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Die spiegelbildliche Anschuldigung

Hallo,

zum Reinkommen mal ein positives und total abseitiges Thema, das nichts mit Rechten zu tun hat: Fußballdeutschland ist wieder obenauf! Nagelsmann sei Dank. Trotz pinkem Trikot und dem Ausrüsterwechsel hat die Mannschaft zwei Freundschaftsspiele gewonnen - die EM kann kommen, den Pott holen wir uns jetzt. Freude, Glückseligkeit und alles richtig schön unpolitisch. ⚽️

Oder?

Da hast du nicht mit Julian Reichelt gerechnet, Ex-Bild-Chef und jetzt Teil der Redaktion des rechtpopulistischen Online-Mediums nius. Er kommentiert ein Foto von Spieler Antonio Rüdiger, das der zu Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan gepostet hat, so:

“Seit Jahren hören wir uns diesen Toleranz-Armbinden-Schwachsinn an, unsere Trikots sind plötzlich Pink, um Vielfalt zu symbolisieren, und dann zeigt der deutsche Abwehrchef Antonio Rüdiger den ISIS-Gruß der Islamisten. #FRAGER”

Mh, also doch nicht alles so entspannt. Rüdiger hat jetzt Strafanzeige erstattet. Der DFB hat den Fall zusätzlich bei der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main gemeldet.

Ein deutsches Fußballmärchen. 🧚🏾‍♀️ Und jetzt ab - in den eigentlichen Text!

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Vielen Dank und bleibt achtsam untereinander 🙌

Um was geht’s?

Mit uns wird es kein verpflichtendes Gendern geben. Im Gegenteil: Wir werden das Gendern in Schulen und Verwaltung sogar untersagen, meine sehr verehrten Damen und Herren (Öffnet in neuem Fenster).”

Dieses Zitat dürfte aufmerksamen Newsletter-Leser:innen bekannt vorkommen, weil wir es schon einmal als Einstieg (Öffnet in neuem Fenster) gewählt haben – als CSU-Chef Markus Söder das auf seiner Regierungserklärung im Dezember sagte.

Jetzt hat er seine damalige Ankündigung wahr gemacht: In Bayern ist seit vergangener Woche die “mehrgeschlechtliche Schreibweise durch Wortbinnenzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt, Gender-Gap oder Mediopunkt ausdrücklich unzulässig”. So steht es in einer aktuellen Pressemitteilung (Öffnet in neuem Fenster).

Die CSU hat damit ein Sprachverbot erlassen.

In Bayern, das das Söder einen “Freiheitstraum” und eine “Schutzburg” (Öffnet in neuem Fenster) nennt, wo “jeder nach seiner Façon glücklich werden” könne. Immerhin gelte in Bayern die vielgerühmte “Liberalitas Bavariae (Öffnet in neuem Fenster)” - also der bayerische Toleranzbegriff, der für “Leben und Leben lassen (Öffnet in neuem Fenster)” stehe.

Viele Beobachter:innen haben diesen Widerspruch diese Woche aufgedeckt. Denn zusätzlich ist Söder auch einer der schärfsten Kritiker:innen einer angeblichen grünen Verbotspolitik.

Im Interview mit der Bild (Öffnet in neuem Fenster) sagte er vergangenes Jahr:

“Die Grünen leben in einer Fantasie- und Verbotswelt. Sie sind die Verbotspartei Nummer 1: Fleisch-, Böller-, Autowasch-, Werbe- und Luftballonverbote sind nur eine kleine Auswahl ihrer Pläne.”

Wer spricht da?

Markus Söder. Der CSU-Politiker ist kein neurechter Politiker, er spricht aber immer öfter so.

An dieser Stelle ein Einschub: Unser Newseletter heißt bewusst “Wie Rechte reden”. Wir wollen darauf aufmerksam, dass und wie der Diskurs manipuliert und das Fenster des Sagbaren erweitert wird. Das liegt meist an Rechtsextremen und der Neuen Rechten. Aber nicht nur: Es gibt auch Politiker:innen etablierter Parteien, die deren Narrative übernehmen und neurechte Erzählungen damit normalisieren.

In einer der vergangenen Ausgaben (Öffnet in neuem Fenster) haben wir schon länger über Markus Söder geschrieben. Deshalb folgt hier nur ein kurzer Abriss:

Markus Söder kommt aus bürgerlichem Hause und tritt bereits kurz nach seinem 16. Geburtstag in die CSU-Parteijugend ein - die Junge Union. Sein großes Vorbild ist Franz Josef Strauß. Der junge Söder mit einem Poster von Strauß, das ist ein vielgesehenes mediales Bild. Nach einem Jura-Studium macht er ein Volontariat beim Bayerischen Rundfunk, wo er bis 1994 als Redakteur arbeitet.

Als ausgebildeter Journalist versteht Söder etwas von der Macht der Worte und der Bilder. Er muss sich aber auch vorwerfen lassen immer nur bis zur nächsten Schlagzeile zu denken (Öffnet in neuem Fenster) - die er aber oft beherrscht.

War er noch 2017 der unbeliebteste Ministerpäsident, wurde er drei Jahre später wegen seiner wahrgenommenen Entschlossenheit und Tatkraft während der Corona-Pandemie zum Spitzenreiter in der Liste der beliebtesten deutschen Politiker:innen (Öffnet in neuem Fenster).

Doch schnell verblasste dieser Moment wieder, kommentiert Ferdinand Otto in der Zeit (Öffnet in neuem Fenster). Und Markus Söder ging zurück zu altbekanntem: Witze über Toni Hofreiters Haare oder Scholz’ Augenklappe. Und statt des nach Außen hin so zupackenden Söders, trat wieder der risikoscheue ins Rampenlicht. Der, der den eigenen Safe Space lieber nicht verlässt. “Statt staatstragender Opposition dröhnt aus Bayern in Endlosschleife Postfaktisches: wie das vom angeblichen Genderzwang […].”

Die Strategie dahinter

Doch das könnte sich jetzt wieder ändern, wie das Thema gendergerechte Sprache zeigt. Darüber redet Markus Söder oft, meist zur Positionierung und Abgrenzung von den Grünen, denen er gleichzeitig eine Gender-Sprachagenda unterstellte.

Warum aber verabschiedet er jetzt ein Gesetz dazu und verbietet gendergerechte Sprache? Damit macht er sich ja durchaus angreifbar, wie die vielen kritischen Stimmen, die ihm eine Doppelmoral unterstellen.

Einen (umfassenden) Erklärungsansatz (Öffnet in neuem Fenster) für seine geänderte Strategie liefert die Publizistin Samira El Ouassil im Spiegel. Sie analyisiert zunächst, dass Söder “Performanzpolitik” betreibe - darunter versteht sie “politisches Handeln und Fordern, das Entschlossenheit inszeniert, vor allem aber den eigenen Entscheidungswillen zur Schau stellt”.

👉 Es geht Söder darum, einen durchsetzungsstarken und lösungsorientierten Politikstil darzustellen.

Inhaltlich ist das Thema zweitrangig. Was aber wichtig ist: Das Thema, das man angehen will, muss groß sein. Und wenn es das nicht, muss es groß gemacht werden.

Daran arbeiten Söder und Parteikolleg:innen schon lange, indem sie das Narrativ einer angeblich drohenden Sprachumerziehung gebetsmühlenartig wiederholen.

Auch der CSU-Staatskanzleichef Florian Herrmann folgte diesem Kurs bei der Verkündung des Gendersprache-Verbots (Öffnet in neuem Fenster), als er sagte, es gehe darum, “die Diskursräume in einer liberalen offenen Gesellschaft tatsächlich offenzuhalten und nicht weiter zu verdrängen”. Weiter raunte er, dass Teile der Bevölkerung beim Gendern mit “großem missionarischen Eifer” unterwegs seien und es durch moralischen Druck “faktisch zu einem Zwang” komme.

Eifer, missionarisch, Zwang: Mit dieser Wortwahl erzeugt die CSU den Eindruck, dass die deutsche Sprache bedroht gewesen und nun durch das Genderverbot gerettet worden sei.

El Ouassil erklärt, dass diese Entscheidung ein “perfektes Beispiel für ein vorauseilendes Verbot” seien.

👉 Die leicht schwankende Argumentationslinie: Der eigene Sprachgebrauch wird zum Inbegriff der Freiheit erhoben, weil sie andere Formen bedrohen, müssen sie deshalb unterbunden werden - im Namen der Freiheit.

Das Verbot begründet die CSU damit, den sprachlichen Status Quo bewahren zu wollen, also die standardmäßige Verwendung des generischen Maskulinums - immerhin seien damit ja alle mitgemeint. Die “Freiheit”, die die CSU verteidigen möchte, ist die Freiheit beim generischen Maskulinum zu bleiben, an das man sich gewöhnt habe.

Was die CSU damit zugibt: Es gab und gibt eine Asymmetrie im Sprachgebrauch. Das heißt, es gibt die dominante Erzählung, dass das generische Maskulinum die einzig richtige Art sei zu sprechen oder zu schreiben. Darauf habe sich die Gesellschaft geeinigt und weil das schon immer so war, soll es auch bewahrt werden.

Aus diesem Zirkelschluss, so fasst El Ouassil zusammen, rühre die konservative Angst, beschnitten zu werden: “Man misstraut der Freiheit des öffentlichen Austausches. Es ist die Projektion des Autoritären. Die CSU schließt vom eigenen ausschließenden Verhalten auf das vermeintlich ebenso konservative Denken der anderen.” Aus diesem autoritären Denken heraus setze man deshalb vorsorglich um, wovor man zuerst gewarnt habe.

👉 Anderen vorwerfen, was man selbst vorhat. Für diese Sprachstrategie gibt es auch einen Namen: spiegelbildliche Anschuldigung.

Beschrieben und in einen größeren Kontext gesetzt hat sie vor allem die US-Amerikanerin Susan Benesch im "Dangerous Speech Project" (DSP). Darin wird eine besondere Form der Sprache vorgestellt: gefährliche Sprache. Wer ihr ausgesetzt wird, so lautet die Definition, akzeptiert eher Gewalt durch die eigene Gruppe ("wir") gegen Mitglieder einer anderen Gruppe ("die") oder übt sogar selbst eher Gewalt aus.

Wichtig: Gefährliche Sprache ist nicht der Grund für Gewalt - so ein Zusammenhang ließe sich auch nicht nachweisen - durch sie könnte sich aber die Wahrscheinlichkeit zu Gewalt erhöhen.  

Die Unterteilung der Gesellschaft in Gruppen – in eine In-Group und eine Out-Group, in ein "wir" und ein "die" – das ist eine populistische Strategie. Sie ist die Grundlage, um eine "kollektive Identität" zu schaffen, ein besonders starkes "Wir-Gefühl". So hat schon ein jahrzehntealtes Experiment (Öffnet in neuem Fenster) gezeigt, dass sogar die rein zufällige Unterteilung in zwei Gruppen ausreichte, damit Versuchspersonen ihre eigene Gruppe bevorzugten und die andere abwertete. Populist:innen nutzen die Unterteilung der Gesellschaft in ein "wir" und ein "die", um durch Ausgrenzung anderer ein starkes Gemeinschaftsgefühl unter Anhänger:innen zu erzeugen.

Benesch hat mit ihrem Team die Sprache einflussreicher Politiker:innen vor großen Gewaltausbrüchen in verschiedenen Kulturen und Dekaden untersucht. Dabei sind ihnen sprachliche Gemeinsamkeiten aufgefallen, die immer wieder auftauchten und die sie mit dem DSP systematisiert haben. Demnach richtet sich beispielsweise Gefährliche Sprache immer gegen eine andere Gruppe, sie ist oft gelogen oder verursacht Angst. Es gibt aber keine Liste an Wörtern, die "gefährlich" sind – stattdessen sind der Kontext, das Publikum, das Medium und die Sprecher:innen wichtig.

Im Zentrum aber steht immer die "Botschaft", das Gesagte. Hier hat Benesch fünf sogenannte Kennzeichen definiert; enthält eine Botschaft eine oder mehrere dieser Kennzeichen, kann Sprache gefährlich werden. Diese Kennzeichen sind:

  • Entmenschlichung ("Dehumanization")

  • Behauptung einer drohenden Gefahr für die Unversehrtheit und Reinheit der eigenen Gruppe ("Threat to Group Integrity or Purity")

  • Behauptung von drohender Gewalt gegen Frauen und Mädchen ("Assertion of Attack Against Women and Girls")

  • Infragestellen der Loyalität eigener Gruppenmitglieder ("Questioning In-Group Loyalty")

  • spiegelbildliche Anschuldigung ("Accusation in a Mirror")

Das Konzept der Gefährlichen Sprache ist sehr komplex, wir haben uns trotzdem dafür entschieden, es kurz vorzustellen.

Jetzt konzentrieren wir uns aber nur auf das letzte Kennzeichen: die spiegelbildliche Anschuldigung. Dabei wird einer Person oder Gruppe unterstellt, was man ihr selbst zufügen möchte.

Die spiegelbildliche Anschuldigung ist eine rhetorische Strategie, mit der man Gegner:innen fälschlicherweise eine folgenschwere Handlung vorwirft, die man selbst vorhat, zu begehen.

👉 Das Ziel ist es also, das eigene Handeln gegen “die anderen” zu rechtfertigen, weil man ihnen ja nur zuvorkommt und die eigene Tat dadurch zur Notwehr umgedeutet wird.

Die spiegelbildliche Anschuldigung wird auch im neurechten Lager immer wieder erhoben.

Ein Vorfall, über den viel berichtet wurde, ereignete sich im vergangenen November. Damals wollte die AfD den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) von einem Landesparteitag ausschließen.

Die Begründung, über die das betroffene ARD-Magazin Monitor damals berichtete (Öffnet in neuem Fenster): Bei Monitor könne überhaupt nicht mehr von einer journalistischen Berichterstattung die Rede sein.

Die Folge: Der Zugang wurde verweigert. Keine Akkreditierung. Keine Berichterstattung.

Monitor-Leiter Georg Restle nannte die Entscheidung (Öffnet in neuem Fenster) der Partei einen “Offenbarungseid eines rechtsextremen AfD-Landesverbandes, der zeigt, was die Partei von kritischem Journalismus und Meinungsfreiheit” halte.

Dabei ist das genau der Vorwurf, den die AfD regelmäßig selbst erhebt. Dass ihre Meinungfreiheit (Öffnet in neuem Fenster) beschnitten werde, dass man vom ÖRR “systematisch ausgegrenzt (Öffnet in neuem Fenster)” werde oder dieser einen “gezielten und fortgesetzten Boykott (Öffnet in neuem Fenster)” gegen die AfD führe.

Ein zweites Beispiel haben wir auf X gefunden. Dort setzte der neurechte Ideologe Erik Ahrens im Nachgang der Correctiv-Recherche “Geheimplan gegen Deutschland (Öffnet in neuem Fenster)” auf die spiegelbildliche Anschuldigung - ohne einen Beweis oder eine Begründung für seine Aussage zu nennen. Stattdessen verknüpfte er sie mit der Verschwörungserzählung der ethnischen Wahl.

Ahrens schrieb: “Weil Linke immer das tun, was sie uns vorwerfen, können wir festhalten: Es finden geheime Konferenzen statt, wo sie planen, Millionen nach Deutschland zu importieren und ihnen die Staatsbürgerschaft zu geben. Das Ziel ist, eine AfD-Regierung durch ethnische Wahl zu verhindern.”

Erklärung: Die “ethnische Wahl” ist eine Folge oder Erweiterung der Verschwörungserzählung des “Großen Austauschs” (dazu haben wir schon einen Beitrag verfasst, den ihr hier (Öffnet in neuem Fenster) gern nachlesen könnt). Letztlich geht es bei der ethnischen Wahl darum, dass Menschen mit Migrationsgeschichte überwiegend linke Parteien wählen - damit macht mehr Migration eine Wahl der AfD unwahrscheinlicher.

Ahrens nutzt hier die spiegelbildliche Anschuldigung als Rechtfertigung dafür, dass sich die AfD mit Neurechten und Rechtsextremen im Geheimen getroffen hat. Was er damit wohl vermitteln will: Die “Linken” hätten sie mit einer großangelegten geheimen Agenda erst dazu getrieben, sich zu verschwören und Pläne zur Ausweisung von Millionen Menschen aus Deutschland zu schmieden.

👉 Das zeigt, dass die spiegelbildliche Anschuldigung strategisch im Diskurs von Neurechten eingesetzt wird.

Dass Söders Landesregierung mit ihrem Genderverbot und ihrer Argumentation es ihnen gleichtut, trägt einmal mehr zurm Mainstreaming bei.

Und da haben wir noch gar nicht darüber gesprochen, dass die CSU mit ihrem Genderverbot natürlich auch eine AfD-Position übernommen und damit aufgewertet hat. Die bayerische AfD-Landtagsfraktionsieht das natürlich als großen Sieg und wird im Bayerischen Rundfunk so zu dem Gesetz zitiert (Öffnet in neuem Fenster):

“Wir haben uns in zahlreichen parlamentarischen Anträgen immer wieder für dieses Ziel eingesetzt”, weil “linksgrüne, genderideologische Schreib- und Sprechvorgaben” eine Bevormundung der Bürger seien.

Die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach sieht in dieser Entwicklung einen Grund zur Sorge. Sie sagte kürzlich dem BR (Öffnet in neuem Fenster), es gebe Kräfte im Land, die versuchten, auf Hass, Angst und Wut zu setzen und die Polarisierung weiter voranzutreiben. Das große Problem: Wenn bürgerlich-konservative Politiker:innen mit einstimmten, tragen sie zur Normalisierung von Feindbildern bei. Es entstehe der Eindruck, “dass dieser Hass, diese Wut und inzwischen jetzt auch Gewalt tatsächlich eine Legitimierung erfahren”.

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