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Das Märchen vom Volkstod

Der Thumbnail zeigt eine Gruppe Menschen mit POC, im Hintergrund steht eine Art Sensenmann. Die Überschrift lautet: "Wenn wir nicht aufpassen."

Willkommen zur zweiten Ausgabe!

Kurze Feedbackrunde: Manche von euch fanden den BILD-Text nicht ideal ausgewählt für eine erste Ausgabe. “Ich hätte mir einen einfacheren Antagonisten gewünscht”, schrieb eine Leserin. Gesagt, getan.

Hier kommt er: der einfache Antagonist.

Worum geht’s diesmal?

“Beeindruckende Rede von Björn Höcke bei Pegida auf dem Schlossplatz 6. November 2023”: So heißt ein Video, das die sächsische AfD vergangene Woche auf YouTube veröffentlicht hat. Bislang wurde es rund 30.000-mal aufgerufen und knapp 500-mal kommentiert (Stand 13. November 2023). Damit zählt es schon jetzt zu den erfolgreicheren Beiträgen des Kanals.

Das Video zeigt eine 48-minütige Rede des thüringischen AfD-Chef Björn Höcke. Sie ist ein thematischer Rundumschlag von der “Herrschaft des Unrechts” durch die “Migrationspolitik von oben” und der “Zerstörung der körperlichen Unversehrtheit” während der “Plandemie” über den Ukrainekrieg, der ohne “den globalen Machtanspruch der USA” gar nicht eingetreten wäre und den Konflikt im Nahen Osten, hin zu Abtreibungen, die dafür sorgen, dass “zu wenig deutsche Kinder geboren werden” und zur Schutzlosigkeit Deutschlands, das seine Wehrfähigkeit und Tugenden verloren habe.

(Hinweis: Hört euch die Rede (unten verlinkt) wirklich mal an. Wir haben sowas meist vermieden, weil wir dachten, dass es uns zornig macht (was es auch hat), aber auch wir sollten wissen, wie Höcke spricht und auch, wie rhetorisch stark und charismatisch – und dadurch gefährlich – er ist).

Jedes Thema verdient eigentlich eine eigene Auseinandersetzung. Wir können uns für Newsletter #2 aber nur einen Satz aus der Rede (Öffnet in neuem Fenster) greifen, der sich dafür um das Kernthema Höckes dreht: Migration.

Höcke sagt: “Die Masseneinwanderung nach Deutschland ist die entscheidende Frage dieser Zeit. Sie entscheidet über deutsches Sein und deutsches Nicht-Sein.”

Wer spricht da?

Björn Höcke ist nicht nur Vorsitzender der Landespartei und der Fraktion der AfD in Thüringen, er stand auch an der Spitze des sogenannten Flügels. Einer Gruppierung innerhalb der Bundespartei. Sie wurde im März 2020 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als “erwiesen rechtsextremistische Bestrebung eingestuft” (Öffnet in neuem Fenster) – aufgrund von “völkischen und fremdenfeindlichen Positionen”.

Die AfD löste den Flügel daraufhin auf, am Personal der Partei änderte das nichts. Im Gegenteil: Höcke gewann an Einfluss. Der Spiegel nannte ihn vor einem Jahr deshalb den “wahren Chef der AfD” (Öffnet in neuem Fenster). Er rückt die Partei immer weiter nach rechts. ➡️ Der Landesverfassungsschutz Thüringen stufte die Landespartei der AfD mit ihrem Chef Höcke bereits im März 2021 als gesichert rechtsextremistisch (Öffnet in neuem Fenster) ein.

Das Narrativ dahinter

Höcke bedient in Reden und auf Social Media immer wieder rechte und rechtsextreme Erzählungen. Dazu gehört auch die Aussage, die Massenmigration würde über das Sein oder Nicht-Sein Deutschlands entscheiden.

Dahinter steht die Erzählung eines angeblich drohenden Volkstods. Höcke bedient dieses rechte Narrativ oft. Der Kern: Die Masseneinwanderung nach Deutschland stellt eine existenzielle Bedrohung für das Volk dar.

Der drohende Volkstod wird, so geht die Erzählung in rechtsextremen Kreisen weiter, durch den “Großen Austausch” herbeigeführt. Sein Ziel ist, die autochthone – also die ethnisch-deutsche – Bevölkerung durch “kulturell fremde Bevölkerungsgruppen” zu ersetzen. 🔄

Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft der Amadeu Antonio Stiftung hat das Narrativ des Großen Austauschs in einem Factsheet aufgearbeitet (Öffnet in neuem Fenster).

Die wichtigsten Punkte:

🚩 Der Austausch verlaufe nach Plan des sogenannten Establishments, das sich nur durch Multikulturalismus, Feminismus und offene Grenzen an der Macht halte und zum Verfall der "Stammvölker" beitrage.

🚩 Beim Konzept des “Großen Austauschs” handle es sich um ein Meta-Narrativ, das verschiedene Agitationsthemen vereine – etwa Migration, "Islamisierung", Kriminalität, Elitenkritik oder Souveränität.

🚩 Es verbinde antimuslimischen Rassismus mit antisemitischen Stereotypen und versorge verschiedene Spektren der extremen Rechten mit theoretischem Nährboden für menschenfeindliche Aussagen.

🚩 Es speise sich aus dem Kulturpessimismus, das heißt, ein friedliches Zusammenleben zwischen verschiedenen Kulturen auf gleichem Raum sei unmöglich.

🚩 Schon die NPD habe es 2010 in ihrem Parteiprogramm genutzt. Da hieß es: "Die Systemparteien wollen sich durch Austausch des Volkes an der Macht halten".

Ziel des Narrativs ist eine Mobilisierung der Anhänger:innen. Die Motivation wird durch Angst vor einer “Umvolkung” und vor einem “nationalen Identitätsverlust” erzeugt. AfD-Sympathisant:innen sollen sich zur Wehr setzen und zur Notwehr bereit sein – auch mit Gewalt.

Das hat Höcke auch praktisch so ausformuliert, erklärt Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke in der Zeit (Öffnet in neuem Fenster). In seinem Gastbeitrag nimmt er sich Zitate aus dem Buch Höckes vor, “Nie zweimal in denselben Fluss”.

Auch darin beschwört Höcke den Volkstod durch Bevölkerungsaustausch. Funke schreibt: “Als zentrales Ziel seiner Partei fordert Höcke eine Säuberung Deutschlands von kulturfremden Menschen.” Laut Höcke sei das nur mit Gewalt zu schaffen. Dafür brauche es eine “Wendephase” und eine “neue politische Führung Deutschlands”, die zum “alleinigen Inhaber der Staatsmacht” werde.

Die neue Führung werde allein “den Interessen der autochthonen Bevölkerung verpflichtet sein und aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen müssen, die auch ihrem moralischen Empfinden zuwiderlaufen würden.” Man werde – so heißt es bei Höcke – nicht um “eine Politik der wohltemperierten Grausamkeit” herumkommen. “Existenzbedrohende Krisen erfordern außergewöhnliches Handeln.”

Hier nochmal der Hinweis auf das Dangerous Speech Project (Öffnet in neuem Fenster), das wir in Newsletter #1 (Öffnet in neuem Fenster) vorgestellt haben. Darin werden Sprachmuster vorgestellt, die unterschiedliche Gruppen dazu bringen können, Gewalt gegeneinander auszuüben oder Gewalt zu dulden.

Gefährliche Sprache soll vor allem Angst und Furcht schüren. Weil diese Gefühle Gewalt legitimeren können – besonders in Form von Notwehr: Wer sich selbst, die eigene Familie, Ethnie oder Kultur einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt sieht, für den ist Notwehr nicht nur akzeptabel, sondern notwendig.

Wie wirkmächtig das Narrativ des “Großen Austauschs” sein kann, hat Malene Gürgen für die Heinrich Böll Stiftung (Öffnet in neuem Fenster) aufgeschrieben: Am 15. März 2019 tötete ein Rechtsterrorist bei einem Anschlag auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen, weitere 50 wurden zum Teil schwer verletzt. Am 9. Oktober 2019 versuchte ein bewaffneter Rechtsextremist in Halle an Jom Kippur in eine Synagoge einzudringen, um Gläubige zu töten. Als das misslang, tötete er eine Passantin und den Gast eines Döner-Imbisses.

“Ähnlich wie bereits der rechtsextreme Massenmörder Anders Breivik bezog sich auch der Attentäter von Christchurch auf die Theorie des ‘großen Austauschs’”, schreibt Gürgen. Ebenso wie der Attentäter von Halle. Der gab den drohenden “Große Austausch” auch vor Gericht als sein Motiv an.

Man könnte auch sagen, beide waren überzeugt, der Volkstod stünde bevor.

Hier kommt dein Mehr an Information unsere Empfehlung diese Woche.

Vom Podcast “SchwarzRotGold: Mesut Özil zu Gast bei Freunden” (Öffnet in neuem Fenster) sind zwar erst drei von acht Folgen auf Spotify und anderen Podcastanbietern veröffentlicht. Diese (und die Historie guter Podcasts (Öffnet in neuem Fenster) der Macher:innen) sind aber vielversprechend.

Es geht um den Fußballer Mesut Özil, der sich erst als Ausnahmetalent an die Weltspitze des Fußballs arbeitet. Später nach einem Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan Hass und Spott erntet und zuletzt im Sommer diesen Jahres mit einem Tattoo der rechtsextreme Grauen Wölfe zu sehen ist. Vordergründig.

Hintergründig geht es um Deutschland. “Ein Land, das sich nicht so recht sicher ist, ob Menschen wie Mesut Özil dazu gehören – oder nicht”, wie die Macher:innen schreiben. Erfahrt mehr im Audio-Beitrag. ⤵️

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Wir möchten mit euch im Gespräch bleiben – habt keine Scheu, uns eine Mail zu schreiben an wierechtereden@proton.me (Öffnet in neuem Fenster).

Bleibt achtsam miteinander!

Johannes & Maria

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