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Strickmuster für den Klimaschutz-in-Handarbeit, Teil 1: der Volksentscheid Berlin2030 klimaneutral

Liebe Leute,

ich betone gerne, dass von oben, sprich, von Internationalen Organisationen, Regierungen und mächtigen Kapitalfraktionen (“Wirtschaftssektoren”) kein effektiver, d.h. radikaler Klimaschutz zu erwarten ist, und dass echter Klimaschutz, so er denn kommen wird, “von unten”, von sozialen Bewegungen kommen muss. Und in dieser Hinsicht passieren derzeit zwei spannende Dinge: erstens findet am Sonntag in Berlin die Abstimmung zum Volksentscheid Berlin2030 klimaneutral statt, und es geht hier literally darum, ein Gesetz von unten zu schreiben, auf das die Regierung dann festgelegt ist; zweitens wird gerade aufgrund eines (schlecht recherchierten, but who's counting) Artikels in der welt (Öffnet in neuem Fenster) darüber gesprochen, dass die Letzte Generation darüber spricht, eventuell eine Partei zu gründen. Beides spannende Moves, oder zumindest Debatten, in einer Situation, in der das Warten auf Klimaschutz-von-oben immer mehr dem Warten auf Godot ähnelt. Über genau über dieses Feld, das Feld “Klimaschutz-von-unten-aber-wie?” will ich heute mal ein Bisschen genauer nachdenken, to be honest, ohne dabei ganz im Klaren darüber zu sein, wo es strategisch hingeht. Thinking-while-writing ;)

Multiskalares Klimaversagen

Um meiner Ausgangsthese zuzustimmen, müsst Ihr nicht einmal meine weitergehenden Maximalpositionen teilen (weder Regierungen- noch Kapitalist*innen-im-Kapitalismus sind in der Lage, das Klima wirklich zu schützen), sondern nur die nahe Zukunft realistisch einschätzen. Ich deklinier das mal kurz aus Berliner Sicht entlang verschiedener politischer Ebenen durch:

Landesebene: die kommende Berliner Bullen, Bonzen und Beton-Landesregierung, bestehend aus zwei Parteien, bei denen in Zukunft unklar sein wird, wer den rechten Flügel markiert (nie vergessen, Thilo Sarrazin war von der Berliner SPD aufgestellter Finanzsenator), wird mit Sicherheit noch weniger Klimaschutz vorantreiben, als eine der bundesweit zumindest formell progressivsten Regierungskoalitionen – und die hat schon ziemlich wenig gemacht (Öffnet in neuem Fenster).

Bundesebene: ein Bisschen wie in Berlin können wir hier davon ausgehen, dass wir es momentanmit einer der progressivsten bundesweit möglichen Regierungskonstellationen zu tun haben, und auch diese Regierung, mit ihrem mächtigen grünen Wirtschaftsminister und ihrem “Klimakanzler (Öffnet in neuem Fenster)” an der Spitze, schafft es nicht, die Klimaziele im Verkehrssektor einzuhalten, oder sich an europäische Absprachen fürs Klima zu halten (vgl. Torpedierung (Öffnet in neuem Fenster) des sog. “Verbrennerverbots”). Der Grund dafür liegt nicht nur in der wirklich ziemlich ekelhaft agierenden FDP (der Fokus auf diese ist eigentlich nur ein Ideologem, das es grünenaffinen Klimas erlaubt, das Scheitern des Guten Grünen Zaren (Öffnet in neuem Fenster) zu wegzuerklären), sondern, um einen Kommentar im Berliner Tagesspiegel über sinkende Grüne Umfragewerte zu zitieren, in der einfachen Logik, dass die Bürger*innen rebellieren, sobald “Klimaschutz schmerzhaft wird”. Und da es keinen nichtschmerzhaften Klimaschutz mehr geben kann (dafür haben wir zu lange getrödelt), und auch die Grünen (ihren) Wähler*innen keinen allzu großen Schmerz zufügen wollen, ist von hier, auch von Regierungen mit den Grünen, auch von einemmöglichen grünen Zukunftskanzler Habeck, kein effektiver Klimaschutz zu erwarten.

EU-Ebene: es stimmt zwar, dass von hier auch politische Meisterstücke wie der viel zu ineffektive Europäische Emissionshandel stammen, also sollten wir vielleicht nicht zu viel von der EU erwarten, aber in der Frage des “Verbrennerverbots” (genauer: dem Verbot von Neuzulassungen von Autos mit Verbrennungsmotor in der EU ab 2035) waren EU Kommission und Parlament verhältnismäßig progressive Player, dito in der Heiz(ungs)frage. Jedoch haben wir gesehen, dass auch dieses “Verbrennerverbot” zuerst von Deutschland torpediert, und später von einer zunehmend breiten Allianz unter den Autoländern Europas abgelehnt wurde. Die immer zerrissenere EU wird kaum in der Lage sein, gegen starke nationalstaatliche Interessen effektiven Klimaschutz durchzusetzen, vor allem wenn sich perspektivisch die politischen Kräfteverhältnisse in der EU nach rechts verschieben, ein Outcome, der dieses Jahrzehnt irgendwo zwischen sehr wahrscheinlich und absolut sicher liegt. Add to that die berüchtigte Lobbydurchlässigkeit des EU-Policymaking (Öffnet in neuem Fenster), und es wird klar: die EU wird nicht die Klimakastanien aus der globalen Feuersbrunst holen.

Ich spare es mir jetzt mal, zu erklären, dass von “der Wirtschaft” kein Klimaschutz kommen wird, schon der Versuch wäre redundant, würde das Argument “the market knows best” auf eine Art und Weise intellektuell aufwerten, die es nicht verdient hat. Der Punkt sollte klar sein (und diesmal nicht as Resultat theoretischer Setzungen, sondern empirischer Szenarienanalysen): keine Regierungsebene, kein “oben” wird Klimaschutz liefern. We are on our own.

Klimaschutz ist Handarbeit – aber wie geht nochmal Handarbeit?

In dieser dem radikalen Flügel der Klimabewegung schon lange offensichtlichen Situation haben wir einen alten Slogan der Anti-Atom-Bewegung hinter der Wärmepumpe hervorgeholt, dementsprechend Klimaschutz (früher der Atomausstieg) Handarbeit sei, sprich, in oft mühseliger Kleinarbeit durch eine breit aufgestellte soziale Bewegung erkämpft werden muss, anstatt auf regierungsoffizielle Politiken zu hoffen. However: während das alles seine inhaltliche und politische Richtigkeit hat, macht es die Situation eigentlich viel, viel schwieriger – weil sich die Klima(gerechtigkeits)bewegung jetzt tatsächlich ganz konkret fragen muss: “wenn wir der einzige Akteur in der Gesellschaft sind, der den (vertraglich und ethisch) notwendigen Klimaschutz einfordert und durchsetzen will (Öffnet in neuem Fenster), wie schaffen es unsere Praxen eigentlich, dem hohen Anspruch zu genügen, tatsächlichen, empirisch relevanten Klimaschutz durchzusetzen?”

Strickmuster 1: Volksentscheide

Zuerst stellt sich das Problem von der Seite der Generalisierung, der Verallgemeinerung von Bewegungserfolgen: Bewegungen bewegen sich in Zyklen, in Wellen, und keine Welle kann ewig obenbleiben, genau so, wie die meisten Aktivisti irgendwann nach hause gehen (müssen), egal, wie wichtig und erfolgreich die Aktion/Blockade/Verteidigung, weil Careverantwortung, Job, oder einfach Erschöpfung. Was machen wir, wenn es keine Gesetze/Regularien gibt, die unsere Erfolge (z.B. eine Tagebaublockade) in geltende Rechtsprechung, eben allgemein gültige Regeln übersetzen? Ein nicht durch allgemeingültige Regeln abgesicherter Bewegungserfolg läuft Gefahr, schon am 1. Tag nach dem Ende der, let's say, Blockade einkassiert zu werden – das nie in Gesetzesform gegossene Recht auf Abtreibung in den USA, kürzlich durch die reaktionäre Supreme Court-Mehrheit kassiert, steht da als abschreckendes Menetekel.

Eine der wenigen starken Antworten auf die Frage “wie setzen soziale Bewegungen ohne parlamentarische Repräsentation ihre Forderungen als allgemeingültige Regeln durch?” ist die direkte Demokratie, die im deutschen politischen System vor allem in der Form von Volksentscheiden (VE) existiert. Im Gegensatz zur Volksinitiative oder dem Volksbegehren werden beim VE keine Vorschläge gemacht, sondern die stimmberechtigten Bürger*innen entscheiden direkt über eine Gesetzesvorlage. Wenn eine Bewegung sich also des Mittels des Volksentscheides bedient, kann sie einer unwilligen Regierung direkt ein Gesetz vorlegen, dass diese zu implementieren hat, also ist der Volksentscheid die direkte und einfachste Antwort auf die oben gestellte Frage. Natürlich werden jetzt manche von Euch an den Volksentscheid Deutsche Wohnen Enteignen erinnern, der zwar die Wahl gewann, aber das politische Spiel verlor, das darauf folgte, und vom RGR-Senat einfach verschleppt wurde. However, dieses “die Bürokratie kassiert linke Politiken” ist seit jeher ein Problem radikaler linker Politik, jede linke Regierung überall hat sich damit auseinandersetzen müssen, es ist also kein Grund, das Instrument des VE deshalb weniger zu nutzen.

#Berlin2030 klimaneutral: am Sonntag geht's um Vieles

Tatsächlich ist es ein Grund, sich noch mehr reinzuhängen, und – sorry, wenn ich mich hier mal nur an die Berliner*innen unter Euch richte – Eure Ärsche am Sonntag 26.3. ins Wahllokal zu schwingen, wenn Ihr Eure Briefwahlunterlagen noch nicht abgeschickt habt (wenn die noch bei Euch zu Hause herumliegen, steckt sie nicht in den Briefkasten, sondern geht am Sonntag wählen! Bei der Post weiß mensch nie).

Das mit dem Wählengehen ist am Sonntag besonders wichtig, weil es richtig knapp werden wird. Das VE muss ungefähr 600.000+ Stimmen sammeln, um überhaupt gültig zu sein, und natürlich auch die Mehrheit der sich bei der Abstimmung Beteiligenden gewinnen. Das war bei vielen direktdemokratischen Entscheidungen bisher nicht so ein Problem, weil man sich meist auf “asymmetrische Mobilisierung” verlassen konnte (traditionell stimmen Menschen, die einem Anliegen nicht zustimmen, bei Volksbegehren o.ä. “der anderen Seite” nicht ab, sondern bleiben zu Hause).

Dieses Mal aber ist das anders. Auf rechts hat die Klimafrage mittlerweile nämlich einen politisch sehr spannenden und äußerst mobilisierungsfähigen Status angemommen: weit jenseits rationaler Auseinandersetzung mit den konkreten Effekten von Klimakatastrophe und möglichen Klimaschutzpolitiken, und noch dümmer, als die schon ziemlich irrationale “symbolische Zuschreibung von Kernkompetenzen (Öffnet in neuem Fenster)”, geht es in der Klimadebatte (oder wie das auf rechts auch gerne abgekürzt wird: bei allem, was “grün” ist, wobei die Farbe hier nur sekundär für die Partei steht, eher für ein gesellschaftliches und thematisches Feld – vgl. Linksgrün versifft) um die einfache Frage: wer ist Gut, und wer ist Böse? Für Rechte, wird mir immer klarer, ist alles, was als “grün” wahrgenommen wird (z.B. auch trans Menschen – odd, I know, aber isso), die Verkörperung des Bösen, eines Bösen, dass ihnen, den Rechten, ihre Freiheiten wegnehmen will, ihre (h/t Jan Skudlarek) “toxischen Freiheiten”.

Die Tatsache, dass die Berliner Wirtschaftsverbände hart gegen das VE berlin2030 klimaneutral mobilisieren zeigt m.E. zweierlei: dass, erstens, radikaler Klimaschutz der Wirtschaft eine gigantische Angst macht (what fun :)); und zweitens, dass sich die Gegenseite effektiv gegen Klimaschutz mobilisieren lässt, weil Klimaschutz halt Böse ist, und der gute weiße Europäer natürlich das Böse schon seit über 500 Jahren in all seinen Facetten bekämpft. Auch mein freundlicher, türkischstämmiger, konservativer Friseur erwähnte den Volksentscheid, erzählte irgendwas von “Lügen-Greta”...

Der politische Wind bläst 2023, Lützerath hin oder her, nicht in unsere Richtung, die Nachholungswahl in Berlin, der kulturellen Hauptstadt aller Linksgrünversifften, haben gezeigt, das “Momentum” haben gerade die Anderen. Deshalb ist es so verdammt wichtig, dass wir die Wahl am Sonntag gewinnen. So whatever you do on Saturday, egal, ob Du noch druff bist, oder krank, oder, oder, oder: geh wählen. Bring Deine Freund*innen mit, Deine Partner*in(nen), Deine Fuckbuddies, Deine Kolleg*innen, Deine (wenn Du zu den wenigen autochthonen Ureinwohner*innen Berlins zählst) Blutsfamilie, aber Deine Patchworkfamilie passt auch, agitiert Menschen im ÖPNV, im Supermarkt, im Darkroom, ist mir scheißegal: we have to win on Sunday, sonst kann sich die Gegenseite einen Signalerfolg mitten im wichtigsten linksgrünversifften Brückenkopf auf die Fahnen schreiben, und glaubt mir, sowas motiviert – nachhaltig.

Nächsten Donnerstag: Strickmuster 2 – die Parteigründungsfrage

Soviel zum 1. Strickmuster für den Klimaschutz-in-Handarbeit. Eigentlich wollte ich jetzt noch die durch einen etwas strangen welt-Artikel plötzliche aufgeflammte “Parteiendiskussion” in der Klimabewegung schreiben, aber jetzt wurde der Text doch etwas lang, daher... kriegt Ihr das 2. Strickmuster nächsten Donnerstag: brauchen wir eine Klimapartei, und, wenn ja – wer strickt sie, und wie?

Aber erstmal geht's um den 26.3. - geht wählen, und wenn wir das gewinnen, reden wir nächste Woche über Parteineugründungen.

Bis dahin alles Gute, und Grüße aus dem Zug nach Wien auf dem Weg zur European Gas Conference und dem Gegengipfel und den Aktionen von BlockGas.

Euer Tadzio

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