Zum Hauptinhalt springen

Warum es keinen “Großen Austausch” gibt

Manche von euch haben Newsletter #2 zur Erzählung vom Volkstod gelesen und gefragt: “Aber was, wenn sie recht haben?” Was ist, wenn das Narrativ vom “Großen Austausch” nicht nur eine Erzählung ist, ein Drohszenario. Was ist, wenn es wahr ist?

Ja, was ist dann eigentlich? Man könnte natürlich Menschen, die von Volkstod sprechen, vom Austausch eines Volkes gegen ein anderes, fragen, worin konkret ihre Angst eigentlich besteht? Dass dann ihre christlichen Werte verloren gehen? Dass die Mehrheit der Deutschen dann keine weiße Hautfarbe mehr hat? Dass in der Schule nicht mehr “Die Räuber” gelesen wird? Oder Frauen Kopftuch tragen müssen?

Viele der Antworten bergen antimuslimische Ressentiments. Doch wie beantworte ich solche Ängste? Im Newsletter haben wir kaum Platz, um adäquate Antworten für euch bereit zu stellen, deswegen haben wir ihn uns in einem Extra-Post genommen.

Nun also die Antwort auf die Erzählung vom Volkstod, hier die Fakten:

Es gibt drei Erzählstränge zum “Großen Austausch”.

1️⃣ Er ist politisch gewollt und wird von führenden Politiker:innen gezielt herbei geführt.

Schauen wir es uns an: Dass Menschen nach Deutschland gelockt werden und dahinter ein größerer Plan steht, entkräftet beispielsweise Migrationsforscher Jochen Oltmer.  In einem Interview mit der NDR-Sendung Panorama (Öffnet in neuem Fenster) betont er, die Vorstellung vom “Bevölkerungsaustausch” impliziere, Regierungen und Verwaltung seien in der Lage, “Migration hochgradig zu steuern, Menschen wie Spielfiguren hin und her zu schieben”. ♟️

Doch das, so Oltmer, sei “überhaupt nicht der Fall”. Politische Entscheidungen hätten bislang nicht die beabsichtigten Effekte erbracht. 1973 sei entschieden worden, Anwerberprogramme zu beenden und damit die Zuwanderung zu stoppen – das Gegenteil sei eingetreten.

Migration sei historisch der Normalfall, sagt Ottmer. Außerdem betont der Migrationsforscher, dass es falsch sei, zu denken, Menschen gingen irgendwo hin und blieben dann für immer dort.

“Wenn man über so etwas wie Migration spricht, dann spricht man über Fluktuation, über Hin und Her. Ein großer Teil der Menschen, die in die Bundesrepublik kommen, kommen für einige wenige Monate, für einige wenige Jahre und kehren zurück oder wandern weiter”, sagt er.

2️⃣ Die zweite Begründung für den angeblichen “Großen Austausch” liegt in der hohen Abtreibungsquote.

So zumindest hat es Björn Höcke kürzlich wieder bei Pegida bekräftigt. “Seit Jahrzehnten werden zu wenig Kinder in unserem Land geboren, zu wenig deutsche Kinder. Millionen Kinder sind abgetrieben worden und haben das Licht der Welt nie erblicken können.”

Das Recht auf Abtreibung ist für uns keine Diskussion wert, aber ein Blick auf die Statistik. Dort zeigt sich, dass zwar im Jahr 2022 die Zahl der Abtreibungen um 9,9 Prozent gestiegen ist (insgesamt wurden laut Statistischem Bundesamt (Öffnet in neuem Fenster) 103.927 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen). Im Jahr 2021 ist sie allerdings um 4,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen und im Jahr 2020 um 0,9 Prozent im Vergleich zu 2019 gesunken. Eine Tendenz hin zu mehr Abtreibungen gibt es nicht.

3️⃣ Die wirkmächtigste Idee ist die, dass Menschen, die laut AfD “kulturfremd” sind, weit mehr Kinder bekommen als “biodeutsche” Frauen. Auch hier hilft ein Blick in die Statistik.

  • Die Geburtenziffer je Frau lag im Jahr 2022 bei 1,359 bei Frauen deutscher Staatsangehörigkeit – in der Tabelle links; und bei 1,879 bei Frauen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit – in der Tabelle rechts.

Wie man der Tabelle entnehmen kann, ist auch hier kein eindeutiger Trend zu erkennen. Sowohl unter Frauen mit deutscher, als auch mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit schwankte die Geburtenziffer in den vergangenen zehn Jahren.

Wir haben für das Jahr 2022 mal eine statistische Auswertung vorgenommen, wie sie 2017 schon das Rechercheteam von Correctiv (Öffnet in neuem Fenster) gemacht hat.

Im vergangenen Jahr setzte sich die Geburten aus folgenden Ländern zusammen:

  • Von ingesamt 738.819 geborenen Kindern wurden 547.254 von einer Mutter mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren (rund 74 Prozent).

  • Aus den übrigen EU-Staaten waren es 59.179 Kinder, aus dem übrigen Europa (ohne Türkei) 38.166 Kinder. Außerdem 213 aus Australien und Ozeanien und 5.400 aus Amerika. Insgesamt waren das 102.958 (rund 14 Prozent).

  • Es bleiben 50.181 aus Asien, 18.480 aus Afrika, 16.806 aus der Türkei (rund 12 Prozent).

  • Nicht berücksichtigt werden 3.140 Geburten, bei denen die Staatsangehörigkeit der Mutter unbekannt ist oder sie staatenlos sind.

Die höhere Geburtenrate der Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit setzt sich also zu knapp 55 Prozent aus Ländern zusammen, die nicht mehrheitlich muslimisch sind. Von den 738.819 in Deutschland geborenen Kindern sind lediglich 85.467 Kinder, also 11,57 Prozent aus Ländern, die von Rechten als “kulturfremd” bezeichnet werden.

Hat man all diese Argumente vorgelegt, bleibt dem/der Gegenüber eigentlich nur eine Antwort übrig. Nämlich die, die bereits 2016 das “Compact Magazin” gegeben hat. Dort wird unterschieden zwischen Kindern mit Müttern “deutscher Staatsangehörigkeit” und “biodeutschen” Müttern. (Öffnet in neuem Fenster)

“Die Rede ist von Frauen mit deutscher bzw. ausländischer Staatsangehörigkeit. Das heißt, unter den 1,42 geborenen Kindern pro ‘deutscher’ Frau verbergen sich noch rund fünf Millionen Frauen mit sogenanntem Migrationshintergrund. Wie viele biodeutsche Babys auf die Welt kommen, wird nicht erfasst.”

Für das rechtspopulistische Magazin ist Deutsch-Sein also keine Frage von Staatsangehörigkeit, sondern von vemeintlicher Biologie.

Die Idee, dass ein Volk nur aus Menschen mit einer biologisch reinen, rein-deutschen DNA bestehen darf, hatten bereits die Nationalsozialist:innen.

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Wie Rechte reden und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden