Interview mit MdL Dr. Sabine Weigand über die Bedeutung von Bestandsgebäuden
Das Interview ergänzt meine fachlichen Impulse Post # 38 >> HIER mehr lesen (Öffnet in neuem Fenster)
Dr. Sabine Weigand (Öffnet in neuem Fenster)
denkmalpolitische Sprecherin der Grünen Landtagsfraktion in Bayern
Sitz im Ausschuss Wissenschaft und Kunst
Buchautorin mit historischen Themen
Frage: Was halten Sie von dem Bürgerfond der "Stiftung Trias" in Kombination mit Erbbaurecht?
Dr. Weigand
Mit erbbaurechtlichen Modellen bin ich im Denkmalbereich bisher noch nicht in Berührung gekommen. Ich denke, dies gilt wohl auch für die meisten ehrenamtlichen Bürgermeister:innen oder Gemeinderät:innen.
Es macht aber Sinn, den spekulativen Verkauf von Grundstücken dauerhaft zu verhindern.
Das Gesamtkonzept muss sicherlich in der Öffentlichkeit vorgestellt werden und ein breites Bündnis in der jeweiligen Gemeinde finden. Gerade die Kombination mit einer Genossenschaft wäre ideal. Ohne fachliche Unterstützung und Begleitung ist das sehr schwer realisierbar.
Frage: Sie waren Vorsitzende des Geschichts- und Heimatverein in Schwabach. Könnte man auch Geschichts- und Heimatvereine einbinden?
Dr. Weigand
Viele Geschichts- und Heimatvereine haben heute nicht mehr ihre alte Leistungsfähigkeit. Sie besitzen einige wenige Immobilien und sparen für anfallende Reparaturen. Sie freuen sich schon über eine Spende von 200 €. Die Mitgliederzahl sinkt und sie erhalten selten Vermächtnisse.
Große sehr aktive Vereine wie z.B. die Nürnberger Altstadtfreunde erhalten großzügige Vermächtnisse und können so auch große Projekte alleine stemmen.
Solche großen und einflussreichen Vereine sind jedoch sehr selten.
Ich denke, ein guter Netzwerkpartner mit etwas Kapital sind die Bürgerstiftungen, die es vielerorts gibt.
Frage: Es scheint so, als ob das Bewusstsein für den Erhalt von Gebäuden noch nicht stark entwickelt ist. Wo sehen Sie einen Ansatz, Kommunen und Behörden zu sensibilisieren?
Dr. Weigand
Ich denke, der Gemeinde- und Städtetag wäre eine gute Anlaufstelle für die Bewusstseins- und Weiterbildung. Beim jährlichen Treffen oder über die Veröffentlichung von Beiträgen könnten Leuchtturmprojekte oder Erfahrungsberichte der Kommunen vorgestellt werden.
Erfreulicherweise ist z.B. der Bayerische Landesverband für Heimatspflege mit seinem Geschäftsführer Dr. Rudolf Neumaier sehr aktiv in der Bewusstseinsbildung. Die Instagram-Seite ist sehr informativ.
Mit der Abstimmung über die größten Denkmal-Abrisssünden 2022 hat der Verein große Aufmerksamkeit erlangt - insbesondere in den Kommunen, in denen eine Abrisssünde zu beklagen ist. Unter www.heimat-bayern.de (Öffnet in neuem Fenster) findet sich die Liste von verlorenen oder gefährdeten Objekten.
Die meisten Abrisse laufen nach dem immer gleichen Schema:
In einem denkmalgeschützten Objekt wohnt schon seit langer Zeit niemand. Die junge Generation hat sich ein neues Häuschen mit modernem Bad gebaut. Wenn die Bewohner:innen rausgestorben ist, steht das Objekt leer. Niemand hat wirkliches Interesse. Das Dorf sieht das Objekt als Schandfleck. Die Gemeinde kann höchstens eine Notsicherung anordnen. Eine Enteignung wäre zwar denkbar, bringt der Kommune aber keine Vorteile. Der Bürgermeister würde sich natürlich freuen, wenn das Problem angegangen würde. Es fehlt jedoch in der Gemeinde eine Vision oder das Wissen, wie ein Projekt anzugehen wäre.
Wenn sich (endlich mal) ein Investor für das Grundstück interessiert, sieht die Gemeinde dies als Chance, ein leidliches Problem zu lösen und als modern zu gelten. Der Verkauf an einen Investor scheint alternativlos zu sein. Der Investor saniert dann aber oft nicht, sondern reißt ab und stellt einen gesichtslosen Neubau hin.
Nur eine Bürgerinitiative könnte Verkauf oder Abriss verhindern.
Neben den Kommunen müssen auch die Kirchen sensibilisiert werden. Diese werden in Zukunft immer mehr Immobilien profanieren und verkaufen.
Frage: Wie sähe Ihre Vision aus?
Dr. Weigand
Auf meiner Denkmalschutztour habe ich bereits gute Ansätze gefunden. Eine alte Dorfschule sollte abgerissen werden, die Bürgerschaft hat sich gewehrt und eine Genossenschaft gegründet https://alteschulebuehl.wordpress.com/ (Öffnet in neuem Fenster)
In Bestandsobjekte können ein Dorfladen, ein Mehrgenerationentreff oder Räumlichkeiten für eine mobile Gesundheits- oder Daseinsversorgung integriert werden. So könnte ein flexibel ausgestatteter Raum am Montag dem Hausarzt, am Dienstag dem Physiotherapeuten / der Ergotherapeutin, am Mittwoch der Hebamme / der Dorfschwester, am Donnerstag der Fußpflege und am Freitag dem Friseur zur Verfügung stehen. Vielleicht kann auch Hilfe bei Handy- oder anderen technischen Problemen angeboten werden. Oder koordinierte Einkäufe werden organisiert. Es gibt so viele Möglichkeiten ...
Gerade im ländlichen Raum wäre dies sehr wichtig, um gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen und um zu verhindern, dass die Dörfer ausbluten, auch um Anonymität und Einsamkeit entgegenzuwirken.
Besonders schön finde ich den englischen Ansatz „the pub is the hub“. Die Tradition der guten alten Dorfkneipe wird auf ein modernes Niveau gehoben. Ansatzpunkt ist und bleibt die lokale Gemeinschaft und die Pflege der sozialen Gemeinschaft. Das geht besser in einem Bestandsgebäude mit Geschichte.
Frage: Die Internationale Bauausstellung (IBA) Thüringen aktiviert Leerstände im Land – LeerGut umbauen (Öffnet in neuem Fenster). Sie unterstützt Unternehmer und neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft – SelbstLand aufbauen (Öffnet in neuem Fenster). Und sie realisiert experimentelle Neubauten und macht Baukultur zum Markenzeichen von Thüringen – ProvinzModerne neubauen (Öffnet in neuem Fenster). Wäre dies für Bayern nicht auch ein tolles Format?
Dr. Weigand
Natürlich. Das wäre ein schönes Beispiel auch für eine bayerische Initiative. Man müsste Geld für eine Förderung bereitstellen und eine Anlaufstelle zur Koordination schaffen. Das kann auch sehr gut mit Hilfe der Kommunen funktionieren.
Frage: Was kann das Land Bayern verbessern, um Bestandsobjekte besser zu transformieren?
Dr. Weigand
Die Staatsregierung könnte zum Beispiel Fördermittel bereitstellen oder Steuervergünstigungen für Kommunen oder Private schaffen, wenn ein Bestandsgebäude saniert und danach für gemeinwohlorientierte Zwecke genutzt wird.
Auch könnte sie durch gesetzliche Vorgaben die Neuausweisung von Baugebieten erschweren und gleichzeitig das Sanieren im Bestand fördern. Das würde auch gegen den Flächenfraß in Bayern helfen. Bauen im Bestand muss in Zukunft unbedingt Vorrang vor Neubau bekommen. Das fordern z.B. auch die Architektenkammer und der Bund deutscher Architekten.
Herzlichen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg bei der politischen Arbeit
Angelika Majchrzak-Rummel
Dr. Sabine Weigand können Sie auch hören unter Denk.Mal.Schutz! (Öffnet in neuem Fenster) im Gespräch mit Robert Brannekämper, Volkmar Halbeib und Rudolf Neumaier
Mediendatei: