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Warum die AfD auf Tiktok setzt (2)

Guten Morgen!

War ganz schön viel AfD und Tiktok in letzter Zeit, das wissen wir auch!

Aber diese thmatische Fortsetzung hatten wir ja angekündigt und damit beschließen wir ja auch schon wieder unsere Miniserie. Nächste Woche geht es dann um was ganz anderes, versprochen!

Wir freuen uns trotzdem über Feedback, Anregungen, Empfehlungen.

Bleibt achtsam und alles Liebe. 🌸

Worum geht’s diesmal?

“Jede Woche trendet der Begriff #Remigration. Alles ist großartig und wir können dankbar sein, dass wir diese Technik haben.”

Das hat Martin Sellner (Öffnet in neuem Fenster) im Rahmen der Sommerakademie im vergangenen Jahr in Schnellroda gesagt – einem Vernetzungs- und Bildungstreffen, wie sie regelmäßig die rechtsextreme Denkfabrik IfS (Institut für Staatspolitik) veranstaltet. Oberthema der Veranstaltung: Propaganda und öffentliche Meinung. Vergeben wurden exklusive 120 Plätze.

Wer sich einen gesichert hatte, konnte Sellner über “diese Technik” dozieren hören: Kurzvideos – vor allem auf Tiktok.

Und das ist kein Zufall. Die AfD und ihre neurechten Vordenker:innen setzen viel Personal und Ressourcen ein, um auf der chinesischen Plattform erfolgreich zu sein. Welche Vorteile das aus Innenperspektive der Partei bietet, haben wir in unserer vergangenen Ausgabe (Öffnet in neuem Fenster) beleuchtet.

Diese Woche fassen wir zusammen, wie Beobachter:innen und Expert:innen den Erfolg der AfD von außen erklären.

Wer spricht da?

Martin Sellner. Er geriet kürzlich als Teilnehmer und Speaker beim Potsdamer Geheimtreffen (Öffnet in neuem Fenster), das von Correctiv aufgedeckt wurde, unfreiwillig ins Rampenlicht. Dort hatte er seine Pläne zur “Remigration (Öffnet in neuem Fenster)” vorgestellt. Ganz frisch hat auch er ein gleichnamiges Buch im Kleinverlag Antaios veröffentlicht, den der Verfassungsschutz als Verdachtsfall führt (Öffnet in neuem Fenster).

Über Sellner haben wir schon einmal ausführlich geschrieben. Hier der Link dazu (Öffnet in neuem Fenster). Deshalb nur ein kurzer Abriss an dieser Stelle: Sellner war schon früh im rechtsextremen Milieu aktiv. Laut Kleine Zeitung (Öffnet in neuem Fenster) hat er bereits 2006, als damals 17-Jähriger, Plakate mit Hakenkreuz und der Aufschrift “Legalisiert es” an die Außenmauer einer Synagoge in Wien geklebt.

Später stand er der Identitären Bewegung (IB) vor, die mittlerweile vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextreme Bestrebung (Öffnet in neuem Fenster) eingestuft wird. Ihr Ziel: Sie will mit Kampagnen Aufmerksamkeit gewinnen. Wie, das geht aus Unterlagen hervor, die im Rahmen einer “identitären Sommeruniversität” 2015 in Frankreich an Teilnehmende verteilt wurden. Daraus zitiert der Bayerische Verfassungsschutz (Öffnet in neuem Fenster) das Folgende: “Mit Aktionen schaffen wir einen medialen Hype und eine Viralität, die unsere Parolen und Bilder so schnell und breit wie möglich streuen. […] Unsere politische Kommunikation muss die Massen erreichen und gut zugänglich sein.”

Gerade für den zweiten Teil setzt die Neue Rechte seit einiger Zeit auf Tiktok. Die Plattform nennt Sellner “eine Waffe” im “Infokrieg”.

Warum ist die AfD so erfolgreich auf Tiktok?

Machen wir aber zuerst einen Schritt zurück. Denn die AfD ist seit ihrer ersten Stunde nicht ohne Social Media zu denken. Schon 2017 schrieb der Medienwissenschaftler (Öffnet in neuem Fenster) Bernd Gäbler:

Die AfD bedient sich wie keine Partei zuvor der sozialen Medien. Durch heftige Interaktion und ständige Selbstvergewisserung erscheint sie darin wie ein Riese. Die Fülle der Twitter-Tweets, Facebook-Posts und WhatsApp-Chats ersetzt ihr zugleich (noch) fehlende ‘Vorfeld-Organisationen’, über die andere Parteien verfügen und damit gesellschaftliche Zustimmung anstreben und politische Unterstützung organisieren.”

Was auf Facebook und Twitter begann, überträgt die AfD mittlerweile auf jedes neue Medium. Sie ist first mover: Wird ein neues Netzwerk groß, ist die AfD schon da. Und sie versteht es, ihre Fans auf neue Plattformen mit zu ziehen. Andere Parteien sind auch deshalb abgeschlagen, weil sie sich beispielsweise mit (durchaus begründeten) Datenschutzbedenken (Öffnet in neuem Fenster) auseinandersetzen und deshalb zögerlich agieren.

Ein aktuelles Beispiel illustriert die unterschiedlichen Denkweisen recht gut: Erst diese Woche (!) sprach sich Bundeskanzler Olaf Scholz (Öffnet in neuem Fenster)dafür aus, dass die Bundesregierung auf Tiktok aktiv werden müsse. Nur: Entschieden ist es noch nicht. Immerhin sagte Scholz, dass er den Schritt für richtig halte. Und dass man jetzt diskutiere.

1️⃣ Wettbewerbsvorteil digitale Kommunikation

Wie klein alle anderen Parteien im digitalen Raum sind verglichen mit der AfD, zeigt eine zuletzt vielbesprochene Analyse des Politikwissenschaftlers Johannes Hillje. Er hat sich über einen Zeitraum von zwei Jahren die Social-Media-Reichweiten aller Bundestagsparteien angeschaut. Über seine Auswertung hat er in Blätter für deutsche und internationale Politik (Öffnet in neuem Fenster) geschrieben.

Dort heißt es, die AfD sei der Reichweitenchampion auf allen relevanten Plattformen (Youtube, X, Instagram, Tiktok, Facebook) und mit einzelnen besonders erfolgreichen Beiträgen sogar in der Lage, ein Millionenpublikum anzusprechen.

Dafür investiert die Partei auch. Hillje schreibt, dass die AfD für ihre Digitalkommunikation “ein hohes Maß an Ressourcen (Finanzen, Personal, Technik)” aufwende und beispielsweise als erste Fraktion ein professionelles Studio für Videoproduktion direkt im Bundestag eingerichtet habe.

Zwei Zahlen verdeutlichen den Erfolg:

“Auf Tiktok wurde jedes Video der AfD-Bundestagsfraktion in den Jahren 2022 und 2023 im Durchschnitt 435.394 Mal aufgerufen. Zum Vergleich: Die CDU/CSU-Fraktion, die für diesen Zeitraum den zweitbesten Wert erzielt, kommt auf durchschnittlich 90.583 Aufrufe pro Clip.”

2️⃣ Zielgruppengerechte Ansprache

Früher ging es der AfD in erster Linie darum, online möglichst viele Menschen zu erreichen und ihre Themen zu popularisieren. Gießkannprinzip. Heute nutzt sie soziale Netzwerke gezielter. Hillje schreibt: “Aus strategischer Sicht erscheint für die AfD insbesondere ihre Präsenz auf TikTok von großer Bedeutung.”

Denn: Dort erreicht sie junge Menschen. Die haben bislang kaum AfD gewählt. Doch das ändert sich. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 hat die AfD unter Erstwählenden bei den letzten Landtagswahlen sehr viel besser abgeschnitten – mutmaßlich auch aufgrund von Tiktok.

Der Stimmenfang dürfte ihr allein deshalb gelingen, weil die AfD als einzige Partei wirklich sichtbar ist. Der Politikberater Martin Fuchs spricht beispielsweise davon (Öffnet in neuem Fenster), dass sie nicht nur einzelne wenige Accounts unterhält, sondern nur “die Bundestagsfraktion auf 50 Tiktok-Accounts kommt”. Dazu reproduzieren Dritt-Accounts den Content tausendfach und erreichen teilweise mehr Views als die parteieigenen Konten. Eine massive Reichweitensteigerung, die meist mit blauen Herzen und Sprüchen wie “Sei schlau, wähl blau” versehen ist.

Nur über die Zahl ihrer Videos könnte ein Gewöhnungseffekt (Öffnet in neuem Fenster) von neurechter Sprache und neurechten Inhalten bei jungen Menschen eintreten. Und die stetige Wiederholung könnte ihnen ganz allmählich die Berührungsangst mit extremen Positionen (Öffnet in neuem Fenster) nehmen. So werden junge Menschen früh an AfD-Positionen und Gesichter herangeführt gebunden.

Für die Bundeszentrale für politische Bildung (Öffnet in neuem Fenster) haben das die Kommunikationswissenschaftler:innen Lara Franke und Daniel Hajok so aufgeschrieben: “Da die Heranwachsenden ihre soziale und politische Identität gerade ausbilden, kann der Kontakt zur rechtsextremistischen Szene riskant sein und zur Desorientierung beitragen.” Zudem biete die Szene “niedrigschwellig und lebensweltorientiert” vermeintlich einfache Antworten auf komplizierte Fragen. Vor allem “einfache” Strukturen und Regeln könnten ein Gefühl von Macht und Überlegenheit stärken. Und das alles geschieht in einer Zeit, “in der politische Denkstrukturen gebildet und eigene Informationszugänge etabliert werden, die bis ins Erwachsenenalter reichen”.

3️⃣ (Rechts-)Populismus und Social Media sind wesensverwandt

Das alles würde nicht funktionieren, wenn die AfD es nicht auch mit ihrer Botschaft leichter hätte. Johannes Hillje erklärt, dass sich populistische Rhetorik und Social Media stark anziehen würden – dadurch erkläre sich strukturell der Erfolg der AfD im Vergleich zu anderen Parteien: “Radikale und Populisten liefern jene emotionalisierenden, polarisierenden und provozierenden Inhalte, die von den Algorithmen mit höherer Sichtbarkeit belohnt werden, weil die User auf sie reagieren, folglich länger auf der Plattform verweilen.” Und genau das will Tiktok, dass die User:innen mehr Zeit mit der App verbringen.

Das bestätigt auch (Öffnet in neuem Fenster) Martin Fuchs in der taz. Dort sagt er, der AfD-Populismus sei “natürlich Gold für die Algorithmen auf Tiktok”.

Zu der thematischen Zuspitzung kommt dann noch eine stimmige Performance vor der Kamera, die bei jungen Menschen offenbar als authentisch wahrgenommen wird: keine Tänze, keine aktuellen Trends, keine Internet-Kunstfiguren. Stattdessen gibt es bei der AfD, so heißt es weiteren Verlauf des taz-Artikels, “radikale, nüchtern präsentierte Botschaften”, die sich durch “inhärenten Rassismus und Nationalismus ” auszeichneten.

4️⃣ Politik in Tiktok-Logik

Was die in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtete und als rechtsextremistisch eingestufte AfD von anderen Parteien unterscheidet, ist aber nicht nur die Radikalität ihrer Ansichten, sondern auch die Radikalität ihrer Methoden.

Denn sie versucht nicht, analoge Politik auf Tiktok hochzuladen. Sie passt stattdessen bereits im Parlament ihre Politik-Performance an die Regeln Tiktoks an. Fuchs zufolge bedeutet das, dass einige AfD-Politiker:innen ihre öffentlichen Reden speziell für Tiktok schreiben würden: “Wie diese Reden aufgebaut sind, wie sie zuspitzen, wie auf andere draufgehauen wird, solche Inhalte können andere Parteien nicht machen.“ Die versuchten hingegen, Inhalte “differenziert und sachlich” zu kommunizieren, gleichzeitig reduziere die AfD immer weiter Komplexität.

Johannes Hillje macht es noch konkreter. Er schreibt: “AfD-Abgeordnete halten plattformkonforme Plenumsreden. Einzelne Redepassagen werden hinsichtlich der Aussage (Radikalität), Länge (60 bis 90 Sekunden) und Form (abgeschlossener, simplifizierender Sinnabschnitt) bewusst so formuliert, dass sie perfekte Kurzvideos für Social Media ergeben.”

Das gibt die AfD auch zu. In einem Deutschlandfunk-Beitrag (Öffnet in neuem Fenster) sagt Götz Frömming darauf angesprochen: “Das beachten die meisten unserer Redner inzwischen. Obwohl es auch einige gibt, die bei bestimmten Themen drauf pfeifen, wie hoch die Klickzahlen sind.”

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