Der Kampf um die Deutungshoheit
Moin Newsletter-Friends,
zum Start gleich mal eine Notiz in eigener Sache. Von einigen Kommentator:innen auf LinkedIn kam die Rückmeldung, unser Newsletter hätte den falschen Titel. Er müsse “Wie Rechtsextreme reden” heißen, weil rechts eine normale Bezeichnung für eine politische Überzeugung innerhalb des demokratischen Spektrums sei.
Stimmt. Rechts zu sein, ist nicht verwerflich und wird von uns auch nicht so besprochen. Aber wir hätten vor allem in der Ausgabe zum Thema “Mit Rechten reden” konkreter sein müssen und schreiben “Mit Rechtsextremen reden”, denn das ist das, worum es in diesem Beitrag ging.
Aber den Newsletter werden wir trotzdem nicht umbenennen. Denn: Wir schreiben schon in unserer About-Seite auf Steady, dass wir uns nicht nur der Sprache der Neuen Rechten oder Rechtsextremer widmen, sondern auch denen, die ihnen als Steigbügelhalter zu Diensten sind. Die Narrative der Neuen Rechten werden immer wieder (und immer mehr) von etablierten Parteien übernommen. So sorgen sie für eine Diskursverschiebung und helfen, Unsagbares sagbar zu machen. Deswegen besprechen wir hier auch Sätze, die von Rechten gesagt werden oder Rechtsextremen oder Menschen der Neuen Rechte.
So weit, so klar, so long.
Bleibt achtsam. 🌸
Worum geht’s diesmal?
Jetzt gerade können wir alle ein besonderes Schauspiel verfolgen: der Kampf um Sprache. Es geht um den Begriff “Remigration”.
Er ist vor allem nach der Correctiv-Recherche über den “Geheimplan gegen Deutschland (Öffnet in neuem Fenster)” vielen bekannt geworden und im Diskurs geblieben. Mini-Recap: Um diesen Plan zu schmieden, kamen bereits im vergangenen November AfD- und WerteUnions-Politiker:innen und -Funktionäre, Neonazis und finanzstarke Unternehmer:innen zusammen, um die Frage zu beantworten: Wie können sie Deutschland nach der angestrebten Machtübernahme ihrem völkischen Ideal angleichen?
“Remigration” soll dabei eine entscheidende Rolle spielen.
Warum es aber mindestens genauso entscheidend ist, wie die Öffentlichkeit schon heute darüber spricht - darum geht es dieses Mal.
Wer spricht da?
Eingebracht in die Debatte hat den “Remigrations”-Begriff Martin Sellner. Er ist laut Verfassungsschutz (Öffnet in neuem Fenster) “Sprecher der Identitären Bewegung Österreich und Gesicht der Identitären Bewegung (IB) im deutschsprachigen Raum”.
Die gesichert rechtsextremistische Bestrebung vertritt das Konzept des Ethnopluralismus, “das auf der Vorstellung einer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung in einem ethnisch und kulturell homogenen Staat basiert”. Die IB ziele darauf ab, “Menschen mit außereuropäischer Herkunft von demokratischer Teilhabe auszuschließen und sie in einer ihre Menschenwürde verletzenden Weise” zu diskriminieren.
Die Identitäre Bewegung hat sich für eine clevere Form entschieden, um Aufmerksamkeit zu generieren: “islamfeindliche, rassistische und demokratiefeindliche Positionen” werden popkulturell aufbereitet und aktionistisch verpack (Öffnet in neuem Fenster)t - so schreibt es die Bundeszentrale für politische Bildung.
Ein Beispiel findet sich bereits im Logo, einem gelben Lambda-Symbol auf schwarzem Grund (s.o.). Als Vorbild diente dafür die Hollywoodverfilmung des Comics 300 (Öffnet in neuem Fenster), in dem wenige Spartaner ihre Heimat gegen eine fremde Übermacht verteidigen.
Sellner selbst war schon früh im rechtsextremen Milieu (Öffnet in neuem Fenster) aktiv. 2012 gründete er dann die IB Österreich, die in den Folgejahren auch Aktionen in Deutschland durchführte. 2019 war er in den Medien, weil eine Verstrickung (Öffnet in neuem Fenster) mit dem rechtsextremen Attentäter von Christchurch, der bei einem Terroranschlag auf zwei Moscheen 51 Menschen getötet hatte, ans Licht kam. Nicht nur gab es mehrfach Kontakt zwischen den beiden. Der Attentäter hatte Sellner auch 1.500 Euro gespendet.
Heute gibt sich Sellner als Vordenker der Neuen Rechten, schreibt Bücher und auch regelmäßig für Götz Kubitscheks Sezession (darüber haben wir in der vergangenen Ausgabe geschrieben) (Öffnet in neuem Fenster).
Bald bringt Sellner ein weiteres Buch heraus mit dem Titel “Remigration”.
Das Narrativ dahinter
In den vergangenen Wochen wurde viel über das Wort Remigration gesprochen. Manche haben es erst durch die Correctiv-Recherche kennengelernt, andere haben es direkt zum Unwort des Jahres (Öffnet in neuem Fenster) 2023 gemacht.
Viele Menschen haben schnell die Aufladung des Begriffs “‘Remigration’ = Deportation” durchschaut.
👉 Trotzdem ist ein Teil der Strategie der Neuen Rechte aufgegangen.
Aber (noch) nicht ganz.
1️⃣ Gelungen ist ihnen auf jeden Fall, den Begriff zu popularisieren.
Denn darum geht es der Neuen Rechten im ersten Schritt. Einen Begriff in die Debatte einzuschleusen und ihn dann so oft zu wiederholen, bis er etabliert ist. Warum das so wichtig ist, erklärt Soziologe und AfD-Experte Andreas Kemper (Öffnet in neuem Fenster):
“Darum geht es. Sie [rechte Akteur:innen] wollen bestimmte Begriffe aussprechbar machen, damit in einer bestimmten Art und Weise gedacht werden kann, damit später in einer bestimmten Art und Weise gehandelt werden kann.”
Sprechen, denken, handeln. Das gehört laut Kemper zusammen. Warum, das zeigt die Umkehrung des Dreiklangs: Was nicht ausgesprochen wird, kann nicht in der Breite der Gesellschaft gedacht werden. Es ist nicht vorstellbar. Damit wird es unwahrscheinlicher, dass die Mehrheit das von der Neuen Rechten angestrebte Handeln gutheißt.
Und das ist übergeordnete Ziel. Das sprechen Neurechte auch aus. Martin Sellner sagte vor wenigen Tagen in einem Interview (Öffnet in neuem Fenster): “Bevor eine millionenfache “Remigration” politisch umgesetzt werden kann, […] muss sie millionenfach bekannt gemacht werden.”
Deshalb habe das Correctiv-Magazin mit seiner Recherche paradoxerweise dazu beigetragen, dass sich die Chancen auf eine erfolgreiche “Remigrationspolitik” in Zukunft erhöhe. Sellner nennt das: metapolitischen Erfolg.
Exkurs: Metapolitik ist Sellners Synonym für kulturelle Hegemonie nach Antonio Gramsci. Bei Sellners Konzept (Öffnet in neuem Fenster) geht es, verkürzt, darum: Es gibt eine öffentliche Meinung, die den Denk- und Handlungsrahmen der Politik bestimmt. Die öffentliche Meinung wird durch Medien beeinflusst. Wer also die Mediendebatte bestimmt, besitzt die kulturelle Macht, um politische Maßnahmen nicht nur zu legitimieren. Sondern sogar zu steuern.
2️⃣ Neben der Popularisierung eines Begriffs ist es, zweitens, zentral, ihn mit einer neuen Bedeutung aufzuladen.
Grundsätzlich eignet sich “Remigration” in besonderem Maße dafür, weil seine bisherige Verwendung unproblematisch ist, erklärt Sprachwissenschaftlerin Isabelle Lehn (Öffnet in neuem Fenster). “Remigration” stammt aus der Wissenschaft, einem “ideologiefreien Kontext”.
Er wurde in der soziologischen Migrationsforschung deskriptiv für harmlose Phänomene verwendet, “wenn Migranten im Lauf ihres Lebens die Entscheidung treffen, in ihr Heimatland zurückzukehren”. Weil sie etwa ihr Rentenalter erreicht hätten, mit ihren Familien wieder vereint sein wollten oder aus wirtschaftlichen Gründen. Allen Anlässen gemein: Sie basieren “auf Freiwilligkeit”.
Rechtsextreme Akteur:innen versuchen jetzt, “Remigration” eine neue Bedeutung zu geben. Er soll auch für “erzwungene Rückkehr” oder “Ausweisung unter Ausübung von Gewalt und Zwang” stehen.
Das Perfide daran erklärt Lehn: “Dafür haben wir eigentlich andere, sehr viel klarere Begriffe, nämlich ‘Abschiebung’ oder ‘Deportation’, die den Gewalt- und Zwangaspekt nicht ausblenden.”
3️⃣ Nicht nur wollen Rechtsextreme die Bedeutung von “Remigration” erweitern. Sie wollen die neue Bedeutung gleichzeitig sprachlich verharmlosen und verschleiern.
Lehn fasst es so zusammen: Die Neue Rechte will mit dieser Umdeutung eine “gewalttätige, erzwungene Ausweisung, Vertreibung von Menschen, die nicht deutsch genug scheinen, menschenverachtende, demokratiefeindliche Praktiken” sprachlich unsichtbar machen.
Das große Ziel: Durch eine gemäßigte Sprache weniger extrem wirken und sich selbst einen bürgerlichen Anstrich verleihen, um wählbar zu sein bis hinein in die bürgerliche Mitte.
Die Extremismusforscherin Natascha Strobl (Öffnet in neuem Fenster) ergänzt, dass es für das Vorhaben, Menschen “aufgrund von ‘kultureller Ferne’ oder ‘Unerwünschtheit’” loszuwerden, bislang kein unverdächtiges Wort gab.
❌ Aber: Es hakt – dieses Mal – genau an dieser Verharmlosung und Verschleierung!
Während es rechtsextremen Akteur:innen schon oft und erfolgreich gelungen ist, Begriffe ideologisch umzudeuten oder neu zu etablieren, gelingt es dieses Mal nicht.
Das zeigt ein Gespräch zwischen Martin Sellner und Götz Kubitschek (Öffnet in neuem Fenster) für die Sezession. Dort unterhalten sich die beiden darüber, dass der Begriff “Remigration” in den letzten Monaten doch ‘normal’ geworden sei, es jetzt aber den Versuch gebe, “diese Normalisierung rückgängig zu machen, indem man ‘Remigration’ mit Begriffen wie ‘Deportation’ und ‘Vertreibung’ in Verbindung” bringe.
❌ Die Neurechte Strategie geht nicht ganz auf.
Die Öffentlichkeit übernimmt den Begriff “Remigration” nicht unbedacht, weil Expert:innen den sprachlichen Plan früh aufgedeckt und davor gewarnt haben. Einer ist der Literatur- und Religionswissenschaftler Robert Lüdecke. Er schreibt für die Amadeu Antonio Stiftung:
“Hinter dem beschönigenden Begriff [Remigration] steckt ein ungeheuerlicher Plan, der sich gegen das Grundgesetz und die Gleichwertigkeit und Würde aller Menschen richtet. […] Es geht um Rassismus, Menschen zu sortieren, Menschen unter Zwang auszuweisen und zu deportieren.”
Lüdecke warnt davor, “Remigration” einfach zu wiederholen. Es sei kein normales Wort. Er rät stattdessen, “immer klar zu benennen, dass es sich dabei um die faschistische Fantasie dreht, willkürlich Menschen zu sortieren und zu deportieren”.
Ähnliches schreibt auch Natascha Strobl: “Medien und die demokratische Öffentlichkeit dürfen nun nicht den Fehler begehen, das Wort [Remigration] als normalen Begriff zu verwenden. Es würde die beschriebenen Dinge zu einem Thema ‘hinaufwürdigen’. Gegen diese Unmenschlichkeit zu arbeiten, bedeutet auch, den Begriff (und was er in Wahrheit beschreibt) immer wieder zu erklären und höchstens unter Anführungsstrichen zu verwenden.”
Zuletzt stimmt dem auch Isabelle Lehn zu. Sie sagt: “Hier ist das Reframing, die kritische Einordnung doch so stark und eindeutig, dass es hoffentlich nicht länger möglich ist, diesen Begriff [der Remigration] weiterhin unkritisch zu betrachten und zu gebrauchen.”
Diese Woche wollen wir die Stammtischkämpfer:innen (Öffnet in neuem Fenster)vorstellen. Eine Initiative der “Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e. V.”.
Sie geben Seminare und coachen Menschen darin, wie man auf rechtsextreme und diskriminierende Parolen, Verschwörungsmythen und antifeministische Erzählungen reagieren kann.
Es geht dabei nicht darum, die Themen Rechtsextremismus, Rassismus, Antifeminismus oder Antisemitismus “in allen Facetten” zu behandeln. Vielmehr ist das Ziel der Seminare, Menschen darin zu befähigen, entschieden Parolen entgegenzutreten und Diskriminierung nicht unwidersprochen zu lassen. Gemeinsam in Gruppen werden Lösungsansätze erarbeitet und - soweit möglich - auch gleich praktisch / interaktiv eingeübt.
Die Finanzierung der Seminare, es gibt Präsenz- und Online-Kurse, sind solidarisch organisiert. “Das bedeutet, alle geben, was sie können.” So steht es auf der Webseite. Die Finanzierungswünsche der Kurse liegen bei 350 Euro für einen 3,5-stündigen Onlinekurs mit bis zu 12 Teilnehmenden und bei 600 Euro für einen 6-stündigen Präsenzkurs mit bis zu 20 Teilnehmenden.
Es gibt auch die Möglichkeit, Seminarpate oder -patin (Öffnet in neuem Fenster)zu werden und mit einer Spende Seminare für andere Menschen teilweise oder ganz zu finanzieren.
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