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Die Feigenblätter

Hallöchen,

die AfD beschäftigt über 100 rechtsextreme Mitarbeitende - das hat der Bayerische Rundfunk in einer aufwändigen Recherche (Öffnet in neuem Fenster) herausgefunden. Diese Erkenntnis ist so erwartbar wie erschlagend. 👊

Auch die Zeit bis zu den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg schwindet - mittlerweile sind es weniger als 6 Monate.

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Um was geht’s?

“Moin, mein Name ist Jazlynn-Dane. Wir wollen Remigration nach Recht und Ordnung und nach dem Grundgesetz. Wir wollen, dass Deutschland wieder sicher wird, deswegen bin ich bei der AfD!”

Das sagt eine von sechs Personen mit Migrationsgeschichte in einem aktuellen Imagevideo der Alternative für Deutschland (AfD). Hochgeladen hat es unter anderem der Fraktionskanal auf Tiktok, dort ist es zwischenzeitlich jedoch nicht mehr verfügbar. Auf einem der zahlreichen Drittaccounts (Öffnet in neuem Fenster) der Partei ist es aber noch online.

Neben Jazlynn-Dane kommen fünf weitere Personen zu Wort, sie sagen, dass sich “keiner von uns sich Sorgen macht wegen der AfD, ganz im Gegenteil.” Und: “Ich bin in die AfD eingetreten, weil ich auf der Straße immer mehr Probleme mit Ausländern bekommen habe.” Denn immer mehr “Kriminelle und Mörder” kämen nach Deutschland und die Ampel habe versagt und deshalb brauche es einen Wechsel.

Warum die AfD dieses Video jetzt veröffentlicht und was sie damit bezweckt, darum geht es diese Woche.

Wer spricht da?

Auf diesem politischen Niveau müssen wir immer davon ausgehen, dass die Inszenierung eines Image-Videos einem Zweck folgt. Deshalb lasst uns kurz einen Blick auf die Ästhetik werfen, bevor wir auf die Sprechenden eingehen: Alle Interviewten halten sich im öffentlichen Raum auf. Sie stehen beispielsweise neben einem Fluss, an einer vielbefahrenen Straße oder auf einem innerstädtischen Platz.

Die Intention der Videomacher:innen könnte gewesen sein, den Eindruck erwecken zu wollen, dass die Interviewten zufällig angesprochen wurden und spontan zu ihren Aussagen bereit waren. Vielleicht war die Absicht, eine Straßenumfrage vorzutäuschen, die zeigen soll: Es dauert nicht lange, um in Deutschland Menschen zu finden, die so denken und sprechen. Es gibt viele von ihnen: Menschen mit Migrationsgeschichte, die die AfD wählen.

Denn das ist es, als was sie vorgestellt werden: AfD-Sympathisant:innen. Nur eine Person, Jazlynn-Dane Schröder, sagt, sie sei auch “bei der AfD”. Bei allen anderen wird keine weitere Verbindung erwähnt, und doch fordern sie alle dazu auf, die AfD zu wählen oder in die Partei einzutreten und “gemeinsam Deutschland zu einem besseren und sicheren Ort zu machen”.

Am Ende wird eine URL eingeblendet, unter der man einen Mitgliedsantrag stellen kann.

Nur: Bei mindestens vier der sechs Personen in dem Video handelt es sich nicht um zufällige Interviewpartner:innen, sondern um ehemalige oder aktuelle Angestellte der Partei.

Der Spiegel schreibt (Öffnet in neuem Fenster), dass einer von ihnen, Udo Kühn, wissenschaftlicher Referent für den Arbeitskreis Verkehr der AfD-Bundestagsfraktion ist und davor für zwei verschiedene Bundestagsmitglieder der Partei gearbeitet hat. Zudem soll er sich “immer wieder völkisch positionieren”.

Dann ist da Felice Ferrer Vargas, die sich bei der rechtsextremen Jugendorganisation der AfD in Leipzig und Sachsen engagiert hat und stellvertretende Schatzmeisterin im Landesvorstand war.

Miguel Venegas sitzt laut Spiegel seit 2018 im Vorstand der AfD Hamburg-Harburg und ist Teil der “Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft”. Die wird vom zuständigen Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistische Bestrebung (Öffnet in neuem Fenster) geführt, weil sie demnach Verschwörungserzählungen, antisemitische und geschichtsrevisionistische Beiträge veröffentlicht.

Und auch Jazlynn-Dane Schröder “verdient ihr Geld bei der AfD”. Sie arbeitet laut Spiegel für den Bundestagsabgeordneten Norbert Kleinwächter, war Vorsitzende der Jungen Alternative Hamburg und fordert “Remigration (Öffnet in neuem Fenster)” für Menschen mit Migrationsgeschichte.

Die Strategie dahinter

Erst kürzlich sagte Björn Höcke noch "Multikulturalisierung" und "Mordkomplott gegen das deutsche Volk" in einem Satz.

Über Jahre hinweg wertete seine Partei Deutsche mit Migrationsgeschichte als “Passdeutsche” ab. Aus dem AfD-Wortschatz gestrichen wurde die Zuschreibung wohl nur aus strategischen Gründen. Das legt ein 2021 veröffentliches internes AfD-Rundschreiben nahe, in dem Mitgliedern empfohlen wurde, Begriffe wie “Umvolkung, Volkstod oder Passdeutsche (Öffnet in neuem Fenster)” nicht mehr zu verwenden – um nicht “in die Falle des Verfassungsschutzes zu tappen”.

Aber die neurechte Sprache sucht immer neue Wege, um zwischen “echten” und “falschen” Deutschen zu unterscheiden. Davon zeugt die neorassistische Verwendung von “Ethnie (Öffnet in neuem Fenster)”, um beispielsweise Deutsche mit türkischen Wurzeln als “ethnische Türken mit deutscher Staatsbürgerschaft” zu bezeichnen.

Warum bietet die AfD nun aber Menschen mit Migrationsgeschichte eine Bühne und lässt sie auf diese Weise die Partei repräsentieren?

🍁Die Strategie, die dahinter steckt, heißt Tokenismus.

(Auch wenn das Emoticon ein Ahornblatt ist, stell’ dir ein Feigenblatt vor)

Sie bezeichnet das “(ungewollte) Einnehmen einer Alibifunktion von einer marginalisierten Person innerhalb von Gruppen.” So steht es auf der Seite der Uni Köln (Öffnet in neuem Fenster).

Weiter heißt es dort: “Token werden nicht als Individuen betrachtet, sie werden lediglich als Repräsentant:innen ‘ihrer’ vermeintlichen Gruppe instrumentalisiert und so auf ihre vermeintlichen Identitätskategorien reduziert.” Das soll dem Zweck dienen, sich nach außen hin als “emanizipiert und divers” darzustellen.

Die AfD-Logik dahinter: Wenn es Menschen mit Migrationsgeschichte gibt, die sich für die Partei aussprechen, kann die Partei selbst ja gar nicht migrationsfeindlich sein.

Eine ähnliche Absicht dürfte die AfD bereits mit dem Verein “Mit Migrationshintergrund für Deutschland” verfolgt haben. Den hatte Robert Lambrou, AfD-Fraktionsvorsitzender im hessischen Landtag, vergangenes Jahr gegründet. Anfangs hieß es, der Verein habe offiziell nichts mit der AfD (Öffnet in neuem Fenster) zu tun. Heute steht in der Satzung, Ziel sei es “Menschen mit Migrationshintergrund für eine Mitarbeit bei oder Unterstützung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) zu begeistern.” Nach rund zehn Monaten sind aus 36 Mitglieder, die der Verein zum Start hatte, 50 geworden (Öffnet in neuem Fenster).

Token müssen aber nicht unbedingt Menschen mit Migrationsgeschichte sein. Das zeigte Hengameh Yaghoobifarah bereits 2018 in der taz (Öffnet in neuem Fenster) am Beispiel von Alice Weidel. Bei ihr ging die AfD ganz ähnlich vor und machte sie als lesbische Frau zum “Homo-Persilschein” der Partei, wie Yaghoobifarah schrieb. Außerdem sagte sie: “Eine Diversifizierung ihrer Mitglieder ist eine Win-win-Situation für die Partei: Sie kann Menschlichkeit und Unterstützung vorheucheln und sie gleichzeitig als Schutzschild gegen Diskriminierungsvorwürfe einsetzen.”

Und genau das versucht die AfD derzeit wieder vor dem Oberverwaltungsgericht Münster. Dort sollte diese Woche entschieden werden, ob der Bundesverfassungschutz 2021 die Partei als rechtsextremistischer Verdachtsfall einstufen durfte. Dafür waren zwei Tage angesetzt. Aber die Verhandlung wurde ohne Entscheidung vertagt (Öffnet in neuem Fenster). Unter anderem, weil die AfD überraschend Mitglieder mit Migrationsgeschichte als Zeugen befragen wollte.

🌈Die Partei versucht, divers und harmlos wirken

Die hatte sie kurz zuvor erst per Rundschreiben gesucht. Das berichtete die Berliner Zeitung (Öffnet in neuem Fenster). Schon damals vermuteten Beobachter:innen, dass die AfD diese Mitglieder als einen Entlastungsgrund vor Gericht anführen wollten - das hat sich jetzt bewahrheitet.

“Man sucht sich Migranten, um seine Migrantenfeindlichkeit, um seine Pläne zu Deportation, zur Ausweisung von Migranten, von Flüchtlingen, von Asylbewerbern zu tarnen. Es ist ein durchsichtiges, perfides, abscheuliches Spiel”, sagt beispielsweise der Jurist und Autor Heribert Prantl (Öffnet in neuem Fenster).

Ein weiterer Grund, wieso sich die Partei gerade diverser und harmloser nach außen hin geben will, dürfte die Correctiv-Recherche Geheimplan gegen Deutschland (Öffnet in neuem Fenster) sein. In Umfragen liegt die Partei mittlerweile wieder unter 20 Prozent.

Sie hat deshalb auch ein Positionspapier (Öffnet in neuem Fenster) veröffentlicht, in dem es heißt. "Die AfD unterscheidet nicht zwischen deutschen Staatsangehörigen mit und ohne Migrationshintergrund. Alle Deutschen sind ohne Ansehen von Herkunft, Abstammung, Weltanschauung oder Religionszugehörigkeit Teil unseres Staatsvolks."

❌ Weil die AfD ihre Stimmen will

Es gibt noch einen anderen Grund, wieso die AfD seit einiger Zeit Menschen mit Migrationsgeschichte anspricht: Sie will ihre Stimmen.

Kein Wunder: Deutschland ist ein Einwanderungsland, rund ein Viertel aller Deutschen hat eine Migrationsgeschichte. Das ist ein erhebliches Wähler:innenpotenzial.

Und die AfD versucht schon lange, neue Wähler:innengruppen zu erschließen. Mit ihren rechtspopulistischen bis rechtsextremen Themen dürfte sie das Potenzial in dieser “Gruppe” ausschöpfen. Sie versucht zwar nach außen, ihre Radikalität zu normalisieren und so auch mehr gemäßigte Wähler:innen für sich zu gewinnen. Aber das ist einerseits ein langsamer Prozess. Und der wird - durch Correctiv - andererseits aktuell auch nicht leichter.

Hinzu kommt, dass die AfD bei den anstehenden Wahlen Stimmen an die Maaßen-Partei und die Wagenknecht-Partei verlieren könnte.

Deshalb umwirbt sie seit einiger Zeit Menschen mit Migrationsgeschichte. Denn darunter sind auch Menschen, die Einstellungen mit der AfD teilen. Das zeigen nicht nur die Personen im eingangs angesprochenen Video, das bestätigt auch Politikwissenschaftler Achim Goerres im Spiegel (Öffnet in neuem Fenster). Auch wenn “deutlich mehr Menschen mit Migrationshintergrund links wählen”, sagt er, gebe es eine Gruppe von Zugezogenen, die rechten Positionen zuneige und “genauso Vorurteile wie andere auch” hätten.

Goerres sieht vor allem bei türkeistämmigen Deutschen ein “zunehmendes Potenzial für konservative Parteien”. Im Deutschlandfunk (Öffnet in neuem Fenster) ergänzt er, dass sich besonders “stark integrierte Menschen mit Migrationsgeschichte von neuen Einwander:innen absetzen wollen”. Dahinter stecke die Überzeugung: “Ich mag Menschen nicht, die ich nicht kenne.” Diese Xenophobie – also Fremdenfeindlichkeit – gebe es in jeder Menschengruppe, sagt Goerres. Und das weiß die AfD und verstärkt sie gezielt.

Ein Beispiel dafür ist ein Tiktok-Video von Maximilian Krah aus dem letzten Sommer, in dem er türkeistämmige Menschen, die in Deutschland leben, gegen “neue “ Migrant:innen ausspielt.

Er sagt darin: “Türken in Deutschland sollten AfD wählen.” Dann zählt er zunächst Themen auf, für die die AfD angeblich steht und die sie bei deutsch-türkischen Menschen vermutet: Ehre gegenüber den Eltern, Entbürokratisierung für Kleinunternehmer, sichere Arbeitsplätze in der Industrie oder Steuersenkungen. Und dann: Blockade neuer Zuwanderung.

Dann erklärt Krah auch, wieso Menschen mit Migrationsgeschichte dieser Absicht zustimmen sollten: "Wem nehmen die, die neu reinkommen, die Wohnungen und Arbeitsplätze weg?", fragt er. "Denjenigen, die vorher eingewandert sind."

Dass diese ganze “migrationsfreundliche” Kommunikation der AfD hauptsächlich auf Tiktok stattfindet, ist dabei kein Zufall analysiert die Politik- und Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan in der Zeit (Öffnet in neuem Fenster):

"Das soziale Netzwerk ist das perfekte Medium, um Migranten anzusprechen, ohne die migrationsfeindliche Stammklientel der AfD zu irritieren. Der Tiktok-Algorithmus, der bestimmt, wer was zu sehen bekommt, ist stark personalisiert – sodass die kurzen Clips passgenau auf dem Profil der Nutzer landen. Das erlaubt es der AfD, in ihren offiziellen Kanälen weiterhin klar antimuslimisch zu bleiben und ihre Stammwählerschaft mit Ressentiments zu bedienen, während auf den Handys der potenziellen Neuwähler mit Migrationshintergrund Videos landen, die mit Hashtags wie #gerechtigkeit oder #türkenindeutschland offensiv um sie werben."

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