bis heute nach. Viele Menschen, die damals “politisches Unrecht” erfahren mussten, berichten heute in Studien, dass sie noch immer unter den Folgen leiden. Zu dem erfahrenen Unrecht zählen beispielsweise “freiheitsentziehende Maßnahmen, Erfahrungen der Überwachung, von Verhören und Zersetzungsmaßnahmen”.

Betroffene berichten von materiellen Einbußen, aber auch von körperlichen und psychischen Folgen (Öffnet in neuem Fenster) wie “Verunsicherung und dem Gefühl, nicht verstanden zu werden“. Vielen falle es bis heute schwer, Vertrauen aufzubauen und soziale Kontakte zu knüpfen und aufrechtzuerhalten oder wieder Nähe zuzulassen.

Diese negativen Emotionen und Erinnerungen missbraucht die AfD, wenn sie die aktuelle Bundesregierung mit der DDR vergleicht. Sie will damit Menschen mobilisieren, die vermutlich vieles in Kauf nehmen oder tolerieren würden, um solche Erfahrungen nicht noch einmal zu machen.

5️⃣ Die DDR-Vergangenheit bedienen - ein Selbstläufer im ostdeutschen Wahlkampf.

In Sachsen, Thüringen und Brandenburg wird dieses Jahr ein neuer Landtag gewählt. Überall ist es wahrscheinlich, dass die AfD stärkste Kraft wird. Wie viel Prozentpunkte sie erreicht, hängt aber letztlich auch vom Wahlkampf ab. Es ist wahrscheinlich, dass die AfD mit ihren zahlreichen aktuellen DDR-Anspielungen und Stasi-Vergleichen schon jetzt diese Themen als Slogans aufleben lassen und verankern möchte. Denn bereits bei der vergangenen Landtagswahl hat die AfD in Ostdeutschland viele DDR-Narrative bemüht: “Vollende die Wende” oder “Friedliche Revolution mit dem Stimmzettel”.

Dieses Einverleiben der Revolution von 1989 nahmen und nehmen viele Menschen der AfD übel. Schon 2019 hat die Robert-Havemann-Gesellschaft eine Erklärung veröffentlicht, die viele DDR-Bürgerrechtler:innen unterschrieben haben: “Nicht mit uns: Gegen den Missbrauch der Friedlichen Revolution 1989 im Wahlkampf” Darin verwahren sie sich gegen solche absurden Gleichsetzungen und Aneignungsversuche der Revolution von 1989.

Darin heißt es:

“Mit der Wiedervereinigung erfüllten sich die Ziele der Revolution: Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, offene Grenzen, ein geeintes Europa und Wahrung der Menschenrechte.”

Und weiter.

“Wenn heute die Alternative für Deutschland versucht, die DDR mit der jetzigen Bundesrepublik gleichzusetzen und ihre Führung versucht, sich als Vollender einer angeblich unvollkommenen Revolution anzupreisen sowie zum Aufstand aufzurufen, so wird hier eine Geschichtslüge verbreitet. Für die Demagogen der AfD sind wir 1989 nicht auf die Straße gegangen. […] Wir brauchen keine Spalterpartei wie die AfD. Spaltung hatten wir in Deutschland lange genug!”

Wer war nicht zu Schulzeiten zum KZ-Besuch? Ich, Maria, jedenfalls schon. Ich war in Buchenwald. Ich weiß noch, dass meine Mutter unbedingt wollte, dass ich dorthin fahre. Es war nicht von der Schule organisiert, also habe ich ein Busfahrt dorthin separat mitgemacht. Ich erinnere mich eigentlich nur an Nebel und ein bedrückendes Gefühl. Viel mehr ist nicht geblieben von diesem Tag.

Und so ähnlich geht es auch Susanne Siegert. Sie wohnt zwar in Leipzig ist aber nur 20 Kilometer vom KZ Außenlager Mühldorfer Hart in Bayern ausfgewachsen - einem Außenlager des KZ Dachau. Und jetzt macht sie Aufklärungsarbeit darüber auf Social Media.

Und was für welche: Der Erfolg gibt ihr Recht: Über 140.000 Follower:innen auf TikTok (@keine.erinnerungskultur (Öffnet in neuem Fenster)), über 26.000 auf Instagram (Öffnet in neuem Fenster) und dazu noch ein eigener Podcast “zeitzeug:nisse” (Öffnet in neuem Fenster) mit 330 Bewertungen mit 5 Sternen auf Spotify. 👏

Susi - wie sie sich selber nennt - sucht sich in jedem Video einen kurzen Fakt, eine Begebenheit, ein Schicksal, das mit dem KZ Außenlager Mühldorfer Hart verbunden ist und erzählt darüber. Sachlich, informativ, nicht ohne Einfühlungsvermögen, aber ohne emotionale Schwere.

Neben all den Großprojekten, die in der Vergangenheit gestartet sind, um beispielsweise die letzten Tage von Sophie Scholl darzustellen (Öffnet in neuem Fenster) und auch ihre Zielgruppe hatten, besticht dieses Projekt durch kontinuierlich ansprechende Wissensvermittlung und wird hiermit wärmstens empfohlen!

Übrigens: Werdet gern Mitglied, wenn ihr unsere Arbeit mit 1€ / Ausgabe unterstützen wollt!

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