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Die Ablehnung des Genderns

Herzlich Willkommen!

Richtung Jahresende noch zwei Lowlights: Die AfD in Sachsen ist nun auch gesichert rechtsextremistisch (Öffnet in neuem Fenster) und der Verfassungsschutz NRW hat die Junge Alternative als Verdachtsfall (Öffnet in neuem Fenster) eingestuft.

Was meint ihr: Bringt das was? “Bringen” im Sinne von: Werden sich Menschen beispielsweise bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen durch so eine Einstufung abhalten lassen, diese Partei zu wählen?

Wir hoffen jedenfalls auf eine Art Abschreckung durch diese Einstufungen. ✊

Bleibt achtsam miteinander! ❄️

Maria & Johannes

Worum geht’s diesmal?

Mit uns wird es kein verpflichtendes Gendern geben. Im Gegenteil: Wir werden das Gendern in Schulen und Verwaltung sogar untersagen, meine sehr verehrten Damen und Herren (Öffnet in neuem Fenster).”

Applaus.

Das ist ein Auszug aus Markus Söders erster Regierungserklärung am 5. Dezember 2023 nach seiner Wiederwahl. Der bayerische Ministerpräsident will es also durchziehen: ein Genderverbot.

Viele nennen das: ein clever gesetztes Thema für die bundesweiten Schlagzeilen. Und ja, die gab es.

Was es aber auch gab, war die folgende Reaktion der AfD auf Söders Rede. Denn nach ihm trat Katrin Ebner-Steiner (Öffnet in neuem Fenster), AfD-Fraktionsvorsitzende in Bayern, ans Mikro und sagte lächelnd (Öffnet in neuem Fenster):

“Anscheinend möchte der Herr Ministerpräsident die Brandmauer nicht nur einreisen, sondern sie sogar einverleiben. Denn ich habe einige Ausschnitte aus unserem AfD-Wahlprogramm gehört […]: gegen grünen Sozialismus, für eine patriotische Wirtschaftspolitik und gegen das Gendern an den Schulen.”

Mit dem Verbot gendergerechter Sprache hat Söder eine alte AfD-Forderung übernommen und ist jetzt dabei, sie umzusetzen. So etwas wird auch “Mainstreaming” genannt – was das ist, erklären wir am Ende dieses Abschnitts.

Wer spricht da?

Markus Söder. Der CSU-Politiker ist kein rechter Politiker, er spricht aber immer öfter so.

Dabei bescheinigen ihm einige politische Beobachter:innen, dass er das Zeug zu einem großen Volksvertreter hätte. Er führte während der Coronavirus-Pandemie sogar die Liste der beliebtesten deutschen Politiker:innen an (Öffnet in neuem Fenster). Söder könnte, schreibt beispielsweise Ferdinand Otto in der Zeit, “einen neuen europäischen Konservatismus zu begründen (Öffnet in neuem Fenster)”. Stattdessen ziehe er sich seit mindestens zwei Jahren immer weiter in seinen “Safe Space” Bayern zurück, um von dort aus “in Endlosschleife Postfaktisches zu dröhnen” – wie beispielsweise die Zuschreibung der Grünen als Verbotspartei oder dass uns angeblich ein Genderzwang drohe.

Das ist (rechts-)populistische Rhetorik (Öffnet in neuem Fenster). Dazu heißt es beim Progressiven Zentrum: “Auch Markus Söder wird […] zum Kulturkämpfer. Er wollte ja eigentlich aus seinem letzten Wahlkampf, in dem er sich in der Migrationspolitik zeitweise einen aussichtslosen Überbietungswettbewerb mit der AfD lieferte, gelernt haben. Nun aber ruft er zum Gefecht gegen den ‘Woke-Wahn’ auf und nennt den grünen politischen Gegner einen ‘Feind’.” Statt eine “zünftig-bürgerliche” Rhetorik zu finden, bediene sich Söder der “Muttersprache” der AfD.

Was das ihm und der CSU gebracht hat?

Den geringsten Stimmanteil, trotz hoher Wahlbeteiligung, seit über 70 Jahren in Bayern. Stattdessen haben die Freien Wählern (unter Hubert Aiwanger) und die AfD dazugewonnen.

Wieso reden Rechte übers Gendern?

Geschlechtergerechte Sprache ist nicht mehr nur ein gesellschaftliches, sondern längst auch Wahlkampf-Thema geworden. Der Tagesspiegel (Öffnet in neuem Fenster) hat dazu vor über zwei Jahren statistisch ausgewertet, wie oft sich die Parteien dazu auf Twitter und Facebook äußern.

Mit großem Abstand an erster Stelle: die AfD.

Bei ihr geht es dann um “Gender-Wahn” und “Gender-Gaga” – immer ist das Thema negativ besetzt. Wieso aber setzen sie so stark auf das Thema?

1️⃣ Weil es alle betrifft

Wir alle reden. Sprache ist für unser gesellschaftliches Miteinander elementar. Deswegen hat auch jede:r eine Meinung dazu. Die Debatte übers Gendern ist längst hochemotional und das macht es attraktiv. Gendern hat Mobilisierungspotenzial.

Gleichzeitig – oder deswegen – taugt das Thema als “Brückennarrativ”. Die AfD will mit der Ablehnung von geschlechtergerechter Sprache viele Menschen erreichen und sie dann für weitere parteitypische Positionen begeistern. Der Sprachwissenschaftler Henning Lobin sagt (Öffnet in neuem Fenster), die AfD bringe auf diese Weise “eine neurechte Agenda wie mit einem trojanischen Pferd weit in die Mitte der Gesellschaft”.

Dem stimmt auch Ulrike Lembke, Rechtswissenschaftlerin und Richterin am Verfassungsgerichtshof Berlin, zu. Sie schreibt (Öffnet in neuem Fenster) (in einem sehr lesenswerten Text über die rechtlichen Grundlagen eines Genderverbots), dass Antifeminismus und Anti-Gender von rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Bewegungen als “Brückenideologien in die gesellschaftliche Mitte” genutzt würden und warnt, dass Diskriminierung von Frauen und geschlechtlichen Minderheiten als Politikform “eine Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat” sei.

Was Lobin und Lembke meinen, hat kürzlich Björn Höcke “live” gezeigt. Es folgt ein längeres, fast ungekürztes, Zitat (Öffnet in neuem Fenster) aus einer Rede.

“Freiheit und Identität sind zwei Seiten einer Medaille. Ich glaube, deswegen versucht man, uns unsere Sprachidentität zu nehmen. Mit der Gendersprache. Die, die heute herrschen […] wollen nicht, dass wir das aussprechen, was wir denken und das denken, was wir aussprechen wollen. […] Ich glaube, das ist die Ursache dafür, dass man uns einreden will, dass das Geschlecht ein soziales Konstrukt ist, dass man das Geschlecht frei wählen kann. […] Sie wollen uns nicht nur unsere Sprachidentität nehmen. Sie wollen uns auch unsere Geschlechtsidentität nehmen. Und mit der Multikulturalisierung, mit der Flutung unseres Landes mit kulturfremden Menschen, die hier niemals ein Zuhause finden können, wollen sie uns am Ende auch unsere kulturelle Identität nehmen.”

Höcke verknüpft hier in wenigen Sätzen Gendersprache (Höcke spricht es mit hartem G) mit den Themen Geschlechtsidentität als sozialem Konstrukt, “Multikulturalisierung” und “Überfremdung”. Alles hängt zusammen, will Höcke wohl sagen. Wer gegen eines der Themen ist, muss gegen alle sein.

2️⃣ Weil es die Identität stärkt

Wie so oft, machen Rechte auch die Sprache zum nationalidentitären Thema. Die “deutsche Sprache” wird zum Kern kultureller Identität erklärt. Das erklärt, wieso sich die AfD zur angeblichen Beschützerin der deutschen Sprache ernennt und beispielsweise im Bundestag beantragt (Öffnet in neuem Fenster), dass “die Regeln der deutschen Sprache eingehalten” und es “keine Verfremdung durch sogenannte Gendersprache” geben dürfe.

Gleichzeitig geht es der AfD auch um Zugehörigkeit und Abgrenzung. Anhand des Sprachgebrauchs zeigt sich heute bei vielen Menschen eine politische Verortung. Journalist Alan Posener drückt es so aus: “Damit ist der Sprachgebrauch zu einem Element des ‘virtue signalling’ (das Zeigen moralischer Überzeugungen - Anm.d.Red.) der Linken und zu einer Fahne im Kulturkampf der Rechten geworden.”

3️⃣ Weil es ein konservatives Familienbild festigt

Sprache macht sichtbar. Die Idee geschlechtergerechter Sprache ist es, alle Geschlechtsidentitäten anzusprechen und nicht nur durch das generische Maskulinum Männer sprachlich zu adressieren.

Aber genau das steht AfD-Überzeugungen entgegen. Sprachwissenschaftler Lobin erklärt (Öffnet in neuem Fenster), dass in der Ablehnung der Gendersprache auch eine traditionelle Vorstellung von Familie und Gesellschaft stecke. Denn: Rechte Geschlechter-Vorstellungen beruhen auf der Idee eines “biologistisch konstruierten Geschlechterdualismus (Öffnet in neuem Fenster)”, der also nur Männer und Frauen als mögliche Identitätsentwürfe zulässt. Bedroht wird dieses “vermeintlich natürliche Ideal in der rechten Selbstwahrnehmung” nicht nur durch Demokratie oder Feminismus, sondern eben auch durch die sprachliche Sichtbarmachung anderer Geschlechtsidentitäten.

4️⃣ Weil es die “Elite” kritisiert

Bei der gendergerechten Sprache handle es sich um ein “Elitenprojekt einer kleinen Minderheit (Öffnet in neuem Fenster)”. Das war die Begründung der CDU, um einen Antrag mit Stimmen der AfD gegen das Gendern im Thüringer Landtag durchzubringen.

Bei der Kritik an “denen da oben” geht es im Kern darum, sich von der sogenannten Elite, also den etablierten Politiker:innen und Parteien abzugrenzen, und sich stattdessen als Teil und Stimme des Volkes darzustellen. Auch hier wird dieses Narrativ einmal mehr bedient und mit dem sprachlichen Feindbild Gendern verknüpft. Gendern sei ein Projekt gegen das Volk, geplant von abgehobenen Eliten.

Was uns noch wichtig ist

Zuletzt wollen wir an dieser Stelle noch kurz auf ein Problem eingehen, das uns bei der Recherche zu dieser Ausgabe immer wieder begegnet ist: das sogenannte Mainstreaming von AfD-Themen.

Damit ist gemeint, dass AfD-Forderungen gesellschaftlich legitimiert werden, indem sie von etablierten Parteien übernommen werden. Wer die Themen der in weiten Teilen rechtsextremen AfD übernimmt, normalisiert damit die ganze Partei.

Die AfD hat das Thema Gendern schon in ihr allererstes Wahlprogramm hineingeschrieben. Seither hat sie dagegen mobil gemacht und mittlerweile haben es viele konservative Politiker:innen für sich entdeckt, wie eben auch CSU-Chef Söder oder CDU-Chef Merz. Der hat vor kurzem sogar eine “Rechtsruckformel” aufgestellt: Wenn in einer Nachrichtensendung gegendert werde, gingen Hunderte Stimmen an die AfD, so sein Narrativ. Das ist seine Sichtweise, um andere Ursachen für das Erstarken der AfD übersehen zu können und sich nicht damit auseinandersetzen zu müssen.

Eine andere Sichtweise bietet der Politikerberater Johannes Hillje (Öffnet in neuem Fenster). Er macht die Übernahme von AfD-Themen durch etablierte Parteien für das Erstarken mitverantwortlich: “Ein Mainstreaming der AfD erfolgt durch Mainstreaming ihrer Positionen.” Die Forschung zeige, dass eine Übernahme extremer Positionen durch Konservative keine Stimmen von extremen Parteien zurückhole, stattdessen normalisiere diese Strategie vielmehr die AfD, wenn ihre ursprünglichen Positionen in etablierten Parteien aufgingen.

Er sagt: “Die Wähler:innen wählen nicht CDU/CSU, sondern das Original. Es darf deshalb keine Annäherung an eine rechtsextreme Partei geben.”

An dieser Stelle teilen wir immer wieder Projekte, Vereine und Initiatien, die bereits den Kampf gegen Rechts kämpfen. Heute möchten wir euch den Verein Gesicht zeigen! vorstellen. Auf unsere Fragen hat die Pressesprecherin Annette Dörrfuß mit einem kleinen Text zur Initiative geantwortet. Danke! 🙏

‘Gesicht Zeigen!’ ermutigt Menschen, aktiv zu werden gegen Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und rechte Gewalt. Der Verein greift in die aktuelle politische Debatte ein und bezieht öffentlich Stellung. Ziel von Gesicht Zeigen! ist die Sensibilisierung für jede Art von Diskriminierung und die Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements.

Für dieses Ziel entwickeln wir Projekte und Aktionen, die Vorurteile abbauen und das Miteinander fördern. Der Verein initiiert öffentliche Kampagnen analog oder digital und informiert auf der Website sowie in den Sozialen Medien zum aktuellen Geschehen.

Gesicht Zeigen! konzipiert und realisiert Projekte für die Einwanderungsgesellschaft wie beispielsweise die innovative Ausstellung ‘7xjung – dein Trainingsplatz für Zusammenhalt und Respekt (Öffnet in neuem Fenster)’ oder das Empowerment-Projekt ‘Die Freiheit, die ich meine (Öffnet in neuem Fenster)’. Hier werden gemeinsam mit Mädchen und jungen Frauen in Berlin-Mitte Strategien erarbeitet, um sich aktiv für Demokratie und Menschenrechte einzusetzen. Außerdem ist Gesicht Zeigen! Teil des bundesweiten Kompetenznetzwerks Rechtsextremismusprävention (Öffnet in neuem Fenster).

Uns beschäftigt die Frage, wie ein gutes Zusammenleben in einer demokratischen, pluralen Gesellschaft aussehen kann. Unsere Workshops und Fortbildungen richten sich an Jugendliche, Schulklassen und Multiplikator:innen – von A wie Ausgrenzung bis Z wie Zivilcourage.

Weitere Informationen sind auf auf unserer Webseite (Öffnet in neuem Fenster), wo ihr auch zahlreiche Materialien und Publikationen bestellen oder downloaden könnt, darunter  ‘Gesicht Zeigen! – Aber wie?’. (Öffnet in neuem Fenster) Hier zeigen wir Handlungsoptionen auf, wie sich jede:r ‘zivilcouragiert’ verhalten kann, wenn einem Diskriminierung im Alltag begegnet.

 Wir freuen uns über Unterstützer:innen auf allen unseren Kanälen – vor allem wenn sie  unsere Anliegen weiter tragen. Und gerade angesichts des öffentlichen Sparkurses in einer Zeit des massiven Rechtsrucks sind wir auf Spenden (Öffnet in neuem Fenster) angewiesen, um angesichts des bevorstehenden Superwahljahres 2024 unere Arbeit für ein weltoffenes Deutschland zu intensivieren.”

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