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WeinLetter #24: Der Wein-Jahresrückblick 2021

Liebe Wein-Freund*in,

Du liest den 24. WeinLetter. Den letzten dieses aufregenden Wein-Jahres +++ Es ist mein ganz persönlicher Jahresrückblick. Ich schreibe über zehn Weine, die mich 2021 beeindruckt haben! Mit ihnen verbinde ich persönliche Geschichten. Denn bei allen Sensorik-Eruptionen ist das der zentrale Ansatz des WeinLetters: Was ist die Geschichte? Mein großer Sassicaia-Deal vom Karstadt Hermannplatz. Das Erfolgsgeheimnis von Hanspeter Ziereisen. Das Naturgewalterlebnis direkt aus dem Weinberg! Aber lies selbst. Jetzt zu Dir: Danke für Deine Treue! Ich wünsche Dir ein paar ruhige Festtage - und einen guten Rutsch! Wir sehen uns 2022 wieder! +++ Empfehlt (und shared) den WeinLetter bitte weiter. Unterstützt den WeinLetter und werdet sehr gerne aktives Mitglied! (Öffnet in neuem Fenster) Beschenkt Euch, Bekannte oder Freund*innen mit einem Abo. Und vor allem:

Trinkt’s Euch schön!

Euer Thilo Knott

Na, was dabei? Etikettensammlung in Deidesheim FOTO: DWI

Das sind meine zehn Weine des Jahres!

von Thilo Knott

Zehn Weine des Jahres: Ganz schön schwierig! Oder auch nicht? In zehn Kategorien erzähle ich etwas über meine zehn Lieblingsweine in 2021. Die Auswahl folgt keinem Punkte-Sensorik-Katalog - sondern meinem ganz persönlichen Geschmack. Das solltest Du auch 2022 tun: Achte auf Deinen Geschmack - denn der ist der wichtigste! Viel Spaß mit den Kategorien "Bester Weißwein national", "Bester Weißwein international", "Bester Rotwein national", "Bester Rotwein international", "Bestes Preis-Genuss-Verhältnis", "Beste Schranke", "Bester Nature", "Bestes Weingut", "Entdeckung des Jahres", "Bester Schorle-Wein".

1. Der beste Weißwein national: Kommt aus Franken, ist kein Riesling!

· Weingut Paul Weltner: Silvaner, Hoheleite Großes Gewächs, trocken, 13,5 % vol., 2018, 34 Euro ab Hof.

Paul Weltners Silvaner sind in zweierlei Hinsicht exzeptionell. Erstens: Er hat die meines Erachtens beste Kollektion an Silvanern. Ich hatte just zum Beispiel den Silvaner in der Liter-Flasche. Das ist so eine starke Basis, dass man normalerweise fürchten müsste, dass der Rest die entsprechenden Qualitätsstufen gar nicht mehr hochspringen kann. Ist aber nicht so. Liter, Gutswein, Ortswein, Erste Lage, Großes Gewächs sind so austariert, dass jede Preis- auch eine Qualitätsstufe beinhaltet. Zweitens: Es gibt kein besseres GG im Silvaner-Bereich. (Das habe ich jetzt nicht hingeschrieben, damit ich nächste Woche 500 Flaschen vor der Türe stehen habe) Ich habe Silvaner-GGs von Horst Sauer oder von Ludwig Knoll aus dem Weingut am Stein im Keller. Aber die Präzision des Silvaners von der Hoheleite, der höchsten Parzelle des Rödelseer Küchenmeisters, ist schon außerordentlich.

Und kein Riesling an Platz 1 in der Kategorie Weißwein national? Ach, Riesling. Eine allzu große Konzentration auf Riesling verstellt allzu oft den Blick auf die „kleinen“ Riesen des deutschen Weißweins. Punkt.

2. Der beste Weißwein international: Müller-Thurgau, im Ernst!

· Weingut Tiefenbrunner: Müller-Thurgau, Feldmarschall von Fenner, trocken, 2017, 36,30 Euro ab Hof.

Talks über Müller-Thurgau gehen so.

Sie (oder er): „Probier doch mal diesen Müller-Thurgau!“

Er (oder sie): „Müller-Thurgau? Niemals“

Sie (oder er): „Probier doch mal, bitte!“

Er (oder sie): Probiert. „Das ist Müller-Thurgau? Echt?!“

Müller-Thurgau ist die Weißwein-Rebsorte, bei der alle die Nase rümpfen. Lange Zeit zurecht. In Wirtschaftswunder- und Flurbereinigungszeiten wurde in Deutschland vielerorts Müller-Thurgau großflächig gepflanzt. Billig-Most für die Massen!

So, jetzt zu diesem Müller-Thurgau: Er ist der beste Müller-Thurgau der Welt! Er stammt nicht aus Deutschland, sondern aus Kurtatsch in Südtirol – vom Weingut Tiefenbrunner. Er wird auf dem Unterfennberg auf mehr als 1.000 Metern über dem Meeresspiegel angebaut. Und hat eine Feinheit und Mineralität, als wäre es ein Riesling. Er abstrahiert quasi die Rebsorte Müller-Thurgau, weil er die klimatischen und geografischen Bedingungen (Boden ist schluffig-lehmiger Sand, durchsetzt mit Marmor sowie Porphyr- und Granit-Findlingen). Ich habe mir vor drei Jahren in Kurtatsch eine Kiste mitgenommen. Ich trinke davon jedes Jahr eine Flasche, um die Reifung zu beobachten. Es gab in diesem Jahr kaum etwas Spannenderes im Weißweinbereich.

3. Der beste Rotwein national: Huber, was sonst!

· Weingut Bernhard Huber: Spätburgunder, Bienenberg Großes Gewächs,  trocken, 2012, 55 Euro ab Hof.

Die schwierigste Aufgabe im Genuss- bzw. Wein-Qualitäsjournalismus sind Würdigungen des Weinguts Bernhard Huber in Malterdingen, das Sohn Julian nach dem Tod seines Vaters Bernhard so gut weiterführt. Du redest über den Ortsspätburgunder: Sensationell. Du trinkst Chardonnay: Sensatiogeil. Du pirschst dich mit dem Spätburgunder „Alte Reben“ (mein Lieblingswein von Huber) an die Großen Gewächse heran: Sensatio...genau. Wenn ich jetzt noch eine Steigerung in diesem Huber-Genre finden müsste, würde ich Hiphopper und „lit“ sagen (siehe „Littbarski“ von Dendemann feat. Trettmann). Aber das war ja 2018.

Die Qualität ist so hoch, dass du nicht ins Burgund zu reisen brauchst (wenn du nicht willst). Ich hatte in diesem Jahr das Große Gewächs „Bienenberg“ im Glas. Von allen nationalen Rotweinen war das wirklich der „liteste“!

4. Der beste Rotwein international: Sassicaia vom Hermannplatz!

· Tenuta San Guido: Bolgheri Sassicaia, 2003, Cuvée, trocken. (225 Euro aufwärts für den 2018er in einschlägigen Digital-Shops)

Sassicaia Bolgheri. Eine Marke wie Segafredo, San Siro oder San Remo – obwohl es ihn erst seit 1968 zu trinken gibt. Ein Wein, der als Vater oder Mutter der Supertoskaner gilt. Der fast einem Bordeaux näher ist als beispielsweise einem Brunello, weil die Hauptrebsorte Cabernet Sauvignon sein muss, zu mindestens 80 Prozent, obwohl er in der Maremma gepflanzt ist. Also: Legende!

2003 war ein okayer Jahrgang. Bewertungen sind so lala. Der 2016er zum Beispiel gilt als Jahrhundert-Jahrgang mit 100-Punkte-Benotungen. Also, warum der 2003er? Weil Weingenuss nicht nur Geschmack ist, sondern auch: Geschichten erzählen. Vom 2003er habe ich drei Flaschen gekauft – für 80 Euro das Stück. WTF? 80 Euro? Wie geht das für einen Wein, der damals auf den Digital-Plattformen für minimal 140 Euro zu haben war und heute mehr als 200 Euro kostet?

Ich habe sie im Karstadt am Hermannplatz gekauft. Einmal wollten sie dort die große Nummer drehen: Supertuscans! Aufgerufen waren 199 Euro. Zu viel. Irgendwann gab’s ihn für 149 Euro. Wollte niemand. Konnte niemand bezahlen hier an der Krume zu Neukölln. Schon gar nicht damals in den Nullerjahren. Ich unterhielt mich regelmäßig mit dem Wein-Chef vom Hermannplatz. Wir schwänzelten regelrecht umeinander herum. Er sagte mir mal, dass der Durchlauf in seinem Lager groß sein muss, weil Standzeit kostet. Ich sagte irgendwann einmal: 240 Euro für drei Flaschen! Er schlug sofort ein. Jetzt, in 2021, war die letzte an der Reihe. Ein großer Wein. Mit großer Geschichte.

5. Das beste Preis-Genuss-Verhältnis: Gutedel, der Heugumber heißt!

· Weingut Ziereisen: Heugumber (Gutedel), 2018, 11,0% vol., 2018, 7,50 Euro ab Hof.

Hanspeter Ziereisen hat mir erzählt, was in den vergangenen zwei Jahrzehnten seine Prinzipien für die Entwicklung seines Weinguts waren: Erneuerung und Wirtschaftlichkeit. Dass ein Gutedel einmal 100 Punkte im Gault&Millau erhält, der Jaspis 10 hoch 4, entspringt daher nicht eines Revoluzzertums, obwohl das durchaus in der Natur der Badener liegt. Nein. Es ist eher ein evolutionärer Plan. Die Erneuerung ging Schritt für Schritt. Sie nahmen mal diesen Wein aus dem Verkauf, lagerten ihn im Keller, um den Kund*innen künftig gereiftere Rotweine zu verkaufen. Dann kam ein anderer Wein dran. Usw.

So haben Hanspeter und Edeltraud Ziereisen ein Weingut gebaut, das Erneuerung und Bodenständigkeit zusammen entwickelt hat. Dafür steht der extrem trockene Basis-Gutedel Heugumber. Erst in diesem Jahr haben sie den Preis von 6,50 auf 7,50 Euro erhöht (Die ganze Geschichte zu Ziereisens Heugumber liest Du hier (Öffnet in neuem Fenster)). Das beste Preis-Genuss-Verhältnis, das schwer zu toppen sein wird. Deshalb wird diese Kategorie vermutlich nur einmal verliehen. Es sei denn? Ich darf in 2022 keinen Heugumber trinken (schwierig) – oder mir wird doch ein Herausforderer empfohlen (schwieriger). Also Tipps her: weinletter@posteo.de (Öffnet in neuem Fenster) - nur zu!

6. Das beste Schranke-Paar: Kommt aus dem Burgund!

· Clotilde Davenne: Chablis Premier Cru, Vaillons, 13 % vol., 2016. (Gibt's für 28,50 Euro - jüngerer Jahrgang - in einschlägigen Digital-Shops)

· Domaine de l’Arlot : Nuits Saint Geroges 1erCru, Clos des Forets Saint Georges Monopol, 13,5 % vol., 2009. (Gibt's für 69,90 Euro in einschlägigen Digital-Shops)

Gut, die Chablis der Winzerin Clotilde Davenne waren jetzt auch nicht das Schlechteste, was ich an internationalen Weißweinen getrunken habe, ihr Grand Cru ist schon famos! Hier tritt ihr Chablis, der Premier Cru, in einer anderen Kategorie auf. In der „Schranke“-Kategorie. Weiß-Rot. Sagen wir: Du machst einen Steinbutt im Ganzen, drappierst ihn auf zuvor angebratenem, mediterranem Gemüse, nimmst ihn aus dem Backofen und servierst ihn mit Baguette - ein altes Rezept von Wolfram Siebeck aus dem Zeit Magazin. Da bist du in Frankreich. Da passt der Chablis Premier Cru von Clotilde Davenne ganz hervorragend.

Wie machst du aber danach weiter? Du wechselst nicht die geografischen Bezugsgrößen, willst im Burgund verweilen – willst wechseln auf Rot. Deshalb: Schranke. Das habe ich mit dem jetzt wunderschönen Nuits Saint Geroges 1er Cru, Clos des Forets Saint Georges 2009 aus der Domaine de l’Arlot gemacht. Der mit seinen zwölf Jahren so einen ausbalancierten Reifegrad erreicht hat. Chablis und Pinot: Beides Burgund, beides erste Lagen, beides im Rahmen bezahlbar. Das war mein Weiß-Rot-Pairing des Jahres!

7. Der beste Nature: Es ist ein Berg(meister)werk!

· Weingut Schmelzer Bergwerk 2017, Cabernet Sauvignon, Qvevre,  14,5 % vol., Schwefel: 0, Zucker: 1 g/l, Säure: 6,1 g/l, 34 Euro ab Hof.

Bamm! Der Bergwerk vom Weingut Schmelzer bricht mit so vielen Trinkgewohnheiten. Bamm! Der Bergwerk ist so ein hartes Trinkerlebnis reinster Naturgewalt. Das war das Irritierendste, was ich in diesem Jahr verköstigt habe. Ein Cabernet Sauvignon, 100 Prozent, wilder Weinberg, die Reben geerntet, noch im Weinberg in einer Amphore verarbeitet – und dann direkt im Weinberg verbuddelt. Nach 362 Tagen rausgeholt und direkt in die Flasche gearbeitet. Nature. Die für Cabernet so typische Cassis-Note haut einen schon um, wenn man in die Flasche nur reinriecht. Ich habe ihn über drei Tage getrunken, er wurde ein bisserl stumpf am dritten Tag, weil nicht mal ein Hauch Schwefel ran durfte (Die ganze Geschichte zum Schmelzer-Bergwerk gibt's hier! (Öffnet in neuem Fenster)). Bamm, was für ein Naturerlebnis des Jahres!

8. Das Weingut des Jahres: Ehrt das Lebenswerk!

· Weingut Weegmüller aus Neustadt a. d. Weinstraße, Pfalz

Ach, da mach’ ich es mir einfach und folge meiner romantisch-nostalgischen Ader: Mein Weingut des Jahres ist das Weingut Weegmüller. Das Weingut der Schwestern Stefanie (links im Foto) und Gabriele Weegmüller – die eine Winzerin, die andere Kauffrau - gibt es so nicht mehr mangels familiärer Übernahmekandidat*innen (Ich habe den Weegmüllers einen ganzen WeinLetter gewidmet - hier! (Öffnet in neuem Fenster)). Sie haben es verkauft und wohnen jetzt genau gegenüber oben auf der Haardt in Neustadt. Den 2021er Jahrgang hat die Scheurebe-Königin Stefanie Weegmüller noch abgefüllt. Jetzt geht es weiter im Weingut – ohne die beiden.

9. Die Entdeckung des Jahres: Riesling, endlich!, aber aus Württemberg!

· Staatsweingut Weinsberg: Riesling, 2020, trocken, 12,0 % vol., 6,90 Euro.

· Staatsweingut Weinsberg: Riesling, Burg Wildeck, Großes Gewächs, 13,0 % vol., 2011, 19,90 Euro ab Hof.

Ich war im Sommer dieses Jahres im Staatsweingut Weinsberg. Franz Untersteller, Minister a. D., hatte gerade das Geheimnis gelüftet, dass sein Ex-Dienstherr, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, die Weinsberger Cuvée „Traumzeit“ noch jedem Bordeaux vorzieht (Öffnet in neuem Fenster). Ich kannte die „Traumzeit“ schon länger, das mit Kretschmann wusste ich nicht.

Mich hat einfach interessiert, was in so einer staatlichen Versuchsanstalt alles geht. Das Staatsweingut hat schon früh mit Cabernet-Klonen hantiert, pflegt zudem ein ausgeprägtes Faible für die Sorten der Welt: Syrah (Frankreich), Tempranillo (Spanien), Malbec (Argentinien) und Nebbiolo (Piemont).

Ich dachte mir: Gut, ich mach‘ jetzt etwas total Verrücktes – und probiere Rieslinge. Ich kannte die Rieslinge von Hanspeter Wöhrwag, den „Mineral“ und das GG, den Fellbacher Lämmler von Rainer Schnaitmann oder aus meiner Hohenloher Heimat die Verrenberger Rieslinge des Fürsten von Hohenlohe-Öhringen. Ansonsten bin ich in Württemberg aber eher mit Spätburgunder und dem noch unterschätzten Lemberger unterwegs. Also, Rieslinge vom Staatsweingut: Der Basis-Riesling trocken mit dem Löwen-Etikett ist schlicht ein Geschenk für 6,50 Euro – die GGs sind irre gut, für 20 Euro (!). Sie werden im Fuder-Holzfass ausgebaut. Und: Im Verkauf gibt es die GGs auch gereift – und zwar ohne Preisaufschlag. Ich habe mir hier gleich 11er und 13er geholt. Das ist meine Entdeckung des Jahres.

10. Der beste Schorle-Wein: Badischer Spätburgunder!

· Weingut R. & C. Schneider, Spätburgunder, Liter QbA, 2019, 9 Euro ab Hof.

Ja, diese Kategorie steht wirklich hier. Sorry, Puristen! Aber es gibt nun mal Situationen – Ausgehen! Sauna! Whatever! – wo es durchaus vernünftig ist, Wein in dieser Form zu konsumieren. Und da ich kein Model bin, trinke ich auch lieber Rotwein-Schorle (maximal 40 Prozent Rotwein, besser 1/3 Rot zu 2/3 Minerale) statt Weißwein-Schorle. Und weil ich Schorle wie Saucen behandle, nehme ich jetzt nicht, sagen wir, den Sassicaia von oben – sondern hochwertige Liter-Ware. Der beste Rotwein im Liter ist der Spätburgunder von Reinhold und Cornelia Schneider (Mit Liter-Weinen hat der WeinLetter übrigens angefangen - liest Du hier! (Öffnet in neuem Fenster)). Kostet fast 10 Euro. Ist es aber absolut wert. Er wird nämlich genauso wie alle höheren Qualitätsstufen hergestellt. Da machen die Winzer aus Endingen im Kaiserstuhl keinen Unterschied. Als Kind der 70er, wo zum Frühschoppen auch mal gerne Schorle rot-süß bestellt wurde, finde ich Spätburgunder mit seiner Struktur und den Gerbstoffen aber sehr passend mit Mineralwasser. Klar, der Spätburgunder trinkt sich auch so! Aber man muss der Mix-Getränke-Industrie ja nicht alles überlassen.

Rückblick-Fotos: Thilo Knott (9), Weingut Weegmüller (1)

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