Mit Sprache gegen die Erinnerungskultur
Moin,
diese Woche gab es gute Neuigkeiten! Zumindest ein bisschen. Tiktok hat die Reichweite vom AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl Maximilian Krah eingeschränkt. (Öffnet in neuem Fenster) Er ist zwar noch zu finden, aber seine Inhalte werden anderen User:innen nicht mehr auf ihre “For you”-Page gespült. Das klingt natürlich erstmal nicht schlecht. 👊
Aber: Die Inhalte von Krah sind nicht nur mit seiner Person verknüpft. Der neurechte Social Media Manager Erik Ahrens hat erst vor Kurzem auf X erklärt, dass eine Strategie für die Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts ist, für alle Anhänger:innen eine Art Sharepoint zur Verfügung zu stellen: mit Video-Snippets, die sie verwenden, selbst zusammenschneiden und denen sie mit unterschiedlicher Musik ihren ganz persönlichen Touch verleihen können.
Krahs Videos können also auch über Drittnutzer:innen weiter verbreitet - und natürlich in die “For-you”-Feeds kommen. Wer schon beim ersten Mal “For-You-Feed” ausgestiegen ist, der findet hier (Öffnet in neuem Fenster) eine Erklärung. 😉
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Um was geht’s?
“Alles für unsere Heimat!
Alles für Sachsen-Anhalt!
Alles für …”
“…Deutschland.”
Den ersten Teil sagte Björn Höcke (Öffnet in neuem Fenster), vor dem letzten Wort aber hielt er inne. Stattdessen reckte er, die Szene spielte sich im vergangenen Dezember in Gera ab, die Hand empor und ermutigte das Publikum vor ihm im Saal – und das folgte seiner Einladung. Laut vervollständigte es damit einen verbotenen Satz.
Höcke freute sich sichtlich.
“Alles für Deutschland” haben sich Mitglieder der Sturmabteilung (Öffnet in neuem Fenster) (SA) unter anderem in ihre Messer graviert. Die SA war eine paramilitärische Kampforganisation der NSDAP und zentraler Bestandteil der nationalsozialistischen “Politik der Straße”. Sie übte Terror gegen politische Gegner:innen, Jüd:innen und Andersdenkende aus und nahm eine wichtige Rolle bei der Machtergreifung der Nationalsozialist:innen ein. Deshalb ist der SA-Satz heute verboten.
Das weiß Höcke auch, denn er rief ihn schon einmal von einer Bühne.
Das war 2021. Damals soll er ihn in eine Rede in Merseburg eingebaut haben. Wenig später wurde deshalb seine politische Immunität aufgehoben und gegen ihn ermittelt. Es folgte eine Anklage durch die Staatsanwaltschaft Halle. Der Vorwurf: “Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (Öffnet in neuem Fenster)”.
Die Verhandlung soll nun – knapp drei Jahre später – im April starten.
Weil Höcke aber “Alles für Deutschland” wiederholt hat, wurde seine Immunität erneut aufgehoben (eigenen Angaben zufolge zum 8. Mal), erneut wurden Ermittlungen gegen ihn aufgenommen. Doch dieses Mal dürfte es bis zur Klage und Verhandlung nicht so lange dauern. Denn das Ziel ist, beide Fälle gemeinsam im April zu verhandeln (Öffnet in neuem Fenster).
Wieso aber nutzt Höcke Sätze, von denen er weiß, dass sie strafbar sind (Öffnet in neuem Fenster)?
Wer spricht da?
Björn Höcke ist nicht nur Vorsitzender der Landespartei und der Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) in Thüringen, er stand auch an der Spitze des sogenannten Flügels, einer radikalen Gruppierung innerhalb der Bundespartei.
Sie wurde im März 2020 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als “erwiesen rechtsextremistische Bestrebung eingestuft (Öffnet in neuem Fenster)”- aufgrund von “völkischen und fremdenfeindlichen Positionen”.
Die AfD löste den Flügel daraufhin auf, am Personal der Partei änderte das aber nichts. Es folgten also keine Austritte oder Ausschlüsse. Im Gegenteil: Höcke gewann an Einfluss. Der Spiegel nannte ihn deshalb den “wahren Chef der AfD (Öffnet in neuem Fenster)”. Er rückt die Partei seither immer weiter nach rechts.
Der Landesverfassungsschutz Thüringen stufte die Landespartei der AfD mit ihrem Chef Höcke bereits im März 2021 als gesichert rechtsextremistisch (Öffnet in neuem Fenster) ein.
Höcke offenbarte seine Ideologie vor allem in seinem Buch “Nie zweimal in denselben Fluss”. In der Zeit (Öffnet in neuem Fenster) hat sich Rechtsextremismusforscher Hajo Funke mit zentralen Aussagen in Höckes Werk auseinandergesetzt und kommt zu dem Ergebnis:
“Wenn wir Höcke an seiner Sprache messen, so geht es ihm um eine nicht nur ethnische, sondern auch politische ‘Säuberung’ und um das Einsetzen staatlicher Gewalt gegen beliebig definierte Feinde. Er suggeriert mit dieser Sprache auch einen künftigen Kampf zwischen denen, die anders denken und seinen Anhängern, er will offensichtlich den Bürgerkrieg in Dörfern und Städten in Deutschland. Es ist eine Strategie der Entfesselung und der Aufschaukelung von Ressentiments und Gewalt.”
Die Strategie dahinter
Neurechte Akteure wie Höcke bedienen sich nicht zufällig nationalsozialistischer Sprüche. Immerhin ist Höcke Geschichtslehrer und kennt laut dem Juristen Thomas Fischer (Öffnet in neuem Fenster) “soweit ich sehe, jede Nuance der Symbolik, welcher er nahestehen möchte”. Dass Höcke übersehen haben könnte, was “Alles für Deutschland” bedeute, erscheine völlig fernliegend.
Dazu kommt, dass nur kurz zuvor der Passauer AfD-Kreisverband die Parole plakatiert hatte. Die Polizei schritt daraufhin ein, nahm die Plakate ab und der übergeordnete Landesverband der AfD musste zugeben, dass die Wahlwerbung in der Form nicht genehmigt gewesen sei. Denn: Es gebe gewisse Sprüche, die würden einfach nicht verwendet (Öffnet in neuem Fenster).
1️⃣ Dog Whistle
Wenn Höcke so einen Satz sagt, dann dürfte es sich - erstens - um sogenanntes “Dog Whistling” handeln. Das besondere an Hundepfeifen ist, dass sie einen so hochfrequenten Ton abgeben, dass nur Hunde ihn hören. Menschen aber nicht. Die danach benannte Sprachstrategie Dog Whistling verfolgt das Ziel, Aussagen zu verschlüsseln und so zu verpacken, dass nur Eingeweihte sie hören.
Belltower News (Öffnet in neuem Fenster) schreibt, dass es sich um eine von rechten Akteur:innen gerne genutzte Kommunikationsstrategie handelt. Im Kern gehe es darum, “doppeldeutige und codierte Sprache” zu verwenden, die beim ersten Hinhören harmlos klinge. Sie besitze aber eine zweite Bedeutungsebene, die sich nur Anhänger:innen erschließe, die genau hinhören und sich ideologisch gut auskennen würden.
Vorteil an dieser Strategie ist die eingebaute Verteidigungstaktik. Belltower News schreibt weiter:
“Wenn man für die zweite Bedeutung kritisiert wird, kann sich der Redner als Opfer darstellen und beschweren, dass Dinge hineininterpretiert werden. Besonders für Eingeweihte und Fans ist eindeutig, was gemeint ist, doch bei Kritik von außen kann auf die reine Formulierung verwiesen werden.”
Aus diesen Gründen handle es sich um eine Strategie für Gruppen, “die extreme Ideologien vertreten, sich allerdings als harmlos und gemäßigt präsentieren wollen”.
Der Satz “Alles für Deutschland” darf an dieser Stelle geschrieben werden, er darf jedoch nicht “im Rahmen einer Rede auf einer Versammlung (Öffnet in neuem Fenster)” verwendet werden. Indem Höcke es dennoch tut, - beziehungsweise seine Anhänger:innen dazu animiert, ihn zu vervollständigen - spricht er im Subtext die rechtsextreme Szene und andere Unterstützer:innen an, die die Bedeutung genau kennen.
2️⃣ Kampf dem Paragrafen 86
Höcke verfolgt aber auch schon lange ein zweites Ziel: Er will den Paragrafen 86 (Öffnet in neuem Fenster), der den Satz verbietet, aus dem Strafgesetzbuch streichen. Denn der kann mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe belegen, wer Kennzeichen oder Inhalte verfassungswidriger und terroristischer Parteien oder Vereinigungen verbreitet. Der Paragraf tabuisiert somit Organisationen, deren “Tätigkeit und Zielsetzung rechtlich missbilligt (Öffnet in neuem Fenster)” werden und verhindert so, dass unter anderem Strukturen aus dem rechtsextremen Spektrum wieder normalisiert und Alltagskultur (Öffnet in neuem Fenster) werden.
Und genau das will Höcke ändern - seit Jahren. Zumindest hat er das laut Deutschlandfunk (Öffnet in neuem Fenster) schon 2015 in einer AfD-internen Mail geschrieben. Im Namen der Meinungsfreiheit forderte er damals “äußerst vehement die Abschaffung der Paragrafen 86 und 130 des Strafgesetzbuches”. Er schrieb außerdem:
“Wir brauchen keine Begriffstabuisierung, keine Antidiskriminierungsgesetze und keine politische Strafjustiz. Hinfort damit - und zwar schnell.”
Dass er seitdem wiederholt gegen den Paragrafen 86 verstoßen hat, könnte also Strategie sein, weil er einen medialen Aufhänger schaffen wollte, um die Unsinnigkeit des Gesetzes zu beweisen.
In diese Richtung deutet zumindest Höckes Einordnung der Anklage gegen ihn auf X (Öffnet in neuem Fenster). Dort schreibt er: “Es ist absurd, daß [sic] im #Deutschland des Jahres 2023 ‘Alles für...’ eine Nazi-Parole sein soll. Neben dem bay. König Ludwig II. haben viele Prominente mit dieser Alltagsformulierung ihre Liebe zum Land ausdrücken wollen. […]”
Nicht nur diskreditiert er hier das Gesetz, sondern er versucht gleichzeitig den verbotenen Satz umzudeuten – ihn zu verharmlosen und positiv zu besetzen mit “Liebe zum Land”.
Höcke versucht hier also einmal mehr, das Sagbare zu erweitern und…
3️⃣ … die deutsche Geschichte umzuframen
Höckes Sprache zeichnet sich durch Provokation aus. Er sagt, was “konträr zur deutschen Mehrheitskultur steht”. So fasst es die Geschichtswissenschaftlerin Berit Tottmann zusammen. Sie hat eine Diskursanalyse (Öffnet in neuem Fenster) über Höckes Buch “Nie zweimal in denselben Fluss” geschrieben, in dem sie darlegt, “wie ein rechtsextremer Politiker den Rahmen sprengt”.
Die Analyse ist durchweg lesenswert, an dieser Stelle wollen wir nur den kurzen Teil aufgreifen, in dem Höcke über das Ende des Zweiten Weltkriegs schreibt. Demnach bezeichnet er den Zusammenbruch des NS-Regimes als “katastrophale Niederlage von 1945”, aus der Deutschland als “Verlierer” hervorgegangen sei – und das, nachdem das Volk “elementare Reifeschübe erfahren” habe und “herangereift” sei. Tottmann schreibt:
“Damit nimmt er Anschluss an nationalistisch-geschichtsrevisionistische Diskurse, die sich innerhalb seiner Partei seit Jahren immer wieder zeigen […].”
Sie arbeitet weiterhin heraus, dass laut Höcke durch die ”stete Aufarbeitung der Schuld” bei “den Deutschen” ein Selbsthass entstanden sei, der es unmöglich mache, stolz auf “historische Leistungen, das Volk, die Nation” zu sein. Er fordert “die Deutschen” deshalb auf, aus diesem Zustand zu erwachen und wie ein “Phönix aus der Asche” emporzusteigen.
Den Satz “Alles für Deutschland” auszusprechen, bedeutet für Höcke also vermutlich weit mehr als nur einen Tabubruch, den er zum Selbstzweck begeht. Er kämpft damit vielmehr um die Neuauslegung der deutschen Geschichte. Er will das kollektive Gedächtnis neu formen und vom “Schuldkult (Öffnet in neuem Fenster)” befreien.
Mit dieser Diffamierung würdigen Rechtsextreme schon lange die Erinnerungskultur herab, die in Deutschland gepflegt wird, um der Millionen Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken.
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