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Warum die AfD auf Tiktok setzt

Guten Morgen!

na, habt ihr auch das Video gesehen, mit dem Alice Weidel letztes Jahr viral gegangen ist? Da car-danced sie total cool mit ihrer Lebensgefährtin…👯‍♀️

Obwohl sich die AfD normalerweise auf TikToks bei üblicheren Tanzchallenges zurückhält, bespielt sie das soziale Medium wie keine andere Partei - und erreicht damit Zielgruppen, die keine andere Partei erreicht.

Dieser Newsletter ist der erste von zwei Teilen. 1️⃣ Hier hat Johannes für euch die Innensicht der Neuen Rechten aufgeschrieben: Warum ist TikTok für sie so wichtig? Nächste Woche kommt Teil 2️⃣.

Bleibt achtsam und alles Liebe. 🌸

Worum geht’s diesmal?

“Ich muss nur die Inhalte reinstellen und die Videos finden von alleine ihr Publikum. So wie man sich 1923 gefühlt haben muss, als man das Radio für sich entdeckt hat, so fühle ich mich, wenn ich meine Tiktok-Accounts anschaue.”

Das hat Erik Ahrens im Rahmen der Sommerakademie im vergangenen Jahr in Schnellroda gesagt - auf einem neurechten Vernetzungs- und Bildungstreffen, wie sie regelmäßig die rechtsextreme Denkfabrik IfS (Institut für Staatspolitik) veranstaltet.

Das Oberthema damals: Propaganda und öffentliche Meinung.

Das Thema von Ahrens Rede: Kurzvideos – vor allem via Tiktok.

Auf der chinesischen Plattform ist die AfD extrem erfolgreich. Nicht nur erreicht sie mit ihren Inhalten weitaus mehr Menschen als alle anderen deutschen Parteien - sie schafft es vermutlich auch, junge Menschen zu mobilisieren und an die Wahlurne zu bringen.

Das ist zumindest die Überzeugung mancher Wissenschaftler:innen (Öffnet in neuem Fenster) wie Johannes Hillje.

Grund genug, sich die Kommunikation der AfD auf Tiktok genauer anzusehen. Wir machen das in zwei Newsletter-Ausgaben. In der ersten schauen wir uns an, was ein Social-Media-Experte der AfD zu Tiktok sagt. Kommende Woche fassen wir zusammen, wie Beobachter:innen und Expert:innen den Erfolg der Partei von außen bewerten.

Wer spricht da?

Die Aussage am Anfang stammt von Erik Ahrens. Genauer: Aus seinem Vortrag “Tiktok von Rechts (Öffnet in neuem Fenster)”, den er in Schnellroda hielt. Ahrens trat bislang öffentlich nur unregelmäßig in Erscheinung. Es gibt aber doch einige Meldungen zu ihm. Das ZDF nennt ihn beispielsweise einen “rechten Aktivisten aus dem Umfeld der IB (Öffnet in neuem Fenster)”. Er hat auch ein Buch im Verlag Antaios von Götz Kubitschek veröffentlicht.

Zuletzt wurde Ahrens Name öfter genannt. Einerseits, weil er wohl mitverantwortlich für einige virale rechte Aktionen auf Tiktok war. Andererseits, weil Medien kürzlich Aussagen von ihm unter die Lupe genommen haben, die er auf dem Kurznachrichtendienst X geteilt hatte.

Vor allem ein Thread taucht immer wieder auf. Dieser handelt von dem angeblichen Recht des Staats, Zugriff auf Eizellen seiner Bürgerinnen zu haben. Ahrens schreibt:

“Junge Frauen könnten gemustert und bei Eignung zur Abgabe von Eizellen verpflichtet werden, um die Demographie zu stabilisieren.” Weiter erklärt er, dass das mit dem Credo “Mein Körper gehört mir” vereinbar sei. Denn: “Die Person, dem dieser Körper gehört, gehört wiederum dem Staat an.” Frauen seien deshalb verpflichtet, dem Staat mit “seinem Eigentum” zu dienen.

Diese Aussagen stehen Grundrechten, wie der freien Entfaltung der Persönlichkeit oder der körperlichen Unversehrtheit entgegen (Öffnet in neuem Fenster).

Auch T-Online hat sich mit diesen Aussagen beschäftigt und schreibt, die Idee Ahrens sei nicht neu, sondern beruhe auf der “menschenverachtenden Rassenhygiene” der Nationalsozialisten, die im Zuge einer “positiven Eugenik” die Geburtenraten von “Erbgesunden” steigern wollten.

Aus der gleichen historischen Zeit stammt auch die Idee des völkischen Kollektivismus (Öffnet in neuem Fenster), in dem Interessen des Einzelnen bedingungslos der Gemeinschaft der Volkes untergeordnet wurden - auch das kann eine Lesart des Gesagten sein.

Ahrens Vortrag “Tiktok von Rechts” ist auf Youtube einsehbar. Darin erzählt er, dass er – zumindest vorübergehend – den Tiktok-Kanal des AfD-Spitzenkandidaten für Europa Maximilian Krah betreut hat. “Wir haben jetzt in den letzten drei Monaten einige TikToks veröffentlicht”, sagt Ahrens beispielsweise. Das wollte T-Online genauer wissen und hat bei Krah nachgefragt. Der distanzierte sich von Ahrens – er sei nicht sein Mitarbeiter. Es gebe “zurzeit” keine Dienstleistungsverträge.

Wer nun noch mehr über Ahrens erfahren möchte, findet eine Zusammenstellung (Öffnet in neuem Fenster) einige seiner Aussagen auf dem X-Kanal der “Rechercheplattform zur Identitären Bewegung”. Dort gibt es eine Screenshot-Sammlung von Beiträgen, in denen Ahrens beispielsweise über den Tag X schreibt, an dem “wir uns um die Gegner und ihre Lügen kümmern” werden.

Der Social-Media-Experte

In seinem Vortrag “TikTok von Rechts” erklärt Ahrens, warum die Plattform so wichtig für Neurechte wie die AfD ist. Hier die wichtigsten Kernpunkte für euch zusammengefasst:

1️⃣ Der “Feind” kann den Inhalt nicht framen

Wie auf anderen sozialen Medien, wird auch Tiktok-Content direkt an Nutzer:innen ausgespielt. Es gibt keine Einordnung durch Expert:innen. Laut Ahrens ein zentrales Pro: “Wir können unsere Botschaft in unseren Worten den Leuten vor die Augen setzen.” Ganz ohne Framing durch eine zweite oder dritte Hand, wie beispielsweise durch das “Medienkartell”. Niemand funke dazwischen, es gebe kein Factchecking und kein Debunken – also keine Aufdeckung von Verschwörungsmythen.

Dazu komme, dass Tiktok-Inhalte aufgrund der Loopfunktion “hypnotisch” wirken würden. Der Grund: Jedes Video wird am Ende automatisch neu gestartet.

“So entsteht ein Effekt, dass der Zuschauer dasselbe Video mit derselben Musik und derselben Botschaft mehrfach hört. Die dringt immer tiefer ins Bewusstsein ein”, sagt Ahrens.

2️⃣ Deplatforming funktioniert nicht mehr

Im alten Mediensystem entschieden laut Ahrens “Gatekeeper” wie Fernsehen und Zeitungen, wer stattfindet und wer nicht. Auch bei neuen Medien gab es bislang eine ähnliche “Plattform-Zensur”. So habe beispielsweise Youtube den Kanal von Martin Sellner “nach Jahren des Inhalte-Produzierens mit 100.000 Zuschauern und Abonnenten von heute auf morgen gelöscht”. Als Rechter könne einem im Zweifelsfall immer der Kanal gesperrt werden, ein neuer habe dann ohne Follower:innen keine Reichweite mehr.

Bei Tiktok und Kurzvideos im Allgemeinen [auch Youtube und Instagram ziehen laut Ahrens ja längst nach], sie sind mittlerweile das meistgesehene Medium im Netz, ist es gegenteilig. Der Grund dafür: Der Algorithmus schlägt den User:innen vermeintlich interessante Inhalte außerhalb der gefolgten Konten vor. So sind Follower:innen nicht ausschlaggebend für hohe Reichweiten.

User:innen auf Tiktok suchen nicht. Sie scrollen. Niemand gibt Suchbegriffe ein. Der Algorithmus entscheidet, welche Inhalte ausgespielt werden. “Er erkennt, was gefällt. Das kann man nicht verheimlichen”, sagt Ahrens. Besitze ein Video spürbare Relevanz, weil es Menschen anschauten und kommentierten, werde es öfter ausgespielt. Und zwar der Zielgruppe, die sich dafür interessiere. “Ich muss nur Videos reinstellen und sie finden ihr Publikum von allein. Das macht der Algorithmus für mich.”

Das Besondere für Ahrens: So durchbreche die AfD ihre Blase, in die sie bislang mit eigenen Kanälen auf sozialen Medien oder eigenen Medienseiten [der sogenannten Gegenöffentlichkeit (Öffnet in neuem Fenster)] hineinveröffentlicht hat. Ahrens selbst habe Konten mit nur tausenden Follower:innen betreut, die aber Millionen Views erreicht hätten. “So kann man rechte Projekte und Bewegungen von heute auf morgen boosten!”

Dass der Algorithmus die Inhalte kuratiert, hat zusätzlich einen zweiten “positiven” Nebeneffekt: Ahrens sagt, der große Vorteil gegenüber anderen Formaten liege darin, dass man Einzelpersonen durch Kurzvideos besser “inszenieren” und aufbauen könne: “Ist ein Gesicht und ein Name bekannt und ihr Kanal wird gesperrt, kann sie innerhalb kürzester Zeit mit einem neuen Kanal dieselbe Reichweite erzielen.” Als Beispiel dafür nennt Ahrens Andrew Tate (Öffnet in neuem Fenster), den “King of Toxic Masculinity (Öffnet in neuem Fenster)”. Der sei laut Ahrens “auf allen Plattformen komplett kalt” gestellt worden, aber ohne Erfolg. Jetzt sei er “sichtbarer als vorher”.

Wen die genauen Vorgänge rund ums Deplatformen von Tate interessiert, findet hier eine ausführliche Dokumentation mit Einordnung (Öffnet in neuem Fenster).

Was auf jeden Fall stimmt: “Auf Tiktok ist die Botschaft entscheidend, nicht der Kanal.”

3️⃣ Junge Menschen werden direkt angesprochen

Tiktok wird besonders von Jugendlichen und jungen Erwachsenen genutzt. Ahrens zitiert eine Statista-Zahl, nach der die Hälfte der 14- bis 19-jährigen Deutschen 1,5 Stunden pro Tag mit der App verbringen würden. “Das heißt, man hat täglich ein Fenster von 90 Minuten in deren Gehirn, in das man reinsenden kann.”[Unserer kurzen Recherche nach lag die durchschnittliche Verweildauer von Nutzer:innen auf TikTok im Jahr 2022, unabhängig vom Alter, bei 23,4 Stunden pro Monat (Öffnet in neuem Fenster) - falls ihr Ahrens Quelle findet, gebt sie uns gern!]

Ahrens hat – zumindest eine Zeitlang – Tiktok-Videos für Maximilian Krah hergestellt. Sein bis dato erfolgreichster Beitrag habe bei weit über einer Million Zuschauer:innen vor allem 18- bis 24-Jährige männliche Nutzer erreicht. “Wir treffen also die richtigen”, sagt Ahrens.

So werden Nachwuchswähler:innen an die Partei gebunden, die noch keine politische Heimat hatten. Bislang war die AfD bei jungen Menschen nicht so erfolgreich.

Das ändert sich gerade.

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