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Das Narrativ vom Wahlbetrug

Guten Morgen,

da der Text recht lang ist, dürft ihr ohne große Vorrede gleich loslesen. 😀

Bleibt achtsam untereinander - here we go👇

Um was geht’s?

”Mit dieser Änderung des Bundeswahlgesetzes in dieser Woche wird wieder einmal das Wahlrecht manipuliert und wieder einmal der Demokratie unseres Landes schwerer Schaden zugefügt.”

Das sagte kürzlich Friedrich Merz (Öffnet in neuem Fenster). Und er fügte hinzu: “Verantwortlich: SPD, FDP und Grüne.”

Als Oppositionsführer ist es seine Aufgabe, die Regierung zu kritisieren. Was er hier aber macht, geht über sachliche Kritik hinaus – er wirft der Regierung vor, die Demokratie auszuhöhlen und Wahlen zu verfälschen.

Das ist eine bekannte sprachliche Strategie. Zu ihr gehören Erzählungen von Wahlfälschungen, Wahlmanipulationen und – einer von Donald Trumps Greatest Hits – gestohlenen Wahlen (Öffnet in neuem Fenster).

Wer spricht da?

Friedrich Merz. Der CDU-Bundesvorsitzender und Oppositionsführer hatte schon einmal eine erfolgreiche Karriere in der Politik, kehrte ihr aber vor über 20 Jahren den Rücken. Es folgte die Arbeit als Anwalt, mehrere Aufsichtsratsmandate, zudem lobbyierte er für Blackrock. 2018 kam es zum erneuten Seitenwechsel, zurück in die Politik. Erst mühte er sich erfolglos um eine Führungsrolle in der CDU. Beim dritten Anlauf gelang es ihm aber und er wurde Anfang 2022 zum CDU-Vorsitz gewählt. Seither lenkt er die Partei.

Merz gilt als guter Rhetoriker. Deshalb finden seine Reden oft große Beachtung. Doch in den vergangenen Jahren erntete er auch häufig Kritik für seine Wortwahl und sprachlichen Entgleisungen. Wenn er beispielsweise von angeblichem Sozialtourismus sprach, Homosexualität in die Nähe von Pädophilie rückte oder sexuelle Orientierung als Lebensentwurf (Öffnet in neuem Fenster) labelte (alle Beispiele hat Samira El Ouassil in einem Beitrag für Übermedien zusammengetragen).

An dieser Stelle ein Einschub: Wir haben mehrfach gelesen, unser Newsletter trage den falschen Titel. Er müsse “Wie Rechtsextreme reden” heißen, weil wir uns meist der Neuen Rechten widmen. Während „rechts“ die gängige Bezeichnung für eine politische Überzeugung innerhalb des demokratischen Spektrums sei. Stimmt. Aber den Newsletter werden wir aus folgendem Grund nicht umbenennen: Wir wollen darauf aufmerksam, dass und wie der Diskurs manipuliert und das Fenster des Sagbaren erweitert wird. Das liegt meist an Rechtsextremen und der Neuen Rechten. Aber nicht nur: Es gibt auch Politiker:innen etablierter Parteien, die deren Narrative übernehmen und ihre Erzählungen damit normalisieren. Wie Friedrich Merz. Damit wollen wir nicht ihn in einen Topf werfen mit den Weidels und Höckes – seine Sprache in manchen Reden aber schon.

Merz Sprache hat auch zwei Redakteure bei Zeit Online (Öffnet in neuem Fenster) überrascht: “Der Ton, in dem Merz hier spricht, ist völlig neu für dieses Thema in Deutschland”, sagt Politikredakteur Lenz Jacobsen.

Das Thema: Die Regierung hat einen Gesetzesentwurf (Öffnet in neuem Fenster) vorgestellt, um das Wahlrecht zu ändern. Im Kern sollen einige Wahlkreise neu gezogen werden. Und zwar, wenn in ihrem bisherigen Gebiet 25 Prozent mehr oder 25 Prozent weniger Wahlberechtigte leben als in einem bundesdurchschnittlichen Wahlkreis.

Das Ziel: Die Stimmen der dort lebenden Bürger:innen sollen dadurch ähnlich gewichtig sein wie in anderen Kreisen auch. Das müssen sie laut Grundgesetz. Dort heißt es (Öffnet in neuem Fenster): Wahlen sind allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim. Entscheidend : “Gleich ist die Wahl, weil jede Stimme gleich viel zählt, und jede Art von Gewichtung unzulässig ist.” Sind aber viel mehr oder viel weniger Stimmen für eine absolute Mehrheit notwendig, gilt das nicht. Und das will die Bundesregierung mit der Reform ändern.

Warum das Merz scharf angeht, könnte am Wahlkreis Augsburg Stadt liegen. Diesen hat die Unionsschwester CSU bei der vergangenen Bundestagswahl vor den Grünen geholt. Besonders eindeutig war die Stimmverteilung im Teilwahlkreis Königsbrunn. Der war tiefschwarz. Königsbrunn soll nun aber, der Reform folgend, in den Wahlkreis Augsburg Land übergehen. Mögliche Folge: Die CSU hat in Augsburg Stadt künftig schlechtere Chancen.

Merz: Hier werde Gerrymandering (Öffnet in neuem Fenster) betrieben. Das ist die Absicht, Wahlkreise so zuzuschneiden, dass die Wahlergebnisse den eigenen Wünschen entsprechen. Das geht heutzutage sehr präzise, weil durch die Nutzung von Social Media mit hoher Wahrscheinlichkeit die Partei-Präferenzen von Anwohner:innen vorhergesagt werden können. Merz drückt es so aus: “Was die Amerikaner seit 30 Jahren mit ihrem sogenannten Gerrymandering machen, hat dazu  geführt, dass dort die Demokratie nicht mehr richtig funktioniert.”

Der, laut Lenz Jacobsen, große Unterschied: “In den USA gibt es ein Mehrheitswahlrecht. In Deutschland entscheidet aber die bundesweite Zweitstimme, wer ins Parlament einzieht. Gerrymandering ist in Deutschland deshalb nicht in dem Maß möglich.”

Das weiß auch Merz sicherlich. Sein Vorwurf der Wahlmanipulation und Demokratieschädigung aber bleibt haften. Damit spricht er vielen Neurechten und extremen Rechten nach dem Mund und verfestigt ein häufig bedientes Narrativ.

Das Narrativ dahinter

Die Erzählung gefälschter oder manipulierter Wahlen wurde vor allem während der Regierungszeit des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump populär. Die Bundeszentrale für politische Bildung (Öffnet in neuem Fenster) schreibt: “Trump und sein politisches Umfeld verbreiteten das Narrativ von der ‘gestohlenen Wahl’ sowie irreführende Meldungen über die Sicherheit der Briefwahl, die er eigentlich gewonnen habe.”

Längst ist das Narrativ hierzulande angekommen. Der erste Grund dafür wurde während der vergangenen Landtagswahl in Sachsen-Anhalt und der letzten Bundestagswahl deutlich. Währenddessen beobachtete das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Öffnet in neuem Fenster) (IDZ) den Online-Diskurs und wertete mit Hashtag- und Netzwerk-Analysen aus, welche Akteur:innen zum Thema “Wahlbetrug” posteten und in welchen Kontext sie es stellten.

1️⃣ Anschlussfähigkeit an andere Bewegungen

Die Forschenden schreiben in ihrer Auswertung, dass vor allem das rechtsalternative und rechtspopulistische Social-Media-Spektrum aktiv war und #Wahlbetrug in einen Kontext zu #Corona setzen wollte. Es raunte zudem, die Regierung würde diktatorisch herrschen und systematisch Wahlbetrug betreiben.

“Diese Verschwörungserzählung wird zur Bundestagswahl noch deutlich stärker aufgegriffen und vermischt typische Narrative des Querdenken-Milieus (#impfpflicht, #impfen) mit dem Vorwurf des Wahlbetrugs.”

Was hier versucht wird, ist der thematische Anschluss an ein bereits aktiviertes und mobilisiertes Lager - in diesem Fall an die Querdenken-Bewegung. So soll das Wahlbetrugs-Narrativ weitergetragen und in der neuen Blase popularisiert werden. Ziel ist einerseits, dass sich bislang nur lose verbundene Communities stärker mischen und inhaltliche Überschneidungen entstehen.

Dass, zweitens, die Wahlbetrugs-Ezählung auch bei sogenannten Querdenker:innen verfängt. Gelingt das, können in einem weiteren Schritt andere, typisch rechtsextreme, Narrative eingeschleust werden. Die Logik: Wer bei einem Thema zustimmt, schenkt auch anderen Erzählungen in Zukunft eher Glauben. So werden langsam Abwehrkräfte gegen Rechts geschwächt.

Das IDZ schreibt: “Die Cluster der Netzwerkanalyse machen deutlich, wie intensiv unterschiedliche rechte Akteur:innen (Desinformationsmedien, rechtspopulistische und -radikale Influencer:innen, Blogbetreiber:innen, Querdenker:innen, Parteien wie die AfD oder dieBasis) miteinander interagieren.”

2️⃣ Zweifel an Demokratie und Institutionen

Gleichzeitig wollen Neurechte erreichen, dass die Erzählung der gefälschten Wahl das ohnehin stark geprägte Weltbild vieler Anhänger:innen verfestigt. “Das demokratische System und seine Vertreter:innen werden insgesamt als unglaubwürdig, korrupt oder unrechtmäßig dargestellt und damit delegitimiert”, urteilt das IDZ.

Auch die Tagesschau (Öffnet in neuem Fenster) hat sich damals im Vorfeld der Wahlen Fake News angeschaut und ist auf viele Posts zu angeblichen Wahlmanipulationen gestoßen. Diese hätten zum Ziel gehabt, “ein kontinuierliches Grundrauschen des Zweifelns am Ablauf der Bundestagswahl” herzustellen. Dafür würden vor allem irreführende Bilder (wie von einem angeblich gebrochenen Siegel (Öffnet in neuem Fenster) an einer Wahlurne), aber auch sogenannte False Flag Aktionen eingesetzt.

Bei letzterem werden Desinformationen und Lügen “unter der Flagge des politischen Gegners (Öffnet in neuem Fenster)” verbreitet und von, in diesem Fall, eigenen rechtsalternativen Medien und Multiplikator:innen aufgegriffen und gestreut. Ziel ist einerseits, Links zu kriminalisieren. Seht her, die verstoßen gegen das Recht, um uns kleinzuhalten. Zweitens werden über angeblich linke Akteur:innen rechtspopulistische und rechtsradikale Narrative gestärkt. 2021 hat beispielsweise ein False Flag-Account, dahinter stand vordergründig ein linker Aktivist, über angeblich geplanten Wahlbetrug von Links geschrieben: “Ich kenne viele Antifaschisten, die heute beim Auszählen helfen. Das wird der #noafd einen Schlag versetzen.”

Das sind “Strategien zur Verzerrung der Wahrheit (Öffnet in neuem Fenster)”, die der Manipulation des öffentlichen Konsens dienen. Narrative, wie die des Wahlbetrugs, wirken laut US-Journalistin und Sprachwissenschaftlerin Claire Wardle (Öffnet in neuem Fenster) durch immerwährende Wiederholung:

“Der Großteil dieser Inhalte zielt nicht darauf ab, die Menschen von einer bestimmten Sache zu überzeugen, sondern darauf, Verwirrung zu stiften und das Vertrauen in demokratische Institutionen – vom Wahlsystem bis hin zum Journalismus – zu unterminieren.”

3️⃣ Der Opfermythos und die unterdrückte Mehrheit

Auf was Neurechte mit dem Narrativ des Wahlbetrugs auch abzielen: Sie wollen sich gegen eine Niederlage absichern. Wenn das Ergebnis einer Wahl hinter den Erwartungen liegt, zahlt das auf die oben ausgeführten Punkte ein. Ihre Erkläung lautet dann: Die Demokratie sei zersetzt und die korrupte Regierung halte sich nur an der Macht, indem sie Wahlen fälsche. Um die AfD, die einzig verbliebene echte Oppostition, kleinzuhalten. Sie ist das Opfer.

Das ist gleichzeitig auch die Lösung für ein zentrales Problem der AfD Kernerzählung: dass sie die (stille) Mehrheit des Volkes repräsentiere. Denn wenn sich das nicht in Wahlen spiegelt, stimmt entweder die Erzählung nicht – oder es wird falschgespielt. Das Puzzleteil “Wahlbetrug” benötigt die AfD deshalb, um sich auch weiterhin als wahre Stimme des Volkes zu inszenieren, auch wenn die Wahlergebnisse weit von einer angeblichen Mehrheit entfernt sind.

Einschub: Mit dieser Erzählung hat die AfD aktuell zu kämpfen, wie Extremismusforscher Matthias Quent analysiert (Öffnet in neuem Fenster). Denn die Millionen Menschen bei den Demonstrationen im ganzen Land, die Bilder, die da entstehen, stellen “den Nimbus infrage, dass die AfD die Partei des Volkes sei.” Weshalb sie derzeit auch in vielen Interviews panisch reagiere.

Wie “erfolgreich” die Wahlbetrugs-Erzählung ist, hat das Institute for Strategic Dialogue herausgearbeitet. In einem Paper heißt es dort: “AfD-Anhänger:innen (Öffnet in neuem Fenster) äußerten Zweifel an den Ergebnissen und schrieben, dass die Niederlage der Partei und die Diskrepanz zwischen guten Umfragewerten vor der Wahl und tatsächlichen Wahlergebnissen nur mit Wahlbetrug erklärt werden könnten.”

Wird bei Wahlen manipuliert oder es schleichen sich Fehler ein, muss das aufgearbeitet werden. Ein Wahlergebnis begründet anzuzweifeln, kann ein demokratisches Werkzeug sein.

Aber: Es ist wahrscheinlich, dass die AfD den Vorwurf der Wahlfälschung in Zukunft vor jeder Wahl zur Kampagne macht. Über diese Strategie haben Unterstützer:innen der Partei auf dem Geheimtreffen nahe Potsdam gesprochen. Dort hieß es, laut Correctiv (Öffnet in neuem Fenster): “Den Vorschlag, man könne vor den kommenden Wahlen ein Musterschreiben entwickeln, um die Rechtmäßigkeit von Wahlen in Zweifel zu ziehen, [sei denkbar]. Je mehr mitmachten, umso höher die Erfolgswahrscheinlichkeit.”

Wie zerstörerisch das Wahlbetrugs-Narrativ werden, wenn es immer und immer wieder wiederheolt wird - das zeigte der Sturm auf das Kapitol (Öffnet in neuem Fenster) in Washington in den USA.

Aufgepeitscht von der Lüge Donald Trumps, die Präsidentschaftswahl sei ihm und seinen Wähler:innen gestohlen worden, griff ein Mob den Senat an, wo das Wahlergebnis zu Gunsten Joe Bidens bestätigt werden sollte. Die teilweise schwer bewaffneten Bürger:innen wollten so ihren “rechtmäßigen” Präsidenten zurück ins Amt verhelfen (Öffnet in neuem Fenster).

Beim darauffolgenden Kampf mit Sicherheitskräften und der Polizei wurden fünf Menschen getötet und sehr viele verletzt. In den Monaten und Jahren danach gab es mehrere hundert Verurteilungen gegen Anhänger:innen Trumps. Viele Fälle sind noch offen.

Auch Monate nach dem Sturm glaubten einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos zufolge noch immer 55 Prozent der Republikaner:innen, dass die Wahlniederlage Trumps auf illegale Stimmabgaben oder Wahlmanipulation zurückzuführen (Öffnet in neuem Fenster) sei.

Ja, dieser Part hier stand bereits in unserem letzten Newsletter, aber irgenwie… wurde er nicht rausgesendet. Deshalb bekommt ihr ihn hier nochmal in euer Postfach:

Wer war nicht zu Schulzeiten zum KZ-Besuch? Ich, Maria, jedenfalls schon. Ich war in Buchenwald. Ich weiß noch, dass meine Mutter unbedingt wollte, dass ich dorthin fahre. Es war nicht von der Schule organisiert, also habe ich ein Busfahrt dorthin separat mitgemacht. Ich erinnere mich eigentlich nur an Nebel und ein bedrückendes Gefühl. Viel mehr ist nicht geblieben von diesem Tag.

Und so ähnlich geht es auch Susanne Siegert. Sie wohnt zwar in Leipzig ist aber nur 20 Kilometer vom KZ Außenlager Mühldorfer Hart in Bayern ausfgewachsen - einem Außenlager des KZ Dachau. Und jetzt macht sie Aufklärungsarbeit darüber auf Social Media.

Und was für welche: Der Erfolg gibt ihr Recht: Über 140.000 Follower:innen auf TikTok (@keine.erinnerungskultur (Öffnet in neuem Fenster)), über 26.000 auf Instagram (Öffnet in neuem Fenster) und dazu noch ein eigener Podcast “zeitzeug:nisse” (Öffnet in neuem Fenster) mit 330 Bewertungen mit 5 Sternen auf Spotify. 👏

Susi - wie sie sich selber nennt - sucht sich in jedem Video einen kurzen Fakt, eine Begebenheit, ein Schicksal, das mit dem KZ Außenlager Mühldorfer Hart verbunden ist und erzählt darüber. Sachlich, informativ, nicht ohne Einfühlungsvermögen, aber ohne emotionale Schwere.

Neben all den Großprojekten, die in der Vergangenheit gestartet sind, um beispielsweise die letzten Tage von Sophie Scholl darzustellen (Öffnet in neuem Fenster) und auch ihre Zielgruppe hatten, besticht dieses Projekt durch kontinuierlich ansprechende Wissensvermittlung und wird hiermit wärmstens empfohlen!

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