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Die Verschwörungserzählung von der Verschwörungserzählung

Guten Morgen,

der Titel klingt kompliziert. Ist er aber nicht. Also lest frischen Mutes rein und lasst euch erklären, wie eigentlich die Neue Rechte auf die Massendemonstrationen pro Demokratie schaut.

In der Sonntagsfrage zumindest hat sich die AfD noch nicht wieder erholt. Derzeit liegt sie bei 18.6 Prozent (Stand 15.2.) und verliert damit deutlich im Vergleich zur Zeit vor der Correctiv-Recherche.

Den ganzen Verlauf findet ihr hier. (Öffnet in neuem Fenster)

Alles Liebe und bleibt achtsam! 🐑

Um was geht’s?

“Immer mehr Leute werden wach und glauben nicht mehr den Lügen der Massenmedien. Hinzu kommt, [… dass] wir auf einen Systemwechsel zulaufen. Das alles zeigt mir, dass die Bundesregierung nicht nur nicht mehr die Mehrheit hinter sich hat, [sondern] dass sie nur noch auf Repression und Unterdrückung von Tatsachen und Wahrheiten setzen kann.”

Das hat kürzlich Hans-Georg Maaßen im Interview (Öffnet in neuem Fenster) mit der Weltwoche gesagt – und wurde dafür vom Chef der rechtsextremen Identitären Bewegung, Martin Sellner, gelobt. Maaßen habe mit seinen Worten den öffentlichen “Intelligenz- und Charaktertest” bestanden und damit die “Geschichte um eine angebliche Geheimkonferenz zur Massendeportation” korrekt eingeordnet. Denn dabei handle es sich nur um eine Geschichte, wie sie von “Linken gerne als Verschwörungserzählung (Öffnet in neuem Fenster)” bezeichnet werde.

Viele Neurechte und extreme Akteur:innen versuchen derzeit, die Correctiv-Recherche umzudeuten: als Verschwörungserzählung. Sie ist demnach ein geplantes und vielschichtiges Lügenkonstrukt, von Mächtigen erdacht und von Staatsmedien unkritisch verbreitet.

Warum sie das machen, klären wir heute.

Wer spricht da?

Hans-Georg Maaßen. Der ehemalige CDU-Politiker war von 2012 bis 2018 Leiter des Bundesverfassungsschutzes. Vielen dürfte er vor allem aufgrund eines Bild-Interviews bekannt geworden sein, das er 2018 im Nachgang von Demonstrationen in Chemnitz gegeben hat. Die Demos waren Folge eines tödlichen Angriffs auf einen 35-jährigen Deutschen. Die Täter: Geflüchtete.

Aufgerufen zu den Kundgebungen und Aufmärschen hatten auch rechte Gruppen. Der Spiegel (Öffnet in neuem Fenster) berichtete damals, dass diese dann bei ihren Kundgebungen Ausländer:innen und Journalist:innen angegriffen hätten. Es gab davon ein vielgeteiltes Video, das eine “Hetzjagd” zeigte. Auch Maaßen wurde zu dem Inhalt der Videos befragt. Er sagte, dass das Video “von der Jagd auf ausländisch aussehende Menschen in Chemnitz womöglich nicht authentisch” sei, sondern eine gezielte Falschinformation von Linksextremist:innen.

Auf Nachfrage konnte er für diese Aussage keine Belege liefern.

Das war der Beginn einer Reihe von Vorfällen und Untersuchungen, die Maaßens Eignung als Leiter des Bundesverfassungsschutzes im Nachhinein mehr als fragwürdig erscheinen lassen.

So wurde beispielsweise seine Doktorarbeit zum Thema Asylrecht (Öffnet in neuem Fenster) besprochen, die schon 1997 Passagen enthielten, die an “hysterische Parolen heutiger Rechtspopulisten erinnerten” – und auch deren Vokabular enthielten, wie etwa “Asyltourismus”.

Weiterhin schreibt die AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber in ihrem Buch, dass Maaßen 2015 der Partei Tipps gegeben (Öffnet in neuem Fenster) habe, wie sie einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz entgehen könne. In einem anderen Fall gab Maaßen wohl Ergebnisse des Verfassungsschutzberichts 2017 (Öffnet in neuem Fenster) Wochen vor Veröffentlichung an die AfD weiter.

Im September 2018 wurde Maaßen als Verfassungsschutzchef entlassen.

Im Folgejahr trat er der Werteunion bei, einem damals CDU-/CSU-nahen Verein, der mittlerweile aber als unvereinbar mit den Werten der christlichen Parteien (Öffnet in neuem Fenster) gilt. Was vor allem eine Reaktion auf die Correctiv-Recherche zum Geheimtreffen in Potsdam ist, an dem auch zwei Mitglieder der Werteunion teilgenommen hatten. Das brachte letztlich auch Maaßen dazu, aus der CDU auszutreten – zeitgleich lief ein Ausschlussverfahren gegen ihn.

Jetzt steht Maaßen der Werteunion vor und will den Verein zur Partei machen – das Ziel sei eine “Union 1.0”. Für was für eine Politik Maaßen steht, das versucht die Taz mit Aussagen aus den vergangenen Monaten (Öffnet in neuem Fenster) darzulegen:

[Maaßen] geißelt den ‘Sozialismus der Ampelparteien’ und die ‘Migrationskatastrophe’, fordert eine ‘Politikwende’. In Interviews und Aufsätzen äußerte er sich überzogener: Hier redete Maaßen von ‘sozialistischen und globalistischen Kräften’, welche die Gesellschaften zerstören wollten. In einem Tweet behauptete er, eine ‘treibende Kraft des politisch-medialen Systems’ sei ein ‘eliminatorischer Rassismus gegen Weiße’.”

In vielen dieser Aussagen stecken bekannte Verschwörungserzählungen. Beispielsweise handelt es sich bei den “globalistischen Kräften (Öffnet in neuem Fenster)” um eine antisemitische Chiffre. Sie steht für eine vermeintliche Weltverschwörung, durchgeführt von Jüdinnen und Juden.

Aktuell ist Maaßen in den Medien, weil bekannt wurde, dass ihn der Verfassungsschutz beobachtet und als Rechtsextremisten gespeichert (Öffnet in neuem Fenster) hat. Es liege eine “umfangreiche Materialsammlung” mit Äußerungen des Politikers vor.

Das Narrativ dahinter

Extreme und Neue Rechte teilen oft Verschwörungserzählungen. Die handeln dann von der sogenannten “Umvolkung” oder davon, dass sich eine “geheime Elite” oder “die Altparteien” gegen sie verschworen hätten.

👆 Was neu ist: Die AfD und viele Akteure ihrer sogenannten Gegenöffentlichkeit (Öffnet in neuem Fenster) bezeichnen nun die “Geheimplan-gegen-Deutschland (Öffnet in neuem Fenster)”-Recherche und die Berichterstattung der etablierten Medien darüber als Verschwörungserzählung.

Das macht beispielsweise Martin Sellner auf Sezession.de. Dort schreibt er: “Die Verschwörungserzählung rund um ein privates Treffen am Lehnitzsee erweist sich als eine der erfolgreichsten ‘Kampagnen gegen rechts’ seit der Demo der SED am 4.1.1990.”

1️⃣ Das eigene Weltbild schützen

Es ist aus strategischer Perspektive einleuchtend, die Correctiv-Recherche als Verschwörungserzählung darzustellen. So werden die Ergebnisse zu Fälschungen und Inszenierungen (Öffnet in neuem Fenster) und mit einem Schlag delegitimiert.

Gleichzeitig kann auf diese Weise jede Irritation, die nicht ins AfD-Weltbild passt, als gezielte Lüge der Gegner:innen abgetan werden. Und nicht nur das: Das Narrativ zahlt auch auf eine bestehende Überzeugung ein. Denn in dem Vorwurf der Inszenierung steckt, dass sich die korrupte Regierung nur deshalb an der Macht halte, weil sie betrüge und dazu bereit sei, ein großangelegtes Lügenkonstrukt aufzubauen.

Weil die etablierten Medien - so geht die Geschichte weiter - die Verschwörungserzählung verbreiten, machten sie sich zu Handlangern der Verschwörer. Martin Sellner drückt es so aus: “Wie sieht es im Mainstream aus? Leider eher düster. Auch bei ‘konservativeren’ Medien schluckte man die Verschwörungsstory weitgehend.”

Drittens diskreditiert das Narrativ die hunderttausenden Demonstrierenden als “bestellte Massen”. Hier stünden nicht Bürger:innen für die Demokratie ein, sondern Marionetten der Regierung schwenkten auf Befehl hin Plakate und Fahnen. Und wenn das allein nicht für ein imposantes Bild gegen Rechts ausreicht, so raunte unter anderem Björn Höcke (Öffnet in neuem Fenster) auf X, dann würde das ZDF mit Bildmanipulationen nachhelfen und Demonstrierende digital hinzumontieren.

2️⃣ Eine Wagenburg bilden

Die “Kampagne gegen Rechts” ist eine Stoßrichtung der Neurechten-Erzählung.  Es gibt noch eine zweite: Mit dem Narrativ der Verschwörungserzählung wird gleichzeitig versucht, das eigene Lager stark zu reden. Und zwar so: Offenbar müssen die Gegner:innen mittlerweile zu solchen Mitteln greifen, also eine großangelegte Recherche erfinden, um die - in Wahrheit starke und moralisch gute - AfD kleinzureden. Zu solchen Mitteln greift nur, wer den anderen fürchtet.  

Und es gibt noch einen Nebeneffekt: Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass die AfD bei wahrgenommenen Angriffen von außen, und sei sie intern noch so zerstritten, enger zusammenrückt. Extremismusforscher Matthias Quent erklärt ein Ziel der aktuellen Diskursstrategie deshalb so (Öffnet in neuem Fenster):

“Es geht darum, sich abzuschotten gegenüber anderen Argumenten und Meinungen. […] Diese Effekte affektiver Polarisierung, dass man sich insbesondere gegen die politischen Gegner abgrenzt und damit die eigene Identität stärkt, gibt es durchaus für einen Teil der Wählerschaft. Die sagen: Jetzt erst recht. Daran sehe man doch erst, wie verkommen, wie korrumpiert, wie falsch der politische Gegner sei. Und darum müsse man umso erbarmungsloser damit umgehen.”

3️⃣ Wir alle sind Verschwörungsexpert:innen

Ein weiterer Grund, die Correctiv-Recherche so framen, liegt darin: Spätestens in der Coronavirus-Pandemie hat sich die Öffentlichkeit umfassend mit Verschwörungserzählungen auseinandergesetzt. In Talkshows, Büchern, Podcasts, Texten – überall haben Expert:innen nicht nur die Historie von Verschwörungserzählungen erklärt, sondern auch Ziele, Hintergründe, Varianten.

Das bedeutet: Der Begriff ist etabliert, sein Inhalt muss nicht erklärt werden. Das macht es für Neurechte einfach, den Vorwurf zu erheben – und damit bei Anhänger:innen Resonanz zu erzeugen.

4️⃣ Der Glaube an Verschwörungstheorien ist hoch

Aus der Forschung ist zudem bekannt, dass es viele Gründe gibt, an Verschwörungserzählungen zu glauben (denn nichts anderes ist ja das Narrativ einer großangelegten Verschwörung gegen AfD und Co.): Wichtig ist dafür vor allem ein wahrgenommener Macht- oder Kontrollverlust.

Das kann beispielsweise politischer Gegenwind sein nach Monaten des Umfragehochs – die Situation also, in der sich Neurechte derzeit befinden. Der Amerikanist und Verschwörungsexperte Michael Butter erklärt (Öffnet in neuem Fenster):

“Für diese Gruppe sind Verschwörungstheorien attraktiv, weil sie ihnen nicht nur eine Erklärung für das bieten, was da gerade passiert, sondern auch ein Stück weit Kontrolle zurückgeben. Denn diese Menschen können für sich zumindest in Anspruch nehmen, dass sie verstehen, was da gerade passiert.”

Dazu kommt: AfD-Sympathisant:innen glauben eher an Verschwörungserzählungen. Expertin auf diesem Gebiet ist die Psychologin Pia Lamberty, sie schreibt (Öffnet in neuem Fenster):

“Neben anderen Formen der Menschenverachtung spielt der Verschwörungsglaube bei Wähler:innen der AfD eine große Rolle und dockt an die populistischen Strategien der rechtsextremen Partei an. Verschiedene Umfragen und Studien belegen, dass die Zustimmungswerte zu Verschwörungserzählungen bei Anhänger:innen der selbsternannten ‘Alternative’ signifikant höher sind als in der Gesamtgesellschaft.”

5️⃣ Die Erweckten / das gemeinsame Ziel mit Bedeutung aufladen

Ein weiteres Ziel des Narrativs ist die (Selbst-)Ermächtigung, die durch das Dechiffrieren einer Verschwörungserzählungen ermöglicht wird. Wem das gelingt, der oder die gehört zu den Erweckten – während unwissende Menschen weiterhin “Schlafschafe” sind. (Daher unser schönes Thumbnail-Bild)

Wenn Neurechte Vordenker:innen ihre Interpretation der Geschehnisse also als “Verschwörungserzählung der Gegenseite” präsentieren, vermitteln sie ihren Anhänger:innen das Gefühl eines gesteigerten Selbstwerts durch den damit erlangten Wissensvorsprung. Geschieht dies im Kollektiv, kann das auch als identitätsstiftendes Moment (Öffnet in neuem Fenster) gezielt genutzt werden.

Lamberty erklärt es als Gefühl der eigenen Überhöhung (Öffnet in neuem Fenster): “Man selbst ist in diesem Weltbild automatisch der Wissende und Gute, während die anderen entweder als Teil der Verschwörung gesehen oder als ‚Schlafschafe‘ diffamiert werden, die angeblich der Regierung, den Medien oder dem etablierten Gesundheitswesen blind hinterherlaufen.”

6️⃣ Radikalisierung vorantreiben

Es hat sich immer wieder gezeigt (Öffnet in neuem Fenster), dass Verschwörungserzählungen als Radikalisierungsbeschleuniger wirken können. Laut Lamberty nutzen “rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppen” das gezielt aus, um Misstrauen in der Gesellschaft zu säen und gegenüber dem politischen System zu säen.

Die Expertin sagt: “Im letzten Schritt können Verschwörungserzählungen sogar Gewalt legitimieren.”

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